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Lärm

Konrad Schnittweg ist weg. Abgeschnitten aller Verbindungen zu denen, die einmal eine Rolle in seinem Leben spielten. Nur ein Brief – der Presse zugespielt – verbindet ihn noch mit der Welt. Doch dieser Brief ist mehr als rätselhaft. In dem kündigt er, Konrad Schnittweg, der Psychotherapeut, an einen Europapolitiker umzubringen.

Und schon springt die Presse darauf an. Logisch, denn das ist ihr Job. Berichten, was berichtenswert ist. Die Verbindungen zur RAF sind naheliegend. Schnittweg ist ein gebildeter Mann. Ruhig bis sehr ruhig. Besonnen. Ein Schlingel, wenn es darum geht Frauen zu bezirzen. Ein guter Ehemann. Ruheliebend. Bei seinen Recherchen dem – mittlerweile muss man es so sagen – Phänomen Konrad Schnittweg auf die Spur zu kommen, ist Guy Helminger mitten in einem Puzzelspiel, in dem einige Teile nicht so recht ins Bild passen.

Während Kameraden, mit denen er bei der Bundeswehr gedient hat, ihn als ruhig bezeichnen, der keinen eigenen Musikgeschmack hatte, berichtet seine Ex, dass er seine Hose niemals geschlossen halten konnte. Und dass die Presse in Person von Axel Kleider aus dem Brand der Praxis Schnittwegs am Tage seines Verschwindens eine Riesensache machen will, ist auch nicht unverständlich. Helminger selbst hat Schnittweg schon kennengelernt. Schnittweg auf dem Rad, Helminger im Auto und plötzlich Schnittweg auf der Motorhaube und Helminger erstarrt darin. Nichts passiert. Schönen Tag noch. Wer soll da nicht verwirrt sein?!

Guy Helminger kreiert eine Story um einen Mann, den es so gegeben haben könnte. Auch der mögliche Weg in den Untergrund ist durchaus so oder in ähnlicher Form schon passiert. Man denke nur an Gudrun Ensslin, die aus ihrem Elternhaus (Vater Pfarrer) den Weg in den Untergrund fand und unter anderem mit Andraes Baader, Holger Meins und Ulrike Meinhof die erste Generation der RAF bildete. Für Axel Kleider, den Journalisten, der Schnittwegs Werdegang in der Zeitung breittrat, eben solche Vergleiche zog und Vermutungen anstellte, ein gefundenes Fressen. Doch er weiß nicht alles.

Guy Helminger weiß mehr. Behauptet er zumindest. „Lärm“ ist ein Roman. Die Geschichte, die dahinter steckt, ist umso spannender, weil die Fiktion die Faktenlage komplett schluckt. Alles kann, nichts muss … so gewesen sein. Wer mit wem und wann – Fragmente. Und da das Wort Frage in Fragmente steckt, oh nein … so weit sollte man beim Lesen nicht gehen. Man muss sich in die Geschichte richtig einlesen. So breitet sich vor einem ein Bild aus, das mit einem großen Berg Puzzleteilen beginnt. Zuerst dreht man alle teile mit dem Gesicht nach oben. Man sucht sich die Eckpunkte. Das ist am einfachsten, es gibt nur vier. Dann steckt man den Rahmen ab. Und nach und nach füllt man die Lücken. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer zusammenpasst – wenn das Bild komplett ist, freut man sich so sehr, dass man es in die Welt hinausschreien möchte. Vielleicht hört es ja sogar Konrad Schnittweg und kommt zurück. Und dann? Schmeißt er sicherlich den Tisch um. Und die Arbeit beginnt von vorn.

Wir sehen uns in Venedig

Wie begegnet man einem Tumor? Mit Humor? Weil es sich so schön reimt? Man begegnet ihm wie einem Menschen, den man nicht mag, von man aber weiß, dass man ihn ein Leben lang nicht wieder loswerden wird. Ist man dazu noch in der Lage sein Leben, seine Gedanken und Gefühle in Worte kleiden zu können, kann man sich glücklich schätzen. Ganz ohne Pathos begegnet Autor Georges Hausemer seinem ungebetenen Gast. Er ist Ende fünfzig als der Tumor bei ihm klingelt. Und schon hat er einen Fuß in der Tür. Gegen ihn ankämpfen? Ja! Aber wie? Mit Worten!

