Archiv der Kategorie: Reiseimpressionen

Costiera amalfitana – Geschichte einer Landschaft

Eigentlich würde man die Region an der Küste bei Amalfi gar nicht erforschen. Zu steile Felsen, kaum Wege und Straßen. Und vor zweihundert Jahren gab’s nicht mal Übernachtungsmöglichkeiten. Olle Goethe hat deswegen diesen Landstrich mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Ha! Der arme Tropf! Reist nach Italien und schaut sich nicht einmal die Amalfiküste an! Das ist ja wie … Paris ohne Eiffelturm, San Francisco ohne zerrissene Jeans oder Barcelona ohne Tapas.

Dieter Richter – so steht es im Pressetext zum Buch – hat diese Region studiert. Ja, studiert. Die Amalfiküste – wenn man Traumjob googelt, muss das wohl dabei rauskommen.

Nun ja, es gibt viele Orte und Regionen, wo Italien am italienischsten ist. Meist hängt diese Bewertung vom eigenen gusto und Wissensstand ab. Und die costiera amalfitana ist sicherlich von Italienern überflutet, aber eben auch von so manchen sehnsüchtig nach Italien hechelnden Fremden, der, wenn er denn einmal einen Sitzplatz im ristorante am Meer ergattert hat, diesen nicht mehr hergeben will. Und somit zwar die Aussicht genießen kann, aber eben auch den Rest (die größere „Hälfte“) verpassen wird.

Dieses Wissensvakuum wird durch dieses kleine rote Büchlein gehörig mit Fakten, Analysen, Deutungen in hingebungsvollen Worten gefüllt, doch selber anschauen ist um Einiges mehr wert. So unwirtlich diese Gegend erscheinen mag – stramme Waden sind das Mindeste, was man erhält, nimmt man die Fußwege der Region – so sehr beeindrucket sie von jeher ihre Besucher. Hier versteckten sich Piraten, hier entstand die älteste Seerepublik Italiens, hier berauschten sich Künstler an ihrer Schönheit.

Eine Rundreise mit Dieter Richter ist ein Wissensflash der obersten Kategorie. Es gibt wohl kaum einer Zeile auf dieser Welt, die der Autor nicht vorher gelesen hat, um seinem Kompendium die nötige Fülle verleihen zu können. Von der regionalen Küche über römische Villen (und ihre durchaus pikanten bis geheimnisvollen Geschichten) bis hin zum touristischen Overkill der Gegenwart lässt er keinen Aspekt einer „natürlichen Entwicklung“ der costiera amalfitana aus.

Wer die Amalfiküste besucht, muss sich im Klaren sein, dass er niemals, oder nur sehr selten, allein sein wird. Man muss die Stille wirklich suchen – dafür gibt es Reisebände. Wer die Region verstehen, sie mit allen Sinnen aufsaugen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Das Standardwerk über eine der schönsten Landschaften der Erde!

München Abenteuer

Wer als Fußballfan zum Erstligaspiel anreist, weiß meist schon vor Anpfiff, dass er mit gesenktem Haupt wieder von dannen traben wird. Wer das Olympiagelände besucht, kann sich sicher sein, echte Abenteuer zu erleben. Und mit der Parkplatzsuche hat sich das Repertoire an Abenteuern in München auch schon erledigt. Denkste!

Detlef Dresslein hat nicht nur das eine oder andere Abenteuer in Minga (ja, auch den Dialekt kann man als abenteuerlich auffassen, aber darum geht’s hier nicht) gefunden, sondern – und soweit kann man gehen – alle Abenteuer gefunden. Und in diesem besonderen Band zusammengefasst.

Das reicht vom historischen Rundgang durch die Millionenstadt auf den Spuren der dunkelsten Geschichte (was einst sogar auf Poststempeln als „Hauptstadt der Bewegung“ vermerkt wurde) über einen ungewöhnlichen (und preiswerten) Rundgang in der Pinakothek der Moderne bis hin zum Kinobesuch. Der Rundgang ist vom NS-Dokumentationszentrum organisiert und wird mit einer App gesteuert. Während andere fast schon achtlos an erinnerungswürdigen Orten vorbeischlendern und der nächsten Maß entgegenhecheln, ist man selbst wissend auf geschichtsträchtigen Pfaden unterwegs. Da staunt man heute noch, wie präsent die Orte noch sind. Man muss sie nur zu finden wissen.

