Archiv für den Monat: September 2015

Das Herbarium der Heil- und Giftpflanzen

Das Herbarium der Heil- und Giftpflanzen

Wenn’s weh tut, nimm ‘ne Pille. Wenn’s dauerhaft weh tut, greif auf alte Hausmittel zurück. Warum sich nicht gleich auf Mutter Natur berufen? Schätzungen zufolge sind 35.000 bis 80.000 Blütenpflanzen auch als Heilpflanzen anzusehen. Und demzufolge auch zu benutzen. Nicht alle wachsen um die Ecke, auf den Feldern, in Gärten, am Wegesrand. Doch Vorsicht, die Menge macht’s. Viel hilft viel – trifft bei Giftpflanzen nicht zu. Besser nochmal nachschauen, bevor man sich der Botanik an den Hals wirft. Oft scheitert die natürliche Heilmethode schon daran, dass man nicht weiß wie die heilenden Pflanzen überhaupt aussehen. Und das obwohl Generationen von Forschern sorgsam ihre Entdeckungen in Herbarien angelegt haben. Bernard Bertrand ist der Geschichte nachgegangen und die eindrucksvollsten Herbarien in diesem Prachtband versammelt.

Alle abgebildeten Pflanzen sind giftig und / oder heilend zugleich. Was das Buch so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass die abgebildeten Pflanzen im Maßstab Eins zu Eins wiedergegeben werden. So erkennt man nicht nur die Form wieder, sondern auch die Größe. Wie gesagt, es kommt auf die Dosierung an. Jedes Heilgift, nennen wir es mal so, was natürlich überhaupt nicht fachmännisch ist, hat seine eigene Geschichte. So liest man beispielsweise gleich zu Beginn über den Fuchseisenhut, dass die Securitate dieses Gift benutzte, um unliebsame Kontrahenten bewusst aus dem Weg zu schaffen. Unbewusste Opfer gab es knapp zwanzig Jahre zuvor, als ein Fallschirmjäger-Bataillon in den Pyrenäen auf der Suche nach Nahrung dieses spezielle Kraut zu sich nahm. Doch eigentlich benutzte man es, um Füchse zu jagen und zu erlegen. Daher der Name.

Beim Weiterblättern trifft man auf Bekanntes wie Buchsbaum und Stechapfel, aber auch auf Namen, die Vielen nicht geläufig sind wie der rundblättriger Sonnentau oder den echten Gmander. Die übersichtliche Gestaltung, die Hinweise zur Bestimmung, kleine Anekdoten aus der Mottenkiste, Tipps zur richtigen Handhabung und ein lehrreicher Einleitungstext sind die perfekte Zugabe zu den exzellenten Abbildungen. Nicht jeder, der in diesem Buch blättert wird automatisch zum Hexenmeister. Das ist auch nicht Ziel des Buches. Es ist Bildband und Lehrbuch in Einem. Wobei der Lehrcharakter keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es ist ein Buch, das man gern durchblättert, man wird immer wieder etwas Neues entdecken. Die Texte sind verständlich geschrieben, so dass auch „Bio-Sechs-Setzen“-Leser auf ihre Kosten kommen. Und sei es nur die Verwunderung, dass die Kartoffel in einem Buch über Heil- und Giftpflanzen vorkommt.

Der Beginn des Buches, den man erstmal überblättert, weil man heiß auf die großformatigen Bilder ist, was auch verständlich ist, hat man die ersten zwei, drei Seiten gesehen, wirft ein neues Licht auf Pflanzen und ihre Wirkung. Die Geschichte der Gifte und die Gifte der Geschichte ziehen den Leser in ihren Bann. So mancher Krimi, in dem mit Giften gemordet wird, rückt so in ein anderes Licht. Den Täter versteht man immer noch nicht, aber die Wirkung wird nun wissenschaftlich untermauert. Und man erfährt auch, dass Gifte nicht nur das Leben beenden können, auch das Gegenteil ist oft der Fall. Die Menge macht’s. Doch leider ist nach 192 Seiten schon Schluss. Wenig hilft viel, sagt man sich angesichts der Tatsache, dass dieses Buch sämtliche Sinne anspricht. Und bedauert, dass der Spruch „Viel hilft viel“ bei diesem Buch keine Anwendung findet.