Ein Blog, ein Blog. „Mein Tumor und ich“, später dann „Ich und mein Tumor“. Es wird eine intensive Zeit, in der Georges Hausemer mit dem ihm eigenen Humor seinem Hausgast die Stirn bietet. Die Angst schwimmt im gleichen Fahrwasser wie die Hoffnung. Ein ständiges Auf und Ab. Eine Krebserkrankung ist (zum Glück? – normalerweise? – leider?) keine gerade Linie, würde man sie ihn ein Diagramm pressen wollen.

So ein Tumor nistet sich jedoch nicht nur im Körper des Wirtes ein, sondern befällt folglich auch das Umfeld. Nicht viel um einen herum wissen dann vom neuen Bewohner. Doch diejenigen, die ihm früher oder später begegnen bzw. das Ausmaß der Einmietung zu Gesicht bekommen, sind tiefer betroffen als es auf dem Papier aussehen mag.

Ein Tagebuch ist immer eine Reise zurück. Denn nur das bereits Erlebte kann man niederschreiben. Der Krebs schließt jegliche Art von Planung konsequent aus je länger er sich eingenistet hat. Dennoch finden Georges Hausemer und seine Frau Susanne Jaspers die Zeit neue Bücher ins Auge zu fassen und wollen keineswegs aufs Reisen, wie in ihr geliebtes San Sebastian, verzichten. Immer im Gepäck: Er, der sich so aufdrängend unkomisch auf Humor reimt.

Unumgehbare Untersuchungen, unerschütterliche Diagnosen, unbeirrbarer Kampf – das ganze Leben beginnt auf einmal mit un-. Bis es irgendwann nicht mehr geht. Im Juni 2018 setzt Georges Hausemer unverrückbar (da ist es wieder, dieses un-) den letzten Punkt in seinem Blog. Von nun an ist der Blog ein digitales Erbe in einer Welt, die man nur von außen betrachten kann.

Eine Woche nach dem Tod Ihres Mannes füllt Susanne Jaspers den Zeitraum von Anfang Juni bis Mitte August. Die Kliniken, die keine sind. Die Pfleger, die ihrem gottgegebenen Recht auf Pause unentwegt frönen. Die Ärzte, die Termine vergeben, die dann doch nicht eingehalten werden. Der Patient ist eine Nummer, hinter verschlossenen Türen.

Unverschlossen (ja, wieder mal ein un-) und aufgeschlagen hingegen liegt das Leben mit dem Tumor vor dem Leser. Ein erfülltes Leben, sagt man im Nachhinein so gern. Mag stimmen. Aber wie will man etwas beurteilen, das man nicht bis zum Schluss auskosten konnte? Georges Hausemer hat die Welt gesehen und sie mit den Lesern geteilt. Er bereiste Orte, die manche erst gar nicht auf dem Globus finden. Er begegnete Menschen, die selbst erfahrene Globetrotter nur aus seinen Büchern kannten. Er berührte Menschen, die als sie vom Tod des Autors erfuhren ins Schwanken gerieten. Verlust, das ist das Wort, das man immer wieder hört und sicher noch lange hören wird. Ein Gewinn ist dieses Buch. Kein Hoffnungsgeber. Ein Tagebuch. Jeder muss für sich selbst entscheiden wie er das Buch auf- und annimmt. Georges Hausemers letzte Reise ist der lange Weg, den man als Ziel anerkennen muss.

Kleine luxemburgische Literaturgeschichte

Um es vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist ein Roman. Rein fiktiv, bis auf eine Figur. Und er erscheint bereits zum zweiten Mal. Vor dreißig Jahren hatte Georges Hausemer dieses Buch schon einmal veröffentlicht. Die Zeit war reif dieses Buch umzuschreiben und zu ergänzen, um es noch einmal einer breiten Leserschaft vorzulegen.

Es ist keineswegs eine Abhandlung, wann welcher luxemburgische Autor seine Werke vorgelegt hatte. Es ist ein satirischer Einblick ins Verlagswesen Luxemburgs. Der namenlose Ich-Erzähler macht einen Cut, zieht einen Schlussstrich. Beziehungsweise macht seine Freundin mit ihm Schluss und er die Herausforderung an einiges zu ändern, was sie an ihm zu bemängeln hatte. Spötter könnten jetzt meinen, warum nicht gleich so? Dann wäre Hammond, so der Name der Ex, noch bei ihm. Bleibt die Frage, ob er es auch so haben wolle.

