Archiv für den Monat: März 2014

Land unter dem Nordlicht

Land unter dem Nordlicht

Unser Wissen über Finnland hält sich in Grenzen. Ein paar Sportler huschen jeden Winter über unsere Bildschirme, die Sprache stellt ein nie enden wollendes Konsonantenrätsel dar, und die finnischen Ein-, Zwei, und Fünf-Cent-Münzen besitzen Sammlerwert, da sie in ihrem Heimatland kaum benutzt werden. Musikfans erfreuen sich an den Kompositionen von Jean Sibelius über HIM bis zu Sunrise Avenue. Sportfans schwärmen von Paavo Nurmi, Matti Nykänen und Kaisa Mäkäräinen.

Nicht viel für ein Land, dass zur EU gehört, den Euro benutzt und dessen Technologie in einem Großteil der Haushalte vorhanden ist. „Land unter dem Nordlicht“ ist das erste einbändige Buch, das die Kulturgeschichte Finnlands auf verständliche Art und Weise darlegt. Gleich zu Beginn kommt man ins Staunen. Denn am Bottnischen Meerbusen wächst das Land immer noch. Und zwar um fast einen Zentimeter pro Jahr. In die Höhe. Wenn man also von einer durchschnittlichen Lebensdauer von achtzig Jahren ausgeht, kann man seinen Ausguck um über 60 Zentimeter erhöhen. Das ist es vielleicht auch, was die Finnen so besonders macht. Immer neue Horizonte suchen.

Die Besiedlung Finnlands ist so alt wie unsere Zeitrechnung. Also ungefähr. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte Finnland zu Schweden, danach richtete man den Fokus gen Osten. Bis 1917 war Finnland Teil des Russischen Zarenreiches. Obacht – Jubiläum!

Machen wir einen Sprung in die Gegenwart und jüngere Geschichte. Finnland unterscheidet sich in einem weiteren Punkt erheblich vom Rest Europas. Das Bildungssystem wird regelmäßig bei PISA-Studien lobend erwähnt. Seit den 50er Jahren wurden systematisch in allen Landesteilen Universitäten und Fachhochschulen gegründet. Ganztagsschulen sind in Finnland nicht Bestandteil der Leitkulturdiskussion, sie sind Realität. Und das ganz ohne Gezeter. Zwanzigtausend neue Studenten jährlich an den Unis, dreiunddreißigtausend Studenten jährlich an Fachhochschulen – beachtliche Zahlen bei einer Einwohnerzahl von fünfeinhalb Millionen.

Das Verständnis von Kultur, zumindest das erweiterte Grundwissen stellen eine elementare Grundlage des Zusammenlebens dar. Dieses Buch trägt einen gehörigen Anteil dazu bei, dass Finnland in unseren Augen nicht mehr nur das Land der hochkonzentriert dreinschauenden Skispringer ist. Der nostalgisch anmutende Titel ist bewusst gewählt. Die Finnen sind ein oft melancholisches Volk. Aber von Trübsinn sind sie weit entfernt. Finnland ist die etwas andere Oase im Gewühl Europas. Und jetzt verstehen wir sie ein bisschen besser.

Carvalho und die Meere des Südens

Cavalho und die Meere des Südens

Jede Stadt, die etwas auf sich hält, hat ihren eigenen Ermittler. Venedig hat Guido Brunetti, Marseille Fabio Montale, und Barcelona hat Pepe Carvalho. Der Privatschnüffler wird dieses Mal von Anwalt Viladecan gebeten den Tod seines Klienten Carlos Stuart Pedrell zu untersuchen.

Der steinreiche Pedrell hatte vor einem Jahr alles hinter sich gelassen. Die Geschäfte führt nun seine Frau Mima, er selbst wollte sich lossagen von allem, was ihn einengte. Ab in die Südsee. Wie der Maler Paul Gauguin es tat. Ein sehnsuchtsvolles Gedicht hatte es Pedrell angetan. An und für sich nichts Ungewöhnliches. Außer, dass er nie in der Südsee angekommen ist. Sein Leichnam wurde auf einer Baustelle gefunden. Nun möchte seine Familie – in Person von Mima – wissen, was genau in diesem einen Jahr der Abwesenheit passiert ist.

