Archiv für den Monat: Mai 2013

Den Vater töten

Den Vater töten

Den Vater nie kennengelernt, von der Mutter unsanft aus dem gemeinsamen Heim geworfen – „Was soll aus so einem nur werden?“ Die Wahl scheint oft zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Gefühlskälte und einzigartigen Fähigkeiten hin und her zu pendeln.

Joe Whip ist mit seinen Zaubertricks seit einem Jahr der verzückende Star der Bars und Clubs der Spielerstadt Reno am Rande der Sierra Nevada. Norman Terence ist ein begnadeter Magier, der den 15jährigen ein neues Heim gibt und ihn in die Geheimnisse der großen Magier einweihen will.

Joe lernt begeistert – und dafür gibt es mehrere Gründe. Zum Ersten will er betrügen können, ein Ansinnen, das ihm Norman sofort wieder austreibt. Zum Anderen ist er, gelinde gesagt, total verschossen in Christina, Normans Freundin.

Diese Liebe in eine – für ihn – handfeste Tat umzusetzen, soll aber noch einige Zeit dauern. Denn erst an seinem 18. Geburtstag werden Christina und Norman ihn mit zum Burning Man Festival mitnehmen. Eine Welt, die Joe in eine Parallelwelt versetzen wird. Verrückte allenthalben, Feuerspucker (wie Christina), Gestalten aus fernen Galaxien, dauerhafte musikalische Beschallung und der Drang sich endlich Christina zu vereinigen. Sie wird es genauso wollen wie er. Joe und Norman geraten in einen Streit. Die hippiemäßige freie Liebe wird bei Norman einem Besitzanspruch weichen. Joe ist besessen von der Idee Christina, die nie seine Mutter war, und sich doch wie eine um ihn kümmerte, zu erobern, zu verführen und schlussendlich zu besitzen. Dieser philosophische Diskurs bringt die beiden Männer näher als sie es sich je eingestehen würden.

Joe verlässt Norman und Christina, um in Las Vegas Karriere zu machen. Was ihm auch anfangs gelingt …

Nicht jeder Vater muss nun Angst um sein Leben haben, wenn sein Kind ihm eröffnet: „Ich lese gerade Amélie Nothomb – ‘Den Vater töten‘“ Die Anleitung zum Patrizid oder Vatermord hält sich in Grenzen. Rasend schnell entwickelt Amélie Nothomb die Geschichte und vertieft den Leser nicht minder langsamer in den Strudel der Geschichte. Das Ende ist eines Hitchcock Thrillers würdig. Wer kurz vor Ende des Buches meint, die Lösung zu kennen, ist ein Narr oder ein unsagbar begnadeter Magier. Ebenso wie Joe, Norman und ein Belgier.

Mein Nachrichtendienst

Mein Nachrichtendienst

Auch in der Fremde der Heimat verbunden sein – für Thomas Mann und seine Familie war ein (über-)lebenswichtiges Elixier. Der Zaubertrank waren die Briefe von Hedwig Pringsheim an ihre Tochter Katia, Ehefrau und Rückstärkung des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann. Dreihundertfünfundsiebzig Briefe schrieb sie von 1933 bis 1941 an ihre Tochter. Bis 1939 hielt sie es in Deutschland aus, emigrierte aber nach Enteignung und unerträglichen Demütigungen in die Schweiz, wo sie 1942 starb.

Als junge Frau eroberte sie die Bretter, die die Welt bedeuten. Ihre allseits beliebte Eloquenz bescherte ihr den Ruf einer exzellenten Gastgeberin und Rednerin. Diese Eigenschaft macht diesen fast zweitausend Seiten starken Doppelband zu einem Leseereignis, das seinesgleichen sucht. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn hatten bereits 1933 Deutschland verlassen müssen, um dem Naziterror „abroad“ sich entgegenzustellen.

Natürlich konnte Hedwig von Pringsheim nicht alles so schreiben wie sie es gern wollte. Sie wählte Vergleiche aus Literatur und Musik, um die emigrierte Familie „aus dem Laufenden zu halten“. Nicht alle dieser Codes erschließen sich dem Leser auf den ersten Blick. Herausgeber Dirk Heißerer gibt im hinteren Teil jedes der Bände eine Verständnishilfe und knackt die wohl formulierten Gleichnisse.