Luksbuks ist der neue Arbeitgeber. Luxuriös ist hier nichts. Aber luxemburgisch. Frisch ans Werk heißt es für den Erzähler. Neuer Job, neues Leben, neue Herausforderung – wie man heutzutage gern (und zu oft sagt), wenn man nicht weiß, was einen erwartet, wie man sich selbst dazu positionieren soll. Der Knackpunkt ist, dass der Erzähler und Bücher bisher keine Beziehung zueinander hatten. Nicht mal als Dekorationsobjekte kamen sie ihm unter die Augen. Hammond war da anders. Obwohl sie so weit weg von ihm ist, blitzen immer wieder Gedanken in ihm auf, die Hammond klar und deutlich und gar nicht weit weg erscheinen lassen.

Doch Bücher lesen und lieben und sie als Vertreter an den Mann, die Frau, die Geschäfte zu bringen sind zweierlei. Glück gehabt! Oder doch nicht? Wie soll man etwas verkaufen, das man selbst kaum bis wenig – wenn überhaupt – kennt?

„Kleine luxemburgische Literaturgeschichte“ ist eine Geschichte zum Schmunzeln. Die Nebensätze zielen genau auf die Lachmuskeln des Lesers. Was soll man schon mit der Information anfangen, dass das Fahrzeug einen Heckscheibenwischer mit Intervallschaltung hat? Es sind diese Untertöne, die dieses Buch so unterhaltsam machen. Man muss als Leser nicht zwingend das Verlagswesen, und schon gar nicht das von Luxemburg kennen. Es genügt vollkommen sich den Zeilen des Autors hinzugeben und ihm Schritt für Schritt in eine fremde Welt zu folgen. Der Erzähler tut auch nichts anderes.

Autoren schreiben immer wieder einzelne Passagen um, fügen etwas hinzu, streichen Stellen. Die Zweitauflage ist ein paar Jahre näher an die Gegenwart gerückt. Die Hitparade von 1989 – da erschien dieses Buch erstmals – ist im Buch ein rückblickender Seufzer. Mit diesem Wissen im Hinterkopf werden die zweihundertdrei Kapitel – ungelogen, das Buch hat tatsächlich so viele Abschnitte – zu einem wilden Ritt auf der Klaviatur des hintersinnigen Humors.

Mit Jean-Claude auf der Hühnerstange

Die kuriosesten, die beliebtesten, die ungewöhnlichsten Orte der Welt. Diese Titel in den Wühltischen der Buchhändler nimmt man gegebenenfalls nur mit, wenn der Preis unter dem der Parkuhr liegt. Inhaltlich bieten sie auf maximal zehn Prozent der Seiten einen wirklichen Mehrwert. Und nun ein Buch über Luxemburg? Ein Land, das man, wenn man zu spät bremst, schon wieder verlassen hat?

Ja! Und zwar zu Recht! Im Wust der 100er oder 111er Bücher sticht dieses kleine Büchlein nicht allein wegen der Gestaltung hervor, sondern vor allem wegen seines wirklich kuriosen und detailliert recherchierten Inhalts hervor. Muss man dabei haben, wenn man das einzigartigste Großherzogtum der Welt (ein weiterer Titel der Wasserschweine – der Name capybarabooks stammt von den possierlichen Tieren) besucht.

Susanne Jaspers und ihr Begleiter, es handelt sich dabei um Georges Hausemer, der für das eben erwähnte Buch über das einzigartigste Großherzogtum verantwortlich zeichnet, suchen nicht nur nach Kuriosem, sie finden es auch bzw. lassen sich finden. Wer sonst sucht schon in Luxemburg nach dem Kongo? Doch sollen Baobabs, Affenbrotbäume wachsen. Tun sie aber nicht. Vielmehr findet man an Ort und Stelle ein Geburtshaus. Und zwar von einem, der im Kongo war. Wer? Steht im Buch.

