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Wie man die lebenswerteste Stadt der Welt überlebt

Eigentlich kann man es kaum noch hören: Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt! Und dann ist man da und sagt: „Ja, stimmt!“. In fast jeder Hinsicht. Ein geballtes Inferno an Museen, prächtige Straßen, eine funktionierende Infrastruktur. Ein lebenswerter Ort, ein Ort, an dem man nur die Ohren offenhalten muss, um dem Schmäh die Schärfe zu nehmen. So wie Andreas Rainer, ein Alltagspoet – der Alltagspoet. Er schnappt an der Tramhaltestelle, an der Ampel, im Café (wo sonst?!) was auf und verarbeitet es ruck zuck zu einem poetischen Pamphlet, das Kopfnicken und „Echt jetzt?“ zugleich hervorruft.

Diese kleinen Sticheleien gegen das lupenreine Image der Stadt sind mehr als nur eine kleine Brise Würze. Sie erzählen von dem, was dem Touristen verborgen bleibt. Es sei denn man kommt tatsächlich mit einem Herrn Ober ins „Gespräch“… Ihn heranwinken bringt nichts.

Andreas Rainer findet seine Geschichten auf der Straße. Da streiten sich Bauarbeiter und Polizei wer hier Vorrecht genießt. Oder es hagelt Beschwerden über die Arbeit – woanders ist auch nicht schlechter.

Dieses kleine Büchlein nimmt ein wenig die Schwere vom Titel „Liebenswerteste Stadt der Welt“. Hier leben auch nur Menschen, die allerdings mit einer ordentlichen Portion Schmäh dem Alltag die Stirn bieten. Derber Humor und Eleganz schließen sich also doch nicht komplett aus.

Und es gibt echte (Über-) Lebenshilfe für Wien. Wenn man einem Lehrer glauben darf, dann sollte man es tunlichst vermeiden psychisch Labile in der U-Bahn anzustarren. Das ist nicht nur Schulklassen zu empfehlen. Denn der Wiener steht über allen anderen Österreichern – was sicher nicht zu verallgemeinern ist, aber warum soll man sich als Gscherter zu erkennen geben (und den Unmut der Wianer sich zuziehen) – und das lässt er ganz gern auch mal sein Gegenüber spüren (schön mal verdutzt aus der Wäsche geschaut, wenn einem „a Sackerl“ angeboten wurde?).

Es gibt auch andere Städte, die für ihren Humor bekannt sind. Berlin zum Beispiel. Doch während man an der Spree mit der Dampframme zurechtgestutzt wird, wird man an der Donau sanft mit dem Hammer gestreichelt. Wien-Liebe to go steht wie ein Label auf dem Cover. Und so sollte man dieses Büchlein auch annehmen. Nicht zwingend am Graben sich auf einer Bank das Buch laut vorlesen. Auch nicht auf den Stufen der Albertina sich lauthals über (letztendlich sich selbst) lachen. Jedoch auf einer Bank leise vor sich hinschmunzeln während man darin blättert, sollte erlaubt sein. Und vielleicht trifft man auf diesem Weg genau den einen Wiener, der mit einem über diese „G’schichten“ bei einer Tschick lachen kann. Einen Versuch ist es allemal wert!

Phantome der Nacht – 100 Jahre Nosferatu

Immer wieder findet Listen mit „den besten Filmen aller Zeiten“. Die sind fast immer gleich – weil alle von einander abschreiben oder die Auftraggeber dieselben sind. Je nachdem wer die Listen erstellt, wer in der Jury sitzt, woher die Jurymitglieder stammen. Doch, ganz ehrlich, Listen in denen die Filmkunst nicht gewürdigt wird, sondern der Erfolg an der Kasse sind nichts weiter als Marketinginstrumente. Wenn tatsächlich einer der zahllosen Batman-Filme bedeutender – also „besser“ – als beispielsweise „Metropolis“ von Fritz Lang sein soll, sollte man mit seinen Zweifeln nicht hinterm Berg halten.

