Kate Fansler – New York

Da will man doch nur helfen! Und dann das! Da steht ein Kommissar in Kate Fanslers Büro und wartet. Er hat nichts angerührt wie er der Literaturprofessorin huldvoll versichert. Aber er hat ein paar Fragen an sie. Und die hätte er gern beantwortet, bevor er ihr sagt worum es eigentlich geht.

Janet Harrison wurde ermordet. Eine Studentin von Kate Fansler. Sie kam vor ein paar Wochen zu ihr und bat sie ihr einen Psychoanalytiker zu empfehlen. Warum sagte sie nicht, Kate interessierte es auch nicht sonderlich, da sie prompt einen Rat, sprich einen Namen samt Adresse, für sie parat hielt: Dr. Emanuel Bauer. Ein Verflossener, zu dem sie noch Kontakt hatte. Und nun liegt das arme Ding erstochen auf der Couch, die dazu dient das Innerste nach Außen zu kehren.

Dass es Emanuel nicht gewesen sein kann, steht schnell fest. Das sieht erstaunlicherweise auch die Polizei so. Der Doc darf weiter praktizieren. Doch wenn es sich rumspricht, dass bei ihm … in seiner Praxis … die Folgen sind absehbar.

Es gilt nun – Kate Fansler kann es nicht lassen die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen – den wahren Täter so schnell wie möglich dingfest zu machen. Nicola könnte es gewesen sein. Die Gattin des Arztes. Ehepartner sind bei einem unnatürlichen Tod immer verdächtig. Und sie hat die Leiche gefunden. Oder Barrister, der Doc von gegenüber. Entgegen seinen üblichen Gewohnheiten stand er – nach Aussagen von Nicola – zu einer für ihn ungewöhnlichen Zeit vor seiner Praxistür. Auch dass das Opfer Janet Harrison nicht ganz unvermögend war, könnte eine Rolle spielen. Sie hatte sogar ein Testament. Ein Arzt (!) soll der Begünstigte sein. Alles sehr mysteriös. Kate Fansler, deren Leidenschaft die fiktiven Geschichten der Geschichte sind, wird einmal mehr mit den realen Geschichten, die vielleicht einmal Geschichte machen werden, konfrontiert.

Eine Frau im New York der Sechzigerjahre, die den Männern dank ihrer angelesenen Phantasie die Ermittlungskompetenz streitig macht. Amanda Cross traut ihrer Heldin diese Aufgabe durchaus zu. Warum auch nicht?, möchte man mit dem Abstand eines halben Jahrhunderts sagen. Stimmt, warum auch nicht? Die Schlussfolgerungen, die Kate aus ihren Erkenntnissen zieht, sind allesamt so logisch aufgebaut, dass der Mörder sich hinter noch so dicken Fassaden verstecken kann, wie er möchte. Kate kann durch diese dicken Mauern blicken, wie ein Matrose im Krähennest. Der erblickt Land lange bevor es der Käpt’n sieht. Gewitzt, beherzt, lakonisch, analytisch – vor allem aber sympathisch. Kate Fansler möchte man nicht mehr aus dem Haus lassen, wenn sie die Schwelle übertreten hat. Und dieses Buch legt man erst zur Seite, wenn das letzte Wort gesprochen, gelesen ist.

 

Kate Fansler zieht es raus der Stadt, aus New York. Es sind nur rund zwei Stunden gen Norden bis in die Berkshires. Hier liegt der Landsitz des Verlegers von James Joyce. Der ist kürzlich verstorben, und Kate bekommt die Möglichkeit sich einige Briefe, die zwischen Verleger und Autor hin- und hergingen lesen zu dürfen. Als Literaturprofessorin ein Highlight. Es soll nicht das einzig bleiben.

