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Nordspanien

Durch den Norden den Süden im Süden genießen. Klingt konfus. Wird aber nachvollziehbar, wenn man diesen Reiseband liest. Der Süden, das ist Meer, Sonne, Genuss, Erholung. So soll es sein, so ist es auch. Und Spanien, als Synonym für den Süden kann darüber hinaus noch mit dem eigenen Norden punkten.

Vor allem, wenn man sich lukullisch „weiterbilden“ will. San Sebastian, das Baskenland im Allgemeinen, ist eine Hochburg der genussreichen Küche. Die Kochclubs der Stadt, in der schon die Sisi viele ihrer Sommerfrischen verbrachte, sind mehr als nur ein Experimentierfeld des Bauchstreichelns.

Nordspanien – das ist auch der Jakobsweg, das letzte Teilstück. Das ist auch Rioja – eine Region, die dem Wein ihren Namen gibt. Das ist Bilbao mit dem Guggenheim-Museum – ikonisches Highlight und Must-Do in der Baskenmetropole, die in den vergangenen zwei Jahrzehnt wie kaum eine andere Stadt ihr Aussehen (zum Besseren) verändert hat. Und sonst?

Dafür nimmt sich Autor Thomas Schröder knapp sechshundert Seiten Platz. So erfährt man von abgelegenen Orten, die tatsächlich noch so etwas wie Geheimtippcharakter in sich bergen. Wie Laxe, ein kleiner galizischer Ort mit einem reizvollen weißen Dünenstrand. Hier rollt man nicht den üblichen roten Teppich für die Gäste aus, die Landschaft ist einladend genug. Ein bisschen muss man sich selbst einbringen, um Laxe zu finden, aber das Ergebnis entschädigt wohl für so manches Links-Und-Rechts-Schauen.

Auch die weniger bekannte Region Kantabrien sollte man im Vorfeld im Buch schon einmal besuchen. Über fast alle Grenzen hinweg ist der Santander. Dass hinter der Marke eine zauberhafte Stadt steht, die nach einem verheerenden Brand vor achtzig Jahren wieder komplett aufgebaut wurde, wissen nur wenige. Heute strahlt sie mit der Sonne um die Wette und bietet weitaus mehr als einladende Strände. Die Architektur lädt zum Bummeln ein, das Kunstmuseum ist ein Augenschmaus, innen wie außen.

Nordspanien mausert sich zu einer Region, die immer mehr Gäste anzieht. Hier ist es nicht ganz so heiß wie in Andalusien, kulturell muss man sich hier hinter keiner anderen spanischen Region verstecken. Der Terror der ETA, was sicherlich viele Gäste viele Jahre lang abgeschreckt hat hier die schönste Zeit des Jahres zu verbringen, ist vorbei. Asturien, Galicien, Baskenland, Kantabrien, Navarra, La Rioja und Kastilien sind auch dank dieses Reisebandes immer öfter mehr als nur erfragenswerte Antworten in diversen Quizshows, sondern liebevoll ans Herz gelegte Reiseziele.

Liparische Inseln

Inseln haben ihre eigene Faszination. Egal wie man steht, der Horizont ist immer das Wasser. Ein kleiner Kosmos, der auf dem Wasser treibt. Bei Inselgruppen kann es jedoch schon mal passieren, dass schnell das „Kennste-Eine-Kennste-Alle“-Gefühl aufkommt. Doch es gibt Ausnahmen. Wie die Liparischen Inseln.

Urgewaltig aus dem Leib der Erde wuchtig emporgestiegen, sind sie die Schönheitsflecken im Gesicht des Mittelmeeres. Feurig-brodelnd wie Stromboli. Wohlduftend und lieblich, so dass der Geldadel keine andere Wahl, um sich hier, auf Panarea niederzulassen. Exquisite Genusskultur auf Salina. Scharfe Einsichten auf Lipari. Jedes Vorurteil, ob des Namens bestätigend wie auf Vulcano. Entschleunigen auf Alicudi oder einfach nur in der Vergangenheit graben auf Filicudi. Sieben Inseln – sieben unterschiedliche Erlebniswelten. Auch wenn der Horizont …