Vor wenigen Jahren wurde „Nosferatu – Symphonie des Grauens“ eine Ausstellung anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Uraufführung gewidmet. Eine Ausstellung für einen Film! Nicht etwa eine Devotionalienecke in einem Kaufhaus mit allerlei Krimskrams, um genervten Eltern ein paar Stunden Ruhe vor den quengelndem Nachwuchs zu gönnen. Einem Film also, der bis heute die Herzen des Publikums höher schlagen lässt. Nicht nur die ikonischen Bilder. Nicht allein die Effekte, die einzig allein mit handwerklichen Mitteln für Erstaunen sorgen. Nicht allein der Hauptdarsteller, der garantiert nicht wegen seines Namens ausgesucht wurde: Max Schreck. Nein, es ist das Gesamtwerk, angefangen beim opernhaften Vorspann über die expressionistischen Bilder bis hin zum dramatischen Ende. Die Handlung und die Musik (ein besonderes Ereignis, wenn man dies mit Orchesterbegleitung wie dem Babylon-Orchester im Kino erleben kann), die Farbgebung und die dramaturgische Aufbereitung sind ein Fest für die Sinne.

In diesem Buch, dem Begleitband zur Ausstellung im Jahr 2022, erlebt das Kunstwerk „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ seine Auferstehung in Dauerschleife. Immer wenn man darin blättert, erscheinen wie auf der großen Leinwand die Szene nicht nur vor dem geistigen Auge.

Der Film hatte Auswirkung auf fast jedes Kunstgenre. Graphic Novels beziehen sich bis heute auf die optische Umsetzung der Vampirlegende, die Parallelen zum Film von Friedrich Wilhelm Murnau sind derart offensichtlich, dass es keinen Sinn hat sie zu leugnen. Wohl nur noch das Konterfei von Marilyn Monroe von Andy Warhol oder von Che Guevara nach dem Schnappschuss von Alberto Korda haben ähnlichen Weltruhm.

Soll eine mystische Stimmung in einem Bild erzeugt werden, hier ist die Inspirationsquelle aller Düsternis.

Wer dem Mythos „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens “ verfallen ist, dem rauscht bei diesem Buch das Blut in doppelter Geschwindigkeit durch die Adern…

Im Dienst des Irdischen

China, die Volksrepublik und Religion – jaajjjeeiinn. Irgendwie durchaus eine logische Verbindung, andererseits auch wieder nicht. Es ist kompliziert. Und so sollt man sich diesem Buch auch nähern. Klar, China, Asien, Buddhismus – die Verbindung ist eindeutig da. Und dann die monströsen Parteitagsbilder der Kommunistischen Partei, wenn im Takt dem Vorsitzenden gehuldigt wird – das ist so gar nicht buddhistisch.

Religion ist in China überall vorhanden, so wie hierzulande der christliche Glaube und seine Sichtbarkeit nicht zu übersehen sind. In China hingegen gibt es stellenweise Tempel, die nicht historisch gewachsen sind, sondern moderne Bauten sind (ja, die gibt es auch in unseren Breiten), sondern von Firmen erbaut wurden. Und deren Größe die historischen Tempel um ein Vielfaches übertreffen. Also, China und Religion ist doch nicht so verwunderlich wie so mancher Dauerskeptiker es glauben mag.

Hans-Wilm Schütte reist durch ein China, das ohne rasanten Fortschritt nicht überlebensfähig ist. Das Land lebt vom selbst auferlegten Image des enormen Aufschwungs.

Als Erstes fällt im Buch die üppige Farbenpracht der Abbildungen auf. Gold soweit das Auge reicht. Festgehalten aus unterschiedlichen Perspektiven. Und erst die Erläuterungen! China ist gemessen an der Zahl der Gläubigen die Nummer Eins im buddhistischen Lager. Neben der Pracht der Bilder stellt Autor Hans-Wilm Schütte die Geschichte und Tradition in den Fokus. Strömungen innerhalb des Buddhismus sind oft stellenweise ein Dorn im Auge der Religionshüter sowie der Machthaber im Reich der Mitte.