In seiner unnachahmlichen Art und Weise – hart, bestimmt und unnachgiebig – nimmt der Schnüffler die Fährte auf. Artimbau ist Maler und sollte für den reichen Mäzen eine Wand gestalten. Carvalho und Artimbau unterhalten sich bei einigen Flachen „guten Weins“. Carvalho nimmt langsam Fahrt auf.

Seine Recherchen führen ihn quer durch die Hauptstadt Kataloniens. Für den Leser wird die Jagd nach der vergangenen Zeit nicht nur aufregend, sondern auch eine Reise durch eine Stadt voller Geschichten. Spanien hatte gerade die Franco-Diktatur hinter sich gelassen. Doch die Nachwirkungen sind immer noch zu spüren. So entspinnt sich so manches Gespräch zu einem Diskurs über alte Zöpfe, Moral und den ewigen Kampf zwischen Marxismus / Kommunismus und Kapitalismus. Und mittendrin immer das wunderliche Verschwinden von Carlos Stuart Pedrell.

Abwechslung in den Ermittlungen schaffen die Kochzeremonien Carvalhos. Wenn er kocht, dann mit Genuss. Einfach muss es sein. Und schmackhaft. Dem Leser wird zwar schon auf jeder Seite der Mund wässrig gemacht. Die Ausführungen zu den Kochkünsten des Ermittlers setzen dem Ganzen die Krone auf.

Carvalho kommt dem Geheimnis Stuart Pedrells auf die Spur. Dieser war kein Kostverächter. Carvalho ebenso. Kommen beide aus unterschiedlichen Lagern so weisen ihre Lebensweisen die eine oder andere Gemeinsamkeit auf.

Manuel Vázquez Montalbán schafft mit einfachen Wort ein gefühlvolles Bild Barcelonas vor über 30 Jahren. Sein Held ist mit allen Wassern gewaschen. Wer ihm selbiges reichen will, muss sich anstrengen. Wie ein märchenhaftes Roadmovie zieht Váquez Monatalbán seine Kreise. Wer an Andrea Camileri erinnert wird, liegt gar nicht so falsch. Sein Commissario Montalbano ist eine Hommage an den geistigen Vater Pepe Carvalhos.

Zwölf Tage in Persien

Zwölf Tage in Persien

Zwölf Tage Persien – auch heute noch ein Abenteuer. In der 20er Jahren des 20. Jahrhunderts umso mehr. Vita Sackville-West bricht zusammen mit ihrem Ehemann, dem Diplomaten Sir Harold Nicolson und drei weiteren Gentleman auf den Süden des Iran zu erkunden. Ihre Reise soll über die Bakhtiari-Berge führen. Die Bakhtiari sind ein Nomadenvolk, über dessen Herkunft und Kultur es keinerlei Aufzeichnungen gibt. Eine Reise ins Ungewisse?

Eine exakte Reiseroute gibt es nicht. Nur vage Andeutungen wo und wann man sich einer Karawane anschließen könne. Wenn dies nicht klappt, weil die Karawane durchaus besseres zu tun hat als auf verwöhnte Reisegruppen aus dem entfernten, meist unbekannten- England zu warten, oder eine andere Route einfacher war, dann ist das Geschrei groß. So groß die Enttäuschungen der Reisenden auch sein mögen Vita Sackville-West beschreibt die Schönheit des Landes mit blumigen Worten. So schroff das Land, besonders das Gebirge, so nuancenreich die Sprach der Autorin.

Ihr allein ist es zu verdanken, dass die Reise zu eindrucksvoll nachzuvollziehen ist. Voller Inbrunst betrachtet sie die Flora Persiens. Sie ergötzt sich daran wie vielfältig der Blütenzauber wirken kann. Am liebsten möchte sie alle Pflanzen gleich einpacken und zuhause im Garten anpflanzen. Der Neid ihrer Besucher würde ihr sicher sein, und sie würde sich auch daran ergötzen. Ach ja, zu Hause. Dort ist es gemütlich, warm, behaglich. Persien kalt, unwirtlich und so gar nicht heimatlich. Als ein Sturm aufzieht, kann sich die Gruppe gerade rechtezeitig ins Zelt zurückziehen. Mit unbändiger Kraft zerrt der Wind an der Unterkunft, die Fünf müssen einiges aufbringen, das Zelt aufrecht zu halten. Sie klammern sich an die Stützen, hören das Knallen des Hagels auf die Plane, erhaschen einen Blick auf das blitzerfüllte Tal. Am nächsten Morgen erwachen sie im Schnee. Wahrlich kein Sommerurlaub.