So entsteht beim Lesen ein exaktes Abbild der Verhältnisse im Deutschland unter der Knute der Nazis und ihrer Schergen. Das jüdische Großbürgertum war durch – in einigen Teilen der Welt, aktuell im sich erschreckend rasant sich zum Schlechten entwickelnden Ungarn, weit verbreitete Vorurteile – besonders unter Beschuss geraten. Materiell litt die einstige wirtschaftliche und intellektuelle Elite besonders unter den Repressalien.

„Mein Nachrichtendienst“ ist eine Biographie einer Familie im dunkelsten  Deutschland, aber gleichsam eine Leidens- und Lebensgeschichte eines Landes, das so stolz auf seine Dichter und Denker, seine Errungenschaften und seinen Ruf als Land der Forscher war und es auch durfte. Dass die Nazis den Subtext nicht erkannten, liegt an ihrer Engstirnigkeit und Inflexibilität, aber vor allem an der geschickten Handhabung der Sprache durch Hedwig von Pringsheim. Der Doppelband ist sicherlich kein Buch, das man nebenbei liest. Der Stoff ist ein harter, teils amüsanter, weil er durchgegangen ist. Vor allem aber authentisch. Denn die Verfasserin der Briefe bot lang dem Regime die Stirn. Ihre Eigensinn und ihr scharfer Verstand erlaubte es ihr Einblicke zu geben, die so manchem „Weggucker“ verborgen blieb. Nun sind diese Briefe in einem eleganten Schmuckschuber in zwei Bänden erhältlich und definieren die literarische Aufarbeitung des zwölfjährigen Reiches neu.

Kerfe des Waldes

Kerfe des Waldes

Kerfe sind den meisten unter dem Begriff Insekten bekannt. Diese kleinen Biester, die im Sommer über der leckeren Torte herumschwirren. Aber auch dieselben kleinen Biester, die dafür sorgen, dass die Blumenpracht auch eine Pracht bleibt.

Hier ist nun das Standradwerk zur Bestimmung der Kerfe des Waldes. Alle „kleinen Biester“ werden hier in Originalgröße – das unverwechselbare Merkmal der Buchreihe – abgebildet. Aber nicht einfach nur so. Nein, feingliedrige Zeichnungen, die wirklich jedes Detail abbilden, verzaubern den Leser ab dem ersten Umblättern.

Vom Hirschhornkäfer haben viele schon einmal gehört. Wie er aussieht – davon haben noch weniger eine Ahnung. Und da Weibchen und Männchen unterschiedlich aussehen, werden auch beide abgebildet. Schmetterlinge faszinieren den Betrachter wegen ihrer Flugeleganz. Aber wer hat schon mal die Möglichkeit einen Schmetterling aus der Nähe in aller Ruhe zu beobachten? Meist sind die flinken Leichtgewichte sofort wieder weg. Dank der Abbildungen im Buch erfährt man, dass ein Zitronenfalter nicht nur komplett gelb ist, er hat vier kaum wahrnehmbare rote Punkte.

Prof. Dr. Gottfried Amann – der Autor – beschränkt sich allerdings nicht nur auf die bloße Abbildung der Kerfe des Waldes, Vielmehr erläutert er wissenschaftlich und zugleich leicht verständlich die Eigenschaften der vorgestellten Tiere.

Im Bilderteil legt er sein Hauptaugenmerk auf die Darstellung der Kerfe, aber nicht nur darauf allein. Eier, Larven und Puppen sowie die Fraßbilder werden genauso dargestellt. Wer also bei seinem nächsten Waldbesuch an einer angeknabberten Pflanze vorbeischaut, kann nun genau bestimmen, welches gefräßigeTier sich hier zu schaffen gemacht hat.

Die unglaubliche Vielfalt der Kerfe in unseren Wäldern erstaunt immer wieder. Und genauso erstaunt es den Leser, welch Aufwand die Macher des Buches betrieben, um wirklich jedes Insekt abzubilden.