Thomas Schröder widmet sich jeder dieser einzigartigen Inseln mit Hingabe. Schnell bekommt das das Gefühl hier zuhause sein zu können. Der Horizont als Limit? Nein, als Startpunkt für die nächsten Abenteuer! Immer wieder tauchen neue Abenteuer auf, die man unbedingt erleben muss. Ob nun zu Fuß rund um die Insel, was auf den Kleineren wie Alicudi und Filicudi deutlich weniger Zeit in Anspruch nimmt als auf Lipari. Oder mit dem Boot einmal einer der Inseln umrunden. Bergklettern. Ein Tipp im Voraus: Wer Inselhopping betreiben will, sollte Vulcano ans Ende seiner Reise setzen. Oder ganz sicher sein, dass am nächsten Ort rund um die Uhr eine Waschmaschine zur Verfügung steht. Denn hier brodelt nicht nur die Erde und dampft es an vielen Stellen, hier steigt einem unvermeidbar Schwefelgeruch nicht nur in die Nase, sondern vor allem in die Klamotten. Die Folgen kann man sich selber ausmalen.

Die Liparische Inseln sind das Zuckerli auf einer Reise durch den Süden Italiens. Kleinode im Meer, die sich bewusst auf Besucher einrichten und doch eine gehörige Portion Eigenwilligkeit in sich tragen. Und immer die Anreise berücksichtigen – auch dafür ist dieses Buch der ideale Unterstützer.

Ein Buch – sieben Inseln, alles drin, mehr braucht man nicht. Für schönes Wetter ist hier eh gesorgt. Die Reisevorbereitungen werden mit diesem Buch ein Klacks. Dann kann’s ja losgehen. Nicht vergessen: Die farbigen Kästen im Buch sind das Salz in der Inselsuppe und erleichtern hier und das sicher den Gesprächseinstieg. Denn so mancher Insulaner wird über das ausgeprägte Wissen der Gäste ins Staunen geraten… Garantiert!

Costiera amalfitana – Geschichte einer Landschaft

Eigentlich würde man die Region an der Küste bei Amalfi gar nicht erforschen. Zu steile Felsen, kaum Wege und Straßen. Und vor zweihundert Jahren gab’s nicht mal Übernachtungsmöglichkeiten. Olle Goethe hat deswegen diesen Landstrich mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Ha! Der arme Tropf! Reist nach Italien und schaut sich nicht einmal die Amalfiküste an! Das ist ja wie … Paris ohne Eiffelturm, San Francisco ohne zerrissene Jeans oder Barcelona ohne Tapas.

Dieter Richter – so steht es im Pressetext zum Buch – hat diese Region studiert. Ja, studiert. Die Amalfiküste – wenn man Traumjob googelt, muss das wohl dabei rauskommen.

Nun ja, es gibt viele Orte und Regionen, wo Italien am italienischsten ist. Meist hängt diese Bewertung vom eigenen gusto und Wissensstand ab. Und die costiera amalfitana ist sicherlich von Italienern überflutet, aber eben auch von so manchen sehnsüchtig nach Italien hechelnden Fremden, der, wenn er denn einmal einen Sitzplatz im ristorante am Meer ergattert hat, diesen nicht mehr hergeben will. Und somit zwar die Aussicht genießen kann, aber eben auch den Rest (die größere „Hälfte“) verpassen wird.

Dieses Wissensvakuum wird durch dieses kleine rote Büchlein gehörig mit Fakten, Analysen, Deutungen in hingebungsvollen Worten gefüllt, doch selber anschauen ist um Einiges mehr wert. So unwirtlich diese Gegend erscheinen mag – stramme Waden sind das Mindeste, was man erhält, nimmt man die Fußwege der Region – so sehr beeindrucket sie von jeher ihre Besucher. Hier versteckten sich Piraten, hier entstand die älteste Seerepublik Italiens, hier berauschten sich Künstler an ihrer Schönheit.