Dass die Pinakothek der Moderne auch abenteuerlich sein kann, beweist das Sonntagsangebot. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt’s Karten für ’nen Euro – schon allein diese „Warte-Lotterie“ kann für Nervenkitzel sorgen. Und dann gibt’s 30 min Intensivvortrag über ein Werk. Keine Ablenkung durch die Fülle an Gemälden und dem Zwang auch wirklich alle sehen zu müssen. Ein Werk, dreißig Minuten – und das museale Herz blüht auf.

Wer spät am Freitag- oder Samstagabend nicht sein bitter verdientes Geld für überproportional hippe Drinks in den Schlund kippen will, der hat seit fast einem halben Jahrhundert die Möglichkeit sich für relativ kleines Geld die Klamotten versauen zu lassen. Hä? Was soll daran abenteuerlich, geschweige denn nachahmenswert sein? Ganz einfach: Am 24. Juni 1977 feierte der Film“ The Rocky Horror Picture Show“ in Deutschland Premiere. Und seitdem läuft der Film … in den Museum Lichtspielen. Und zwar mit allem, was dazu gehört. Reis, Zeitung, Gummihandschuhe, Knicklicht. Das gibt’s sonst nur noch in Paris und San Francisco! Und wer hinterher nicht die Reiskörner (während der Hochzeitsszene) aufsammeln will, um dem knurrenden Magen zu stillen, der geht vorher schon um die Ecke was essen.

Auch hierzu bietet dieser Reiseband ein Füllhorn an Möglichkeiten. Jedes Kapitel schließt mit dem vielsagenden Absatz „… und wenn man schon mal hier ist“. Großartig – da weiß jeder, dass es am Ausgang noch lange nicht Schluss ist. In etwa so, wie wenn man meint, dass außerhalb des Englischen Gartens nichts Abenteuerliches mehr zu erleben wäre.

Barcelona Abenteuer

Barcelona ohne Abenteuer? Das geht doch gar nicht! Was hingegen möglich ist, dass man bei dem Überangebot an Abenteuern leicht den Überblick verlieren kann. Kaum eine andere europäische Metropole hat sich in den vergangenen Jahrzehnt derart oft und tiefgreifend verändert wie die katalanische Stadt am Mittelmeer. Und da soll es immer noch Menschen geben, die Barcelona nicht spannend finden…

Die sollten mal mehr als nur einen Blick in dieses Buch werfen. Das gibt’s schon zu Beginn gleich was auf die Augen. Auf der ersten Umschlagseite wird in Versuchung geführt: Wie sah Pornographie in der Renaissance aus? Seite 36 weiß da mehr darüber. Eine enge Gasse, die auch schon Picasso inspirierte und … nö, das muss man selbst erleben und vorher erlesen. Wer will kann den Rundgang bei einem Cocktail und Popcorn entsprechend ausklingen lassen – „und wenn man schon mal hier ist“ lautet die weiterführende Rubrik am Ende eines Kapitels. Kopfkino einschalten!

Montags, mittwochs und freitags wird es abenteuerlich auf dem Mercat dels Encant. Ein Lächeln huscht so manchem Besucher übers Gesicht, wenn er sich mitten in einer Auktion am frühen morgen befindet. Zum Einen hat man den Weg dorthin gefunden. Zweitens hat man sich im Gewühl zum Auktionator vorgekämpft – der geht nämlich zu den zu versteigernden Sachen. Drittens ergötzt man sich an dem rasanten Tempo der merkantilen Quasselstrippe. Und Viertens findet man dieses Spektakel wirklich so nur hier.