Gewagte Konstruktionen

Gewagte Konstruktionen

Architektur in Worte zu fassen ist eine Kunst für sich. Die Besonderheiten eines Gebäudes liegen sowohl innen wie auch außen. Doch diese herauszufiltern, sie zu erkennen, ist oft nicht einfach. Und so haben Architekten immer einen schweren Stand. Sie wollen die Sichtweise der Betrachter verändern, Aufmerksamkeit erregen, manche ein Denkmal errichten. „Gewagte Konstruktionen“ widmet sich den Visionären dieser Handwerkskunst, den Künstlern des steingewordenen Traums.

Die Autoren dieses beeindruckenden Bandes geben den Baumeistern, Bauherren und Architekten ein Gesicht. Nicht oft wurden die nämlich einfach in den Geschichtsbüchern unerwähnt gelassen. Wer weiß schon wer das Taj Mahal in Indien wirklich gebaut hat? Shah Jahan als sein Auftraggeber ist derweil ein Begriff.

Die Konstruktionen, die uns heute in ihren Bann ziehen, waren fast immer umstritten. Den Eiffelturm hätte es fast nicht mehr gegeben. Zur Weltausstellung 1889 war er die Sensation, doch schon Jahre später hätten die Unterhaltskosten fast zu einer Demontage geführt. Paris heute ohne Eiffelturm? Unmöglich. Oder Florenz ohne den Dom mit seiner imposanten Kuppel. Jahrelang war das Gotteshaus ohne Dach geblieben. Erst Filippo Brunelleschi hatte die rettende Idee. Eine gemauerte Kuppel. Der Aufwand war gigantisch. Modulares Bauen – bis heute eine gängige Technologie – war das Zauberwort.

Dieses Buch ist ein echter Schatz. Denn wer durch die Metropolen der Welt schlendert, sich den Wind der großen weiten Welt um die Nase wehen lässt, wird ganz automatisch durch die Architektur verzaubert. Oft unterschwellig. Die Boulevards und Gebäudekomplexe werden als gegeben hingenommen. Das hat jetzt ein Ende! Kenntnisreich und detailliert werden die Prunkstücke aus Jahrhunderten Baukunst unter die Lupe genommen. Oscar Niemeyer, Norman Foster, Antoni Gaudi, Frank Lloyd Wright – alles klingende Namen, deren Werke faszinieren. Doch was trieb sie zu ihren – teils bis heute als gewagt zu bezeichnenden – Bauwerken? Was ist das wirklich Innovative daran? Fragen, die man sich so nur selten stellt. Jetzt gibt es die Antworten.

Art colour pencils

Art Colour Pencils

Montmartre ist so ein Ort. Auch die Karlsbrücke in Prag. Überall sieht man Maler, die ihre Fertigkeiten dem Besucher darbieten. Bleibende Eindrücke an eine tolle Zeit. So mancher bewundert die Maler für ihr Geschick. So was möchte man auch können. Doch spätestens bei den Utensilien hapert’s bei den meisten. Wie soll man nur das Farbenspiel bewältigen? So viele Farben hat kaum einer noch im Schreibtisch liegen. Der berühmte Drei-Farben-Kuli ist nur noch ein Relikt aus Büroanfangszeiten, wird aber kaum noch benutzt. Und der Farbkasten macht nur Flecke. Gute Ausrede sich nicht künstlerisch zu betätigen: Keine Farben! Die „Big Collection“ der „Art colour pencils“ macht auch diese Ausrede zunichte. Vierundzwanzig Stifte in den schillerndsten Farben verleiten einfach sich einmal hinzusetzen und es doch einmal zu probieren. Die komplette Farbpalette von Umbra und Magenta über Goldgelb und Tannengrün bis zu kobaltblau und Violett erlauben es die Welt mit anderen Augen zu sehen und sie farbenfroh darzustellen. Und vielleicht sitzt der Eine oder Andere bald auch an viel besuchten Plätzen und lässt sich bewundern, von denen, die das richtige Werkzeug noch suchen …