Eine Rundreise mit Dieter Richter ist ein Wissensflash der obersten Kategorie. Es gibt wohl kaum einer Zeile auf dieser Welt, die der Autor nicht vorher gelesen hat, um seinem Kompendium die nötige Fülle verleihen zu können. Von der regionalen Küche über römische Villen (und ihre durchaus pikanten bis geheimnisvollen Geschichten) bis hin zum touristischen Overkill der Gegenwart lässt er keinen Aspekt einer „natürlichen Entwicklung“ der costiera amalfitana aus.

Wer die Amalfiküste besucht, muss sich im Klaren sein, dass er niemals, oder nur sehr selten, allein sein wird. Man muss die Stille wirklich suchen – dafür gibt es Reisebände. Wer die Region verstehen, sie mit allen Sinnen aufsaugen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Das Standardwerk über eine der schönsten Landschaften der Erde!

Die einzige Frau im Raum

Da steht sie nun auf der Bühne – das Publikum ist außer sich. Sie, die Sissy, hatte die Reserviertheit der Wiener mit nicht einmal zwanzig Jahren in Raserei verwandelt. Das bisschen Naserümpfen wegen der überbordenden Blumensträuße – Zuchtrosen edelster Herkunft – macht ihr nichts aus. Dass hinter der Armada floraler Ehrerbietung eine menschliche Tragödie lauert, kommt ihr zwar zur Ohren. Doch wirft die alle Zweifel über Bord. Fritz Mandl ist der Gönner. Er spendet auch noch standing ovations als alle anderen wieder in ihren Sitzen versunken sind. Fritz wird ihr erster Ehemann. Im Jahr 1933 für eine Jüdin schon ein gewisses Wagnis. Zumal Fritz Mandl ein gewissenloser Waffenfabrikant ist, der Italiens und Deutschlands Kriegstreiber nur allzu willfährig unterstützt. Ach ja, die junge Frau lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch Eva rufen. Ein paar Jahre später sieht ihre Welt ganz anders aus: Der Fritz ist ein brutaler Kerl geworden. Er hält Hof, um den Lamettahengsten der Nazis zu schmeicheln. So mancher Großkopferter geht im Haus Mandl ein und aus. Und zwischendrin die Lichterscheinung Eva. Ein bildhübsches Kind. Mehr als nur zurechtgemachte Staffage für den Kaufmann des Todes (in vielerlei Hinsicht). Sie hat auch Köpfchen. Nein, sie hat mehr als das.

Schon kurze Zeit später wird sie es unter Bewies stellen. Fritz und der Naziterror lassen Eva nur eine Chance: Flucht. Flucht nach Amerika. Louis B. Mayer, genau, der Louis B. Mayer verpasst ihr einen neuen Namen. Hedy Lamarr. Und ein neues Image. Die schönste Frau der Welt. Nicht zu unrecht. Doch Hedy, wie sie nun heißt, ist eben nun mal nicht nur ein außergewöhnlich schöner Kleiderständer, sondern eben auch eine Frau mit Kopf und Verstand. Mit dem Komponisten George Antheil entwickelt sie eine Frequenzverschlüsselung für Torpedos. Die sind somit fast nicht mehr zu orten. Leider ist die technische Lösung etwas antiquiert, so dass sie mit ihrer Erfindung nur wenig bis gar keinen Ruhm erntet. Doch ihre Erfindung, ihr Lösungsansatz ist bis heute für jedermann (!) nutzbar. Smartphones würden ohne Hedy Lamaras Zutun heute vielleicht anders funktionieren … oder vielleicht gar nicht existieren?!

Fakt ist, das Hedy Lamarr bis heute immer noch als begabte und außerordentliche ansehnliche Schauspielerin anerkannt ist. Ein gewisser Teil ihrer Bewunderer kennt auch das wissenschaftliche Potential der gebürtigen Wienerin. Doch so anschaulich wie in „Die einzige Frau im Raum“ wurde ihr Leben selten dargestellt. Marie Benedict gelingt es scheinbar spielerisch dem so reichen Leben der Eva/Hedy die Schwere zu nehmen wie niemandem zuvor. Und schwere Entscheidungen hatte die Heldin dieses Buches zuhauf zu treffen: Den Mann, das Land, den Kontinent verlassen. In der Fremde sich ein komplett neues Leben aufbauen. Sich gegen allerlei Avancen zu wehren – Louis B. Mayer war ein Machtmensch und ließ das jedem in seiner Umgebung spüren. Rückschläge musste sie verkraften. Und ihren Träumen immer wieder mit Geduld unterfüttern. Doch sie ließ sich niemals unterkriegen. Das ist wohl die größte Leistung in ihrem langen Leben.