Da darf es dann am Abend durchaus etwas gediegener und entspannter zugehen, oder?! In den feinsten Zwirn gesellt man sich in eine Reihe Wartender. Und das schon um 19 Uhr – vor 21 Uhr geht hier doch niemand raus, um den Nachtleben zu genießen. Wieso als um 19 Uhr sich in eine Warteschlange stellen, wenn es eh erst ein paar Stunden losgeht? Kleiner Tipp: Wer verschmutzte Brillengläser hat, wird es nicht genießen können!

Frank Feldmeiers Abenteuer-Reiseband durch Barcelona (keine Scheu: Das C darf und soll ruhig scharf gesprochen werden) ist es ein wahres Füllhorn an Erlebnissen, die man nie wieder vergessen wird. Und oft sogar zu einem erschwinglichen Preis nachzuvollziehen. Hier wird niemand in Bars gelockt, wo das Getränk dem Gegenwert einer Tankfüllung entspricht. In diesem Band, in dieser Reihe taucht man in eine Stadt ein, die trotz aller Menschenmassen, die sich 24/7 durch sie hindurchwalzen, immer noch jede Menge versteckte Abenteuer, die man sonst in keinem Reiseband finden wird. Selbst wer Barcelona schon kennt und liebt, wird hier immer noch fündig werden. Und wer die Stadt tatsächlich noch nicht kennt, bekommt schon beim Buchweglegen Entzugserscheinungen.

Stadtluft Dresden, Nr. 8

Ein Stadtmagazin ins Leben zu rufen – es am Leben zu halten – „in diesen Zeiten – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Exklusive Tipps über die ultimativen Hotspots (die keiner kennt) bekommt man im Bruchteil einer Sekunde aufs Smartphone. Wohl deswegen dachten sich die Macher von Stadtluft, dass ein Bookzin wohl die bessere Lösung ist, um Dresdnern und Besuchern die Stadt näherzubringen bzw. schmackhaft zu machen. Es funktioniert!, so viel kann man schon mal verraten. Und das schon zum achten Mal.

Und das nicht nur wegen des Gewichtes: Mit Anderthalb Pfund Lesegewicht in der Hand kann man sich nötigenfalls auch mal den Weg durch pöbelnde Massen erkämpfen. Nein, das Bookzin Stadtluft besticht durch sein gedrucktes Schwergewicht auf 150 Seiten.

Die Artikel sind keine Appetithäppchen, die man zwischen zwei Haltestellen mal schnell liest und dann meist wieder vergisst. Es sind seitenlange Texte, Geschichten, Geschichte, Gedankenspiele, Erinnerungen und Visionen, die im Kopf haften bleiben.

Dresden wird sich niemals seiner Geschichte erwehren können. Der 13. Februar 1945 setzte ein Wundmal, das niemals vergessen wird. Kaum vorstellbar, dass in diesem gigantischen Bombenhagel (heutzutage werden derartige Vergeltungsmaßnahmen ganz anders eingeordnet) Menschen das (dunkle) Licht der Welt erblickten. Kaum zu glauben, dass die ersten Erinnerungen eines Menschen die an Trümmerhaufen und deren Beseitigung sind. Kein leichter Stoff für ein Bookzin, aber dennoch mehr als notwendig und eine Wohltat den Zeilen des Autors zu folgen.

Dann wiederum kommt eine Geschichte im Bookzin über eine Leidenschaft, die wenige mit echter Leidenschaft beseelt, die meisten mit Sammlertrieb gleichsetzen. Eine Bummel über den Flohmarkt. Gerd Püschel gehört seit Jahrzehnten zur ersten Gattung. Er ist leidenschaftlicher Sammler, und Kenner. Der Elbeflohmarkt an der Albertbrücke rühmt sich der älteste in Dresden zu sein. Hier ist Gerd Püschel in seinem Element. Wie ein Spürhund stöbert er, frohlockt, wird skeptisch und saugt die Anmerkungen der Besucher wie ein Staubsauger auf. Und bläst sie wie kleine amuse gueule über seinen Gedankenteppich. Mal zum Schmunzeln, mal echte Wortschätze. Und im Handumdrehen liest man sich in einen Rausch und weiß, dass der nächste Dresdenbesuch früh am Morgen beginnen muss, wenn die Händler ihre Gabentische aufbauen. Das schafft kein Stadtmagazin. Dazu bedarf es eines Bookzins.

