Archiv der Kategorie: schwarz – black – noir

Was mittwochs war, und freitags

Wenn von Afrika die Rede ist, rutscht man schnell in eine Argumentationskette, die einzig allein auf Armut und Elend ausgerichtet ist. Dass diese Armut und diese Elend nicht wegzudiskutieren sind, liegt ebenso auf der Hand. Dennoch lebt der schwarze Kontinent – noch so eine wunderbare Floskel, die verniedlichend, verharmlosend Afrika beschreibt. Dass wirklich einzigartige an Afrika ist, dass es auf diesem Kontinent ein relativ große Übereinstimmung gibt sich als Afrikaner zu sehen. Eine nationale Identität bildete sich erst in den vergangenen Jahren heraus.

Nicht minder sind es afrikanische Autoren, die mit ihrer an Traditionen gehefteten Schreibweise dem Kontinent in unaufhörlicher Weise Stimmen verleihen, die so vielschichtig sind, dass der Versuch sie zu zählen zum Scheitern verurteilt ist.

Bestes Beispiel dafür ist diese Geschichtensammlung aus dem Leipziger akono-Verlag. Uganda, Nigeria, Südafrika sind nur ein paar Länder, die mal kürzer, mal länger von einem Leben berichten, das voller Begehren ist. Und um es kurz zu machen: Ja, auch ums liebe Geld geht’s – ABER: Niemals nur allein, und schon gar nicht vordergründig. Treue und Liebe, Zuneigung und Verlangen, Hingabe und Verzweiflung sind die scharfen Zutaten dieser literarischen Köstlichkeiten.

Da betet eine Frau zu Gott ihr Halt zu geben und Stütze zu sein. Gerade bene lag sie noch mit ihrem Liebhaber in den Federn als plötzliche seine Frau nach Hause kommt. Wie peinlich. Voller Scham wendet sie an den, der ihr die richtige Wahl zu sein scheint. Einzig Zeit und Ort scheinen nicht die rechte Wahl zu sein…

Die Liebe ist heftig, andauernd, aber auch gefährlich und findet oft im Geheimen statt. Typisch afrikanisch? Nicht minder als anderswo. Aber nicht überall wird so offen und hemmungslos darüber geschrieben. Die Kurzgeschichten in diesem Buch brennen vor Leidenschaft. Es lodert nicht, hier sind die Feuer weithin sichtbar.

Black Ass

Es gibt Tage, an denen wäre man lieber im Bett geblieben. Weil man Angst vor dem hat, was da kommt. Angst der Herausforderung nicht standzuhalten. Angst einen Weg zu beschreiten, der mehr als wackelig ist. Furo Wabiboko kann über solche Ängste nur lachen. Denn er hat ein echtes Problem. Heute steht ein wichtiges Vorstellungsgespräch auf dem Plan. Er hat sich gut vorbereitet, gut geschlafen. Doch als er aufwacht, ist nichts mehr wies es war. Er lebt in Lagos, dem Millionen-Moloch im Süden Nigerias, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Hier leben hunderte Völker, mehr schlecht als recht zusammen. Das Sprachenwirrwar ist nicht zu bändigen. Hier kann es sein, dass am anderen Ende der Stadt ein Dialekt gesprochen wird, den selbst engste Verwandte nicht verstehen.

Nicht verstehen kann Furo das, was des Nachts mit ihm passiert ist. Er ist weiß. Weiß. Weiße Hautfarbe. Dort, wo bisher das satteste Schwarz seinen Körper zierte. Weiß. Von nun auf gleich. Alles Weiß. Alles? Nein ein Teil seines Körpers wehrte sich gegen die Verweißung, sein Hinterteil ist immer noch schwarz! Das Bild muss man erstmal auf sich wirken lassen…