München Abenteuer

Wer als Fußballfan zum Erstligaspiel anreist, weiß meist schon vor Anpfiff, dass er mit gesenktem Haupt wieder von dannen traben wird. Wer das Olympiagelände besucht, kann sich sicher sein, echte Abenteuer zu erleben. Und mit der Parkplatzsuche hat sich das Repertoire an Abenteuern in München auch schon erledigt. Denkste!

Detlef Dresslein hat nicht nur das eine oder andere Abenteuer in Minga (ja, auch den Dialekt kann man als abenteuerlich auffassen, aber darum geht’s hier nicht) gefunden, sondern – und soweit kann man gehen – alle Abenteuer gefunden. Und in diesem besonderen Band zusammengefasst.

Das reicht vom historischen Rundgang durch die Millionenstadt auf den Spuren der dunkelsten Geschichte (was einst sogar auf Poststempeln als „Hauptstadt der Bewegung“ vermerkt wurde) über einen ungewöhnlichen (und preiswerten) Rundgang in der Pinakothek der Moderne bis hin zum Kinobesuch. Der Rundgang ist vom NS-Dokumentationszentrum organisiert und wird mit einer App gesteuert. Während andere fast schon achtlos an erinnerungswürdigen Orten vorbeischlendern und der nächsten Maß entgegenhecheln, ist man selbst wissend auf geschichtsträchtigen Pfaden unterwegs. Da staunt man heute noch, wie präsent die Orte noch sind. Man muss sie nur zu finden wissen.

Dass die Pinakothek der Moderne auch abenteuerlich sein kann, beweist das Sonntagsangebot. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt’s Karten für ’nen Euro – schon allein diese „Warte-Lotterie“ kann für Nervenkitzel sorgen. Und dann gibt’s 30 min Intensivvortrag über ein Werk. Keine Ablenkung durch die Fülle an Gemälden und dem Zwang auch wirklich alle sehen zu müssen. Ein Werk, dreißig Minuten – und das museale Herz blüht auf.

Wer spät am Freitag- oder Samstagabend nicht sein bitter verdientes Geld für überproportional hippe Drinks in den Schlund kippen will, der hat seit fast einem halben Jahrhundert die Möglichkeit sich für relativ kleines Geld die Klamotten versauen zu lassen. Hä? Was soll daran abenteuerlich, geschweige denn nachahmenswert sein? Ganz einfach: Am 24. Juni 1977 feierte der Film“ The Rocky Horror Picture Show“ in Deutschland Premiere. Und seitdem läuft der Film … in den Museum Lichtspielen. Und zwar mit allem, was dazu gehört. Reis, Zeitung, Gummihandschuhe, Knicklicht. Das gibt’s sonst nur noch in Paris und San Francisco! Und wer hinterher nicht die Reiskörner (während der Hochzeitsszene) aufsammeln will, um dem knurrenden Magen zu stillen, der geht vorher schon um die Ecke was essen.

Auch hierzu bietet dieser Reiseband ein Füllhorn an Möglichkeiten. Jedes Kapitel schließt mit dem vielsagenden Absatz „… und wenn man schon mal hier ist“. Großartig – da weiß jeder, dass es am Ausgang noch lange nicht Schluss ist. In etwa so, wie wenn man meint, dass außerhalb des Englischen Gartens nichts Abenteuerliches mehr zu erleben wäre.