Es ist eine illustre Gesellschaft, die sich im verblassten Glanz des Verstorbenen sonnt. Und vor allem sich auf höchstem sprachlichen Niveau das Maul zerfetzt. Darling, Schätzchen, ach, oh … Kate interessiert das nicht im Geringstem Dennoch spielt sie mit. Es ist für sie eine Fingerübung im sprachlichen Schlachthof die Übersicht zu behalten. Ihr Neffe Leo ist auch mit von der Partie. In der Nähe ist ein Feriencamp, wo er sich den leiben langen Tag austoben kann. Dass er trotzdem die Gesellschaft inkl. Tante Kate mit seiner nassforschen Art tüchtig auf Trab hält … na ja, so sind Kinder nun mal. Er ist allemal einfacher zu handhaben als Mary Bradford. Die Nachbarin. Neugierig, enervierend, und unfassbar mitteilsam. Wer sie kennt und sie von Weitem auf sich zustürmen sieht, nimmt die Beine in die Hand und geht in Deckung. Das gelingt nicht immer. Die Städter sind hier auf dem Land aber auch zu interessant.

Grace Knole, hochgeschätzte und liebgewonnene Freubndin und Kollegin von Kate ist ebenfalls zu diesem Event. Briefe von James Joyce – da muss sie einfach dabei sein. Als Fahrerin, Begleiterin hat Grace die junge Doktorandin Lina dabei. Das totale Gegenteil zu der lebenslustigen Professorin. Typ alte Jungfer, die gerade an einer akuten Schreibblockade kuriert. Alle sehr britisch, alle necken sich unaufhörlich.

Doch bald wird aus dem Spaß bitterer Ernst. Denn Mary Bradford wird ermordet. Dass das Plappermaul von nebenan nicht Freunde hatte, ist wohl bekannt. Und die Gesellschaft, die sich hier vergnügt, steckt voller Verdächtiger, und so wähnt man als Lamm unter Wölfen. Kate Fansler lässt sofort alle Arbeit an den Briefen von und an James Joyce liegen und macht das, was sie am besten kann: Ermitteln. Schließlich kann sie auf einen reichen Erfahrungsschatz (den auch Büchern) zurückgreifen.

So verwirrend die Bücher von James Joyce erscheinen, so verworren ist dieser vertrackte Fall. Sicher war Mary Bradford eine Nervensäge vor dem Herren. Aber ihr gleich den Garaus zu machen? Das erscheint Kate ein bisschen zu einfach. Das muss mehr dahinter stecken. Doch wo soll sie den Hebel ansetzen, um dem schrecklichen Mord – vor allem aber dem Mörder – auf die Spur zu kommen?

Amanda Cross macht aus einem Wollknäuel Verdächtiger eine fast schon irrwitzige Schnitzeljagd mit einer unnachgiebigen Spürnase, die jeden Bluthund vor Neid winseln lässt. Und so ganz nebenbei lässt sie den Leser an der beiläufigen Beute James Joyce teilhaben. Denn zwischen James Joyce und dem Mord gibt es tatsächlich ein unvermutete Verbindung.

 

Tür zu, die Schuhe in hohem Bogen in die Ecke schnippen und einen Martini mixen. Mixen lassen, von Reed, die eigenen schmecken nicht. Wenn das Leben von Kate Fansler so wäre, wäre es real. Ist es aber nicht! Ihre geistige Mutter Amanda Cross hält einige Hürden für Literaturprofessorin, Autorin und unbeirrbare Hobbydetektivin mit der geschulten Zunge und dem unnachgiebigen Drang zur Wahrheit parat. Da ist ihr Neffe Jack. Der soll in den Krieg ziehen, gegen den Vietcong. Will er aber nicht.

Und dann ist da noch dieser Anruf. Aus Theban. Dort hat Kate Fansler einst ihre akademischen Sporen erhalten. Ihre alma mater bittet sie Vorlesungen über Antigone zu halten. Und das ist nun wirklich nicht der Stoff, aus dem Kates Träume gewebt sind. Aber es ist Theban. Fast schon sentimental verzückt erinnert sich Kate an ihre Zeit zurück. Sie nimmt an.

Schon beim ersten Rundgang wird ihr klar, dass die Veränderungen – sie ist schließlich seit zwei Jahrzehnten nicht mehr immatrikuliert – ihr einige Probleme bereiten werden. Andererseits genießt sie es zu sehen, dass sich manche Dinge nie ändern werden. Theban ist eben Theban.