Leonardo da Vincis Katapult

Katapult

Über fünfhundert Jahre ist es her, dass Leonardo da Vinci die Welt beeindruckte. Die Mona Lisa im Louvre, der vitruvianische Mensch und seine Ingenieurarbeiten wirken bis heute nach. Die Bogenbrückenkonstruktion wird heute gern als so genannte Team-Building-Aktion eingesetzt. Zu Letzteren zählt auch sein Katapult. Als Kriegsmaschine gedacht, ist es für junge Forscher ein Paradebeispiel für Mechanik. Mit diesem Bausatz wird Physik ganz einfach. Schon der Zusammenbau regt die Phantasie an. Die Spannung steigt. Die Balken werden mit Holzstiften verbunden, die Walze eingesetzt, Spannseil einfädeln, die mitgelieferte Knetmasse zu einer Kugel formen, in die Pfanne legen und … Feuer frei! Und schon zischt die Kugel durchs Kinderzimmer.

Das Katapult dient in erster Linie dem Spaß am Basteln. Dass dabei Gesetze wie die Hebelwirkung erlebbar gemacht werden, ist ein willkommener Nebeneffekt. Und wie der schon erwähnten Brücke, alles ohne auch nur einen einzigen Nagel zu setzen.

Manet, ein Streit und die Geburt der modernen Malerei

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Man stelle sich die Welt vor 150 Jahren vor und dazu die heutige Medienlandschaft. Frauke Ludowig würde wie von Manni dem Mammut gehetzt von einem Skandal biblischen Ausmaßes stammeln. C-, D-, E-Promis würden in beschämender Bigotterie nach den passenden Formulierungen suchen, weil sie denken sie kommen in DIE Bild, dabei geht es um EIN Bild. So genannte Experten würden vor Bücherwänden den Zusammenhang von Nacktheit und Verrohung der Jugend erklären und zur Zensur aufrufen. Bundestagshinterbänkler wollten die Scharia einführen, von wegen Hand abhacken und so.

Und das nur, weil Eduouard Manet im Jahr 1865 in einer Ausstellung eine nackte Frau gemalt hat. Ein Schwarze reicht ihr Blumen. Mehr nicht. Okay, die Dame war nicht gänzlich unbekannt. Sie hatte gewisse Talente, die sie gegen entsprechende Entlohnung feilbot. Sie war eine Prostituierte. Andere Begriffe sind ja bis heute nicht schicklich. Die Dame wurde allerdings nicht in einem mythischen oder noch besser religiösen dargestellt, sondern an ihrem Arbeitsplatz. Uff’m Sofa. Skandal!

Die Reaktionen reichten von reichlich Kichern über amüsiertes Auslachen bis hin zu tumultartigen Szenen. Nicht nur „normale“ Besucher ließen sich darüber aus, auch Malerkollegen wie Courbet distanzierten sich von Manet und seiner „Olympia“.

Der Pariser Salon zeigte ausgewählte Werke von Künstlern der Gegenwart. Eine Fachjury wählte unter den Gesichtspunkten der damaligen Zeit die Werke aus, die einem breiten Publikum zugängig gemacht wurden. Zwei Jahre zuvor schon erregten sie die Gemüter. Viele Künstler, deren Werke heute unbezahlbar sind, durften nicht ausstellen. Napoleon III. regte den Salon de refuses an, das Gegenstück zum Salon, in dem alle Abgelehnten ihre Werke zeigen durften. Besonders hart traf es die Impressionisten (hierzu empfiehlt sich „Das private Leben der Impressionsiten“ von Sue Roe, ebenfalls beim Parthasverlag erschienen).