Und am Abend geht es ins Konzert – vielleicht sogar zu Sven Helbig. Er arbeitete mit Rammstein und den Pet Shop Boys (die haben ja auch eine innige Verbindung zur sächsischen Landeshauptstadt). Das Interview mit ihm ist ebenso ein Festschmaus für Kulturkenner wie Neuentdeckung für alle, die Helbig noch nicht kannten.

Stadtluft, Nummer Acht ist gerade erschienen und in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich, ist ein Magazin, das man lange bei sich behält. Bricht man es auf normales Buchformat runter, so hat man ein echt dickes Stück Lesevorrat bei sich. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hier beginnt er schon beim optisch einmaligen und ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Ein Magazin, das auch Leipziger (die sich mit den Dresdnern nicht automatisch gut verstehen – ähnlich der Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf) und andere Auswärtige mit Genuss einverleiben können, da die Stadtwerbung wegen ihrer Unaufdringlichkeit so nachhaltig wirkt.

Görlitz

Görlitz ist vielleicht eine der unterschätztesten Städte, nicht nur im Osten, sondern deutschland-, wenn nicht sogar europaweit. Seit fast eintausend Jahren ist auf den Landkarten verzeichnet, dennoch erinnert man sich in jüngster Zeit eigentlich nur an die Stadt, wenn es um Hollywood-Filme geht. Die Neuverfilmung von „In 80 Tagen um die Welt“ und „Grand Hotel“ sind die prominentesten Beispiele dafür. Doch schon in den 50er Jahren wurden hier in historischen Kulissen Filme gedreht.

Doch hier ist nicht einfach nur Kulisse. Seit fast dreißig Jahren erhält eine Stiftung für die Erhaltung des einmaligen architektonischen Ensembles einen mittleren sechsstelligen Betrag – von anonymer Seite. Viele rühmen sich den Namen zu kennen – aber pssst, niemand verrät ihn. Das Ergebnis ist schlussendlich ja auch das, was zählt.

Dass Görlitz zusammen mit der Bruderstadt Zgorzelec auch Europastadt ist, ist darüber hinaus auch nur wenigen bekannt. Grund genug die Stadt an der Neiße gründlich unter die Lupe zu nehmen. André Micklitza macht das in diesem Fall. Und zwar auf beeindruckende Art und Weise. Der erste Blick auf die blanken Zahlen lässt erst einmal nur Nüchternheit hervorluken. 55500 Einwohner, 30 Quadratkilometer Fläche sprechen nicht gerade für ein Füllhorn an Attraktionen. Wenn man immer nur auf die Highlights schaut, mag man da auch teilweise richtig liegen.

In Görlitz ist die Summe der scheinbaren Kleinigkeiten entscheidend. Ohne den üblichen Kitsch wandelt man durch eine Stadt, die sich ihrem Charme hart zurückerobert hat. Nach und nach sind seit der Wende Häuser, Straßenzüge, ganze Viertel wieder in ein Licht gerückt worden, das so hell strahlt, dass sich so manches Kleinod von Portland bis Kerala, von Helsinki bis Montevideo warm anziehen müssen. Das beginnt beim allseits eingangs erwähnten Görliwood und hört noch lange nicht auf, wenn man die Jahrhunderte alten Gebäude mit steifem Nacken in voller Gänze erblicken will. Wer einmal die Nikolaivorstadt nicht nur als Wiege der Stadt verstanden hat, sondern ihrem Reiz mit dem ersten Schritt erlegen ist, wird nicht mehr aufhören von Görlitz zu schwärmen.