Bleiben wir noch ein wenig bei Zahlen, also Büchern, die im Titel mit einer griffigen Anzahl von Sehenswürdigkeiten (meist dreistellig, am besten eine Schnapszahl). Oft wundert sich man über die Inschriften an Gebäuden. In Ermangelung der Sprachkenntnisse tut man es als Lobhudelei an den Bauherren oder den Baumeister ab. In der Hauptstadt Luxemburgs, Luxemburg, genauer in der Rue de Glacis steht eine Felswand. Hübsch anzusehen, aber nur nicht wirklich das Highlight eines Luxemburgbesuches. Doch eine Tafel regte bei der Autorin und ihrem Begleiter die Neugier an. Denn einige Buchstaben waren großgeschrieben. MItten Im Wort! So viel offensichtliche Geheimniskrämerei sucht ja gerade die Herausforderung. Die Lösung wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel. Wer in der ersten Klasse bei der allerersten Grundrechenart, die man gelehrt bekam, aufgepasst hat, hat schon mal den ersten Summanden…

Kuriose Orte brauchen eine besondere Art der Zuwendung. Sei, um sie zu erhalten, sei es, um sie darzustellen. Susanne Jaspers Aufgabe ist es diese Orte aufzuspüren und dem Leser, der sich schon beim Lesen in einen Besucher transformiert, diese Orte näher zu bringen. Luxemburg an einem Tag – das war einmal. Von nun an ist Luxemburg eine mehrwöchige Destination mit hohem Bildungs- und Erholungswert.

Ach ja, und die Hühnerstange … da kommt niemand drauf, was damit auf sich hat.

Luxemburg – Das einzigartigste Großherzogtum der Welt

Kennen Sie Luxemburg? Ja, das ist das kleine Land im Westen, das von Frankreich und Belgien an Deutschland gedrängt ist. Geographisch gesehen ist nichts einzuwenden. Doch die Frage war ja nicht wo liegt Luxemburg, sondern, ob Sie es kennen? Also nein! Gut. Aber schon mal davon gehört?! Klar, immer wenn es in den Nachrichten um Europa geht. Gähnende Langeweile, dieses Europa. Urlaub ohne Geldtauschen – mehr fällt einem dazu nicht ein. Und zu Luxemburg? Ähm, … die Hauptstadt heißt wie das ganze Land. So wie in Mexiko. Dort ist es toll. Und warm. Und das Essen ist scharf. Stop! Wir schweifen ab. Ja Luxemburgs Hauptstadt heißt Luxemburg. Und weiter! Nichts!

Okay, etwas übertrieben! Ein Mauerblümchendasein fristet das 83 mal 57 Kilometer große Luxemburg ist sehr wohl im Bewusstsein der Europäer angekommen. Schon länger. Aber so richtig viel weiß man trotzdem nicht. Auch gibt es exzellente Literatur über unseren „kleinen Nachbarn“. Jeder ein Kleinod für sich. Doch Land und Leute lernt man nicht in einem Bildband kennen. Die Sehenswürdigkeiten werden in Reisebänden nur gestreift.

Hier kommt Abhilfe: „Luxemburg das einzigartigste Großherzogtum der Welt“. Klingt mutig. Zumal es von dieser Art nicht viele gibt. Genau genommen gibt es nur ein Großherzogtum. Platz Eins ist insofern schon mal sicher!

Auch dieses Buch kann sich berechtigte Hoffnungen machen die Charts der Luxemburgensia zu erklimmen! Ein buntes Potpourri an schrägen Geschichten, echten Hinguckern und messerscharf beobachteten Eigenheiten des Landes wurde hier von den Autoren zwischen zwei Buchrücken, nicht gepresst, sondern verführerisch dargeboten. Wehrhafte Burgen werden hier gleichermaßen angepriesen wie kleine Dörfer, deren Einwohnerzahl locker an einer Hand abzuzählen ist. Die Einzigartigkeit eines Zoos ist mindestens genauso wichtig wie ein Interview mit Désirée Nosbusch, dem charmanten Exportschlager aus der einflussreichen Medienszene. Apropos Zoo. Der Verlag capybara books, der dieses Buch komplett verantwortet, hat hier zwar nicht seinen Ursprung, dennoch ein ganz enge Verbindung zu einigen Bewohnern.

Sportlich ist Luxemburg nur selten, in jüngster Vergangenheit eher zweifelhaft in Erscheinung getreten. Man denke nur an die Vöckler-Pedalritter. Im Fußball ist Jeunesse Esch eifrigen Ergebnis-Fetischisten ein Begriff. Willkommener Erstrundengegner, denn der Seriensieger in Luxemburg spielt international eine eher untergeordnete Rolle. Aber ein schickes Stadion haben sie hier, um das sie so mancher beneidet. Die Bergarbeiter bestimmten von jeher hier das Bild. Trist kam dieser Landstrich daher. Heute, die Bergwerke haben noch historischen Wert, abgebaut wird hier schon lange nichts mehr – außer ein paar Pfunden beim Bocciaspielen – ja heute, ist es hier bunt und lebendig. Fast schon südländisch. Die Italiener haben hier ihren Einfluss geltend gemacht. Bis hin zum Wappen des Fußballvereins Jeunesse. Schwarz und Weiß – wie Juventus Turin.