Barcelona Abenteuer

Barcelona ohne Abenteuer? Das geht doch gar nicht! Was hingegen möglich ist, dass man bei dem Überangebot an Abenteuern leicht den Überblick verlieren kann. Kaum eine andere europäische Metropole hat sich in den vergangenen Jahrzehnt derart oft und tiefgreifend verändert wie die katalanische Stadt am Mittelmeer. Und da soll es immer noch Menschen geben, die Barcelona nicht spannend finden…

Die sollten mal mehr als nur einen Blick in dieses Buch werfen. Das gibt’s schon zu Beginn gleich was auf die Augen. Auf der ersten Umschlagseite wird in Versuchung geführt: Wie sah Pornographie in der Renaissance aus? Seite 36 weiß da mehr darüber. Eine enge Gasse, die auch schon Picasso inspirierte und … nö, das muss man selbst erleben und vorher erlesen. Wer will kann den Rundgang bei einem Cocktail und Popcorn entsprechend ausklingen lassen – „und wenn man schon mal hier ist“ lautet die weiterführende Rubrik am Ende eines Kapitels. Kopfkino einschalten!

Montags, mittwochs und freitags wird es abenteuerlich auf dem Mercat dels Encant. Ein Lächeln huscht so manchem Besucher übers Gesicht, wenn er sich mitten in einer Auktion am frühen morgen befindet. Zum Einen hat man den Weg dorthin gefunden. Zweitens hat man sich im Gewühl zum Auktionator vorgekämpft – der geht nämlich zu den zu versteigernden Sachen. Drittens ergötzt man sich an dem rasanten Tempo der merkantilen Quasselstrippe. Und Viertens findet man dieses Spektakel wirklich so nur hier.

Da darf es dann am Abend durchaus etwas gediegener und entspannter zugehen, oder?! In den feinsten Zwirn gesellt man sich in eine Reihe Wartender. Und das schon um 19 Uhr – vor 21 Uhr geht hier doch niemand raus, um den Nachtleben zu genießen. Wieso als um 19 Uhr sich in eine Warteschlange stellen, wenn es eh erst ein paar Stunden losgeht? Kleiner Tipp: Wer verschmutzte Brillengläser hat, wird es nicht genießen können!

Frank Feldmeiers Abenteuer-Reiseband durch Barcelona (keine Scheu: Das C darf und soll ruhig scharf gesprochen werden) ist es ein wahres Füllhorn an Erlebnissen, die man nie wieder vergessen wird. Und oft sogar zu einem erschwinglichen Preis nachzuvollziehen. Hier wird niemand in Bars gelockt, wo das Getränk dem Gegenwert einer Tankfüllung entspricht. In diesem Band, in dieser Reihe taucht man in eine Stadt ein, die trotz aller Menschenmassen, die sich 24/7 durch sie hindurchwalzen, immer noch jede Menge versteckte Abenteuer, die man sonst in keinem Reiseband finden wird. Selbst wer Barcelona schon kennt und liebt, wird hier immer noch fündig werden. Und wer die Stadt tatsächlich noch nicht kennt, bekommt schon beim Buchweglegen Entzugserscheinungen.

Stadtluft Dresden, Nr. 8

Ein Stadtmagazin ins Leben zu rufen – es am Leben zu halten – „in diesen Zeiten – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Exklusive Tipps über die ultimativen Hotspots (die keiner kennt) bekommt man im Bruchteil einer Sekunde aufs Smartphone. Wohl deswegen dachten sich die Macher von Stadtluft, dass ein Bookzin wohl die bessere Lösung ist, um Dresdnern und Besuchern die Stadt näherzubringen bzw. schmackhaft zu machen. Es funktioniert!, so viel kann man schon mal verraten. Und das schon zum achten Mal.

Und das nicht nur wegen des Gewichtes: Mit Anderthalb Pfund Lesegewicht in der Hand kann man sich nötigenfalls auch mal den Weg durch pöbelnde Massen erkämpfen. Nein, das Bookzin Stadtluft besticht durch sein gedrucktes Schwergewicht auf 150 Seiten.

Die Artikel sind keine Appetithäppchen, die man zwischen zwei Haltestellen mal schnell liest und dann meist wieder vergisst. Es sind seitenlange Texte, Geschichten, Geschichte, Gedankenspiele, Erinnerungen und Visionen, die im Kopf haften bleiben.