Doch der Streifzug durch Görlitz mit André Micklitza endet nicht vor so manchem romantischen Ort, er geht weiter, wenn man die Oder überquert. Zgorzelec am östlichen Ufer der Neiße steht dem Pendant im Westen (wo früher einmal der Osten für viele endete) in Nichts nach. Erst seit 1945 gehört es zu Polen, war einmal die Neißevorstadt. Wenn nicht die vielen Straßenschilder, die Werbung in den Auslagen in einer anderen Sprache – Polnisch – geschrieben wären, man würde den Grenzübertritt kaum bemerken. Ein einzigartiges Phänomen europäischer Kultur. Und selbst, wenn man sich auch durch dieses Kapitel des Buches voller Vorfreude gelesen hat, ist die Reise noch nicht zu Ende. Bis ins Berzdorfer Seengebiet, bis Ostritz und Niesky sowie die Königshainer Berge (für LKW-Fahrer der A14 durchaus mit häufiger auftretendem Grausen verbunden) bekommen die Anerkennung, die ihnen zusteht. Görlitz wird dank dieses Reisebuches so manchem von der Couch oder aus dem Lesesessel aufspringen lassen. Und sei es nur das bisher Unfassbare zu erleben.

Schaurig-schönes Europa

Wenn der Urlaub etwas ganz Besonderes werden soll, dann sind außergewöhnliche Orte das Salz in der Traumsuppe dieser Erinnerungen. Die Bilder, die man sich selbst in diese Erinnerungen pflanzt, müssen einem ganz bestimmten emotionalen Bild entsprechen. Auch wenn sie nur für den Bruchteil einer Sekunde vor dem Auge erscheinen oder für die Dauer eines Spazierganges existieren. Mit allen Sinnen wird dieser Moment für Ewigkeit festgehalten.

So wird man beispielsweise in Craco in der Basilikata im Süden Italiens, nahe der Felsenstadt Matera, auf einen Ort treffen, aus dem das Leben schon vor einem halben Jahrhundert geflohen ist. Oder besser gesagt, es wurde aufgegeben als Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach einem Erdrutsch es als zu gefährlich angesehen wurde hier weiterhin zu leben. Zuvor lebten hier mehr als tausend Jahre Menschen. Heute erinnern nicht einmal mehr Glasscheiben an eine Zivilisation. Dass hier ein Leben möglich war, ist dennoch nicht wegzudiskutieren. Straßen und Gassen existieren noch. Auch die Raumaufteilung der Häuser ist noch klar erkennbar. Umgestürzte Möbel verweisen auf ihre ehemaligen Bewohner. Und dennoch herrscht hier eine gespenstische Ruhe. Ein verlassener Ort, der einem den Schauer über den Rücken jagen kann.

Brodelnd und voller Leben – dennoch nicht minder lost place – ist der Rio Tinto in Andalusien. So ein Rot in einem Fluss hat man noch nie gesehen. Baden ist nicht ratsam. Der Sauerstoffgehalt ist zu gering, der Säuregehalt hingegen um ein Vielfaches zu hoch. Optisch ist der Fluss ein Augenschmaus und trägt sicher dazu bei sich auch noch Jahre später genau an das meiste zu erinnern.

Über glasklares Wasser schwebt man förmlich im Höhlensee von Tapolca, nördlich des Balatons. Auch hier fühlt man sich wie in einer fremden Welt. Prächtige Farbenspiele, gespenstische Ruhe und alles unter der Erde. Das Höhlensystem ist vulkanischen Ursprungs und kann heute recht gemütlich bereist werden.

„Schaurig-schönes Europa“ ist ein Reiseband, der bei jedem Umblättern das Reisefieber steigen lässt. Stimmungsvoll in Szene gesetzt und mit verheißungsvollen Texten gespickt, macht dieses Buch Appetit auf echte Abenteuer.

Hier und anderswo

Man spürt es ab der ersten Seite, ach was, aber der ersten Zeile: Thomas Michael Glaw reist gern. Und oft. Und er kann viel erzählen. Nicht über das, was man sehen muss, was jedem früher oder später vor die Augen kommt, sondern über das, was man suchen muss und finden kann. Und vor allem über das, was zu beachten ist. Reiseimpressionen mit Lerneffekt. Doch so statisch sollte man dieses kleine Büchlein nicht angehen. Es ist eine Art Hilfestellung für Reisenovizen wie alte Hasen, die über diejenigen lachen, die Catania in Spanien oder Griechenland verorten (die gibt es wirklich! Und das nicht zu knapp!).