„Im Dienst des Irdischen“ ist ein tiefer Einblick in den Alltag der Buddhisten in China. Tempel mit gigantischen Ausmaßen, daneben bescheidene Rituale, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Besinnliche Bilder und ausufernde Goldbeschau. Propaganda und reine Lehre. Wer sich auf diese Reise einlässt, erlebt Seite für Seite ein Abenteuer nach dem Nächsten. Unter den Reisebildbänden nimmt dieses Buch einen ganz besonderen Platz ein, und zwar auf den vorderen Plätzen!

Nordspanien

Durch den Norden den Süden im Süden genießen. Klingt konfus. Wird aber nachvollziehbar, wenn man diesen Reiseband liest. Der Süden, das ist Meer, Sonne, Genuss, Erholung. So soll es sein, so ist es auch. Und Spanien, als Synonym für den Süden kann darüber hinaus noch mit dem eigenen Norden punkten.

Vor allem, wenn man sich lukullisch „weiterbilden“ will. San Sebastian, das Baskenland im Allgemeinen, ist eine Hochburg der genussreichen Küche. Die Kochclubs der Stadt, in der schon die Sisi viele ihrer Sommerfrischen verbrachte, sind mehr als nur ein Experimentierfeld des Bauchstreichelns.

Nordspanien – das ist auch der Jakobsweg, das letzte Teilstück. Das ist auch Rioja – eine Region, die dem Wein ihren Namen gibt. Das ist Bilbao mit dem Guggenheim-Museum – ikonisches Highlight und Must-Do in der Baskenmetropole, die in den vergangenen zwei Jahrzehnt wie kaum eine andere Stadt ihr Aussehen (zum Besseren) verändert hat. Und sonst?

Dafür nimmt sich Autor Thomas Schröder knapp sechshundert Seiten Platz. So erfährt man von abgelegenen Orten, die tatsächlich noch so etwas wie Geheimtippcharakter in sich bergen. Wie Laxe, ein kleiner galizischer Ort mit einem reizvollen weißen Dünenstrand. Hier rollt man nicht den üblichen roten Teppich für die Gäste aus, die Landschaft ist einladend genug. Ein bisschen muss man sich selbst einbringen, um Laxe zu finden, aber das Ergebnis entschädigt wohl für so manches Links-Und-Rechts-Schauen.

Auch die weniger bekannte Region Kantabrien sollte man im Vorfeld im Buch schon einmal besuchen. Über fast alle Grenzen hinweg ist der Santander. Dass hinter der Marke eine zauberhafte Stadt steht, die nach einem verheerenden Brand vor achtzig Jahren wieder komplett aufgebaut wurde, wissen nur wenige. Heute strahlt sie mit der Sonne um die Wette und bietet weitaus mehr als einladende Strände. Die Architektur lädt zum Bummeln ein, das Kunstmuseum ist ein Augenschmaus, innen wie außen.

Nordspanien mausert sich zu einer Region, die immer mehr Gäste anzieht. Hier ist es nicht ganz so heiß wie in Andalusien, kulturell muss man sich hier hinter keiner anderen spanischen Region verstecken. Der Terror der ETA, was sicherlich viele Gäste viele Jahre lang abgeschreckt hat hier die schönste Zeit des Jahres zu verbringen, ist vorbei. Asturien, Galicien, Baskenland, Kantabrien, Navarra, La Rioja und Kastilien sind auch dank dieses Reisebandes immer öfter mehr als nur erfragenswerte Antworten in diversen Quizshows, sondern liebevoll ans Herz gelegte Reiseziele.

Liparische Inseln

Inseln haben ihre eigene Faszination. Egal wie man steht, der Horizont ist immer das Wasser. Ein kleiner Kosmos, der auf dem Wasser treibt. Bei Inselgruppen kann es jedoch schon mal passieren, dass schnell das „Kennste-Eine-Kennste-Alle“-Gefühl aufkommt. Doch es gibt Ausnahmen. Wie die Liparischen Inseln.