Man kann es Mulitkulti nennen. Oder den gelebten europäischen Gedanken. Wer Luxemburg als langweilig bezeichnet, kennt weder Land noch dieses Buch. Über 250 Seiten Appetitmacher auf ein Land, das sich immer noch schwertut eine eigene Identität zu definieren, aber so unglaublich abwechslungsreich ist, dass die geringe geographische Größe dem staunenden Auge ein Schnippchen schlägt.

Und wenn man das Buch mehrmals gelesen hat, kann man die Eingangsfrage auch ganz leicht beantworten: „Ja, ich bin ein Zapper!“ Was das ist? Schauen Sie ins Buch!

Fuchs im Aufzug

Endlich wieder zurück zuhause. Vorbei die ungewöhnlichen Abenteuer, die fremden Handlungen, alles vorbei. Georges Hausemer ist ein Weltreisender, dessen Reisepass vor Einreise-Stempeln überquillt. Wirklich alles vorbei?

Nein! Natürlich nicht! Er schwenkt um: Vom „Read global“ zu „write local“. Seine Erfahrungen aus der Fremde, die er – nach allem, was er erlebt hat – nicht als Fremde bezeichnen würde, wendet er sich den kleinen Geschichten vor der Haustür zu. Immer gewürzt mit einer Prise Wissen aus der geographischen Ferne.

Sechzehn Geschichten vereint der Band „Der Fuchs im Aufzug“. Sie können überall spielen. Überall dort, wo der Autor zuhause ist. Luxemburg, Deutschland, Spanien. Austauschbar hingegen sind sie nicht. Denn der Alltag seiner Protagonisten ist anders und doch vertraut: Menschen, die ohne eigenen Namen durch Leben gehen. Erzähler, die sich schwertun, dem Gegenüber eine klare Haltung einzunehmen. Beim Lesen setzt man öfter mal ab. Kennt man selbst solche Situationen? War man schon einmal in einer ähnlichen Lage? Jein! Ganz entschieden, JEIN!

Die Kunst der Banalität aus dem Weg zu gehen, macht diese Geschichtensammlung zu einem mehr als lesenswerten Objekt der Neugier. Man muss ich nicht erst ewig einlesen, um der Geschichte folgen zu können. Der Soundtrack des Lebens führt den Leser schwungvoll von Geschichte zu Geschichte, von Mensch zu Mensch, von Moment zu Moment. Man hat es selbst in der Hand den Zeitenlauf kurz anzuhalten, zumindest zu verlangsamen.

Zeit Rückschau zu halten, Zeit nach vorn zu blicken, Zeit den Augenblick gewähren zu lassen. Als Leser ist man gleichermaßen Voyeur und Akteur. Man versteckt sich hinter den Seiten und blickt ins Klare der Geschichten. Andererseits ist man nur Zuschauer, Begleiter. Denn so normal der Alltag ist, so ungewöhnlich sind die Vorgänge in ihm.

Rost

Rost - Guy Helminger

Effehzweiodrei! Nochmal? Eff Eh Zwei O Drei. Oder einfach nur Rost. Es dauert eine Weile um aus Eisen und Sauerstoff eben diesen Rost herzustellen. Ein spannender Prozess .. für Chemiker … und alle, die genug Zeit haben dies zu beobachten. Da kann so einiges passieren.

Im Gegensatz zum chemischen Prozess der Transformation, ist der Weg der Protagonisten dieser Kurzgeschichten allerdings um einiges spannender! Zum Beispiel ein Junge, der kühn und keck behauptet eine Berühmtheit zu sein. Alle sind verwundert. Nehmen ihn auf den Arm. Der und berühmt. Sie fühlen sich sicher, ihres Sieges sicher. Bis er seine Behauptung effektvoll untermauern kann.