Furo ist also wach, und weiß. Und er weiß nicht wie er, der Weiße, seiner Familie, schwarz, nun verdeutlichen soll wie es dazu kam, der er über Nacht aus einer überreifen plantain (Kochbanane) zu einer weißen Bohne geworden ist. Wie bei Kafkas „Verwandlung“ muss er nun versuchen sich anzupassen, Ausreden zu erfinden, neue Wege zu beschreiten. Doch wie? Er hat ja nicht mal einen Kobo (kleinste nigerianische Münze, einen Bruchteil eines europäischen Cent) in der Tasche. Er muss in der Masse untertauchen, um nicht erkannt zu werden. Wie soll das gehen? In Lagos und Umkreis leben 30 oder noch mehr Millionen Menschen – 99,9 Prozent sind schwarz, das fällt ein Weißer unweigerlich auf. Ach ja, da ist ja noch die Sache mit dem Vorstellungsgespräch. Furo hat es heute Morgen wahrlich nicht leicht…

A. Igoni Barrett nimmt seinen Protagonisten an die Hand und leitet ihn durch diese ungewöhnlich Situation. Ein happy end ist erst einmal nicht in Sicht. Auch wenn Furo sich auf einmal vor Herausforderungen gestellt sieht, die bisher unüberwindbar waren. Nun – als Weißer – hat er Chancen, die den meisten für immer verwehrt bleiben. Furo ist jetzt Weiß. Privilegiert. Was Besseres? Öfter als zuvor.

Es ist anfangs ein köstlicher Spaß dieser absurden Geschichte zu folgen. Nach und nach gelingt der Umschwung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der nigerianischen Gesellschaft. Das kulturelle Erbe des Landes ist ein wild zusammen gewürfeltes Geflecht aus unzähligen Traditionen und Ritualen, das es unmöglich macht eine nationale Identität zu kreieren. Man ist Igbo oder Edo, Fulani oder Haussa, aber nur außerhalb der Gesellschaft ist man Nigerianer. Innerhalb ist es eigentlich nur die Hautfarbe, die zusammenschweißt. Wenn die sich ins Gegenteil verklärt, steht die ganze Welt Kopf. Und das, was einen einst getragen hat, wirkt blutleer.

Ein sonderbarer Immigrant

Wer in Lagos, dem fälschlicherweise immer als Hauptstadt Nigerias bezeichneten Moloch, lebt, sollte an Absurditäten, Skurrilitäten und allerlei Fallstricke gewöhnt sein. Irgendwie ist das auch die Meinung des Erzählers. Lukmon. Denn irgendwie ist er selbst eine Skurrilität. Er ist Literaturwissenschaftler – die trifft man in der Millionenstadt auch nicht an jeder Ecke. Dass er in einer Bank arbeitet – als Literaturwissenschaftler – befeuert das Bild des Skurrilen. Er ist verheiratet mit Moriam, Krankenschwester. Ihnen geht es, wenn man den Rest der Bevölkerung Lagos’ betrachtet, relativ gut. Dennoch ist der Weg über den großen Teich ein Ziel, das sie nun endlich in Angriff nehmen wollen. Sie nehmen an der Greencard-Lotterie teil. Und … sie gewinnen – ob das wirklich so sein wird, zeigt sich erst im weiteren Verlauf des Buches.

Bisher ein Skurriler unter Landsleuten, trifft er in New Jersey auf seine Familie. Eine Bande von ungeahnten Skurrilitäten, die allerdings allesamt in einer fremden Umgebung aufgewachsen sind bzw. noch immer auf der Suche nach dem passenden Platz in der Gesellschaft sind. Lukmon wird zum Chronisten einer Generation von Immigranten, die ihm so nahe ist, dass er Platzangst bekommt.

Lukmon und Moriam sind nun Auswanderer, Immigranten. Die Zukunft in Nigeria sah düster aus. Das „was wäre wenn“ übertrumpft die Wurzeln und den Drang nach Veränderung vor der eigenen Haustür. Und was wird aus Taslim und Bashira, ihren Kindern? In Amerika sind zumindest die Chancen auf ein gutes, besseres, sichereres Leben größer.