Dino Heicker hat daraus keinen Haudrauf-Roman gemacht, in dem bagarres dans les bars den Ton angeben, sondern die öffentlichen niedergeschriebenen Reaktionen gesammelt. Briefe von Manet an Baudelaire (und die Antwort darauf), Kunstkritiken und ausgewählte Texte zu dem skandalösen Bild, unter anderem von Zola, führen den Leser in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Aus heutiger Sicht wirkt die Aufgeregtheit etwas sonderbar. Eine nackte Frau auf’m Sofa. Selbst der Nippelblitzer von Hildegard Knef war Jahre später kaum noch der Rede wert. Sophie Marceaus „Nippelgate“ in Cannes störte schon wenige Sekunden später niemanden mehr. Es war eher (unfreiwillig?) komisch. Und doch sind die Art und Weise wie argumentiert wurde, heute noch geläufig. Niedermachen, weil man es nicht anders kennt und weil man es scheinbar kann. Um fast jeden Preis. Manet war streitbar – in vielerlei Hinsicht. Doch ohne ihn, seinen Mut, würden wir wahrscheinlich noch vor Historienschinken schmachten, verklärte Landschaften als erhaben bezeichnen oder gar Tiere auf Wände schmieren.

Eine Weihnachtsgeschichte

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Es ist die erholsamste Zeit des Jahres, es ist die stressigste Zeit des Jahres. Weihnachten. Es ist aber auch die Zeit der Traditionen. Wer keine hat, wird ganz automatisch dazu verleitet welche zu kreieren. Eine Tradition ist zum Beispiel – bei Weitem nicht die Wichtigste – das gemeinsame Weihnachtsprogramm schauen. Über die Jahrzehnte hinweg haben sich einige Filme ihren festen Platz im Programm gesichert. Wie zum Beispiel auch „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens. Ob nun in der Verfilmung der Muppets mit dem warmherzigen Michael Caine als Ebenezer Scrooge oder dem überdrehten Jim Carrey oder Rowan Atkinson in seiner Rolle als Black Adder – sie alle tragen dazu bei die Geschichte über die Jahrzahnte hinweg zu erhalten. Das Buch erschien immerhin schon 1843 und ist bis heute ein Erfolg.

Und den sichert auch Roberto Innocenti. Seine Zeichnungen in diesem Buch sind ein wahres Fest für die Augen. Stimmungsvoll fängt er die Atmosphäre der engen Gassen, der dreckigen Hinterhöfe, der Einöde des Lebens ein, in dem Ebenezer Scrooge seiner Arbeit nachgeht. Ein Prinzipieneiter, Geizhals, unerbitterlicher Pfenningfuchser ist er. Das Herz trägt er in seiner Geldbörse. Wo andere Mitleid verteilen, sät er Spott und Ignoranz. Als sein Partner Marley stirbt, ist er sogar zu knausrig dessen Namen vom Firmenschild zu streichen. Sieben Jahre geht das so. Bis eines Tages dem Geizkragen Scrooge der Geist von Jacob Marley erscheint. Der kündigt ihm drei weitere Geister an. Sie werden Scrooge nicht einfach nur besuchen, sie werden ihn heimsuchen…

Die Weihnachtsgeister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft machen dem verschollen geglaubten Gewissen Scrooges zu schaffen. Sie zeigen ihm aber auch, dass bei ihm noch lange nicht Hopfen und Malz verloren ist. Denn „Eine Weihnachtsgeschichte“ hat ein Happy end!

Happy wird jeder sein, der dieses Buch lesen darf. Die Geschichte hat man sich schnell gelesen. Dass man an diesem Buch hängen bleibt liegt gleichermaßen aber auch an den stilvollen und beeindruckenden Bildern von Roberto Innocenti. Freud und Leid bekommen dieselbe Aufmerksamkeit und ziehen den Leser immer tiefer ins England des finstersten Kapitalismus. Düster erscheinen die Gassen und Häuser, trotzdem sind Freude und Lebensmut nicht aus den Gesichtern – besonders der der Kinder – nicht wegzuradieren. Stimmungsakzente wie ein flackerndes Feuer oder der Kerzenschein, der aus den Fenstern hinaus ins Dunkel des Alltags drängt, verzaubern bei jeder Betrachtung.