Trotz aller Strapazen gewinnt Vita Sackville-West der Reise Gutes ab. Ihr Mann wird an die Teheraner Botschaft abberufen. Sie wollte nie ein Leben an der Seite eines Mannes führen, der so weit weg von zu Hause ist. Aber ihn Hin und Wieder besuchen – das bereitete ihr besonderes Vergnügen. Ihre Reiseschilderungen ermöglichen uns heute noch ein detailliertes Bild der Vergangenheit. So beschrieb sie auch die ersten Ölbohrungen in Persien. Ihre romantische Vorstellung, dass Persien ein Paradies sei, das von einem weisen intellektuellen Diktator am besten regiert werden müsste, amüsiert heute eher. Die Folgen des weisen Ayatollah Khomeini und des diktatorischen Ahmadinedschads sind bis heute spürbar. Und unter deren Regentschaft wäre eine Reise wie sie sie unternahm ins Reich der Fabeln verbannt worden.

Auf den Spuren des Dritten Mannes in Wien

Auf den Spuren des Dritten Mannes in Wien

Wenn es wieder einmal eine neue Liste mit den besten Filmen aller Zeiten gibt, taucht immer wieder ein Film ganz oben auf: „Der Dritte Mann“. Im Wien der Nachkriegszeit sucht ein erfolgloser Autor seinen Freund Harry Lime, der ihn nach Wien eingeladen hat. Doch aus dem Treffen wird nichts. Harry Lime ist tot, bestattet, unter der Erde. Nach und nach fügt sich ein Bild ins Andere – Harry lebt. Und das nicht schlecht. Aber er ist ein verwegener, skrupelloser Nachkriegsgewinnler geworden. Der Schmuggel mit Penizillin ist in dieser Zeit ein lohnenswertes Geschäft. Gerade wenn man es streckt. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Star des Films ist nicht Orson Welles. Es ist auch nicht die Riege später hochgefeierter Schauspieler. Der Star ist die Stadt, in der der Film spielt: Wien. Aufgeteilt unter den Siegermächten, vergilbt der Glanz einstiger Zeiten. Im Hotel Sacher standen damals (in echt!) die Pferde der russischen Besatzer.

Wer heute durch Wien schlendert, muss schon ganz genau hinsehen, wenn er Drehorte erkennen will. Das „Dritte Mann Museum“ in der Preßgasse sollte für Cineasten erster Anlaufpunkt sein. Dieses Buch ersetzt zwar keine Führung „Auf den Spuren des Dritten Mannes“ aber es zeigt eindrücklich wie sehr der Film in der Donaumetropole noch präsent ist, wenn man die Augen nicht verschließt. Besonders verheißungsvoll sind die Führungen unter Wiens, in der Kanalisation. Vor Drehbeginn waren die Macher dermaßen von dem unterirdischen Kanalsystem beeindruckt, dass sie gleich Drehorte vermerkten.

Das Buch ist eine Hommage an eine geschichtsträchtige Stadt, einen hervorragenden Film, an erstklassige Schauspieler. Denn nicht nur die Dreh- und Handlungsorte sind in diesem Buch aufgeführt, die Schauspieler, Autor, Produzent, Regisseur werden ins rechte Licht gerückt. Besonders bemerkenswert ist die Liste der Filmfehler, mit Zeitangabe. „Der Dritte Mann“ wird von nun an mit ganz anderen Augen gesehen. Und noch ein Star wird in diesem Buch gewürdigt. Anton Karas und seine weltberühmte Zithermelodie. Noch heute glauben viele, dass diese Melodie ein altes Volkslied ist. Dabei wurde es eigens für diesen Film komponiert. Anton Karas wurde ein berühmter Mann, sah viel von der Welt, konnte seinen Erfolg jedoch nicht dauerhaft nutzen.

