Paul Hirschhausen – Australien

Ein neuer Bulle ist in der Stadt und in der Literaturszene. Sein Name ist Paul Hirschhausen. Er ermittelt in etwa dort, wo schon Hal Challis ermittelte, im Süden Australiens. Irgendwo im Nirgendwo. Hirsch, wie alle ihn nennen sollen, ist Constable. Das heißt, er ist genau dort, wo es passiert. Und zwar als Erster. Hirsch ist nicht ganz freiwillig hier, warum, das wird stückchenweise preisgegeben. Ach ja, gemocht wird er auch nicht so richtig.
Hirsch ist nicht unbedingt der Musterbulle. Ein Einzelgänger. Unnachgiebig in seinem Beruf. Das ist es aber nicht, was die Sympathiewellen eher glättet. Man bleibt hier lieber unter sich. Kleinere Vergehen werden mal übersehen oder unter den staubigen Teppich gekehrt. Und sein Boss, Kropp, na der ist erst recht nicht begeistert von dem Neuen. Der soll Dreck am Stecken haben.
Constable Paul Hirschhausen ist nicht willkommen, fast schon eigenbrötlerisch, Junggeselle und hat gleich zu Beginn eine ganz harte Nuss zu knacken. Ein junges Mädchen, Melia Donovan, wurde tot am Straßenrand gefunden. Die Ermittlungen verlaufen zäh wie der Asphalt der Straßen unter der sengenden Hitze Südaustraliens. Zum Glück lässt sich Hirsch nicht aus der Ruhe bringen. Man begegnet ihm mit Geringschätzung – na und. Er zieht seinen Stiefel durch!
Paul Hirschhausen würde seine Arbeit nie als akribische Detektivarbeit bezeichnen. Dafür ist er viel zu bodenständig. Er macht, was ihm gesagt wird. Und bisschen darüber hinaus. Bulle sein ist für ihn Berufung, nicht Broterwerb allein. Sein literarischer Kollege Hal Challis hat ein Team, das ihn unterstützt. Constable Paul Hirschhausen muss allein klarkommen. Ganz allein. Denn Freunde oder ihm Nahestehende hat er hier nicht. Zwei Wochen im Abseits – nicht nur geographisch – lassen ihn zu einem lonesome ranger werden, der für das Gute kämpft.
Doch Garry Disher ist kein Schriftsteller, der mit der Pathoskeule wild umherschwenkt. So wortstark der Autor, so wortkarg der Held. Ein Füllhorn an Adjektiven lassen die Hauptfigur vertraut erscheinen. Der Leser ist sofort mittendrin. Kein seitenlanges Vorgeplänkel, wer mit wem warum etc. Es geht gleich los. Und immer die Frage: Was steckt hinter der Neuanstellung des Constable Paul Hirschhausen? Doch ein Meister der Parallelstränge wie Garry Disher lässt den Leser nicht lange zappeln. Schon bald ergibt sich für den Leser ein halbwegs klares Bild. Auch was den Mord an Melia Donovan betrifft. Denn auch hier führt der gerade Weg nicht sofort zum Ziel…

Während man auf der nördlichen Halbkugel im Dezember meist vor Kälte bibbert, stöhnt man unter der Sonne Australiens unter der Dezembersonne. Viel kann man in der endlosen Weite der Gegend, in der Hirsch berufsmäßig ermittelt wenig tun: Kupfer klauen, Hunde entführen, ein Haus abfackeln. Trostlos, oder?! Oder man ermittelt Kupferdiebe, bringt Hunde zu ihren Besitzern zurück und versucht Feuerteufel zur Strecke zu bringen. Constable Paul Hirschhausen hat einen ruhigen Job in einer sehr ruhigen Gegend. Routine bestimmt seinen Alltag. Präsenz zeigen, sich um die Sorgen der Menschen im Umkreis von vierhundert Kilometern sorgen – das ist echte Knochenarbeit. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.

Gerade wenn eine ortsbekannte Säuferin und stellvertretendes Familienoberhaupt einer der berüchtigsten Sippen ihren Wagen nicht vor, sondern im Pub abstellt. Oder Nan Washburns Wagen geklaut wird. Dann bestellt Hirsch die beiden Übeltäter auch gern mal zum Entschuldigungs-Powwow ein. Ob’s gefruchtet hat, lässt sich leicht klären – nein. Kurze Zeit später werden Nan Washburns Ponys bestialisch ins Jenseits befördert. Und das kurz vor Weihnachten! Und so ganz nebenbei rettet Hirsch auch noch einem Kind das Leben. Die Mutter hatte es im Auto gelassen. Nur ganz kurz, wie sie beteuert. In der sengenden Hitze Südaustraliens!

