Der Malteser Falke

Es wäre ein Frevel all die wunderbaren Worte, die jemals zu diesem Klassiker geschrieben wurden, noch einen Satz (zum Inhalt) hinzuzufügen. „Der Malteser Falke“ ist nun mal das Nonplusultra der Kriminalliteratur. Sam Spade ist das, was man bis in die heutige Zeit (der Roman wurde 1930 geschrieben, feiert also bald sein Centennial) als Urtyp des Schnüfflers bezeichnet. Wenn er Nerven zeigt, dann niemals nach außen hin. Und wenn er es doch einmal tut, dann immer (!) aus Berechnung. Er lässt sich täuschen, Frauen lassen ihm manchmal keine andere Wahl, doch wenn er sie durchschaut, dann hat das Schätzchen ein für allemal ihre Trümpfe ausgespielt.

Lockt man ihn auf eine falsche Fährte, streift er den Schlamm der falschen Spur großzügig und rotznäsig am feinsten Teppich des Täuschers ab. Großmaul und coole Socke mit blitzgescheitem Verstand. So wollen alle sein, so ist es aber nur einer. Und gerade der ist nicht einmal echt. Sein geistiger Vater Dashiell Hammett war selbst Detektiv, Privatermittler, Schnüffler bei Pinkerton. Acht Jahre lang. Die Lehrjahre waren so fruchtbar, dass seine zweite Karriere als Schriftsteller seinen Namen bis heute erschallen lässt. Leider war sein politisches Engagement und die damit verbundene Hetze und Zensur der McCarthy-Ära auch sein Todesurteil.

„Der Malteser Falke“ – eine Skulptur, die mehr verbirgt als sie preisgibt, eine Fälschung, Lug und Trug, Lügen über Lügen, Mord und Verrat – ist das prallste Krimipaket, das man erwerben kann. So echt kann das wahre Leben gar nicht sein. Hat man erst einmal kapiert, das eine Wendung im Roman lediglich eine Wendung ist, kommt man so richtig in Fahrt beim Lesen. Das Blondchen und der gerissene Hehler, der Auftraggeber und die ahnungslosen Cops spielen mit Spade Tennis, dass ihm die Schädeldecke platzt. Doch es ist der Ball, der die Punkte liefert! Sam Spade ist, nachdem sein Compagnon das Zeitliche segnen musste, zum Einzelkämpfer geworden. Das war er vielleicht schon immer. Doch die aktuelle Situation fordert den ganzen Spade. Gesetzestreue – pah! Sch… drauf! Die eigene Haut muss gerettet, um nicht zu Grabe getragen zu werden. Wer „Der Malteser Falke“ nur mit Humphrey Bogart in Verbindung bringt, dem sei geraten mehr als nur ein paar Seiten in diesem Buch umzublättern. Denn hier ist der wahre Sam Spade zu Hause, auch wenn Bogey der einzige wahre Schauspieler war, der ihn verkörpern konnte. Womit wir auch schon beim baldigen Jubiläum wären. Nur noch ein paar Jahre bis dieser Klassiker die Hunderter-Marke überspringt. Und garantiert lagert in irgendeiner Schublade schon die nächste „revolutionäre“ (gegenderte, political correcte) Neufassung. No, Neuübersetzung – wie in diesem Fall – gern und immer wieder, bitte. Aber um Hammets Willen bitte keine Neuverfilmung!

Doppelleben

Der Klappentext eines Buches soll Appetit auf das Buch. Man liest worum es geht, wer mit wem, und warum. Und man erfährt etwas über den Autor. Des Öfteren liest man dann auch welche Preise er gewonnen hat. Welchen rang diese Preise haben, bleibt oft verborgen. Natürlich sind es alle renommierte Preise. Den Prix Goncourt allerdings sollte man nicht sofort wieder aus dem Gedächtnis streichen. Wer den in Frankreich erhält, der darf sich tatsächlich was darauf einbilden. Hier nun die Geschichte, die hinter den Namensgebern steckt:

Es sind die Brüder Jules und Edmond Goncourt. Mitte des 19. Jahrhunderts residieren sie in einem durchaus vorzeigbaren Haus vor den Toren von Paris. Sie sind regelmäßig Gast im Salon der Cousine des Kaisers. Zola, Balzac und andere Größen zählen zu ihrem engen Bekanntenkreis. Die Literatur ist für beide mehr als nur ein Steckenpferd. Für Edmond, den Älteren der beiden, ist es die ewige Suche nach dem perfekten Wort. Jules ist nicht minder interessiert, jedoch ist er der weitaus Lebensfreudigere der beiden Brüder. Er treibt Sport und es mit so mancherlei Dirne. Edmond verabscheut Sport, jedoch nicht die Gesellschaft illustrer Damen. Fast könnte man meinen, sie wären Zwillinge. Doch sie trennen mehr als acht Jahre.

Bei einer seiner Amouren (nennen wir es einmal so, in Wahrheit war es doch eher ein Geschäft auf Dienstleistungsbasis) hat sich Jules ein dauerhaftes Souvenir eingehandelt. Nach und nach bemerkt er wie das Hantelstemmen ihm Mühe bereitet. Edmond bemerkt es auch, doch ihm ist ja Sport nicht so wichtig.

Das allabendliche Mahl dient beiden zum Austausch über ihr Leben, sie scherzen, lästern, machen Pläne. Und sie plaudern über ihr Dienstmädchen. Über sie werden sie einen Roman schreiben. Obwohl sie kaum etwas wissen über ihr geheimes Leben … was nebenbei gesagt, fast noch spannender ist als das ihre.

Als Jules immer schwächer wird, schreibt Edmond jedes noch so kleine Detail in ihr gemeinsames Tagebuch. So ist bis heute jedes noch so kleine Vorkommnis für die Nachwelt erhalten. Für Alain Claude Sulzer ist es die Fundgrube gewesne, die ihn antrieb einen Roman über die Bruder zu schreiben, deren Name den größten Literaturpreis Frankreich ziert. So ausschweifend das Leben des Bruderpaares war, so detailliert schildert er ihr gemeinsames Leben in der selbst geschaffenen Blase ihres Gemäuers. Die Blase platzt aber nicht. Dafür haben die beiden Junggesellen gesorgt. Als Chronisten ihrer Zeit sind sie unantastbar. Als Schriftsteller sind sie zu höherem berufen…

Rote Erde

Die Geister, die ich rief … die wurde Elihu Willsson nicht mehr los. Ihm gehört Personville, was man auch gern Poisonville nennt. Warum, das wird der Privatdetektiv ohne Namen schon noch erfahren. Er erfährt es kurz nachdem der Termin mit Donald Willsson, der Sohn von Elihu Willsson, den kurz zuvor noch einmal bestätigten Termin platzen ließ. Zur Ehrenrettung des potentiellen Auftraggebers – Donald Willsson – muss man aber sagen, dass er eine verdammt gute Entschuldigung hat. Er ist tot! Erschossen!

Nun schlendert der Ich-Erzähler und Privatdetektiv zusammen mit Bill Quint, Gewerkschafter der alten Schule, durch den Ort – Personville – der den Willssons gehört. Ihnen gehört die Mine, die Zeitungen, einige Politiker … einfach alles. Der Traum eines skrupellosen Geschäftsmannes. Vor Jahren kam es – und hier kommt man dem Ursprung nach der schleichenden Umbenennung des Ortes in Poisonville auf die Spur – zu Aufruhr unter den Arbeitern. Sie wollten sich nicht mehr alles gefallen lassen. Ein harter Arbeitskampf war die Folge, aus dem die Arbeiter als Sieger hervorgingen.

Jahre später wendete sich das Blatt. Willsson senior ließ seine Muskeln spielen. Die Fabrik wurde geschlossen, die Zugeständnisse wurden zurückgenommen. Es drohte ein Streik. Es kam zum Streik. Monatelang. Dann wurde es dem harten Hund zu viel. Er schickte Streikbrecher, sogar die Armee rückte an. Was letztendlich half, waren bezahlte Schläger. Die brachten wieder „Ordnung und Ruhe“ in das trostlose Personville. Doch die Banden blieben. Sie hatten für Ordnung gesorgt, also gehört ihnen jetzt die Stadt – so ihre verquere Logik. Und seitdem ist Personville nicht nur äußerlich keine Schönheit, sondern auch im Inneren ein Paradebeispiel für Verkommenheit erster Kajüte. Wohl deswegen wollte Donald Willsson wohl mit dem Schnüffler aus dem fernen San Francisco reden. Ist nur eine Vermutung.