Cloud city

Cloud City

Dem Alltag davon schweben – den eigenen Gedanken, dem eigene tun nachgehen und nachhängen – urbane Gestalten gestalten ihren Rhythmus differenziert. Die Kurzgeschichten in „Cloud city“ unterscheiden sich gehörig von dem, was man als geübter Leser kennt und erwartet. Mark Heydrich erfindet Figuren, die es so nicht gibt. Oder doch?! Er lässt sie gewähren in ihrem Handeln, er wertet nicht. Und: Er gibt dem Leser viel Freiraum für Interpretationen.

Mit brachialer Präzision wirft er dem Leser Bruchstücke von Leben hin, konstruiert vage Geschichten und lässt Handlungsstränge und Ende offen. Der Leser wird unweigerlich in die Zeilen hineingezogen, um muss nun – wohl oder übel – für sich entscheiden, was er dem Helden antut oder welchen Weg er ihn einschlagen lässt. Das wird dem Leser aber erst beim Lesen bewusst. Einmal in den Fängen des Autors, gibt es kein Entkommen mehr. Wie Sand rinnt die Geschichte durch die Finger. Sie festzuhalten obliegt demjenigen, der die Zeilen vor seinem lesenden Auge hat. Ein Spiel, auf das man sich einlassen muss.

Hat man den Dreh raus, öffnet sich ein Paradies der Sinne. Auswanderer verlieren ihren Mut, Banalitäten wie eine defekte Glühbirne erheben sich zum Dreh- und Angelpunkt einer Brunchrunde unter Freunden. Und immer mit dabei: Der Leser. Unmerklich wird er Bestandteil der Geschichten.

Mal werden Rachegelüste in die Tat umgesetzt, oder nicht?! Der Leser muss jetzt entscheiden. Ist er Konsument, Zuschauer oder Beteiligter?

„Cloud city“ ist Mit-Mach-Lesen erster Klasse.

Römische Villen und Paläste

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Einmal die eigenen Erlebnisse für alle Ewigkeit bewahren können. Einmal echten Profis über die Schulter schauen. Einmal nur. Massimo Listri lässt sich über die Schulter schauen. Bei seinen Streifzügen durch Rom. Seine Besuche in den Villen und Palästen der Ewigen Stadt sind ein Hingucker. Nein, sie sind mehr. Sie sind die Abziehbilder unserer Phantasie. So stellen wir uns Rom vor. Weitläufige Gartenanlagen. Elegant geschwungene Aufgänge. Protzige Fassaden. Rom ist voll von solchen Gebäuden. Und sie sind exzellent erhalten. Nur nicht für jeden besuchbar.

Und da kommt der Fotograf Massimo Listri ins Spiel. Denn er darf. Er darf ins Innere der einstigen Macht- und Prachtbauten. Mit dem Auge fürs Detail führt er den jungfräulichen Leser gewandt durch gestandenes Mobiliar. Hier wurden die Geschicke ganzer Generationen bestimmt und gelenkt.

Das Titelbild zeigt den Ausblick in den Garten der Villa Medici. Ein weißer Prunkbau mit reich verzierter Fassade, die dem Besucher eine ordentliche Maulsperre verpasst. Zwei Löwen bewachen lebensecht den Zugang zur Villa. Verspielt hält einer der beiden eine Kugel in der Pranke. Die Anspielung auf das Machtstreben der toskanischen Familie, die im Mittelalter ganz Europa, inkl. Papsttum in den monetären Klauen hielt. Überladene Deckenmalereien lassen den Rundgang kurz stocken. Wie eine Erzählung aus vergangenen Zeiten schweben Engel und leichtbekleidete Grazien über dem Betrachter. Im Garten tummeln sich Statuen, Brunnen sind mehr als nur Wasserspender.

Doch „Römische Villen und Paläste“ ist mehr als „nur“ ein Bildband. Die ausführlichen und kenntnisreichen Texte von Carlo Cresti und Claudio Rendina erläutern jedes noch so kleine Detail. Sie sind die wahren Helden dieses Buches. Sachlich und darauf bedacht nicht auszulassen, geben sie den Blick frei, den Massimo Listri mit seiner Linse so gefühlvoll freigeschaufelt hat. Ihre Texte verleihen dem überirdischen Bildband die Bodenhaftung.