Oder: Stellen Sie sich vor, Sie liegen im Gras. Lauschen dem Wachsen der Grashalme. Eine weitere Person ist für Sie sichtbar. Alles ist weiterhin ruhig – Achtung Spoiler-Alarm! Es bleibt auch ruhig! Doch dann kommt irgendwie der Surrealist in dem Fremden durch. Buñuel und Dalì lassen grüßen!

Guy Helminger lässt den Leser zappeln. Und als versierter Preise-Angler lässt er ihn auch nicht mehr vom Haken. Für die Geschichtensammlung „Rost“ erhielt Guy Helminger unter anderem den Prix Servais, den Förderpreis des Landes Baden-Württemberg.

Wenn einem das Schicksal ereilt, muss man sich ihm stellen. Guy Helminger lässt dem Leser viel Spielraum für das, was dem Schock, dem Unerwarteten, dem Bösen folgen kann. Ihm geht es um das davor. Menschen sehen es auf sich zukommen, nehmen es wahr. Doch die Verarbeitung dessen, was da anrollt, dauert. Zu lange! Alles ist so ungewöhnlich, dass man es gar nicht in seiner Gesamtheit erfassen kann. Abwehrmechanismen greifen nicht, da alles so neu ist. Und es kommt wie es kommen muss: Aus, futsch, vorbei! Das Leben hat eine Kehrtwende gemacht und sich das eine oder andere Mal aus dem Staub gemacht.

Der Effekt steht am Ende des Umwandlungsprozesses. Die Zuspitzung des Konflikts ist das fortwährende Spannungsmoment. Ganz im Sinne der asiatischen Weisheit „Der Weg ist das Ziel“. „Rost“ ist der Weg ins Ungewisse, Guy Helminger ist der Wegbereiter, der Leser ist der nicht immer still bleibende Beobachter. Da werden selbst glücksselige Wasserschweine aus ihrer Lethargie gebracht…

1914 – 1918 Krieg(e) in Luxemburg

Krieg(e) in Luxemburg

Das Jahr 2014 neigt sich dem Ende und somit auch die Berichterstattung zum Ersten Weltkrieg, dem Großen Krieg. Den Abschluss, den würdigen Abschluss bildet dieses Buch, weil es den Krieg aus verschiedenen Perspektiven, aus und in einem Land zeigt, das man nicht unbedingt mit dem Großen Krieg in Verbindung bringt: Das Großherzogtum Luxemburg.

Luxemburg war keines der kriegstreibenden Länder. Es war Auf- und Durchmarschgebiet besonders für die deutsche Armee. Die Schwerindustrie in dem verhältnismäßig kleinen Land war jedoch maßgebend. Das Buch ist in Zusammenarbeit mit der Université du Luxembourg entstanden. Und in zwei Sprachen, deutsch und französisch, erschienen. Schon beim Durchlesen der Inhaltsangabe staunt man nicht schlecht wie viele Aspekte man zu diesem Thema erörtern kann: Fotografie, Prostitution (ohne dabei einen Zusammenhang herzustellen), Landwirtschaft, Rotes Kreuz, um nur einige zu nennen.

Fotografie war Waffe, Dokumentationsmittel, Aufklärungswerkzeug und Propaganda zugleich. Auch von Luxemburger Seite wurde getrickst. Als besetztes Land durchaus erlaubt. Von allen Fronten wurden Postkarten an die Daheimgebliebenen geschickt – heute sind diese Funde Zeugnisse einer grauenhaften Epoche.

Der Prostitution konnte man auch hier nicht Herr werden. Ein Gesetz verbot zwar das „Geschäft mit der Liebe“, aber nicht überall. Zum Beispiel wurden Gaststätten ohne Alkohollizenz von dem Verbot ausgenommen. Auch so genannte Cremerien, dem Pedant zur Patisserie. Schlupflöcher lauerten schon damals überall.

Die Misere der Landwirtschaft wird anschaulich durch Tabellen dargestellt. Die Anzahl der Milchkühe sank um zwölf Prozent, die der Schweine sogar um mehr als ein Drittel. Auswirkungen, die mit dem Ende des Krieges nicht abgeschafft waren.

Die achtzehn Autoren dieses interessanten Buches lassen die Fakten für sich sprechen. Anhand von Tabellen, Zeitungsausschnitten, Buchtexten und zahlreichen anderen Quellen umgehen sie die Fallen des Wiederauflebens dieser schrecklichen Zeit. Sie bilden lediglich ab, was wirklich passierte und rücken die Sachlage zurecht.