Dresden wird sich niemals seiner Geschichte erwehren können. Der 13. Februar 1945 setzte ein Wundmal, das niemals vergessen wird. Kaum vorstellbar, dass in diesem gigantischen Bombenhagel (heutzutage werden derartige Vergeltungsmaßnahmen ganz anders eingeordnet) Menschen das (dunkle) Licht der Welt erblickten. Kaum zu glauben, dass die ersten Erinnerungen eines Menschen die an Trümmerhaufen und deren Beseitigung sind. Kein leichter Stoff für ein Bookzin, aber dennoch mehr als notwendig und eine Wohltat den Zeilen des Autors zu folgen.

Dann wiederum kommt eine Geschichte im Bookzin über eine Leidenschaft, die wenige mit echter Leidenschaft beseelt, die meisten mit Sammlertrieb gleichsetzen. Eine Bummel über den Flohmarkt. Gerd Püschel gehört seit Jahrzehnten zur ersten Gattung. Er ist leidenschaftlicher Sammler, und Kenner. Der Elbeflohmarkt an der Albertbrücke rühmt sich der älteste in Dresden zu sein. Hier ist Gerd Püschel in seinem Element. Wie ein Spürhund stöbert er, frohlockt, wird skeptisch und saugt die Anmerkungen der Besucher wie ein Staubsauger auf. Und bläst sie wie kleine amuse gueule über seinen Gedankenteppich. Mal zum Schmunzeln, mal echte Wortschätze. Und im Handumdrehen liest man sich in einen Rausch und weiß, dass der nächste Dresdenbesuch früh am Morgen beginnen muss, wenn die Händler ihre Gabentische aufbauen. Das schafft kein Stadtmagazin. Dazu bedarf es eines Bookzins.

Und am Abend geht es ins Konzert – vielleicht sogar zu Sven Helbig. Er arbeitete mit Rammstein und den Pet Shop Boys (die haben ja auch eine innige Verbindung zur sächsischen Landeshauptstadt). Das Interview mit ihm ist ebenso ein Festschmaus für Kulturkenner wie Neuentdeckung für alle, die Helbig noch nicht kannten.

Stadtluft, Nummer Acht ist gerade erschienen und in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich, ist ein Magazin, das man lange bei sich behält. Bricht man es auf normales Buchformat runter, so hat man ein echt dickes Stück Lesevorrat bei sich. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hier beginnt er schon beim optisch einmaligen und ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Ein Magazin, das auch Leipziger (die sich mit den Dresdnern nicht automatisch gut verstehen – ähnlich der Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf) und andere Auswärtige mit Genuss einverleiben können, da die Stadtwerbung wegen ihrer Unaufdringlichkeit so nachhaltig wirkt.

Görlitz

Görlitz ist vielleicht eine der unterschätztesten Städte, nicht nur im Osten, sondern deutschland-, wenn nicht sogar europaweit. Seit fast eintausend Jahren ist auf den Landkarten verzeichnet, dennoch erinnert man sich in jüngster Zeit eigentlich nur an die Stadt, wenn es um Hollywood-Filme geht. Die Neuverfilmung von „In 80 Tagen um die Welt“ und „Grand Hotel“ sind die prominentesten Beispiele dafür. Doch schon in den 50er Jahren wurden hier in historischen Kulissen Filme gedreht.

Doch hier ist nicht einfach nur Kulisse. Seit fast dreißig Jahren erhält eine Stiftung für die Erhaltung des einmaligen architektonischen Ensembles einen mittleren sechsstelligen Betrag – von anonymer Seite. Viele rühmen sich den Namen zu kennen – aber pssst, niemand verrät ihn. Das Ergebnis ist schlussendlich ja auch das, was zählt.

Dass Görlitz zusammen mit der Bruderstadt Zgorzelec auch Europastadt ist, ist darüber hinaus auch nur wenigen bekannt. Grund genug die Stadt an der Neiße gründlich unter die Lupe zu nehmen. André Micklitza macht das in diesem Fall. Und zwar auf beeindruckende Art und Weise. Der erste Blick auf die blanken Zahlen lässt erst einmal nur Nüchternheit hervorluken. 55500 Einwohner, 30 Quadratkilometer Fläche sprechen nicht gerade für ein Füllhorn an Attraktionen. Wenn man immer nur auf die Highlights schaut, mag man da auch teilweise richtig liegen.