Drei Mädchen – und Kate weiß schon lange vor der ersten Vorlesung – werden ihr wohl einige Probleme. Bereiten. Eine von ihnen versteckte vor Kurzem ihren Bruder in Theban. Er wollte nicht eingezogen werden, um in Vietnam kämpfen zu müssen…

Die szenische Mixtur aus Nostalgie, Pflichtbewusstsein und Neugier wird schon bald um die Komponente Hobby ergänzt. Denn im Zeichensaal wurde mit natürlichen Farben hantiert – oder anders gesagt: Das Rot um den leblosen Körper einer Frau ist natürlichen Ursprungs. Jetzt sind Kate Fanslers Spürsinn und Analysefähigkeiten gefragt!

Aus der Auszeit mit Reed, ihrem frisch angetrauten Mann, wird nichts. Stattdessen werden die ehrwürdigen Mauern des Colleges von einem düsteren Mord ins Wanken gebracht. Hier legt man Wert auf Tradition, Mord gehört nicht dazu. Und die Hunde … ja, die Hunde vom Campus spielen dabei ein wichtige Rolle. Das muss Kate erst noch lernen.

Amanda Cross gibt dem angestaubten Image der Antigone einen frischen Anstrich. Auch wenn man sich bisher in der Welt der griechischen Tragödien nicht unbedingt sicher bewegte, kommt man schnell dem Zusammenhang von großem Drama und den Problemen der modernen Welt auf die Spur. Kate Fansler tut sich da schwerer dem Mörder auf die Spur zu kommen. Doch was wäre ein Kate-Fansler-Krimi ohne Querverbindungen zur Literatur und einem schlussendlich logischem Ende?

 

Die ländliche Idylle, in die sich Kate Fansler gern immer wieder zurückzieht, wird durch den plötzlichen Besuch von Max Reston unterbrochen. Er stakst wie ein Storch durch das wilde Gestrüpp, das Kates kleine Gartenoase umgibt. Wie immer adrett, besser gesagt, nicht der Umgebung angepasst, gekleidet. Seine versnobte Art ist Kate mehr eloquente Herausforderung als Herzensangelegenheit. Und Max kommt auch gleich zum Punkt. Ein Ausflug mit ihm wäre doch eine willkommene Abwechslung. Nach Maine. Ins Haus von Cecily Hutchins, der berühmten – vor Kurzem verstorbenen – Schriftstellerin. Max ist ihr Nachlassverwalter, kümmert sich um ihr literarisches Erbe. Ihr Haus jedoch will er nicht allein betreten. Kate kommt das Angebot nicht ungelegen. Die Neugier ist größer als die Sehnsucht nach Ruhe in der Abgeschiedenheit ihres ländlichen Idylls.

Wie ein Kind im Süßwarenladen nimmt sie auch prompt das Haus von Cecily Hutchins in Augenschein. Als Literaturprofessorin ist es ihr ein Fest herumzustöbern. Und wenn wir schon mal hier sind, denkt sich Kate, dann können wir doch auch einen Strandspaziergang machen. Die Küsten Maines sind ja eigens dafür gemacht worden, weiß jeder, der sich dafür interessiert. Doch so schön wird es dann doch nicht. Kate – sie ist schließlich „nebenberuflich“ Hobbydetektivin – entdeckt die Leiche einer jungen Frau. Eine Studentin, wie sich herausstellt. Und die wiederum forschte zu Dorothy Whitmore. Nicht minder Schriftstellerin wie Cecily Hutchins. Über Freunde, den Bloomsbury-Zirkel, sogar miteinander verbunden. Da schlägt das Herz der Ermittlerin – und nicht zu vergessen das des Lesers – Purzelbäume.

Kate Fansler hat sich wieder einmal in einen Fall hineinziehen lassen. Noch fragt sie sich nicht wieso das immer ihr passieren muss. Als Professorin für Literatur kennt sie schließlich genug Beispiele, um zu wissen, dass ihre Leidenschaft einige berühmte Vorbilder hat. Was sich Kate Fansler allerdings wirklich fragt, ob Max wirklich „einfach nur mal so“ bei ihr vorbeigekommen ist. So eigenartig Max ist, so snobistisch er wirkt. Umso seltsamer kommt ihr Max vor. Was steckt wirklich hinter dem „Zufallsbesuch“? Und vor allem: Wer hat die Studentin ermordet? Die Lösung scheint irgendwo zwischen den altehrwürdigen Mauern im ehrwürdigen Oxford zu liegen. Hier fühlt sich Kate Fansler wohl. Denn analytisches Arbeiten inmitten unzähliger Schriften fühlt sie sich genauso zu Hause wie im urbanen New York oder in ihrem Gartenhaus.