Ein Buch für Frühaufsteher, denn daran satt sehen, kann man sich nicht in ein paar Minuten. Ein Buch für Rom-Enthusiasten, denn so haben Sie Rom noch nie gesehen. Ein Buch für Ästheten, denn noch nie wurde ein Großstadt so grazil dargestellt.

Herrenhäuser in der Normandie

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Verwitterte Fassaden im strahlenden Grau der Sommersonne. Akkurat geschnittene Heckenfronten. Holzschindeln, deren Abnutzungsgrad an Wiederaufbau denken lässt. Geschickte Handwerkskunst an den Fachwerken. Ja, wir sind in der Normandie. Weit ausladende Behausungen mit endlos erscheinenden Dachflächen. Rustikal und dennoch erhaben stehen sie allen Winden trotzend im saftigen Grün der Landschaft: Herrenhäuser.

Manche sind Festungen, die schon ein Jahrtausend lang hier verwurzelt sind und sich schon so manchem Ansturm erwehren mussten. Ein Blick ins Innere lässt Phantasien vom savoir-vivre und vom Leben wie Gott in Frankreich aufkeimen. Auf den Dachböden lagern riesige Fässer, in denen edle Tropfen reifen. Auf dem saftigen Grün geht Federvieh dem Müßiggang nach. Seerosen beschützen Neptuns Gefährten in liebevoll gestalteten Teichen. Wenn man jetzt und hier vom Blitz getroffen wird, man würde nichts vermissen.

Apropos vom Blitz getroffen. Dreihundertsechzig Seiten für unglaubliche zehn Euro. Guter Geschmack muss nicht teuer sein. Schon beim ersten Durchblättern wird die Phantasie beflügelt. Einmal verführerisches Burgfräulein oder mutiger Ritter sein. Ritterspiele in scheinbar unberührter Natur veranstalten. Kein einziges Anwesen wirkt irgendwie gekünstelt. Mutter Natur hat ihrer Vorstellung immer wieder ein neues Gewand verpasst. Doch die anscheinende Belassenheit ist das Ergebnis Jahrhunderte langer Pflege und Weiterentwicklung.

Régis Faucon hat diese architektonischen Erbstücke gekonnt in Szene gesetzt. Yves Lescroart füllt die Wissenslücken gekonnt mit historischen Fakten ohne dabei den schillernden Charakter des Bildbandes zu sehr ins Wissenschaftliche zu ziehen.

„Herrenhäuser in der Normandie“ ist eine Zierde für jeden Bücherschrank. Doch es nur als Vorzeigestück zu bezeichnen, wäre Platzverschwendung. Geballtes Fachwissen trifft auf geschultes Auge. Das Ergebnis ist eine geballte Ladung Fernweh mit Nebenwirkungen wie Reisefieber.

Untat

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Sechzehn Grundsätze umfasst der Pressekodex der deutschen Presse. Einer davon lautet, dass man immer der Wahrheit verpflichtet ist und keine unlauteren Methoden anwendet. Man darf die Menschenwürde und Ehre nicht verletzen. Hehre Ziele, an die sich gute Journalisten auch halten. Nun gibt es aber – wie in jeder Branche, was keine Entschuldigung sein soll – auch schwarze Schafe. Die kommen an ihre Geschichten nur, wenn sie den Pressekodex missachten und so manche Grenze überschreiten.

Zwei dieser Exemplare spielen die Hauptrollen in Guido Rohms Krimi „Untat“. Ein Entführer und Mörder – sie nennen ihn Oscar, weil er es ihnen so vorgibt – kündigt die Entführung eines Kindes an. Die beiden sollen ihn dabei begleiten. Über ihn berichten. Hinterher. Wenn alles vorbei ist. Wenn er sein Lösegeld hat. Wenn er, Oscar, in Sicherheit ist.

Und schon haben wir, die Leser, die erste Zwickmühle. Normalerweise braucht ein Krimi immer einen (oder mehrere) Schurken. Und einen (oder mehrere) gute Jungens.