Urgewaltig aus dem Leib der Erde wuchtig emporgestiegen, sind sie die Schönheitsflecken im Gesicht des Mittelmeeres. Feurig-brodelnd wie Stromboli. Wohlduftend und lieblich, so dass der Geldadel keine andere Wahl, um sich hier, auf Panarea niederzulassen. Exquisite Genusskultur auf Salina. Scharfe Einsichten auf Lipari. Jedes Vorurteil, ob des Namens bestätigend wie auf Vulcano. Entschleunigen auf Alicudi oder einfach nur in der Vergangenheit graben auf Filicudi. Sieben Inseln – sieben unterschiedliche Erlebniswelten. Auch wenn der Horizont …

Thomas Schröder widmet sich jeder dieser einzigartigen Inseln mit Hingabe. Schnell bekommt das das Gefühl hier zuhause sein zu können. Der Horizont als Limit? Nein, als Startpunkt für die nächsten Abenteuer! Immer wieder tauchen neue Abenteuer auf, die man unbedingt erleben muss. Ob nun zu Fuß rund um die Insel, was auf den Kleineren wie Alicudi und Filicudi deutlich weniger Zeit in Anspruch nimmt als auf Lipari. Oder mit dem Boot einmal einer der Inseln umrunden. Bergklettern. Ein Tipp im Voraus: Wer Inselhopping betreiben will, sollte Vulcano ans Ende seiner Reise setzen. Oder ganz sicher sein, dass am nächsten Ort rund um die Uhr eine Waschmaschine zur Verfügung steht. Denn hier brodelt nicht nur die Erde und dampft es an vielen Stellen, hier steigt einem unvermeidbar Schwefelgeruch nicht nur in die Nase, sondern vor allem in die Klamotten. Die Folgen kann man sich selber ausmalen.

Die Liparische Inseln sind das Zuckerli auf einer Reise durch den Süden Italiens. Kleinode im Meer, die sich bewusst auf Besucher einrichten und doch eine gehörige Portion Eigenwilligkeit in sich tragen. Und immer die Anreise berücksichtigen – auch dafür ist dieses Buch der ideale Unterstützer.

Ein Buch – sieben Inseln, alles drin, mehr braucht man nicht. Für schönes Wetter ist hier eh gesorgt. Die Reisevorbereitungen werden mit diesem Buch ein Klacks. Dann kann’s ja losgehen. Nicht vergessen: Die farbigen Kästen im Buch sind das Salz in der Inselsuppe und erleichtern hier und das sicher den Gesprächseinstieg. Denn so mancher Insulaner wird über das ausgeprägte Wissen der Gäste ins Staunen geraten… Garantiert!

Costiera amalfitana – Geschichte einer Landschaft

Eigentlich würde man die Region an der Küste bei Amalfi gar nicht erforschen. Zu steile Felsen, kaum Wege und Straßen. Und vor zweihundert Jahren gab’s nicht mal Übernachtungsmöglichkeiten. Olle Goethe hat deswegen diesen Landstrich mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Ha! Der arme Tropf! Reist nach Italien und schaut sich nicht einmal die Amalfiküste an! Das ist ja wie … Paris ohne Eiffelturm, San Francisco ohne zerrissene Jeans oder Barcelona ohne Tapas.

Dieter Richter – so steht es im Pressetext zum Buch – hat diese Region studiert. Ja, studiert. Die Amalfiküste – wenn man Traumjob googelt, muss das wohl dabei rauskommen.

Nun ja, es gibt viele Orte und Regionen, wo Italien am italienischsten ist. Meist hängt diese Bewertung vom eigenen gusto und Wissensstand ab. Und die costiera amalfitana ist sicherlich von Italienern überflutet, aber eben auch von so manchen sehnsüchtig nach Italien hechelnden Fremden, der, wenn er denn einmal einen Sitzplatz im ristorante am Meer ergattert hat, diesen nicht mehr hergeben will. Und somit zwar die Aussicht genießen kann, aber eben auch den Rest (die größere „Hälfte“) verpassen wird.