Drei Worte hin und her

Drei Worte hin und her

Von Schweden nach Irland auswandern – für viele stellt sich die Frage ob Schweden oder Irland. Linn wohnt in Schweden. Ihr Mann wird nach Irland versetzt. Viel kann sie der kargen Landschaft nicht abgewinnen. Die Tradition des morning coffee lässt Linn ein wenig Hoffnung schöpfen. Dann treffen sich in dem kleinen Nest, in das es Linn und ihren Mann verschlagen hat, die Damen und schwatzen. Doch so richtig angekommen fühlt sie sich nie. Auch nicht als Michael Quigley in ihr Leben tritt. Doktor Michael Quigley. Nicht der Titel reizt sie, vielmehr seine Art. Er passt so gar nicht hier her. Verschlossen sind die Anderen. Michael ist offensiv, fast schon zu sehr. Beide spüren eine innere Verbindung miteinander.

Bei üblichen Liebesschnulzen würde man wohl jetzt „Bauchkribbeln pur“ lesen. Nicht bei Margret Steckel. Sie lässt Linn nachdenken, zweifeln, verlangen. Denn so schön das Gefühl begehrt zu werden, zu lieben ist, so gefährlich ist auch dieses Spiel.

Denn auch Michael ist verheiratet. Hat sogar Kinder. Linn nicht. Linns Mann ist oft unterwegs. Das ist die schlimmste Zeit für sie. Denn dann hat sie keinerlei Ablenkung. Dann denkt sie an und trifft sich mit Michael.

Zerwühlte Betten sind nicht Margret Steckels Ding. Ihre Helden denken sich durch ihre Liebe. Was wäre wenn? Die Konsequenzen spielen hier eine genauso große Rolle wie augenblickliche Gefühle. Ein starker Roman, der das Vorurteil der seichten Liebesromanlektüre ad absurdum führt. Wohl geformte Sätze verschmelzen im zarten Liebestaumel zu grandiosen Einblicken in die Seele zweier Königskinder. Und die berühmten drei Worte sind letztendlich nicht mehr als ein Ping-Pong-Spiel zwischen ihnen.

Der Suppenfisch

Der Suppenfisch

Es gibt Titel, da weiß man sofort worum es geht. Dann gibt es Titel, da meint man zu wissen, wovon das Buch handelt. „Der Suppenfisch“ – klar, da geht es um einen Fisch, der gekocht werden soll. Als schmackhafte Suppe die hungrigen Mäuler stopfen. Doch da liegt man falsch.

Hätte man aber auch ahnen können, denn Georges Hausemer ist nicht dafür bekannt, dass er in seinen Geschichten das Offensichtliche in den Vordergrund stellt.

Ein Mann liegt – wie es Georges Hausemer so poetisch beschreibt – in den letzten Kurven seines Lebens. Er lässt sein Leben noch einmal Revue passieren. Denkt an den Krieg, an Reisen in ferne Länder, an Geschmäcker, die er vergessen zu haben schien. Sein Leben war und ist dreidimensional. Es geht Auf, und es geht ab. Mal ein Schwenker nach links, mal einer nach rechts. Und manchmal geht es schräg nach rechts hoch, um anschließend nach links unten seine Fortsetzung zu finden. Der Mann, der hier erzählt, weiß anfangs noch nicht, dass er sein Leben erzählt. Ein Abschlussbericht. Vielmehr hat er nun, da er seinen Alltag im liegen verbringt, viel Zeit, um zu erzählen.

Beim Lesen kommt man automatisch ins Grübeln, was ist echt, was erfunden. Spielt das Gehirn dem Erzähler einen Streich, wenn er von Fußballstadien, Flugzeugabstürzen und anderen Katastrophen erzählt? Oder erinnert er sich nur an die Busby Babes? 1958 kam bei einer Flugzeugkatastrophe die Mannschaft von Manchester United ums Leben. Georges Hausemer lässt vieles offen – gut für den Leser. Der kann so raten, mitfühlen, sich für das eigene Ende wappnen. Das Wort Tod zu vermeiden wird hier zur Kunstform erhoben. Dass es bald zu Ende belibt niemanden verborgen.

Und der Suppenfisch? Der schwimmt munter und froh zwischen den Zeilen herum. Immer wieder reißt er sich von der Leine der Erinnerung los, verschwindet im Dickicht der Phantasie. Dann taucht er keck wieder auf. Dreht dem Angler ‘ne Nase.