Cousin Ismael ist die personifizierte Freiheitsstatue für die vierköpfige Familie, die aus der Zwanzig-Millionen-Stadt Lagos in die Fünfzehn-Millionen-Metropole New York zieht. Freiheitsstatue aber nur insofern, dass Ismael der Erste ist, den sie sehen. Der Cousin ist schon voll integriert, wie er meint. Schon beim Rundgang durch das Haus des Verwandten, dreht sich Lukmon der Magen um. Ismael hört gar nicht mehr auf die Dinge hervorzuheben, die er nun besitzt, die ihn von anderen unterscheiden. Ein Prahlhans erster Klasse! Das geht sicherlich vorbei, denkt sich Lukmon.

Doch er wird bald merken wie falsch seine Annahme ist. Denn im einst weit entfernten Amerika sind die, die ihm einmal nahe waren weiter entfernt als er es sich jemals hätte vorstellen können. Blut ist dicker als Wasser – doch die Familie ist wie eine Tüte Gummitiere, die zu lange in der Sonne lag: New York bietet ihnen Schutz. Doch im Inneren ist das Individuum nur ein Teil einer Masse, das sich nur schwer daraus lösen kann. Wo kommt man her, wo steht man, wohin führt der Weg? Die Masse bestimmt den Weg. Manche gehen so weit, dass sie ihre eigenen Wurzeln verleugnen … und das manchmal sogar freiwillig. Lukmon ist entsetzt, sieht aber auch Chancen, die die meisten nicht sehen wollen.

Sefi Atta ist in Lagos geboren, sie unterrichtet an der Mississippi State University – die Parallelen zwischen ihrem eigenen Leben und das ihrer Helden sind offensichtlich. Und darin liegt die Stärke all ihrer Bücher. Nähe und Distanz schließen sich in keiner Zeile aus. Die Symbiose aus Phantasie und eigenem Erlebten blüht in ihrem Werk auf jeder Seite wie eine farbenprächtige Wiese. Je tiefer man eintaucht, umso intensiver der Geschmack.

Das Warten auf Leben

Manchmal hängt ein Leben am seidenen Faden. Diese fast schon als poetisch einzustufende Phrase birgt jedoch mehr in sich als es sich die meisten vorstellen können. Manchmal aber auch hängt das Leben an einem papiernen Faden. Genauer gesagt am Papier, an den Papieren selbst. Wenn einer davon erzählen kann, dann ist es Moussa Mbarek. Und Yvonn Spauschus hat seine Geschichte aufgeschrieben.

Moussa Mbarek gehört zum Volk der Tuareg. Ihr Land, das nicht durch geographische Grenzen erkennbar ist, sondern Land ist, auf dem sie wandern, und das nicht im Sinne von pfeifend, mit dem Wanderstock, um ans Ziel zu gelangen! Sie haben ihre eigene Kultur, Sprache und Schrift. Doch in jedem Land (welches durch eine geographische Linie sich von anderen Ländern abgrenzt) werden sie argwöhnisch beäugt. Sie sind staatenlos. Sie sind nicht aus Mali, Niger, Libyen, Algerien oder Burkina Faso. Das ist nur solange ohne Belang bis sie sich ausweisen müssen, damit sie nicht ausgewiesen werden.

Ihm gelang es nach Deutschland zu kommen. Als Künstler wollte er arbeiten, sich ausdrücken und auch auf die Situation seines Volkes aufmerksam machen. Die erste Hälfte dieses besonderen Buches zieren diese Werke, die mit kurzen Texten die Ursprünge der Bilder erklären. Linolschnitte, Aquarelle und Drucktechniken sind die bevorzugten Techniken von Moussa Mbarek.