Dieses Wissensvakuum wird durch dieses kleine rote Büchlein gehörig mit Fakten, Analysen, Deutungen in hingebungsvollen Worten gefüllt, doch selber anschauen ist um Einiges mehr wert. So unwirtlich diese Gegend erscheinen mag – stramme Waden sind das Mindeste, was man erhält, nimmt man die Fußwege der Region – so sehr beeindrucket sie von jeher ihre Besucher. Hier versteckten sich Piraten, hier entstand die älteste Seerepublik Italiens, hier berauschten sich Künstler an ihrer Schönheit.

Eine Rundreise mit Dieter Richter ist ein Wissensflash der obersten Kategorie. Es gibt wohl kaum einer Zeile auf dieser Welt, die der Autor nicht vorher gelesen hat, um seinem Kompendium die nötige Fülle verleihen zu können. Von der regionalen Küche über römische Villen (und ihre durchaus pikanten bis geheimnisvollen Geschichten) bis hin zum touristischen Overkill der Gegenwart lässt er keinen Aspekt einer „natürlichen Entwicklung“ der costiera amalfitana aus.

Wer die Amalfiküste besucht, muss sich im Klaren sein, dass er niemals, oder nur sehr selten, allein sein wird. Man muss die Stille wirklich suchen – dafür gibt es Reisebände. Wer die Region verstehen, sie mit allen Sinnen aufsaugen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Das Standardwerk über eine der schönsten Landschaften der Erde!

Die einzige Frau im Raum

Da steht sie nun auf der Bühne – das Publikum ist außer sich. Sie, die Sissy, hatte die Reserviertheit der Wiener mit nicht einmal zwanzig Jahren in Raserei verwandelt. Das bisschen Naserümpfen wegen der überbordenden Blumensträuße – Zuchtrosen edelster Herkunft – macht ihr nichts aus. Dass hinter der Armada floraler Ehrerbietung eine menschliche Tragödie lauert, kommt ihr zwar zur Ohren. Doch wirft die alle Zweifel über Bord. Fritz Mandl ist der Gönner. Er spendet auch noch standing ovations als alle anderen wieder in ihren Sitzen versunken sind. Fritz wird ihr erster Ehemann. Im Jahr 1933 für eine Jüdin schon ein gewisses Wagnis. Zumal Fritz Mandl ein gewissenloser Waffenfabrikant ist, der Italiens und Deutschlands Kriegstreiber nur allzu willfährig unterstützt. Ach ja, die junge Frau lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch Eva rufen. Ein paar Jahre später sieht ihre Welt ganz anders aus: Der Fritz ist ein brutaler Kerl geworden. Er hält Hof, um den Lamettahengsten der Nazis zu schmeicheln. So mancher Großkopferter geht im Haus Mandl ein und aus. Und zwischendrin die Lichterscheinung Eva. Ein bildhübsches Kind. Mehr als nur zurechtgemachte Staffage für den Kaufmann des Todes (in vielerlei Hinsicht). Sie hat auch Köpfchen. Nein, sie hat mehr als das.

Schon kurze Zeit später wird sie es unter Bewies stellen. Fritz und der Naziterror lassen Eva nur eine Chance: Flucht. Flucht nach Amerika. Louis B. Mayer, genau, der Louis B. Mayer verpasst ihr einen neuen Namen. Hedy Lamarr. Und ein neues Image. Die schönste Frau der Welt. Nicht zu unrecht. Doch Hedy, wie sie nun heißt, ist eben nun mal nicht nur ein außergewöhnlich schöner Kleiderständer, sondern eben auch eine Frau mit Kopf und Verstand. Mit dem Komponisten George Antheil entwickelt sie eine Frequenzverschlüsselung für Torpedos. Die sind somit fast nicht mehr zu orten. Leider ist die technische Lösung etwas antiquiert, so dass sie mit ihrer Erfindung nur wenig bis gar keinen Ruhm erntet. Doch ihre Erfindung, ihr Lösungsansatz ist bis heute für jedermann (!) nutzbar. Smartphones würden ohne Hedy Lamaras Zutun heute vielleicht anders funktionieren … oder vielleicht gar nicht existieren?!