In Görlitz ist die Summe der scheinbaren Kleinigkeiten entscheidend. Ohne den üblichen Kitsch wandelt man durch eine Stadt, die sich ihrem Charme hart zurückerobert hat. Nach und nach sind seit der Wende Häuser, Straßenzüge, ganze Viertel wieder in ein Licht gerückt worden, das so hell strahlt, dass sich so manches Kleinod von Portland bis Kerala, von Helsinki bis Montevideo warm anziehen müssen. Das beginnt beim allseits eingangs erwähnten Görliwood und hört noch lange nicht auf, wenn man die Jahrhunderte alten Gebäude mit steifem Nacken in voller Gänze erblicken will. Wer einmal die Nikolaivorstadt nicht nur als Wiege der Stadt verstanden hat, sondern ihrem Reiz mit dem ersten Schritt erlegen ist, wird nicht mehr aufhören von Görlitz zu schwärmen.

Doch der Streifzug durch Görlitz mit André Micklitza endet nicht vor so manchem romantischen Ort, er geht weiter, wenn man die Oder überquert. Zgorzelec am östlichen Ufer der Neiße steht dem Pendant im Westen (wo früher einmal der Osten für viele endete) in Nichts nach. Erst seit 1945 gehört es zu Polen, war einmal die Neißevorstadt. Wenn nicht die vielen Straßenschilder, die Werbung in den Auslagen in einer anderen Sprache – Polnisch – geschrieben wären, man würde den Grenzübertritt kaum bemerken. Ein einzigartiges Phänomen europäischer Kultur. Und selbst, wenn man sich auch durch dieses Kapitel des Buches voller Vorfreude gelesen hat, ist die Reise noch nicht zu Ende. Bis ins Berzdorfer Seengebiet, bis Ostritz und Niesky sowie die Königshainer Berge (für LKW-Fahrer der A14 durchaus mit häufiger auftretendem Grausen verbunden) bekommen die Anerkennung, die ihnen zusteht. Görlitz wird dank dieses Reisebuches so manchem von der Couch oder aus dem Lesesessel aufspringen lassen. Und sei es nur das bisher Unfassbare zu erleben.

66-Seen-Wanderung

Sechsundsechzig Seen, rund um Berlin, vierhundertfünfundzwanzig Kilometer – klar, dass man da ein wenig Hilfe braucht, um nicht das Eine oder Andere zu verpassen. Manfred Reschke und Andreas Sternfeldt kennen jede seit 2003 erfasste und ausgeschilderte Route aus dem FF. Was an sich schon mehr als genug ist. Doch in ihrem Reiseband machen sie so manchen Abstecher nach Links und Rechts – erlaubterweise, denn Teile der Route sind Naturschutzgebiet, wo Abstecher nicht so gern gesehen, oft sogar verboten sind. Zu Fuß, auf dem Rad, allein oder in Familie – diese Routen überfordern keinen Wandersmann und keine Wandersfrau übermaßen. Berge sind hier Hügel, und Aussichten stoßen erst am weit entfernten Horizont an ihre Grenzen.

Die für dieses Buch erstellten Wanderkarten sind exakt und ohne Einschränkungen zu benutzen. Und jede Strecke wird vollumfänglich beschrieben, so dass es beim allabendlichen Rückblick keine Wissenslücken gibt. Eine der berühmtesten – und sicher auch eine der am meisten begangenen Routen ist die auf den Spuren von Theodor Fontane. Pflichtlektüre im Handgepäck, dieses Reiseband immer in Griffweite und schon wird der sandige Boden Brandenburgs zur trittfesten Unterlage für jeden, der in Spuckweite der Weltstadt Berlin Grün, Ruhe und Erholung, gepaart mit Forscherdrang und Abenteuerlust sucht.

