Mein Nachrichtendienst

Mein Nachrichtendienst

Auch in der Fremde der Heimat verbunden sein – für Thomas Mann und seine Familie war ein (über-)lebenswichtiges Elixier. Der Zaubertrank waren die Briefe von Hedwig Pringsheim an ihre Tochter Katia, Ehefrau und Rückstärkung des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann. Dreihundertfünfundsiebzig Briefe schrieb sie von 1933 bis 1941 an ihre Tochter. Bis 1939 hielt sie es in Deutschland aus, emigrierte aber nach Enteignung und unerträglichen Demütigungen in die Schweiz, wo sie 1942 starb.

Als junge Frau eroberte sie die Bretter, die die Welt bedeuten. Ihre allseits beliebte Eloquenz bescherte ihr den Ruf einer exzellenten Gastgeberin und Rednerin. Diese Eigenschaft macht diesen fast zweitausend Seiten starken Doppelband zu einem Leseereignis, das seinesgleichen sucht. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn hatten bereits 1933 Deutschland verlassen müssen, um dem Naziterror „abroad“ sich entgegenzustellen.

Natürlich konnte Hedwig von Pringsheim nicht alles so schreiben wie sie es gern wollte. Sie wählte Vergleiche aus Literatur und Musik, um die emigrierte Familie „aus dem Laufenden zu halten“. Nicht alle dieser Codes erschließen sich dem Leser auf den ersten Blick. Herausgeber Dirk Heißerer gibt im hinteren Teil jedes der Bände eine Verständnishilfe und knackt die wohl formulierten Gleichnisse.

So entsteht beim Lesen ein exaktes Abbild der Verhältnisse im Deutschland unter der Knute der Nazis und ihrer Schergen. Das jüdische Großbürgertum war durch – in einigen Teilen der Welt, aktuell im sich erschreckend rasant sich zum Schlechten entwickelnden Ungarn, weit verbreitete Vorurteile – besonders unter Beschuss geraten. Materiell litt die einstige wirtschaftliche und intellektuelle Elite besonders unter den Repressalien.

„Mein Nachrichtendienst“ ist eine Biographie einer Familie im dunkelsten  Deutschland, aber gleichsam eine Leidens- und Lebensgeschichte eines Landes, das so stolz auf seine Dichter und Denker, seine Errungenschaften und seinen Ruf als Land der Forscher war und es auch durfte. Dass die Nazis den Subtext nicht erkannten, liegt an ihrer Engstirnigkeit und Inflexibilität, aber vor allem an der geschickten Handhabung der Sprache durch Hedwig von Pringsheim. Der Doppelband ist sicherlich kein Buch, das man nebenbei liest. Der Stoff ist ein harter, teils amüsanter, weil er durchgegangen ist. Vor allem aber authentisch. Denn die Verfasserin der Briefe bot lang dem Regime die Stirn. Ihre Eigensinn und ihr scharfer Verstand erlaubte es ihr Einblicke zu geben, die so manchem „Weggucker“ verborgen blieb. Nun sind diese Briefe in einem eleganten Schmuckschuber in zwei Bänden erhältlich und definieren die literarische Aufarbeitung des zwölfjährigen Reiches neu.