Oscar ist der Typ Mensch, den man seine kriminellen Absichten sofort ansieht. Die beiden namenlosen Journalisten erkennen in ihm eine krude Mischung aus Peter Lorre und Edward G. Robinson. Überhaupt hegen die beiden eine tiefgehende Liebe zu amerikanischen Gangsterfilmen. Leider haben sie daraus auch ihr Wissen über Verbrechen bezogen. Denn Hollywood ist nicht die reale Welt, und umgekehrt.

Oscar macht den beiden unmissverständlich klar, wer hier die (dreckigen) Hosen anhat. Er! Zwei Tage dauert die Vorbereitung des Verbrechens, für das sogar im Knast wenig Sympathie herrschen wird. Zwei Tage ohne entsprechende Hygiene, ohne passendes Essen. Die beiden Schreibtischtäter (zumindest waren sie es bis vor Kurzem noch) rümpfen elitär-angewidert die Nase, fassen die Umstände aber als zum Spiel dazugehörig auf. BCP – Bier, Chips und Pornos bestimmen nun den Tagesablauf. Am dritten Tag verschwindet Oscar, um das Verbrechen zu verüben. Ohne die beiden, Naseweise. Die würden nur stören.

Fast wie im richtigen Leben läuft auch hier nicht alles glatt. Guido Rohm lässt den Leser im Unklaren, was da eigentlich passiert. Andeutung reiht sich an Vermutung, Vermutungen liefern sich ein Bäumchen-Wechsel-Dich mit perfiden Träumen. Der Leser wird hin und hergerissen vom geschickten Spiel des schwerfällig Haupttäters mit seinen willigen Helfern. Am Ende … ja das Ende. Selber lesen!

Die Verwahrten

Die Verwahrten

Sicherheitsverwahrung. Verwahrung. Was soll das heißen? Woher kommt dieses Wort? Komisches Wort. Verwahrung. Ist jemand oder etwas nicht verwahrt, ist er/es dann verwahrlost?

Bis vor kurzer Zeit war es so, dass Schwerstkriminelle ohne Aussicht auf die so genannte Resozialisierung (noch so ein Wort, das man immer gern benutzt, aber über dessen eigentliche Bedeutung man sich nie Gedanken macht) nach Verbüßung ihrer Strafe in eine Sicherheitsverwahrung kamen. Und zwar so lange, bis sie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellten. Diese Gangart haben aber Europäischer und Bundesgerichtshof verworfen. Wer seine Strafe verbüßt hat, ist frei.

Peter Neugebauer ist 49 Jahre alt und ist seit drei Tagen auf freiem Fuß. Er wollte zu seiner Verlobten, all das nachholen, was ihm in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht erlaubt war. Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und schwere Körperverletzung warf man ihm (zu Recht) vor. Nun steht er wieder in einer Zelle, nur wenige Schritte breit. Ab und zu kommt ein Wärter, Ankläger und Richter in einer Person vorbei und löchert ihn wohlformuliert mit Fragen, gibt klare Anweisungen. Peter Neugebauer ist nun 1/2011. Eine Nummer – mehr nicht. Schnell wird klar, dieses Gefängnis ist anders, härter als das, aus dem er gerade entlassen wurde.

2/2011 und 3/2011 geht es nicht anders. Auch sie sind Nutznießer des neuen Gesetzes und frei – zumindest auf dem Papier. Exekutive und Judikative versuchen der Sache Herr zu werden, indem sie Bauernopfer kreieren, die Presse hinhalten und Gefangene beschwichtigen. Ein perfides Spiel. Leider ist die ganze Sache ein Spiel. Ohne Happy end. Ohne Gewinner. Nur Verlierer.

Susanne Preusker beschreibt in diesem Roman die beklemmende Enge der endgültigen Zelle so anschaulich, dass es dem Leser graust. Die Täter, die nun Opfer sind – ob das gerecht oder gar recht ist, darüber müssen sich die Gelehrten streiten – leiden wie einst ihre Opfer. Die Handlungsunfähigkeit, das Desinteresse und die Ohnmacht der Politik schreit zum Himmel.