Allein das Setting dieses Klassikers, die schnörkellose Sprache, das bedrohliche Fortführen dieses Ansatzes lassen dem Leser keine andere Wahl als sich in den Seiten des Buches einzuigeln. Ja, es ist kein Blümchenpflücken, und ein happy end ohne Blessuren scheint es wohl auch nicht zu geben. Dieser namenlose Ermittler jedoch ist mit allen Wassern gewaschen, die wiederum werden die Schuld, die er noch auf sich laden wird nicht hinfortschwemmen können. Es wird hart, fies, selbstgerecht, blutig … bis die Erde rotgetränkt ist.

Germaine de Staël – Eine moderne Frau zur Zeit Napoleons

So eng können Glück und Unglück zusammenliegen. Die Biographie von Germaine de Staël ist ein wahrer Thriller. Drei Wochen nach Ostern 1766 wurde sie in eine Familie hineingeboren, die es ihr schon im Jugendalter erlaubte sich bilden zu können und in Kreisen natürlich zu verkehren, die kaum privilegierte hätten sein können. Ihr Vater war Banker, später Politiker. Die Werke von Montesquieu waren als 15jährige mehr als nur ein Zeitvertreib. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon eine Komödie geschrieben.

Wer die ersten Seiten der Biographie von Christiane Landgrebe gelesen hat, dem kommen Zweifel an der aktuellen vergleichbar privilegierten Jugend der Gegenwart.

Germaine entwickelt sich zu einer jungen Frau, die die Ideale der Revolution – und schon bald folgt auf das Glück der frühen Jahre das Unglück der neuen Zeit – für sich entdeckt. Doch das Hin und Her dieser Zeit und die arrangierte Ehe mit einem schwedischen Adeligen zehren an ihr. Sie reist und lebt in Europa, sie lernt Schweden, England und Russland (nicht immer freiwillig)  kennen und erkundet Deutschland. Was ihr später hilft ein Standardwerk über die Deutschen zu schreiben. Dieses Buch – „De L’Allemagne“ – wirkt bis heute nach. Die Sicht der Franzosen auf die Deutschen ist in abgeschwächter Form noch heute bemerkbar.

Als Napoleon abermals an die Macht kommt, ist ihm dieses Werk ein Dorn im Auge. Abermals muss Germaine ihre Heimat verlassen. Privat verläuft ihr Leben lang auch nicht alles nach Plan. Ihre erste Tochter stirbt im Alter von zwei Jahren. Die Jüngste heiratet wie ihre Mutter in höchste Kreise. Im Alter von fünfzig Jahren erleidet sie einen Schlaganfall, an dessen Folgen sie im Sommer 1817 stirbt.

Es ist erstaunlich wie schnell die Geschichte große Persönlichkeiten in Vergessenheit geraten lässt. Nicht minder erstaunlich ist es aber auch, dass selbst mehr als zweihundert Jahre nach ihrem Tod es immer noch möglich ist, derart fundiert über sie berichten zu können. Christiane Landgrebe gelingt es faktenreich und eloquent dieser hinter dicken Schleiern versteckten Frau abermals eine Bedeutung zukommen zu lassen, die ihr auch gerecht wird. Germaine de Staël war einflussreich. Wenn auch nicht in erster Reihe stehend, so war sie es, die in ihrem Salon die Strippenzieher empfing und ihnen in Nichts nachstand. Und dass sie doch nicht komplett in der Versenkung verschwand, beweist einmal mehr, dass Beharrlichkeit sich letzten Endes auszahlt. Das macht Mut! Auch und gerade für die jetzige und die kommenden Generationen.

Bruno chef de cuisine

Kochlöffel im Anschlag, die Kelle griffbereit, die Geschmacksnerven geschärft, bereit zum Abfeuern der lukullischen Aromabombe. Dieses Kurzgeschichten mit dem gewieften, empathischen Dorfpolizisten Benoît Courrèges, kurz Bruno, sind gehaltvoller als so manches Viel-Gänge-Menü.