Das Großformat des Buches erlaubt es diese Stimmung zuhause selbst zu erleben. Sich zurücklehnen, sich in den Ohrensessel eingraben, Kind oder Enkel auf dem Schoß und eine der faszinierendsten Weihnachtsgeschichten (vor-)lesen. Besser geht’s nicht! Eine wunderschöne Weihnachtstradition!

Das große Weihnachtsbastelbuch

Das große Weihnachtsbastelbuch

Die Weihnachtszeit ist traditionell die Zeit, in der man noch enger zusammenrückt, noch mehr gemeinsam unternimmt. Und es ist die Zeit, in der man sich auf Altbewährtes besinnt. Im Kindergarten wurde schon immer in der grauen Jahreszeit gebastelt, um etwas Buntes entgegensetzen zu können. So ist es auch in vielen Familien üblich in der Vorweihnachtszeit zusammen etwas zu basteln. Doch was soll man dieses Jahr basteln?

Wie wäre es mit einem Filztanne, oder Weihnachtssternen oder dem Klassiker, einem Adventskalender? Alles, was sich so im Laufe des Jahres angesammelt hat, was man aufgehoben hat, weil man es irgendwann mal brauchen könnte, kommt zum Einsatz. Denn jetzt ist die Zeit, in der es gebraucht wird. Leere Streichholzschachteln, Eierpappen, Papprollen, ja selbst zusammengeknüllte Alu-Folie. Recycling für den guten Zweck.

Jede einzelne Bastelidee ist leicht nachzubauen. Die einzelnen Bastelschritte sind verständlich geschrieben und durch Bilder ansprechende illustriert. Auch Tannenzapfen vom letzten Waldspaziergang und stibitzte Backutensilien wie Mandeln oder Nüsse können zum Basteln benutzt werden.

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, dieses Buch lockt verborgene Talente an den Basteltisch, wenn es draußen mal wieder überhaupt nicht nach Frische-Luft-Schnappen aussieht. Wer mit diesem Buch die besinnliche Zeit einläutet, erntet schallendes Kinderlachen und verkürzt die unendlich lange Zeit bis zur Bescherung. Kinder können einzelne Bastelvorschläge allein umsetzen, doch wenn alle zusammen am Tisch sitzen, macht es einfach noch mehr Spaß!

Melodie der Geister

Die Melodie der Geister

Rue Notre Dame des Grâce, Marseille. Hausnummer 38. Im Sessel sitzt ein Toter. Doktor. Eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Epilepsie. Auf seinem Schoss ein Buch. Totem und Tabu. Von Sigmund Freud.

Kommissar Michel de Palma, der Baron, nimmt den Fall zur Kenntnis. Und schon meint man, die Gedankengänge erraten zu können, die Rädchen im Hirn des Ermittlers klackern zu hören. Das Buch kann doch kein Zufall sein. Und schon gar nicht die aufgeschlagene Passage über Kannibalismus. Das steckt mehr dahinter.

Da hat man noch nicht einmal ein Zehntel des Buches geschafft und wähnt in einer großartigen Story. Um es vorwegzunehmen: Man wird auch in den restlichen über neun Zehnteln nicht enttäuscht werden!

Die Enkelin des Toten bringt ein wenig Licht ins Dunkel der Ermittlungen – de Palma fragt sich warum nur eine Maske aus der reichhaltigen Sammlung des Opfers gestohlen wurde. Berenice Delorme hat ihren Großvater vergöttert. Er erzählte ihr von seinen Reisen und aus Papua-Neuguinea. Von fremden Völkern und ihren fremdartigen Ritualen. Und er sammelte Masken. Sie waren nicht nur Dekoration, sie hatten einen tieferen Wert. De Palma ist beeindruckt von so viel Wissen. Doch warum fehl nur eine Maske? Die Sammlung scheint ja immens wertvoll gewesen zu sein.

Die Gedankengänge de Palmas werden durch Spaziergänge und Eindrücke aus Marseille verziert. Als Leser schreitet man Seite an Seite mit dem Baron durch die Mittelmeermetropole und atmet den Duft der Stadt ein. Fast schon spielerisch erobert man diese Jahrtausende alte Stadt. Und darf dabei rege an den Ermittlungen teilhaben.