Fakt ist, das Hedy Lamarr bis heute immer noch als begabte und außerordentliche ansehnliche Schauspielerin anerkannt ist. Ein gewisser Teil ihrer Bewunderer kennt auch das wissenschaftliche Potential der gebürtigen Wienerin. Doch so anschaulich wie in „Die einzige Frau im Raum“ wurde ihr Leben selten dargestellt. Marie Benedict gelingt es scheinbar spielerisch dem so reichen Leben der Eva/Hedy die Schwere zu nehmen wie niemandem zuvor. Und schwere Entscheidungen hatte die Heldin dieses Buches zuhauf zu treffen: Den Mann, das Land, den Kontinent verlassen. In der Fremde sich ein komplett neues Leben aufbauen. Sich gegen allerlei Avancen zu wehren – Louis B. Mayer war ein Machtmensch und ließ das jedem in seiner Umgebung spüren. Rückschläge musste sie verkraften. Und ihren Träumen immer wieder mit Geduld unterfüttern. Doch sie ließ sich niemals unterkriegen. Das ist wohl die größte Leistung in ihrem langen Leben.

München Abenteuer

Wer als Fußballfan zum Erstligaspiel anreist, weiß meist schon vor Anpfiff, dass er mit gesenktem Haupt wieder von dannen traben wird. Wer das Olympiagelände besucht, kann sich sicher sein, echte Abenteuer zu erleben. Und mit der Parkplatzsuche hat sich das Repertoire an Abenteuern in München auch schon erledigt. Denkste!

Detlef Dresslein hat nicht nur das eine oder andere Abenteuer in Minga (ja, auch den Dialekt kann man als abenteuerlich auffassen, aber darum geht’s hier nicht) gefunden, sondern – und soweit kann man gehen – alle Abenteuer gefunden. Und in diesem besonderen Band zusammengefasst.

Das reicht vom historischen Rundgang durch die Millionenstadt auf den Spuren der dunkelsten Geschichte (was einst sogar auf Poststempeln als „Hauptstadt der Bewegung“ vermerkt wurde) über einen ungewöhnlichen (und preiswerten) Rundgang in der Pinakothek der Moderne bis hin zum Kinobesuch. Der Rundgang ist vom NS-Dokumentationszentrum organisiert und wird mit einer App gesteuert. Während andere fast schon achtlos an erinnerungswürdigen Orten vorbeischlendern und der nächsten Maß entgegenhecheln, ist man selbst wissend auf geschichtsträchtigen Pfaden unterwegs. Da staunt man heute noch, wie präsent die Orte noch sind. Man muss sie nur zu finden wissen.

Dass die Pinakothek der Moderne auch abenteuerlich sein kann, beweist das Sonntagsangebot. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt’s Karten für ’nen Euro – schon allein diese „Warte-Lotterie“ kann für Nervenkitzel sorgen. Und dann gibt’s 30 min Intensivvortrag über ein Werk. Keine Ablenkung durch die Fülle an Gemälden und dem Zwang auch wirklich alle sehen zu müssen. Ein Werk, dreißig Minuten – und das museale Herz blüht auf.

Wer spät am Freitag- oder Samstagabend nicht sein bitter verdientes Geld für überproportional hippe Drinks in den Schlund kippen will, der hat seit fast einem halben Jahrhundert die Möglichkeit sich für relativ kleines Geld die Klamotten versauen zu lassen. Hä? Was soll daran abenteuerlich, geschweige denn nachahmenswert sein? Ganz einfach: Am 24. Juni 1977 feierte der Film“ The Rocky Horror Picture Show“ in Deutschland Premiere. Und seitdem läuft der Film … in den Museum Lichtspielen. Und zwar mit allem, was dazu gehört. Reis, Zeitung, Gummihandschuhe, Knicklicht. Das gibt’s sonst nur noch in Paris und San Francisco! Und wer hinterher nicht die Reiskörner (während der Hochzeitsszene) aufsammeln will, um dem knurrenden Magen zu stillen, der geht vorher schon um die Ecke was essen.