Es ist unerlässlich zu erwähnen, dass ein Künstlerleben oft mit Entbehrungen einhergeht. Das Klischee das daraus oft die eindrücklichsten Ergebnisse erzielt werden, mag das schlichte Gemüt entzücken, ist aber in keinster Weise eine zwingende Erforderlichkeit. Schon gar nicht Vertreibung aus dem angestammten Lebensraum, weil man nicht der ausgeschriebenen Norm entspricht. Wenn das so wäre, würde der Kunstmarkt unter der Wucht beispielsweise der afrikanischen Kunstflut zusammenbrechen.

Dieses kleine Büchlein ist einzig allein nur im Format vielleicht als klein zu bezeichnen. Im Inneren entblättert sich seine wahre Größe. Stilechte Kunst aus den Händen eines Tuareg, die bei längerem Verweilen immer wieder neue Sichtweisen aufzeigt. Kraftvolle Farben, die den Betrachter ins ferne Afrika ziehen, das durch eben diese Kunst so nahbar wird.

Die Texte von Yvonn Spauschus im zweiten Teil zeigen keineswegs nur Verzweiflung, sondern sind Mutmacher für all diejenigen, die den steinigen Weg der Flucht ebenso kennen.

Ifni – Spaniens letztes koloniale Abenteuer

Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. So steht es geschrieben, so ist es auch. Und es gibt unzählige Opfer, die diesem Opfer, zum Opfer gefallen sind.

Es ist Sommer 1921. Spanien führt wieder einmal Krieg, um seine koloniale Expansionspolitik unter Beweise zu stellen. In Marokko kommt es in Annual zu einer verheerenden Niederlage. König Alfonso XIII. dankte zwei Jahre später ab. Jahre später – die Diktatur von Primo de Rivera ist vorbei, Francos Diktatur steckt in den Startlöchern – wird heftig über die Gefangenen der „Katastrophe von Annual“, dem „Desaster“ diskutiert. Ein gefundenes Fressen für diejenigen, die die Macht in Spanien an sich reißen wollen und deren Anhänger. Aber auch für die Presse. Viele lassen sich vom Wahn der erforderlichen Befreiung mitreißen. Doch überall, wo einem starke Worte um die Ohren fliegen, gibt es mindestens einen, der versucht der Wahrheit – und es gibt immer eine Wahrheit! – ans Tageslicht zu befördern. Manuel Chaves Nogales, stellvertretender Direktor der Tageszeitung Ahora war vor Ort, in Marokko. Von den 300 spanischen Gefangenen hat er … keinen einzigen gesehen. Nicht einmal von ihnen gehört. Es gab ein paar Spanier, die hier lebten. Achtzig Jahre später hätten sie vielleicht in der spanischen Ausgabe von „Good bye España“ eine tragende Rolle gespielt. Aber als Gefangene eines missglückten Krieges taugen sie niemals.

Vielmehr ist Spaniens kolonialer Gegenspieler in der Region Frankreich als Gefängniswärter anzusehen. Doch wo keine Gefangenen, kein Wärter. Dann gibt es noch die Glücksritter, die sich die Farce zu Nutze machen wollen. Wenn es in den Medien diese Gefangenen gibt, die spanische Regierung deren Herausgabe fordert (sogar eine militärische Intervention in Betracht zieht), dann kann man die Situation ausnutzen und selbst ein paar Taler daran verdienen. Doch keiner hat mit Manuel Chaves Nogales gerechnet. Er kabelt in die Madrider Redaktion: „Es gibt keine Gefangenen!“. Nicht „es werden keine Gefangenen gemacht“, was eher einer Kriegsreportage gut stehen würde. Nein, es gibt schlichtweg keine Gefangenen!

Dieser Nogales war kein Hallodri, der sich blind und mutig in ein Abenteuer stürzte. Er war ein Intellektueller, der um die Macht der Worte wusste. Und er wusste diese Macht einzusetzen. Die Unnachgiebigkeit und die nüchterne Wiedergabe der Fakten machen seine Reportagen zu einem Pageturner, dem man gern nachgibt. Die so genannte vierte Gewalt, die Medien, relativieren im Fall des „Annual“, des Desasters, die perfiden Machtspiele einer künftigen Diktatur.