Dem Baron lässt das Buch auf dem Schoß des Toten keine Ruhe – warum gerade dieses Buch? Warum diese Seite? In die Grübeleien platzt die Nachricht vom Tod Paulos, einem Gauner und einem Spitzel. Er wurde  erschossen. Mit nur einer Kugel. Das hat sich jemand gründlich Gedanken gemacht und diese dann auch umgesetzt. So traurig der Tod des Spitzels ist, so sehr verbeißt sich der Ermittler in die Lektüre des Freud’schen Werkes. Bei einem Experten findet er Rat.

Der Mix aus geheimnisvoller Welt der Ureinwohner Papuas und der Mittelmeerstadt ergeben eine spannende Melange, die den Leser ab der ersten Seite fesselt. De Palma ist nicht der Mann großer Worte. Er liebt die Oper genauso sehr wie seine Zigaretten. Und die kleinen grauen Zellen benutzt er genauso geschickt wie er das Flirten mit seiner Unterstufenliebe versteht. Michel de Palma, der Baron, ist der neue Star im literarischen Krimidickicht Marseilles.

Alles ist nichts gegen Rom

Alles ist nichts gegen Rom

Bücher über Rom gibt es wie Sand am Meer. Man meint fast, es wäre alles gesagt und geschrieben worden über die Ewige Stadt. Doch dann kommt so ein kleines unscheinbares Buch daher und belehrt einem eines Besseren. Der nüchterne Untertitel „Ein Fotobuch“ verschleiert die wahre Identität.

Evelyn Fertl fotografiert nicht einfach fürs Familienalbum. Ihr Motive sind für jeden sichtbar, oft nur aus dem Augenwinkel doch da. Sie rückt sie in den Mittelpunkt. Flüchtige Momentaufnahmen und festverwurzelte Monumente im Ringelreih Großstadt. Sie die jetzt (2007 bis 2014) vor Ort ist, in der Hand ihre Kamera. Analog. Schwarz-weiß-Film eingelegt. Dadurch gewinnen die Aufnahmen an Schärfe und Intensität. Farbig kann jeder. So kontrastreich die Stadt, so auch Ihre Eindrücke.

Wie als Bestätigung setzt sie neben ihre mehr als sehenswerten Abbildungen Texte, die auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Und das obwohl sie schon bis zu über zweihundert Jahre auf dem Buckel haben. Wie einst Udo Struutz im Trabi mit Goethe Italienreise im Gepäck durchschreitet Evelyn Fertl die Metropole am Tiber. Sie fliegt hochmodern mit einer Drohne – sie bleibt auf dem Boden. Sie verfälscht nicht ihre Eindrücke, um selbige zu schinden – Ihre Bilder sind echt.

Alltagsszenen, Touristenmagnete, Panorama- und Detailaufnahmen – alles ganz speziell und einzigartig. Museen, öffentliche Plätze, Geschäfte, Ruinen: Rom wie man es kennt und doch wieder nicht.

Dieses Buch nimmt man mehrmals in die Hand. Immer wieder schlägt man es auf, schlägt nach, schaut, was man selbst gesehen hat oder noch unbedingt sehen muss. Ein kurzweiliger Bildertrip durch eine der spannendsten Städte der Welt. Attenzione impressione, um es mit den Worten von Gianna Nannini zu sagen. Achtung Eindruck. Und das auf jeder der über einhundert Seiten.

 

Jackson Pollock

Jackson Pollock

Los Angeles, 25. März 2001, Shrine Auditorium. Im Publikum sitzt ein Mann, der als Charakterdarsteller sich schon längst einen Namen gemacht hat. Vor Kurzem hat er auch Regie geführt. Und die Hauptrolle übernommen. Nun ist er für die begehrteste Trophäe der Filmbranche nominiert: Ed Harris. Der Mann, den er verkörperte: Jackson Pollock. Er geht leer aus. „Gladiator“ ist der große Gewinner des Abends.