Als Bruno-Kenner weiß man um die Leidenschaft des Ermittlers um die Gaumenfreuden. Wenn er einlädt, kommt ganz Saint-Denis. Und wenn alle gesellig in der Runde sitzen – und nicht gerade mal wieder ein Mord die Stimmung in Stücke reißt – gibt es nur ein Thema: Kochen. Bruno kocht gern, und oft, und exzellent. Nicht wenige Leser seiner Abenteuer mussten schon das Buch absetzen, um einmal kräftig zu schlucken. Und sich zu schwören bald schon das eine oder andere Rezept nachzukochen. Dafür gibt es auch die Kochbücher…

Hier kommen nun Kurzgeschichten auf den Tisch, die teils schon in Anthologien erschienen sind, der Großteil aber eigens für diesen Band geschrieben wurden. Martin Walker lässt Bruno in ganz besonderen Fällen wie dem Schokoladenkrieg ermitteln. Klingt dramatischer als es ist. Und am Ende werden nicht Wunden geleckt, sondern Kaffee mit Schokolade getrunken.

Dem Geheimnis von Chabrol – gemeint ist nicht der legendäre Regisseur Claude Chabrol – kommt man gemeinsam fast auf die Spur. Jeder der Freunde Brunos, von denen Bruno unzählige hat, kennt eine eigene Version dieses Brauches, der im Périgord immer noch verbreitet ist. Es geht um gutes Essen, einen hervorragenden Roten dazu und die richtigen Zutaten für eine gehaltvolle Suppe, die jeden Arzt überflüssig machen lässt. Doch welche Legende nun vollends der Wahrheit entspricht – es wird wohl der einzige ungelöste Fall in Brunos Karriere bleiben!

Martin Walker muss sich dieses Mal zusammenreißen. Wo sonst ausufernde Beziehungen zahlreiche Menschen in Verbindung bringen, um einen Fall zu kreieren (und zu lösen!), sitzt er im goldenen Käfig der Kurzgeschichten. Nur wenige Seiten Platz, um herumzustreifen und Bruno einen kniffligen Fall nach dem anderen vorzulegen. Doch Bruno wäre nicht Bruno und Martin Walker wäre nicht Martin Walker, wenn diese Herausforderung nicht zu meistern wäre. Eine gelungene Zwischenmahlzeit um die Zeit bis zum nächsten „großen“ Abenteuer mit Bruno chef de police gebührend zu überbrücken.

Hier und anderswo

Man spürt es ab der ersten Seite, ach was, aber der ersten Zeile: Thomas Michael Glaw reist gern. Und oft. Und er kann viel erzählen. Nicht über das, was man sehen muss, was jedem früher oder später vor die Augen kommt, sondern über das, was man suchen muss und finden kann. Und vor allem über das, was zu beachten ist. Reiseimpressionen mit Lerneffekt. Doch so statisch sollte man dieses kleine Büchlein nicht angehen. Es ist eine Art Hilfestellung für Reisenovizen wie alte Hasen, die über diejenigen lachen, die Catania in Spanien oder Griechenland verorten (die gibt es wirklich! Und das nicht zu knapp!).

Hier sind sie also die gesammelten Impressionen (Auszüge davon) eines Reiselebens. Von München nach Wien im Flieger? Niemals. Im Zug reist man entspannter, und auch nicht viel länger, wenn man die Eincheckzeiten und die Fahrten zum und vom Flughafen einberechnet. Und mit der ÖBB sogar pünktlich, freundlicher … einfach entspannter. Reisen als Sinnesrausch im positiven Sinn. Denn auch eine Zugverspätung kann eine Reise in einen Rausch verwandeln – Stichwort Blutrausch.

Wiens erster Bezirk hat für ihn den Rausch der Vergangenheit gegen die Tristesse des Übers eingetauscht. Übervolle Straßen, übermäßig viele Verkäufer, die überteuerte Tickets verkaufen, überall nur Touristen, die überhaupt kein echtes Wien mehr ans Tageslicht kommen lassen. Dennoch sind Wien und seine Cafés immer noch berauschend. Es sind halt nur andere Cafés, wo man sich zur morgendlichen Stunde Gazetten und Braunen einverleiben mögen möchte.