Auch hierzu bietet dieser Reiseband ein Füllhorn an Möglichkeiten. Jedes Kapitel schließt mit dem vielsagenden Absatz „… und wenn man schon mal hier ist“. Großartig – da weiß jeder, dass es am Ausgang noch lange nicht Schluss ist. In etwa so, wie wenn man meint, dass außerhalb des Englischen Gartens nichts Abenteuerliches mehr zu erleben wäre.

Barcelona Abenteuer

Barcelona ohne Abenteuer? Das geht doch gar nicht! Was hingegen möglich ist, dass man bei dem Überangebot an Abenteuern leicht den Überblick verlieren kann. Kaum eine andere europäische Metropole hat sich in den vergangenen Jahrzehnt derart oft und tiefgreifend verändert wie die katalanische Stadt am Mittelmeer. Und da soll es immer noch Menschen geben, die Barcelona nicht spannend finden…

Die sollten mal mehr als nur einen Blick in dieses Buch werfen. Das gibt’s schon zu Beginn gleich was auf die Augen. Auf der ersten Umschlagseite wird in Versuchung geführt: Wie sah Pornographie in der Renaissance aus? Seite 36 weiß da mehr darüber. Eine enge Gasse, die auch schon Picasso inspirierte und … nö, das muss man selbst erleben und vorher erlesen. Wer will kann den Rundgang bei einem Cocktail und Popcorn entsprechend ausklingen lassen – „und wenn man schon mal hier ist“ lautet die weiterführende Rubrik am Ende eines Kapitels. Kopfkino einschalten!

Montags, mittwochs und freitags wird es abenteuerlich auf dem Mercat dels Encant. Ein Lächeln huscht so manchem Besucher übers Gesicht, wenn er sich mitten in einer Auktion am frühen morgen befindet. Zum Einen hat man den Weg dorthin gefunden. Zweitens hat man sich im Gewühl zum Auktionator vorgekämpft – der geht nämlich zu den zu versteigernden Sachen. Drittens ergötzt man sich an dem rasanten Tempo der merkantilen Quasselstrippe. Und Viertens findet man dieses Spektakel wirklich so nur hier.

Da darf es dann am Abend durchaus etwas gediegener und entspannter zugehen, oder?! In den feinsten Zwirn gesellt man sich in eine Reihe Wartender. Und das schon um 19 Uhr – vor 21 Uhr geht hier doch niemand raus, um den Nachtleben zu genießen. Wieso als um 19 Uhr sich in eine Warteschlange stellen, wenn es eh erst ein paar Stunden losgeht? Kleiner Tipp: Wer verschmutzte Brillengläser hat, wird es nicht genießen können!

Frank Feldmeiers Abenteuer-Reiseband durch Barcelona (keine Scheu: Das C darf und soll ruhig scharf gesprochen werden) ist es ein wahres Füllhorn an Erlebnissen, die man nie wieder vergessen wird. Und oft sogar zu einem erschwinglichen Preis nachzuvollziehen. Hier wird niemand in Bars gelockt, wo das Getränk dem Gegenwert einer Tankfüllung entspricht. In diesem Band, in dieser Reihe taucht man in eine Stadt ein, die trotz aller Menschenmassen, die sich 24/7 durch sie hindurchwalzen, immer noch jede Menge versteckte Abenteuer, die man sonst in keinem Reiseband finden wird. Selbst wer Barcelona schon kennt und liebt, wird hier immer noch fündig werden. Und wer die Stadt tatsächlich noch nicht kennt, bekommt schon beim Buchweglegen Entzugserscheinungen.