Wer Wien schon kennt, der wird in diesem Buch neue Erkundungstouren entdecken. Wer Wien noch nicht kennt, wird sich auf Anhieb (nicht nur wegen dieses Buches, aber auch deswegen) in Wien verlieben. Schaurig schönes Wien – vom Zelluloid aufs Papier.

Mein Sizilien

Mein Sizilien

Wäre Sizilien ein Eisbecher, so wäre dieses Buch der Eislöffel. Man könnte das Eis auch ohne Löffel schlecken, aber nicht portionieren und schon gar nicht bis zum Boden aufessen. Die größte Insel des Mittelmeeres ist nicht einfach nur eine Insel, auf der es sich aushalten lässt. Sie ist auch die Heimat von Leonardo Sciascia, einem Autor, der mit seinen Geschichten seiner Insel ein Gesicht gab.

Es ist eine Art Hassliebe zwischen Sciascia und Sizilien. Auf der einen Seite die einmalige Natur, auf der anderen Seite die ebenfalls einmalige Kultur und ihre Menschen. Für Fremde schwer einzusehen. Für Einheimische schwer zu beschreiben. Leonardo Sciascia versucht es trotzdem. Die Kultur, seinen Zeilen nachzuerzählen wäre mühevoll. Er schwelgt zwischen Adjektiven wie eine Nussschale in der tosenden See. Als Besucher Siziliens sieht man die Hinterlassenschaften der einstigen Herrscher, man erfreut sich an der Gastfreundlichkeit. Doch Sizilien echt und wahrhaftig zu erleben, das schaffen nur wenige.

Leonardo Sciascias „Mein Sizilien“ hilft beim Verstehen, beim Entdecken der sizilianischen Kultur. Es ist kein Reiseführer im herkömmlichen Sinn. Vielmehr ein Ratgeber, eine Handreichung für mit allen Sinnen Reisende. Die Schilderungen haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Vieles hat sich seitdem verändert – die gleichen Eindrücke zu sammel wird also schwierig. Doch das Denken der Menschen, ihr Handeln erfolgt langsamer. Insofern sind also die Reisen Sciascias und derer, an die er erinnert, zu den Menschen immer noch nachvollziehbar.

Die zahlreichen schwarz-weiß Fotos unterstreichen den erhabenen nostalgischen Charakter des Buches. Jedes Farbfoto würde eine Herabwürdigung darstellen. Ausdrucksstarke Kontraste wirken beruhigend auf das menschliche Auge. Knallig Bonbonfarben entsprächen weder dem Buch noch Sizilien. Dieses Buch gehört eins Reisegepäck. Auf gemächlichen Bahnfahrten, oder einer Ruhepause in den Weiten der Insel, oder beim Espresso – diese Geschichten verzaubern bei jedem Mal. Dem Geheimnis der Sizilianer kommt man nur schwer auf die Schliche. Ein kleines Geheimnis bewahren sie für die nächste Reise. So soll es sein. Und so bleibt zum Schluss ein Rest im Eisbecher Sizilien. Wie bei gutem Rotwein.

Leere Gräber

06 Leere Gräber

Zwischen Zürich und Buenos Aires liegt eine gewaltige Strecke, die gefüllt werden muss. Gefüllt mit einer Geschichte, einem Kriminalfall, den nur das Ermittler-/Liebes-Duo bestehend aus Staatsanwältin Regina Flint und dem Kriminalpolizisten Bruno Cavalli lösen kann.

Im Zürichsee wird bei Bergungsarbeiten – seit Monaten werden immer wieder Boote in Brand gesteckt – eine Leiche entdeckt. Die muss schon eine Weile im Wasser liegen, denn außer dem Geschlecht lässt sich schwer etwas ermitteln. Mit akribischer Detailversessenheit beschreibt Petra Ivanov die Arbeit der Polizei. Die vielen parallel verlaufenden Fälle, das Warten auf Ergebnisse anderer Abteilungen, und die Animositäten unter den Kollegen. Trotz der Schwierigkeiten bei den Ermittlungen gelingt es dem Team einen Namen zu recherchieren: Ramón Penasso. Journalist aus Buenos Aires, der von Montevideo in Uruguay über Madrid vor einigen Monaten in die Schweiz eingereist ist. Und in Uruguay wird ein Bankier wegen Mordes an Ramón Penasso verhaftet.