Dass da Untersuchungen eingeleitet werden, ist klar. Doch die Adresse, die die Mutter angegeben hat, Hope Hill Drive 58, gibt es gar nicht. So lang ist die Straße nicht. Sie gehört ja nicht mal richtig zu einer Ortschaft. Hope Hill Drive – ein Witz. Denn Hoffnung gibt es hier nicht. Dass – es ist Weihnachten – in Tiverton und Umgebung die Medien einfallen – tote Ponys, ein fast totes Kind in einem gottesvergessenen Landstrich – passt Hirsch so gar nicht in den Kram. Doch es ist nichts womit er nicht fertig und schon gar nichts im Vergleich mit dem, was noch auf ihn zukommen wird. Denn schon bald türmen sich nicht nur tote Ponys vor ihm auf, sondern auch menschliche Leichen. Und zwei – ihm nicht gerade wohl gesonnene – Polizisten bauen sich vor ihm auf. Doch Hirsch ist nicht minder gewitzt und verschlagen als die Metropolen-Bullen. Er weiß, wann er sich zurückziehen kann, wann er seine Erkenntnisse für sich behält, und wann er uneingeschränkt kooperieren muss. Eine Familie im Zeugenschutzprogramm, marodierende unter Alkoholeinfluss fahrende Einwohner, mehrere Leiche im und außerhalb der Keller – so langweilig und routiniert ist es dann doch nicht am Ende vom Ende der Welt…

Garry Disher lässt Paul Hirschhausen ein zweites Mal vom Haken. Die endlose Weite seines Reviers lässt ihm unendlich viele Möglichkeiten seinen zweiten Fall zu lösen. Mit Ruhe und Gelassenheit ist er der Typ Ermittler, dem man seine Lesestunden gern anvertraut.

 

Das ist sein Revier! Tiverton, tief im Süden Australiens. Eine kleine Stadt, aber von Überschaubarkeit doch ein Stück weit entfernt. Paul Hirschhausen, Constable, hat sich sein Revier im Kopf aufgeteilt. Rundgänge, die Augen offen halten – hier herrscht er. Doch er sitzt nicht auf dem Thron. Er mag es hier. Wer nun denkt, dass es hier ruhig zugeht, irrt sich gewaltig.

Das beweist schon der Einstieg in den dritten Hirsch-Krimi „Barrier Highway“. Jedes Wort über den Verlauf der Geschichte, würde das Erlebnis Hirsch trüben. Deswegen nur so viel. Es ist August 2019. Winter in Australien – daran muss man sich als Nordkugelbewohner erstmal gewöhnen. Eis am Morgen auf den Gräsern, mitten im August! Das Jahr begann mit den weltweit für Aufsehen erregenden Waldbränden.

Hirsch bekommt einen Anruf von einer Lehrerin. Sie macht auch Online-Unterricht – das kann man sich mittlerweile ganz gut vorstellen … Eine ihrer Schülerinnen wirkt oft abwesend, ist übermüdet und erzählt, dass sie nur sehr wenig zu essen bekommt. Ob Hirsch sich nicht mal darum kümmern könnte? Als Constable ist er natürlich – und so versteht er seine Arbeit auch – Ansprechpartner, wenn etwas nicht so läuft wie es laufen soll. Oft ist er der Kummerkasten, er hat jedoch gelernt, zwischen Belanglosigkeiten oder Eitelkeiten und echten Problemen unterscheiden zu können.

Als er bei Lydia, der Elfjährigen ankommt, ist für Hirsch die Sache klar: Hier handelt es sich nicht um eine überbesorgte Lehrerin, die ihr Mütchen kühlen muss, sondern um ein echtes Problem. Die Kleine ist nur Haut und Knochen. Die Haare verfilzt. Sie ist schreckhaft. Dennoch schafft es Hirsch, dass sich Lydia nicht wehrt, als er sie auf den Arm nimmt und mit ihr zum Doktor fährt. Doktor Pillai duscht das Mädchen erstmal. Mehrmals. Die Läuse sind wahrscheinlich noch das kleinste Problem.

Hirsch passt in diese Stadt wie kein anderer. Ruhig, ausgeglichen, analytisch ist er. Und das muss er sein. Denn hinter noch so kleinem Delikt, verbirgt sich oft etwas Größeres. Das beginnt beim von der Wäscheleine geklauten Schlüpfer und hört noch lange nicht auf, wenn ein Vater in der Schule Krawall macht.

Garry Disher beweist mit seinem Constable Paul Hirschhausen einmal mehr, dass er ein Meister darin ist feinfühlige Ermittler sich dem Schrecken der Stadt (sei sie auch noch so klein) entgegenzustellen. Paul Hirschhausen bekommt im Laufe der mittlerweile drei erschienen Romane immer mehr Profil. Die langsame Erzählweise stört den Lesefluss in keiner Weise. Man merkt unentwegt wie sich die Geschichte entwickelt. Ohne Pause zieht auch „Barrier Highway“ den Leser in seinen Bann, der erst nach vierhundert Seiten enden wird. Und das ist das Traurige daran: Nun muss man wieder warten bis es endlich weiter geht mit Paul Hirschhausen im wenig beschauliche erscheinenden Tiverton.