Erst jetzt entdeckt man Manuel Chaves Nogales in seinem Heimatland wieder. Gleichzeitig auch im deutschen Sprachraum. Francos Schergen hatten ganze Arbeit geleistet. Der Name Nogales war fast für immer aus dem journalistischen wie literarischen Gedächtnis Spaniens gelöscht. Zum Glück nur fast! Diese Stimme darf niemals versummen. Der Kupido-Verlag plant weitere Veröffentlichungen aus dem umfangreichen und abwechslungsreichen Werk des Spaniers.

Barroco tropical

Alles Gute kommt von Oben! Von wegen. Fragt man Bartolomeu Falcato, was er von dieser These hält, erntet man mehr als nur ein geringschätziges, viel mehr Wissen verheißendes Lächeln. Wenn man nicht sogar ausgelacht wird. Denn ihm ist etwas vor die Füße gefallen. Von Oben! Eine Frau. Was für Viele auf den ersten Blick wie eine Wunschvorstellung klingt, ist für ihn das Fanal für eine Odyssee, die vierundzwanzig Stunden anhalten soll. Dass er dabei in die tiefsten Abgründe seiner Stadt Luanda, der Hauptstadt Angolas, abtauchen wird, ist ihm zu Beginn noch nicht klar. Aber er hat eine Ahnung…

Die Tote hatte er ein paar Tage zuvor kennengelernt. Im Flugzeug. Núbia ist, war, ihr Name. Sie erkannte Bartolomeu, den Schriftsteller. Und sie machte ihm Avancen. Es war wie ihm Traum. Doch der Realist Bartolomeu blieb standhaft. Oder war er nur peinlich berührt? Nun sieht er im Fernsehen die Frau schon zum dritten Mal (Flieger, Straße, TV). Und er erinnert sich. Núbia berichtete ihm ganz freimütig, dass sie einst in höchsten Kreisen verkehrte. Verkehrte in jeder Hinsicht. Höchste Kreise, jawohl, bis hinauf zum Präsidenten. Das Telefonklingeln reißt ihn aus seinen Erinnerungen. Raus hier! Weg da! Hau ab! Es klingt wie ein Befehl, wie ein Flehen, wie ein gut gemeinter Rat. Na, was soll man davon nun halten?! Und was macht Bartolomeu Falcato, Schriftsteller, Dokumentarfilmer, auf so mancher Todesliste Stehender? Er lässt die Zeit Revue passieren.

Es erzählt von geheimnisvollen Zentren für nichttraditionelle Medizin, unsagbaren, unter dem Deckmantel obskurer Rituale stattfindenden Folterungen und von zufälligen Begegnungen, die wie ein Spinnennetz allesamt miteinander verbunden sind. Die kleinen Regentropfen darin sind flüchtige Schicksale einzelner Beteiligter, die schlussendlich eine andere – manchmal größere – Rolle spielen als man anfangs denkt.

Es ist erstaunlich wie schnell José Eduardo Agualusa den Leser in diesem Spinnennetz gefangen nimmt. Nach der über dreihundert Seiten dauernden Welle des Erstaunens ist man verdutzt wie leicht es dem Autor gelingt die Welt um sich herum zu vergessen. Ohne Abzusetzen liest man sich in einen Rausch, der nur eine Nebenwirkung hat: Ein glückliches Lächeln, das man diesem Autor bei der Arbeit zusehen durfte.

José Eduardo Agualusa nimmt eine Ausnahmestellung unter den Autoren Afrikas ein. Seiner Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. So real die Geschichte wirkt, so viel Fiktion birgt sie in sich. Und das obwohl einiges in „Barroco tropical“ dem echten Leben entlehnt ist, wie er im Nachwort zu bedenken gibt.