Der Leser ist an dieser Stelle schon weiter als die Ermittler. Denn in Montevideo hat sich Ramón mit Elena Alvarez getroffen. Sie waren ehemals ein Paar, hatten jedoch unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Ramón bat Elena ein Päckchen aufzugeben, wenn er sich in den nächsten 30 Tagen bei ihr meldet. Er wolle in die Schweiz. Zu ihrem Schutz wollte er nicht mehr preisgeben…

Staatsanwältin Regina Flint fliegt nach Südamerika. Das Hilfeersuchen hat lang genug gedauert. Jetzt hofft sie auf Antworten. Doch der argentinische Staatsapparat und die Ermittlungsbehörden haben eine weitgehend andere Arbeitsauffassung als Regina Flint es von Zuhause kennt. Hier ist immer Politik und Machterhalt im Spiel. Wem kann sie trauen? Wen muss sie hinterfragen. Das der Bankier der Schuldige ist, steht nur für die argentinischen Behörden fest. Flint zweifelt. Erst recht als sie Elena Alvarez kennenlernt. Sie berichtet ihr von der pedantischen Recherchearbeit Penassos und seiner Loyalität. Und der Suche nach seiner Schwester, die ihn in die Schweiz führte. In den verheerenden Jahren der Diktaturen verschwanden tausend junger Leute. Einige wurden illegal adoptiert. Eine heiße Spur?

Petra Ivanov inszeniert diesen Krimi. Wendungen – privat wie dienstlich – sind Bestandteil ihrer Story, sie dienen dem Verständnis und wirken niemals aufgesetzt. Die Stadt Zürich kann sich glücklich schätzen solch ein Ermittlerduo mit solch einer geistigen Mutter zu haben.

Diamanten Eddie

Diamanten Eddie

Diamanten Eddie – hätte es ihn nicht gegeben, man müsste ihn erfinden. Kurz nach Kriegsschluss landet Edward Kraj, den die Nazis den Namen Kray gegeben haben, im Rheinland. Der Schwarzmarkt blüht. Ein Pelzmantel wechselt für drei Stangen Zigaretten den Besitzer. An guten Tagen gibt Eddie auch schon mal vier Stangen. Er hat connections zu den neuen Besatzern, amerikanischen britischen Soldaten und Offizieren. Die sind immer an einem guten Geschäft interessiert. Eddie auch. So mancher Bruch bleibt nicht unerkannt, doch ungesühnt. Eddie wird zu einer festen Größe im „Handel“.

Doch hat Eddie auch eine Geschichte, eine traurige, tragische. Er ist gerade mal 15 Jahre alt der Krieg beginnt, und er sich als Waise durchschlagen muss. Die Gestapo nimmt ihn in Gewahrsam und schickt ihn nach Köthen, wo er in einer Kistenfabrik schuften muss. Die Arbeit stellt für Edward keine Gefahr dar. Vielmehr die Wärter, Aufseher und Vorgesetzten. Schachspielen mit Freunden wird zu seiner Flucht. Wenn abends die Knochen schmerzen sind es die strategischen Finessen, die so manche Pein verblassen lassen.

Ihm gelingt die Flucht aus dem Arbeitslager. Er schlägt sich bis Minden durch, wo er abermals gefasst wird. Im neuen Lager herrscht die Hölle auf Erden. Die Aufseher machen sich einen Heidenspaß daraus die Gefangenen zu drangsalieren, wann immer es geht. Scheinhinrichtungen zehren an den Nerven, auch von Edward.

Sabine Kray hat jahrelang recherchiert, um die Lebensgeschichte von Eddie Kray aufzuschreiben. Sie hatte einen guten Grund: Eddie Kray war ihr Opa. Ihr Vater Achim erfuhr im Teenageralter von den Geschäften seines Vaters. Wuchs er zuerst ohne den nötigen Vater auf, so beängstigte ihn nun die Vorstellung den Rest des Lebens wieder ohne Vater da zu stehen. Die Besuche des Bökelbergs, als die Borussia aus Mönchengladbach zu den bestimmenden Fußballclubs in Europa gehörte, waren die Höhepunkte der gemeinsamen Zeit. Da hatte der Vater aber schon zwei Haftstrafen hinter sich. Und nicht den Willen sich zu bessern.