Hier sind sie also die gesammelten Impressionen (Auszüge davon) eines Reiselebens. Von München nach Wien im Flieger? Niemals. Im Zug reist man entspannter, und auch nicht viel länger, wenn man die Eincheckzeiten und die Fahrten zum und vom Flughafen einberechnet. Und mit der ÖBB sogar pünktlich, freundlicher … einfach entspannter. Reisen als Sinnesrausch im positiven Sinn. Denn auch eine Zugverspätung kann eine Reise in einen Rausch verwandeln – Stichwort Blutrausch.

Wiens erster Bezirk hat für ihn den Rausch der Vergangenheit gegen die Tristesse des Übers eingetauscht. Übervolle Straßen, übermäßig viele Verkäufer, die überteuerte Tickets verkaufen, überall nur Touristen, die überhaupt kein echtes Wien mehr ans Tageslicht kommen lassen. Dennoch sind Wien und seine Cafés immer noch berauschend. Es sind halt nur andere Cafés, wo man sich zur morgendlichen Stunde Gazetten und Braunen einverleiben mögen möchte.

Südspanien im Winter ist ein feuchtes Vergnügen. Manchmal auch ein feuchtfröhliches, wenn man der Sprache nicht mächtig ist und aus Versehen etwas bestellt, was einen übermäßig beansprucht.

Roma als Amor zu verstehen, fällt leicht, wenn man die Ewige Stadt einmal besucht hat. Oder mehrmals. Die Stadt für sich allein hat man niemals. Es sei denn, man besucht einen Friedhof. Doch auch da ist Achtsamkeit angeraten. Furbo und Pignolo können einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen oder gar die letzten Reste davon rauben. Der Eine mogelt sich durch (und kommt damit auch immer durch), der Andere ist ein Pedant, den man so in Italien gar nicht vermutet. Eine köstliche Charakterstudie des Autors.

„Hier und anderswo“ ist ein kurzweiliges Lesevergnügen für alle, die Bestätigung suchen und/oder vor der Entscheidung stehen in alle Himmelsrichtungen zu flüchten. Knigge-Fallen lauern überall (da ist es wieder, dieses „über“), nicht hineinzutappen, ist die Kunst. In diesem Büchlein die Fallen zu erkennen, sie umschiffen zu können, ist keine Kunst, es ist fast schon eine Pflicht.

Amazonia

Was haben Alexander von Humboldt, Jules Verne und Klaus Kinski gemeinsam? Ihr Ruhm ist eng mit dem Amazonas verbunden. Der Eine durchstreifte den Dschungel, mit diesen Erkenntnissen konnte der Zweite einen faszinierenden Roman schreiben und der Dritte fühlt e sich hier wie der König der Welt, vor und neben der Kamera. Der Amazonas zieht alle in seinen Bann. Und so war es nur eine Frage der Zeit bis (endlich!) Patrick Deville auch dem Amazonas-Fieber verfiel.

Einmal mehr nimmt er den Leser mit ins Dickicht der Unwissenheit, um mit der Machete der Neugier und dem Drang nach Abenteuern das Licht der Erkenntnis zu finden. Es wird eine Entdeckungsreise der persönlichen Art. Denn viele der Pflanzen und Tiere, die – meist nur hier – vorkommen, wurden schon einmal entdeckt. Aber eben noch nicht von Patrick Deville.

Vielmehr liegen ihm aber die Begegnungen am Wegesrand am Herzen. So versinkt er in der Geschichte der Stadt Manaus mitten im Herzen Brasiliens, dort, wo der Amazonas in schier unendlicher Breite Siedler dazu brachte sich niederzulassen. Heute eine schwitzige Metropole, die in Sachen Quirligkeit den Hafenstädten am Atlantik und am Pazifik in Nichts nachsteht. Und das obwohl sie tausende Kilometer von jedwedem Meer entfernt ist. Hier steht das dschungeligste Theater der Welt, hier herrscht eine Lebendigkeit, die weder durch extreme Luftfeuchtigkeit noch exorbitante Kriminalität beeinflusst wird.