Amanda Cross hat mit Kate Fansler eine Ermittlerin in die Kriminalliteratur katapultiert, die ihresgleichen sucht. Eloquent, unbeirrbar in all ihrem Tun und mit einer umwerfenden Brillanz ausgestattet, meistert sie jede Herausforderung. Der pointierte Feinschliff ihrer Worte machen jedes Kapitel, jede Seite zu einem Erlebnis.

 

Eine Frau soll den neuen Lehrstuhl für Anglistik der (man achte auf den Artikel, denn darauf wird dieser Krimi aufgebaut sein … abgesehen davon wäre DIE Harvard-University in diesem Kontext grammatikalisch falsch, aber um Grammatik geht es nicht in diesem Krimi) Harvard University bekommen. Die Wogen der Entrüstung, eigentlich der Angst, schlagen auf postalischem Kurzweg sehr hoch. Die alteingesessenen Herren der Anglistikgarde zittern wie Espenlaub. Eine Frau! Womöglich noch im Alter vor der Menopause, oh je!

Ein anonymer Gönner spendet eine Million für diesen Lehrstuhl. Verknüpft mit der Bedingung, dass eine Frau die Stelle bekommt. Geld regiert die Welt, und da können Altherrenwitze bestenfalls als Füllmaterial in privater Runde maximal zur Erheiterung eben dieser beitragen – mehr aber auch nicht.

Janet Mandelbaum ist die Auserwählte. Die absolut richtige Wahl. Sie kann was. Selbst die Kritiker müssen das zugeben. Emotional ist sie erstmal nicht einzuordnen. Sehr zum Leidwesen aller Spötter und derer, die das Zweifelhorn nur allzu gern blasen, sieht sie darüber hinaus auch noch verdammt gut aus. Oh Mann, nichts zu meckern! Außer, dass Janet Mandelbaum eine Frau ist – aber das reicht heutzutage halt nicht mehr, um jemanden den beruflich Garaus zu machen. Da müssen schon härtere Geschütze aufgefahren werden. Und sie werden es. Denn nach einer Party landet die Neue in der Badewanne. Betrunken, was ja noch halbwegs entschuldbar wäre. Doch darüber hinaus ist auch noch nicht allein! Denn im Zimmer befindet sich eine weitere Frau. Eine Schwester. Ein Skandal in den Achtzigern. Und jetzt kommt der Hammer für alle, die sich niemals eine Frau an irgendeiner Spitze vorstellen können: Es ermittelt Kate Fansler, eine Frau! Und Freundin von Janet. Jemand will Janet Mandelbaum auf Teufel-komm-raus in Misskredit bringen. Die will sich das nicht bieten lassen. Also braucht sie Hilfe, Kate Fanslers Hilfe.

Nun könnte man meinen, dass hier bald weitaus Schlimmeres passiert, denn das Buch heißt ja schließlich „Die Tote von Harvard“. So weit so gut. Doch was Amanda Cross an literarischen Geschützen hier auffährt, ist eine Armada an Wortschöpfungen und Gedankenbildern, die jeden Bücherwühltisch in die Knie zwingen. Auf Spatzen wird sie damit sicher nicht zielen, und schon gar nicht schießen. Vielmehr hat sie es auf Vorurteile und „altbewährte“ Strukturen abgesehen. Und die werden gnadenlos gejagt. Die Jägerin Kate Fansler ist die Idealbesetzung, wenn es darum geht mit der Kraft des Wissens und den Stilmitteln der Sprache dem Gegner auf den Boden der Wahrheit zu zwingen. Brillant, wie es eben nur eine Frau sein kann. Ohne dabei die Fahne des Feminismus wie einen Bauchladen der Trotzigkeit vor sich her zu tragen.