Die schönsten Landschaften unserer Erde

Um es gleich vorwegzunehmen: Bei so mancher Abbildung kommt man ins Zweifeln. Ist das echt? Gibt es das wirklich? Das kann doch nicht wahr sein, oder? Und die Antwort lautet stets: Ja, doch es ist so. Alles echt!

Wenn man aus dem Fenster schaut und das Grau des Alltags sieht, und dann ein wenig in diesem Prachtband herumblättert, kehrt im Handumdrehen die Hoffnung zurück. Mitten in der Namib-Wüste steht ein Kameldornbaum. Auf den ersten Blick denkt man an die letzten Stunden dieses Baumes. Die Wurzeln treten aus dem kargen Boden hervor, so als ob der Baum jeden Moment abzuheben droht. Keine Chance auf Wasser. Über ihm der sternenklare Himmel. Das, was wir so sorglos Zivilisation nennen, ist Lichtjahre entfernt. Und dennoch verströmt diese Ödnis eine Schönheit, die den Betrachter gefangen nimmt.

Wenn das Laub im Indian Summer das Auge vor die Herausforderung stellt, die Farben einzuordnen, sind kleine Details oft von Belang. Vor den Stämmen eines durch und durch grauen Waldes scheinen die roten Blätter eines Laubbaumes wie eine Verhöhnung der Tristesse.

Eine Luftaufnahme aus dem Muddus National Park in Schweden führt erst einmal in die Irre. Wolken, Wald, karges Gebirge. Bei genauerem Hinsehen realisiert man, dass der Berg vom Wasser umgeben ist, auf dessen glatter Oberfläche sich die Wolken am Himmel spiegeln.

Nur drei Beispiele für die Vielfalt der ausgewählten Bilder in diesem Buch. Jedes Bild, jede Seite, oft Doppelseite, ist eine Reise in die Schönheit der Natur. Nicht oft, sondern immer wird man daran erinnert, was es damit auf sich hat, wenn von der Schönheit von Mutter Natur die Rede ist. Und warum wir sie beschützen müssen.

Die Fotografen, die ihre best shots für dieses National Geographic Buch zur Verfügung gestellt haben, tragen immer noch ein Lächeln im Gesicht. Sie haben etwas gesehen, das viele nur aus diesem Buch kennen werden. Es sind nicht einfach nur Momente, die zum richtigen Zeitpunkt festgehalten wurden. Es sind Abbildungen vom oberen Ende der Einzigartigkeit in der Natur. Man fühlt sich privilegiert sich in diese Bilder hineinziehen zu lassen. Einmal um den Erdball und dabei nur das Beste vor die Augen zu bekommen. Oscar Wilde wäre es gerade gut genug gewesen. Man möchte nicht aufhören in diesem Buch zu blättern!

Asche und Sand

Manchmal komprimiert sich die Geschichte eines ganzen Landes in einer kleinen Gruppe. Auf einem Fluss in Mosambik durchpeitschen die Ruder das Wasser. In dem kleinen Boot sind Imani, die als Übersetzerin ihr Volk mit den Besatzern aus Portugal zusammengeführt hat. Germano, dessen Militärposten angeführt wurde, der sich in Imani verliebte. Und der Sargento Melo, verletzt durch einen Schuss, den Imani abgab, weil ihren geistig zurückgebliebenen Bruder – auch mit an Bord – vor Schlimmerem bewahren wollte. Und Bianca, die Freundin des Sargento, der es immer noch nicht fassen kann, dass ausgerechnet ihm in die Hand geschossen wurde. Bianca kann ihn davon überzeugen, dass Imani ihn gerettet hat. Außerdem ist Katini an Bord, Imanis Vater, der Musiker, der wie kein Anderer die Leute in eine fröhliche Stimmung versetzen kann, wenn er spielt. Doch im Moment ist niemandem nach feiern zumute.