Immer wieder kommt Patrick Deville mit Menschen zusammen, die das Schicksal hier her verschlagen hat. Botschafter, Glücksritter, Einheimische, die ihre Nachbarschaft noch nie verlassen haben. Sie alle zeichnen dem Autor und somit auch dem Leser ein Bild einer Landschaft, das so farbenfroh ist, dass man geblendet ist von der Pracht der Eindrücke. Von Hernán Cortés über die ersten Siedler bis zu Werner Herzog, der wie kein anderer (Verrückter) dem Dschungel und dem Fluss ein Denkmal setzte, stapft Patrick Deville durch die Geschichte dieser Region, um Behutsam ihre Geschichten aufzudecken. Schon nach wenigen Seiten ist man ein Fan. Fan von dieser einzigartigen Landschaft, die dem Verfall preisgegeben wird. Fan von Patrick Deville – sofern man es nicht schon lange ist, schließlich führen seine Bücher Leser seit Jahren durch das Kambodscha der Roten Khmer, das Mexiko Leo Trotzkis, das Afrika bedeutsamer Forscher und und und – weil er es versteht Verständnis zu zeigen und zu vermitteln. So eine Forschungsreise macht man am Liebsten mit Patrick Deville!

Guatemala leuchtet

Guatemala ist sicher nicht das Reiseland Nummer Eins, in das man einfach mal so reist. Ab in die Öffis zum Flughafen und mit einem Last-Minute-Ticket – nein, wenn man Guatemala bereist breitet man sich vor. Lässt sich aber noch genug geistigen Spielraum, um den zu erwartenden Eindrücke- Flash genug Raum einzuräumen.

Susanne Hartmann studierte Ethnologie, Volkskunde und Indologie. Und die Maya, ihre Kultur, ihre Geschichte und vor allem ihre Gegenwart sind mehr als nur ein Steckenpferd. In ihren Reiseerzählungen „Guatemala leuchtet“ berichtet sie von ihren zahlreichen Reisen. Und dabei ertappt man sich – als Leser – selbst dabei dem eigenen Forscherdrang schnellstmöglich nachgeben zu wollen. Die Hingabe, mit der sie von ihren Abenteuern erzählt, ist mitreißend. Das beginnt bei einem Einbruch in der Nacht, um auf einem archäologischen Feld, einer Tempelanlage den Sonnenuntergang und den Mondschein so zu erleben wie es die Mayas sicher schon vor Jahrhunderten selbst taten. Und es endet noch lange nicht, wenn blutrünstiges Flattergetier die Unterkunft mit Leben erfüllt.

Auf ihren Reisen hat sie viele dieser Tempelanlagen gesehen. Sie hat sich intensiv mit den Inschriften beschäftigt und sie entschlüsselt. Sie wohnte bei Menschen, die die Tradition der Mayas als selbstverständlich in ihrem Alltag lebten. Der Begriff Studienzweck spielte dabei eine bedeutende Rolle. Die Leidenschaft diesem Studienzweck zu folgen, ist jedoch die Grundlage all ihrer Reisen nach Guatemala.

Susanne Hartmann hat aber auch die aktuellen Probleme im Auge. Wo beispielsweise einst zahllose Generationen im Fluss badeten, der Fluss Lebensgrundlage war, ist heute mehr nur noch ein giftiges Gewässer anzutreffen. Giftig-Gelbe brühe, die auch schon so manche Leiche mit sich trug. Ebenso spielt die Gewalt in dem lateinamerikanischen Land eine nicht zu unterschätzende Rolle. Entführungen und Erpressungen und Mord sind allgegenwärtig. Auch das muss sie in ihre Beobachtungen/Forschungen einfließen lassen.

