Das kann immer noch in Wien passieren

Als Wien-Tourist kann man es nur schwer vorstellen, dass hier so etwas wie Alltag einkehrt. Alle paar Meter gibt es etwas zu entdecken, dass es so eben nur hier gibt. Mit großen Augen marschiert man an beeindruckender Architektur vorbei, schaut hier und da mal rein, überblickt von so manchem Hügel die Metropole, berauscht sich in einem der zahlreichen Museen und lässt es sich im Café gutgehen.

Der alltägliche Schmäh ist da nur ein Beiwerk, das man erst bei genauerem Hinhören zu verstehen weiß. Es sind jedoch die Alltagsgeschichten wie in diesem Buch, die den Wien-Touristen vom Wienexperten unterscheidet. Wer also dem Schlangestehen am Café Central oder (noch schlimmer, weil länger) am Sacher nichts mehr abgewinnen kann, wem das Belvedere schon näher ist als die heimische Umgebung, der wird den Wienern mit Genuss aufs Maul schauen. Und wenn’s nicht allzu wianerisch wird, versteht man es … zumindest akustisch. Inhaltlich wird’s da schon ein wenig verzwickter. Doch es gibt Abhilfe.

„Das kann immer noch in Wien passieren“ ist die Allzweckwaffe im Wunderschönfinden des Alltagssingsangs in der Donaumetropole! Denn nicht alles, was so melodisch ans Ohr geflogen kommt, ist mit Liebreiz und Wohlwollen behaftet. Es sind schon deftige Abreibungen, die man allerorten vernehmen kann. Das beginnt bei der familiären Aufarbeitung der eigenen Geschichte derjenigen, die nicht fliehen mussten. Was den Autor dieser Anekdote dazu veranlasst zu bemerken, dass sein Gegenüber zumindest dafür verantwortlich ist, dass seine Familie fliehen musste, wenn sie denn konnte. Starker Tobak, wenn so ein Dialog „zwischen Tür und Angel“ stattfindet.

Diese Alltagsgeschichten sind gespickt mit Perfidität, laissez-faire und einer ordentlichen Portion Schärfe und Wortwitz. Oberflächlich eine schonungslose Abrechnung mit der hauptstädterischen Arroganz gegenüber allen von außerhalb. Doch in der Tiefe liegt der wahre Schatz dieses Buches vergraben.

Nicht alles, was scharfkantig ist, verletzt. Als Trostpflaster kann man dieses Buch ebenso verstehen. Denn wird vorbereitet ist, entgeht so manchen Verbalscharmützel. Zartbesaitete können in Wien schnell unter die Räder kommen, wenn sie sich nicht bewusst sind, dass nicht alles so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Und in Wien kocht man sehr heiß – also verbal. Als Zusatzlektüre für den einen oder anderen Reiseband ist dieses kleine Büchlein, das sich mit Macht gegen übertriebene Korrektheit wehrt, unverzichtbar. Und mit diesem Buch in der Hand, am richtigen Ort kommt man garantiert mit echten Wianern ganz schnell ins Gespräch.