Sie wollen das nächstgelegene Krankenhaus erreichen, um zu retten, was zu retten ist. Doch Mosambik ist vom Krieg zerfurcht. VaCopi und VaNguni bekriegen sich bis auf den letzten Tropfen Blut. Portugal, die Kolonialmacht, dessen Soldaten einen Kampf führen, den sie gar nicht führen wollen. Die Kultur ist ihnen fremd, die Temperaturen sind zu hoch. Und die gigantische Armee der Einheimischen setzt ihnen mehr zu als die Generäle es erahnen können.

Für Imani und ihre Gefährten ist es doppelt gefährlich. Diese Mischung als Tradition, Pflichtbewusstsein und Liebe spiegelt das zerrissene Land auf unnachahmliche Art und Weise wider. Für jede Seite der kämpfenden Parteien sind sie Feind und Freund gleichermaßen. Eine List könnte Frieden bringen, kurzfristig. Imanis Vater schlägt vor Imani mit dem Anführer der Ngungunyane, die Imanis Volk mit unbeschreiblicher Grausamkeit bekämpfen, als Frau anzubieten. Nicht allein, um Frieden zu säen, um den Herrscher friedlich zu stimmen. Nein, er hat einen ganz anderen Plan…

Mia Coutos Trilogie zeigt beeindruckend, dass man doch noch nicht alles, was es zu lesen gibt, gelesen hat. In seinen Worten schwingt stets die Hoffnung mit, dass das Gute immer siegen wird. Dabei muss man die festgetretenen Pfade verlassen und darf im unwegsamen Gelände nicht den Mut verlieren. Diese Trilogie verrät mehr über Afrika als so mancher eindrucksvoller Reisebericht, da er der Kultur auf den Grund geht.

Reisen

Bisher verlief alles eigentlich mehr oder weniger normal im Leben des nigerianischen Mannes, dessen Reisen in diesem Buch so wie „das Normalste auf der Welt“ beschrieben werden. Er lebt in den USA, seine Frau ist Künstlerin. Ihn plagen auch keine Sorgen.

Das wird sich ändern als Gina, seine Frau ein begehrtes Stipendium für einen Aufenthalt in Berlin erhält. Das war im Herbst 2012. Das Jahr, in dem die Welt untergehen sollte … laut den Berechnungen der Mayas. Naja, wenn man es pessimistisch betrachtet…

Schon bald lernt er Mark kennen. Ein Typ, den man sich nicht besser malen kann. Student, keiner Protestaktion abgeneigt, stur, immer mit dem Kopf durch die Wand. Mit einem Augenzwinkern könnte man ihn als Hallodri bezeichnen. Nun sitzt er im Gefängnis. Wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Dabei kommt heraus, dass seine Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist. Zum Glück hat er Freunde wie Ginas Ehemann. Sie, Gina, ist weniger erfreut über die Hilfsbereitschaft ihres Gatten. Denn Mark ist nun gar nicht der, der er vorgibt zu sein…

Eine verrückte Geschichte, die unserem Helden da passiert ist. So etwas schärft die Sinne. So was wird ihm nie wieder passieren! Da mag er recht haben. Doch ihm werden noch ganz andere Dinge passieren. Er verliebt sich neu, reist in die Schweiz, um einen Tod aufzuklären und landet unversehens in einem Flüchtlingstreck. Das „Schokolade, Schokolade“, das ihm Kinder in Berlin kindlich-naiv hinterherrufen, erscheint ihm bald schon als Randnotiz in seinem Leben…