Südspanien im Winter ist ein feuchtes Vergnügen. Manchmal auch ein feuchtfröhliches, wenn man der Sprache nicht mächtig ist und aus Versehen etwas bestellt, was einen übermäßig beansprucht.

Roma als Amor zu verstehen, fällt leicht, wenn man die Ewige Stadt einmal besucht hat. Oder mehrmals. Die Stadt für sich allein hat man niemals. Es sei denn, man besucht einen Friedhof. Doch auch da ist Achtsamkeit angeraten. Furbo und Pignolo können einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen oder gar die letzten Reste davon rauben. Der Eine mogelt sich durch (und kommt damit auch immer durch), der Andere ist ein Pedant, den man so in Italien gar nicht vermutet. Eine köstliche Charakterstudie des Autors.

„Hier und anderswo“ ist ein kurzweiliges Lesevergnügen für alle, die Bestätigung suchen und/oder vor der Entscheidung stehen in alle Himmelsrichtungen zu flüchten. Knigge-Fallen lauern überall (da ist es wieder, dieses „über“), nicht hineinzutappen, ist die Kunst. In diesem Büchlein die Fallen zu erkennen, sie umschiffen zu können, ist keine Kunst, es ist fast schon eine Pflicht.

Die leuchtende Pyramide

Wie erzeugt man wahren Schauer? Für Arthur Machen ist die Frage scheinbar mit einem Handstreich zu beantworten: Zwei Männer treffen sich im düsteren London. Sie sind alte Freunde, die sich gern der Literatur widmen. Ihr Gespräch kommt auf den Aberglauben der englischen Landbevölkerung, dem Glauben der Waliser an Elfen und ein verschwundenes Mädchen. Machen gibt noch ein Prise Diebesserie hinzu und lässt die beiden Männer sind in den endlosen, dunklen Wäldern außerhalb Londons herumtreiben. Sie sind wahrhaft phantasiereiche Männer, lassen sich gern in ihren Gedanken treiben. Die Großstadt ist ihnen im Innersten zuwider. Zu viel von allem. Vor allem aber zu viele Reize – in jeder Hinsicht und in einer ganz besonders. Einen Ausweg .. einen Ausweg kennen sie nicht.

Die titelgebende Geschichte „Die leuchtende Pyramide“ entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Arthur Machen war auf seinem schöpferischen Höhepunkt. Vaughan, einer der beiden Männer begegnet Augenpaaren, die sich sprunghaft in einer Mauer vermehren. Das kann einem schon den Tag versauern, wenn man zart besaitet ist. Und um sein Hab und Gut fürchtet. Und dann ist da noch diese Geschichte mit dem verschwundenen Mädchen – ach, es ist zum Haareraufen. So herrlich schaurig!

Fünf weitere Geschichten folgen, darunter auch „Die Kinder des Teichs“, zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht. Hier sind Andeutungen und Vermutungen, Stimmen die Triebfeder den Erzählungen von Meyrick – da ist er wieder, der Name ist Machen-Lesern wohl bekannt – weiter zu folgen. Raus aus der Stadt, rein in die weite Natur. Bis alte Freunde auftauchen und von ihren für alle unverständlichem Erscheinungen berichten.

Arthur Machen versteht es vorzüglich dem Leser das Blut in den Adern gefrieren zu lassen, bloß mit der Macht der Phantasie. Hier sind keine blutrünstigen Racheengel unterwegs, die ihre Hauer ins gepeinigte Fleisch des Schuldigen rammen. Hier wird sehr subtil ein perfides Spiel mit den Sinnen getrieben. Alles ist greifbar und dennoch bekommt man die Teufel nicht zu fassen. Es sind die Teufel, die im eigenen Körper, vor allem aber im Kopf ihr Unwesen treiben. Das schlechte Gewissen? Ha, da freut man sich doch, wenn man selbst davon verschont bleibt und sich am Leid der Anderen laben kann. Literarisch gesehen, natürlich!