Jede einzelne Wanderung – siebzehn Etappen – beginnt mit einem kurzen Überblick, was den Forschungsreisenden erwartet. Die Beschaffenheit des Weges ist mindestens genauso wichtig die die zurückzulegende Strecke. Ebenso Tipps wo man mal schnell ins kühle Nasse springen kann. Schließlich ist man ja auf der Pirsche zwischen Seen und Flüssen. Und wenn man sich vor lauter Glücksgefühl mal die Zeit vergessen hat, und man ganz schnell die Orientierung wieder finden muss, ist jede Etappe mit GPS-Daten zum Runterladen versehen. Es kann also nichts passieren. Außer eine einzigartige Erholung auf einzigartigen Wegen, vorbei an einzigartiger Natur.

Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die 240 Seiten ohne freudiges Füßetrappeln zu überstehen. Denn schon mit den ersten Kapiteln steigt die Ungeduld endlich mal wandern zu gehen (besonders ausgeprägt bei noch nicht bekehrten Wandermuffeln).

Im Reigen der Wanderführer – auch über Brandenburg – nimmt dieser Reiseband eine besondere Stellung ein. Noch nie wurde in eine Region so anschaulich eingeladen. Und zwar komplett frei von der Angst etwas Einzigartiges durch massenhaften Besuch zu zerstören. Wer im Berliner Umland von See zu See wandern möchte, kommt um dieses Buch nicht herum. Von Stausberg bis Potsdam, von Leuenberg bis Leibsch, von Bad Saarow bis Seddin findet man das, was Erholung ausmacht, nur in diesem Buch.

Mystisches Salzkammergut

Bad Ischl und somit das gesamte Salzkammergut rücken im Jahr 2024 in den internationale Focus, wenn die Kulturhauptstadt Europas sich präsentiert. Drei Bundesländer, acht touristische Regionen – allein, wenn man nur die Zahlen betrachtet, eine nicht zu unterschätzende Wucht an Eindrücken, die auf den Besucher wartet.

Gabriele Hasmann sucht nach den Ursprüngen dessen, was das Salzkammergut zum Salzkammergut macht. Und sie wird fündig. Am Boden des Mondsees, an den Hängen im dichten Wald und in den Geschichten und Traditionen der Bewohner. Wie zum Beispiel das Wappen der Kulturhauptstadt Europas 2024 entstanden ist. Die an einer Esche knabbernde Gämse ist eine dem Zufall zu verdankende Idee, wodurch die Stadt ihr Wappen bekam.

Und wenn man schon vom Salzklammergut redet, drängt es sich auf auch über Salz zu sprechen. Schon vor Ewigkeiten wurde hier Salz gewonnen. Zuerst ganz klassisch mit Hacke und Schaufel, später hat man die Kraft der Sonne für sich genutzt. Kaiser Franz Joseph I. hat sich hier eine Residenz gegönnt – wenn die Frau das Weite sucht, darf der Hausherr ihr in nichts nachstehen. Die Romantiker haben hier ihre Wurzel nicht gesucht, doch aber gefunden. Wer’s nicht glaubt, der sollte das Kulturjahr nutzen, um auf einem der Seen den Blick schweifen zu lassen…

Im Schloss Ort auf der Insel Ort im Traunsee soll’s sogar spuken. Auch hier haben die Habsburger ihre Finger im Spiel. Ebenso in Halstatt, wobei noch heute – bevorzugt zwischen November und Februar, wenn der Ortsteil Echerntal ein unbeweglicher Schatten liegt. Vermischt man dieses Naturphänomen mit den Besuchen der Queen of Crime Agatha Christie in den 60er Jahren kommt man nicht umhin hier einige Gruselmomenten zu genießen.

Kurz und prägnant gibt Gabriele Hasmann dem Leser einen Überblick über das, was man vom Salzkammergut nicht auf den ersten Blick sieht, jedoch nichts anderes ist als die Essenz dieses Landstriches.

Und wenn Bad Ischl mit Pomp und Gloria das Kulturjahr 2024 einläutet – und es wird pompös werden – dann werden bei so manchem die Fragzeichen über den Köpfen vorübergezogen und so manches Rätsel schon von vornherein gelöst sein. Denn jedes einzelne Kapitel ist ein kenntnisreiches Kleinod. Mit viel Hingabe zum Detail wird Salzkammergut aus dem Dornröschenschlaf der Unkenntnis geweckt und führt fortan ein märchenhaftes Leben im Zentrum der Aufmerksamkeit.