Ein sonderbarer Immigrant

Wer in Lagos, dem fälschlicherweise immer als Hauptstadt Nigerias bezeichneten Moloch, lebt, sollte an Absurditäten, Skurrilitäten und allerlei Fallstricke gewöhnt sein. Irgendwie ist das auch die Meinung des Erzählers. Lukmon. Denn irgendwie ist er selbst eine Skurrilität. Er ist Literaturwissenschaftler – die trifft man in der Millionenstadt auch nicht an jeder Ecke. Dass er in einer Bank arbeitet – als Literaturwissenschaftler – befeuert das Bild des Skurrilen. Er ist verheiratet mit Moriam, Krankenschwester. Ihnen geht es, wenn man den Rest der Bevölkerung Lagos’ betrachtet, relativ gut. Dennoch ist der Weg über den großen Teich ein Ziel, das sie nun endlich in Angriff nehmen wollen. Sie nehmen an der Greencard-Lotterie teil. Und … sie gewinnen – ob das wirklich so sein wird, zeigt sich erst im weiteren Verlauf des Buches.

Bisher ein Skurriler unter Landsleuten, trifft er in New Jersey auf seine Familie. Eine Bande von ungeahnten Skurrilitäten, die allerdings allesamt in einer fremden Umgebung aufgewachsen sind bzw. noch immer auf der Suche nach dem passenden Platz in der Gesellschaft sind. Lukmon wird zum Chronisten einer Generation von Immigranten, die ihm so nahe ist, dass er Platzangst bekommt.

Lukmon und Moriam sind nun Auswanderer, Immigranten. Die Zukunft in Nigeria sah düster aus. Das „was wäre wenn“ übertrumpft die Wurzeln und den Drang nach Veränderung vor der eigenen Haustür. Und was wird aus Taslim und Bashira, ihren Kindern? In Amerika sind zumindest die Chancen auf ein gutes, besseres, sichereres Leben größer.

Cousin Ismael ist die personifizierte Freiheitsstatue für die vierköpfige Familie, die aus der Zwanzig-Millionen-Stadt Lagos in die Fünfzehn-Millionen-Metropole New York zieht. Freiheitsstatue aber nur insofern, dass Ismael der Erste ist, den sie sehen. Der Cousin ist schon voll integriert, wie er meint. Schon beim Rundgang durch das Haus des Verwandten, dreht sich Lukmon der Magen um. Ismael hört gar nicht mehr auf die Dinge hervorzuheben, die er nun besitzt, die ihn von anderen unterscheiden. Ein Prahlhans erster Klasse! Das geht sicherlich vorbei, denkt sich Lukmon.

Doch er wird bald merken wie falsch seine Annahme ist. Denn im einst weit entfernten Amerika sind die, die ihm einmal nahe waren weiter entfernt als er es sich jemals hätte vorstellen können. Blut ist dicker als Wasser – doch die Familie ist wie eine Tüte Gummitiere, die zu lange in der Sonne lag: New York bietet ihnen Schutz. Doch im Inneren ist das Individuum nur ein Teil einer Masse, das sich nur schwer daraus lösen kann. Wo kommt man her, wo steht man, wohin führt der Weg? Die Masse bestimmt den Weg. Manche gehen so weit, dass sie ihre eigenen Wurzeln verleugnen … und das manchmal sogar freiwillig. Lukmon ist entsetzt, sieht aber auch Chancen, die die meisten nicht sehen wollen.

Sefi Atta ist in Lagos geboren, sie unterrichtet an der Mississippi State University – die Parallelen zwischen ihrem eigenen Leben und das ihrer Helden sind offensichtlich. Und darin liegt die Stärke all ihrer Bücher. Nähe und Distanz schließen sich in keiner Zeile aus. Die Symbiose aus Phantasie und eigenem Erlebten blüht in ihrem Werk auf jeder Seite wie eine farbenprächtige Wiese. Je tiefer man eintaucht, umso intensiver der Geschmack.