Kulturkalender für Baden und Württemberg 2024

Das ist die geballte Ladung Kultur für das Jahr 2024. Wissen über ein Bundesland, das seit Jahrzehnten mit Tradition und Innovation von sich Reden macht. Es ist aber auch ein Kleinod unter den Kalender für 2024. Hier werden nicht großformatig in strahlenden Farben und exklusiven Perspektiven die ohnehin bekannten und weithin sichtbaren Schätze noch einmal präsentiert. Hier zeigen sich Schätze des Landes, die immer da sind und enthüllen ob dieser Präsenz ihr wahres Gesicht.

Das beginnt beim Comic vom Äffle und Pferdle, reicht weiter über eine historische Abbildung des ersten Skilifts und endet noch lange nicht beim erhabenen Anblick auf den Saal des prächtigen Kurfürstlichen Hoftheaters in Schwetzingen.

Eine Woche, ein Bild, und ein historisches Datum. Und da man den Schwaben Sparsamkeit nachsagt, ist nach der ersten Jahreshälfte Umdenken angesagt. Umdrehen trifft es vielleicht besser. Als nachhaltig kann man es auch bezeichnen. Denn die Rückseite der Wochenblätter ist ebenso bedruckt und das zweite Halbjahr kann beginnen. Und zwar – wie könnte es anders sein – mit einer historischen Anzeige der Württembergischen Metallwarenfabrik. Denn am 1. Juli 1814 – der erste Tag des zweiten Halbjahres 2024 ist ein Montag, wie praktisch – wurde der Gründer von WMF, Daniel Straub, geboren.

Dass man sich im „Ländle“ gern weltoffen zeigt, beweist schon wenige Wochen später der August. Hector Belioz – was hat der mit Baden-Württemberg zu tun? Er wurde weder hier geboren, noch feierte er hier die Premieren seiner Opern. Die wurden alle in Paris uraufgeführt. Naja, nicht ganz. „Béatrice et Bénédict“ feierte ihre Uraufführung in … Baden-Baden. Und zwar am 9. August 1862. Aus gutem Grund. Denn das Theater wurde an diesem Tag eröffnet und Berlioz schrieb aus diesem Grund diese Oper.

Nicht ganz so lange ist es her, dass der Südwestrundfunk und der Süddeutsche Rundfunk zum Südwestrundfunk fusionierten. Gerade mal 26 Jahre ist das her – am 31. August 1998. Ein beeindruckendes Werbeplakat von Ernst Toller aus dem Jahre 1927 erinnert an dieses fast schon vergessene Ereignis.

Man kann ihn wenden und drehen wie man will, 2024 wird nicht langweilig. Auch wenn man zurückblickt. Nicht nur in Baden und Württemberg!

Regensburg

Regensburg ist eine dieser vielen kleine Perlen, die man sofort wieder erkennt, wenn man ihren Namen hört. Und doch sind sie nicht die erste Wahl bei Suche nach dem nächsten Urlaubsort. Als Ausflugsziel für ein langes Wochenende sind sie im Allgemeinen und Regensburg im Speziellen fast schon ein Ideal an Erlebniskultur erster Klasse.

Das meint auch Reisebuchautor Christoph Schmidt. Die knapp zweihundert Seiten seines Reisebuches über Regensburg ist vollgepackt mit Erlebnissen, die schon vor der Abreise Appetit auf mehr – auf viel mehr – machen. Und schon die Anreise sorgt für die erste Überraschung. So nah an der Autobahn – und dennoch nicht zu nah – ist kaum eine Stadt. Runter vom modernen Fernweh-Highway und schon ein paar Minuten später findet man sich in einer Kulisse wieder, die mehr Substanz hat als man vermutet. Klar, Donau und Dom sind die weithin sicht- und spürbaren Eckpunkte, die die Orientierung in der einhundertfünfzigtausend Einwohner zählenden Stadt erleichtern. Doch sind sie nicht mehr und nicht weniger als der Beginn einer Reise, die man schnellstmöglich fortsetzen möchte.