Helon Habila greift ganz tief in die Ironiekiste. Unbeirrt lässt er seinen akademisch ausgebildeten Helden die soziale Leiter hinabsteigen. Doch nicht der Verlust irgendwelcher materiellen Werte lässt ihn verzweifeln, sondern die Hoffnungslosigkeit die ihm, dem Mann, dem bisher alle Türen geöffnet wurden, ohne passenden Schlüssel vor den Toren der Zukunft leiden lassen. Helon Habila hat mit „Öl auf Wasser“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihm gesellschaftliche Themen am Herzen liegen. Und dass er sie schwungvoll einem breiten Publikum vermitteln kann. Mit „Reisen“ verfolgt er ganz stringent einen Mann, dem das Leben ins Gesicht spuckt. Zuerst mit kleinen Nickligkeiten. Die nimmt man unüberlegt als gegeben hin. Doch wie unser Held stolpert man als Leser gleichsam in einen Strudel aus Korruption, Vorurteilen und Hoffnungslosigkeit, dem man sich nicht entziehen kann. Wäre es nicht so traurig – wie unsere Welt ist – man könnte stundenlang darüber lachen. Es liegt an einem selbst, wie sehr man dem nachgibt.

Atlas der verlorenen Sprachen

Im Urlaub steht man oft auf verlorenem Posten, wenn man mit einer Sprache konfrontiert wird, die rein gar nichts mit der eigenen Muttersprache zu tun hat. Wenn dann auch die Schriftzeichen an Kinderkritzeleien erinnern als an das in der Schule erlernte ABC, ist der Ofen aus. Nun gibt es aber auch Sprachen, die selbst den Einheimischen ein Fragezeichen über den Kopf malen. Sprachen, die vom Aussterben bedroht sind, weil sie nur noch von ein paar hundert Auserwählten verstanden und gesprochen wird. Archäologen und Historiker sehen darin eine Herausforderung. Für den Normalsterblichen sind das dann im besten Fall Bücher mit sieben Siegeln.

Der „Atlas der verlorenen Sprachen“ vom Duden-Verlag – von wem sonst – gibt diesen Sprachen eine Stimme. Rund um den Globus gibt es tatsächlich noch Sprachen, für die es bei der UNO keinen einzigen Übersetzer gibt. Die Völker stehen nicht nur im Abseits, sie sind gezwungen eine allgemeinverständliche Sprache zu sprechen, die jedermann versteht, und die eigene Sprache als Relikt von anno dazumal als folkloristisches Schmankerl hinter dem Ofen zu verstecken.

Der Atlas zählt nicht nur Sprachen auf, die nur noch von ganz wenigen gesprochen werden oder gänzlich verschwunden sind. Es ist erstaunlich wie viel trotz aller Widrigkeiten noch über diese Sprachen bekannt ist. Welche Besonderheiten besaßen diese Sprachen? Welche Struktur wiesen sie auf? Und es gibt Wortbeispiele, die man im Bedarfsfall sogar anwenden kann. Beispielsweise, wenn man in Litauen unterwegs ist, und man einen der noch rund achtzig SprecherInnen antrifft, die Karaimisch sprechen. Die sprechen natürlich auch litauisch, doch wer spricht schon litauisch? Ein paar Brocken zieht man sich aus dem Reiseband. Aber ein richtiges Gespräch kann man damit immer noch nicht führen. Karaimisch ist eine so genannte Turksprache, eine Sprachgruppe, die man gemeinhin südlicher erwartet. Der Atlas gibt nicht nur ein paar Wörter preis, die auf alle Fälle als Start in ein Gespräch nutzbar sind, sondern gibt nachvollziehbar preis, wie die Sprache aufgebaut ist.

Von Alaska bis in die Anden, vom südlichen Afrika über die Savannen bis in den hohen Norden Europas und die entlegensten Insel der Südsee spricht oder sprach man Sprachen, die schon in Vergessenheit geraten sind, bevor die Worte Gentrifizierung und Globalisierung aufs Tapet gelangten. Sprache als Kulturmerkmal Nummer Eins einmal anders. Das Faszinosum des Verschwundenen und des Verschwindens beflügelt unsere Phantasie (wobei auch hier sicher bald das Ph verschwindet, um dem F Platz machen muss – so viel zum Verschwinden von Sprache und wie es geschieht).