„Guatemala leuchtet“ nicht nur nach Susanne Hartmanns Einschätzungen immer noch. Das ist der Hoffnungsschimmer am Horizont ihrer Reiseimpressionen. Man muss nur die Augen offen halten, um ein Land zu erkennen, das derart reichhaltige Kulturgüter wie selbstverständlich erhält. Doch die Selbstverständlichkeit bekommt immer mehr Risse. Auch darüber berichtet die Autorin mit derselben Kraft und Hingabe wie zuvor von den „schönen Dingen des Lebens“. Dieses Buch ist mehr als nur eine Reisebeschreibung eines fernen Landes. Es ist das Abbild eines Landes, einer Kultur, die schon immer im Wandel war. Doch immer schneller rücken die dunklen Wolken der Zerstörung dieser Kultur auf die Pelle.

Deutscher Herbst

Ernest Hemingway besoff sich tagelang mit den Siegern im Paris des Jahres 1945. Der schwedische Journalist Stig Dagerman reiste mehr als ein Jahr später durch das Land, aus dem seine Ehefrau kam. Nicht zusammen mit anderen Berichterstattern, deren Höhepunkt die Nürnberger Prozesse waren, sondern als Nachwuchsreporter der Zeitung Expressen. Sie entschieden sich gegen einen alten Haudegen, der wohl behütet zwischen Kollegen durch das zerstörte Land geführt wurde. Sondern für einen Frischling, der dank seiner familiären Verbindungen relativ frei durch die Trümmerwüste reisen konnte. Der Schrecken, den die Deutschen einst verursachten, war teils einer Häme über das nun hereingebrochene Land gewichen. Andererseits gab es eben auch Reporter wie Stig Dagerman, die die Situation mit dem gebührenden Abstand und Respekt einzuschätzen konnten.

Nicht selten muss sich der Autor im Herbst 1946 zwingen nicht alles Deutsche mit dem braunen Sumpf in Einklang zu bringen. Er weiß, dass die, die nun tage-, wochen- monate- ja, sogar jahrelang in nassen Kellern (der bevorstehende harte Winter steht ihnen noch bevor) Abstand genommen haben von der braunen Ideologie, sofern sie ihr zuvor verfallen gewesen sind. Knöchelhoch das Wasser, orchesterartiges Magenknurren, Egoismus allenthalben. Früher war alles besser. Dieser erschreckende Satz erschrickt ihn nicht. Denn er weiß, dass diese Worte aus einer Unzufriedenheit und Desillusioniertheit stammen, die man zwar in Worte fassen kann, sie zu verstehen aber fast unmöglich ist.

Mit einer entwaffnenden Klarheit sieht er dem Elend in den Schlund. Er sieht blasse Leiber, hochrote Köpfe und farblose Augen. Die Zukunft ist hier kein Thema. Das Hier und Jetzt sind für ihn der Fang seines Lebens. Doch Stig Dagerman ist nicht der sensationshungrige Schreiber, der die Auflage vor die Geschichte setzt. Er weiß, dass er privilegiert ist, er zeigt es nicht und gibt den Beobachteten und Interviewten die Luft zum Atmen. Auch wenn sich so mancher daran verschluckt.

Ein Urteil wird er niemals fällen. Das machen andere. Stig Dagerman ist Beobachter, Schreiber und Außenstehender. Deswegen ist „Deutscher Herbst“ sicherlich eines der bedeutendsten Bücher über die direkte Nachkriegszeit in Deutschland. Der leicht irreführende Titel – mit Deutscher Herbst bringt man doch eher die Zeit der RAF Ende 1977 in Verbindung – birgt einen Schatz in sich, der gehoben werden will. Flüssig im Text, klar in der Argumentation, ohne jegliche verbrämte Rachegedanken. Stig Dagerman hätte allen Grund sich in den Reigen des Freudentaumels über die besiegten Deutschen einzureihen – seine Frau musste aus ihrer Heimat fliehen – er ist der Chronist einer zeit, die man nie erleben möchte. Und dennoch wird es solche Bücher immer wieder geben: In Afrika, in Lateinamerika, in Asien, in der Ukraine, im ehemaligen Jugoslawien… Hoffentlich auch mit Dagermans Erben!