„Die Verwahrten“ ist nicht nur spannend zu lesen ist, sondern wird auch die Diskussion um eines der heikelsten Themen der Justiz befeuern kann.

Die Autorin arbeitete als Gefängnispsychologin und Psychotherapeutin. Ihr Erstling „Sieben Stunden im April“, in dem sie ihre eigene Geiselnahme und Vergewaltigung verarbeitete, erregte großes Aufsehen. „Die Verwahrten“ ist ihr erster Roman.

Mord auf vier Pfoten

Mord auf vier Pfoten

Dem Volk aufs Maul schauen – das tun Autoren zumeist. Lilo Beil schaut den Haustieren des Volkes aufs Maul. Denn die haben uns Menschen etwas voraus: Sie verstehen unsere Worte. Wir hingegen verstehen das Miaue und Gewuffe nicht.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass die vierbeinigen Detektive in den Geschichten von Lilo Beil die besseren Ermittler sind. Manchmal sogar die besseren Menschen… Die Täter laufen auf zwei Beinen – bad. Die Kommissare verlassen sich auf ihre Spürnase und doppelt so viele Stützen – good. Das wusste schon George Orwell, der seinen Helden in „Animal farm“ diese Weisheit ins Maul legte.

Die Autorin nimmt Anleihen bei Märchen wie dem vom „Fischer und seiner Frau“, bei Wegbereitern des Krimi-Genres wie Agatha Christie und dem Meister der Spannung Alfred Hitchcock.

In ihren Geschichten verleiht sie den Detektiven nur leicht menschliche Züge – der Leser, der ja nun mal menschlich ist, muss den Gedankengängen schließlich folgen können…

Zweiundzwanzig tierisch-köstliche Fälle serviert die Autorin dem Leser auf dem Silbertablett. Ohne große Anstrengungen darf er sich nun der Lösung der Fälle widmen. Ein Lesespaß für alle Zweibeiner, die ihre Vierbeiner bisher immer unterschätzt haben. Ideal zum Selberlesen und Verschenken.

Was tun, sprach Zeus

Was tun, sprach Zeus

Never change a winnig team – kein antiker Spruch, aber es trifft den Nagel auf den Kopf. Gerhard Wagner sammelt Sprüche, um ihren Ursprung zu untersuchen. Zweihundert Sprüche hat er unter die Lupe genommen. Nachdem er in seinem ersten Buch Redewendungen aus dem Mittelalter auf Herzen und Nieren geprüft hat, ist es nun für den Leser ein Fortschritt, dass er einen Schritt zurückging und die Antike genauer betrachtet.

Und einmal mehr wird der Leser verblüfft sein, wie viel Antike noch im heutigen modernen Alltag steckt: So mancher Verein erblüht unter der Ägide eines charismatischen Präsidenten. Die Spieler leben dann im Elysium – auch weil einige von Amors Pfeil getroffen werden – um dann wie von Furien gehetzt, den Lebensfaden abgeschnitten zu bekommen. Bis hierhin kann jeder etwas mit den Aussagen etwas anfangen. Wohlformulierte Worte, die es dem Zuhörer erlauben sich eine Meinung vom Sagenden zu bilden. Meist ein positives Urteil. Denn der Aussprechende bezeugt dadurch ein gewisses Maß an Wissen und Weltoffenheit.

Und jetzt kann man sogar seine Redewendungen erläutern und herleiten. Was will man mehr?! Die Würfel sind gefallen, das Unwissen ist eine terra incognita. Man ist nicht mehr am Ende seines Lateins, wenn man nach dem Weg fragt.

Gerhard Wagner gelingt es mit seinen knappen, teils süffisanten Beschreibungen den alltäglichen Kampf der verkürzten und unbestimmten Sprache neues Leben einzuhauchen. Nur wer sich gewählt und abwechslungsreich bewähren kann, wird Erfolg haben. Somit sollte dieses Buch nicht unter „Sprücheklopfer“ stehen, sondern bei den Ratgebern. Banausen und Koryphäen werden nun in epischer Breite erklären können, wieso und warum sie so und nicht anders argumentierten. Ein Glücksfall für jeden, der sich auch über Sprache definiert.