Stadtluft Dresden, Nr. 8

Ein Stadtmagazin ins Leben zu rufen – es am Leben zu halten – „in diesen Zeiten – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Exklusive Tipps über die ultimativen Hotspots (die keiner kennt) bekommt man im Bruchteil einer Sekunde aufs Smartphone. Wohl deswegen dachten sich die Macher von Stadtluft, dass ein Bookzin wohl die bessere Lösung ist, um Dresdnern und Besuchern die Stadt näherzubringen bzw. schmackhaft zu machen. Es funktioniert!, so viel kann man schon mal verraten. Und das schon zum achten Mal.

Und das nicht nur wegen des Gewichtes: Mit Anderthalb Pfund Lesegewicht in der Hand kann man sich nötigenfalls auch mal den Weg durch pöbelnde Massen erkämpfen. Nein, das Bookzin Stadtluft besticht durch sein gedrucktes Schwergewicht auf 150 Seiten.

Die Artikel sind keine Appetithäppchen, die man zwischen zwei Haltestellen mal schnell liest und dann meist wieder vergisst. Es sind seitenlange Texte, Geschichten, Geschichte, Gedankenspiele, Erinnerungen und Visionen, die im Kopf haften bleiben.

Dresden wird sich niemals seiner Geschichte erwehren können. Der 13. Februar 1945 setzte ein Wundmal, das niemals vergessen wird. Kaum vorstellbar, dass in diesem gigantischen Bombenhagel (heutzutage werden derartige Vergeltungsmaßnahmen ganz anders eingeordnet) Menschen das (dunkle) Licht der Welt erblickten. Kaum zu glauben, dass die ersten Erinnerungen eines Menschen die an Trümmerhaufen und deren Beseitigung sind. Kein leichter Stoff für ein Bookzin, aber dennoch mehr als notwendig und eine Wohltat den Zeilen des Autors zu folgen.

Dann wiederum kommt eine Geschichte im Bookzin über eine Leidenschaft, die wenige mit echter Leidenschaft beseelt, die meisten mit Sammlertrieb gleichsetzen. Eine Bummel über den Flohmarkt. Gerd Püschel gehört seit Jahrzehnten zur ersten Gattung. Er ist leidenschaftlicher Sammler, und Kenner. Der Elbeflohmarkt an der Albertbrücke rühmt sich der älteste in Dresden zu sein. Hier ist Gerd Püschel in seinem Element. Wie ein Spürhund stöbert er, frohlockt, wird skeptisch und saugt die Anmerkungen der Besucher wie ein Staubsauger auf. Und bläst sie wie kleine amuse gueule über seinen Gedankenteppich. Mal zum Schmunzeln, mal echte Wortschätze. Und im Handumdrehen liest man sich in einen Rausch und weiß, dass der nächste Dresdenbesuch früh am Morgen beginnen muss, wenn die Händler ihre Gabentische aufbauen. Das schafft kein Stadtmagazin. Dazu bedarf es eines Bookzins.

Und am Abend geht es ins Konzert – vielleicht sogar zu Sven Helbig. Er arbeitete mit Rammstein und den Pet Shop Boys (die haben ja auch eine innige Verbindung zur sächsischen Landeshauptstadt). Das Interview mit ihm ist ebenso ein Festschmaus für Kulturkenner wie Neuentdeckung für alle, die Helbig noch nicht kannten.

Stadtluft, Nummer Acht ist gerade erschienen und in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich, ist ein Magazin, das man lange bei sich behält. Bricht man es auf normales Buchformat runter, so hat man ein echt dickes Stück Lesevorrat bei sich. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hier beginnt er schon beim optisch einmaligen und ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Ein Magazin, das auch Leipziger (die sich mit den Dresdnern nicht automatisch gut verstehen – ähnlich der Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf) und andere Auswärtige mit Genuss einverleiben können, da die Stadtwerbung wegen ihrer Unaufdringlichkeit so nachhaltig wirkt.