Doch die Oscar-Verleihung hat einen gewaltigen Nebeneffekt. Der Maler Jackson Pollock wird nun einem viel breiteren Publikum bekannt. Das ist doch der mit den riesigen Klecksereien, meinen die Einen. Der mit der Macke die Anderen. Beide Seiten werden nicht annähernd dem Werk und Wirken Jackson Pollocks gerecht. Bülent Gündüz setzt mit seiner umfassend, exzellent recherchierten Biographie dem besessenen Maler ein gedrucktes Denkmal.

Wenn das Leben ein einziger Marsch ist, mit einem Anfang und einem – in Jackson Pollocks Fall viel zu frühen – Ende, dann fragt man sich unweigerlich, was im Leben des Künstlers passiert sein muss, dass solche Bilder dabei herauskommen. Vorausgesetzt man hat nur die Dripping-Paintings im Sinn. Zum einen war das Frederick John St. Vrain Schwanovsky, Kunstdozent, der seinen Schülern zeigte welche famose Muster Farben entwickeln können, wenn sie mit anderen Chemikalien gemischt auf einer rotierenden Scheibe gemischt werden. Zum Anderen war dies Krishnamurti, ein religiöser Lehrer, der dem jugendlichen Jackson Pollock lehrte, dass Inspiration vor Ausbildung kommt und Gefühle mit der Kunst in Einklang zu bringen sind. Nach Jahren des Herumreisens von Wyoming nach Arizona und Kalifornien und wieder nach Arizona, um dann doch wieder in Kalifornien zu landen, die ersten festen Weisheiten, an die sich ein junger Mann klammern konnte.

Die Mutter hatte sich früh gewünscht, dass ihre fünf Kinder sich künstlerisch betätigen. Zuneigung war spärlich gesät im Hause Pollock. Der Vater meist weg, die Mutter verzweifelt auf der Suche nach Selbsterfüllung. Als Nesthäkchen hatte der kleine Jackson den Vorteil der Narrenfreiheit. Wobei immer noch nicht klar ist, ob die Betonung auf dem ersten oder dem letzteren Teil des Wortes liegen soll. Schon als Jugendliche suchte er Anerkennung in so genannten Männlichkeitsritualen wie sich betrinken.

Ende 1941 organisierte der Kunsthändler John Graham eine Ausstellung in New York, in der er französische und amerikanische Künstler gemeinsam präsentieren wollte. Ein Bild von Jackson Pollock sollte zwischen Picasso, Matisse, Braque. Auch ein gewisse Lee Krasner wurde eingeladen ein bIld auszustellen. Als sie den Ausstellerkatalog las, sagte ihr der Name Jackson Pollock gar nichts. Sie machte sie auf den Weg, um ihre Neugier zu stillen. Sie traf auf einen ruhigen, schüchternen Mann, der ihr sofort gefiel. Die Ausstellung geriet zum Desaster, die Beziehung Krasner/Pollock gedieh hingegen prächtig. Sie nahm seine Geschäfte in die Hand, er malte völlig losgelassen vom Geschäft. Doch auch sie schaffte es nicht Jackson Pollock von der Flasche loszueisen. Auch nach seinem Tod sah sie es als ihre große Aufgabe an den Namen Jackson Pollock in Ehren zu halten. Sie trug entscheidend zu seiner Legendenbildung bei.

Nur fünf Jahre nach der Nacht von Los Angeles wurde „No. 5, 1948“ für sagenhafte 140.000.000 $ bei Sotheby’s versteigert. Für fast ein Jahrzehnt war es das teuerste Einzelgemälde der Welt. Durch Jackson Pollocks Adern floss der ungebremste Strom der Leidenschaft, doch auch der Teufel Alkohol. Ihn nur als wahnsinnig – egal, ob positiv der negativ gemeint – zu bezeichnen, klänge nach Ausreden. Hinter seine Fassade, wenn es denn eine gab, zu schauen, bringt viel Licht und viel Schatten hervor. Bülent Gündüz schafft den Spagat zwischen Wissensansammlung spannender Schreibweise.