Mit Bedacht schreitet man durch die Rokoko-Pracht bei St. Kassian. Der Platz davor ist eine Einladung, um das Auge in alle Richtungen schweifen zu lassen. Christoph Schmidt nimmt sich viel Zeit, um mit dem Leser gemeinsam Details zu suchen und zu erforschen. Dafür ist Regensburg wie gemacht! Und es geht weiter. Im Buch. Ein farbiger Kasten nimmt die Straßenbezeichnungen genauer unter die Lupe. Fröhliche Türken, weiße Lilien, Viereimergasse – man muss vielleicht nicht immer alles suchen. Aber wenn man etwas findet, sollte man nicht die Stirn in Falten legen, sondern ad hoc wissen, wo man nachfragen kann. Die Antwort lautet: Hier, in diesem Buch!

Regensburg ist reich an Histörchen – klar bei dem Alter. Und alles so hübsch und ansehnlich präsentiert. Doch erst bei genauerer Betrachtung kommen die wahren Schätze ans Tageslicht. Immer wieder ist man geneigt die Nase gar nicht mehr aus dem Buch zu nehmen, was fatal wäre. Denn so detailreich das Buch auch ist, die Stadt ist es wert.

Auch kulinarisch. Ob nun die berühmten Bratwüste – ein Muss – oder der ausgiebige Mittagsbraten, auch hier weiß der Autor genau, wo man sich niederlässt, um sich typisch regensburgerisch verwöhnen zu lassen. Egal, ob der Trip nun ein Wochenende oder eine ganze Woche dauert, für jede Dauer des Besuches hält dieses Buch etwas bereit. Ohne diesen Reiseband ist man vielleicht nicht verloren in Regensburg. Aber man verpasst garantiert so manches Highlight, das sich gern im Verborgenen hält, um den wahrhaft Neugierigen vorbehalten ist.

Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt

Was ist das ideale Haustier, wenn man auf die Nebenkosten achten muss? Der Grönlandhai. Er isst nicht mehr als zwei Kekse pro Tag und das leidige Problem leidender Kinder, wenn das geliebte Haustier stirbt, ist von vornherein vom Tisch – der Hai kann hunderte Jahre alt werden. Und er entwischt auch nicht so schnell. Er ist ein Langsamschwimmer. Blöd nur, dass er ein riesiges Gehege, sprich Aquarium braucht. Und dass er unfassbar stinkt. Also doch nicht das ideale Haustier.

Wie wäre es mit einem Wombat? Schon Adorno wünschte sich für den Frankfurter Zoo einen. Doch der so unschuldig aussehende Meister Petz ist ein Meister der Täuschung. Trotz seines behäbigen Aussehens ist er verdammt schnell. Und mit seinem Hinterteil kann er sogar Knochen spalten. Auch nichts fürs Kinderzimmer.

Mit diesen zwei Gesellen eröffnet Katherine Rundell ihr fabelhaftes Buch über die faszinierende Welt der außergewöhnlichen Tiere. Die gaben schon Forschern und Märchenonkeln schon immer Rätsel auf. Dem Strauß wurde nachgesagt durch Anstarren des Geleges dieses auszubrüten. Und Giraffen waren in der Antike eine Mischung aus Kamel und Leopard…

Die Autorin wühlt sich durch die Missverständnisse der Geschichte und kramt so allerlei Kurioses wieder hervor. Ein Fest für alle Anekdotensammler, die sich bei gepflegter Konversation nicht zu schade sind endlose Bonmots zum Besten zu geben. So herrlich altmodisch, dass es schon wieder modern ist. Die Kapitel sind ausreichend lang, und dabei in ihrer Kürze so angenehm zu lesen, dass es sich lohnt immer mal wieder die Seiten durchzublättern. Wenn man früher auf dem Schulhof die Witze der Sketchsendung vom Vortag zu Besten gab, ist man nach dieser Lektüre in der Lage minutenlang im Kollegenkreis mit wahrhaftem Wissen die Anwesenden in seinen Bann zu ziehen.

Warum denn nun die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt, die Antwort auf diese Frage muss man sich selbst erlesen. Köstlicher Lesespaß ohne dabei an den Rand des Profanen zu kommen. Dieses Buch muss man lesen, und sollte man großzügig weiter verschenken.