Sabine Krays Buch beginnt mit Kapiteln voller Verluste. Erst Diamanten in der Disco, dann die Eltern, die Todesanzeige einer Freundin, und der Verlust der Freiheit durch die Gestapo. Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut. Immer wieder springt sie zwischen der Nazizeit und den 70er und 80er Jahren. Die Entwicklungen Edwards und Eddies tragen gemeinsame Züge. Immer wieder plagen Eddie Erinnerungen an Edwards Schicksalstage in Schlamm und Elend. „Diamanten Eddie“ ist keine bloße Aufzählung der Streifzüge eines galanten, eloquenten Gauners, der die Frauen liebte, dennoch keinen echten Familiensinn erleben konnte. Es ist eine Denkschrift an Millionen Strafarbeiter und das eines einzelnen, der später mit aller Macht sein Glück suchte. Es leider nur kurzzeitig fand.

Durch das Herz Englands

Durch das Herz Englands

Das Herz Englands ist nicht London! Es liegt viel weiter im Norden. Dort, wo es kaum Premier League Clubs gibt. Und es gibt dort einen Wanderweg von Westen nach Osten (oder umgekehrt, ganz wie es beliebt), der außerhalb der Insel kaum bekannt ist. Zeit ihn zu erkunden.

Dreihundertzwanzig Kilometer zu Fuß. Nicht auszudenken wie dick das Buch wäre, wenn sich Erik Lorenz Russland vorgenommen hätte. Oder wie dünn, wäre die Wahl auf Panama gefallen. So sind es knapp 400 Seiten geworden. Wenn man so will: Eine Seite für eine halbe Meile.

Erik Lorenz unternimmt die Reise zusammen mit seinem Vater. Die raue Irische See im Rücken, dreißig Kilo Gepäck auf den Schultern kämpfen sie sich langsam ostwärts. Vorbei an pittoresken Ortschaften, durch den Lake District. Einen Plan haben die beiden nicht. Wozu auch? Wer weiß schon wie viel Wegstrecke man pro Tag zurücklegen kann? Und dann hätten die beiden schon sechs Monate im Voraus buchen müssen. Als Abenteuer wäre diese Reise nur bedingt durchgegangen. Außerdem wusste Erik Lorenz vor einem halben Jahr noch nicht, wo er sich jetzt befinden würde.

Immer wieder treffen die beiden Menschen, die sich in dieser regendurchnässten Gegend eingerichtet haben. Bestimmten hier einst Minen den Alltag und die Landschaft, so ist es kaum fassbar, dass sich die Natur ihren Besitz zurückerobert hat. Windumspülte Gipfel, rutschige Abstiege und ein wolkenverhangener Horizont – das sind die Zutaten der Wanderung von Vater und Sohn. Während der Junior schnell anfängt zu schwächeln – dreißig Kilo Gepäck hinterlassen halt Spuren – ruft der Senior zur Disziplin. Den Eindrücken tun die Schmerzen keinen Abbruch. Immer wieder findet Erik Lorenz die Zeit die Erlebnisse mit Menschen Kaum ein Detail, das er nicht niederscheibt. Bis … ja bis die Reise unvermittelt ins Stocken gerät. Stillstand. Sein Vater hatte einen Unfall, muss zurück in heimische Gefilde. Die Wanderung zum Scheitern verurteilt? Das Experiment West-Ost-Durchquerung am Ende? Nein, es pausiert. Nach Wochen der Erholung hat Erik Lorenz wieder Kraft getankt und nimmt die verbleibenden Meilen in Angriff. Allein. Unterwegs schließt er sich das eine oder andere Mal Gruppen an. Allein ist es aber, den Eindruck gewinnt der Elser, doch am einfachsten.

Und wieder wird ein Vorhaben auf eine harte Probe gestellt. Mitten in den Mooren verläuft sich Erik Lorenz. Selbst die Einheimischen sind keine große Hilfe. Kartenlesen – alles gut und schön. Aber wenn man nicht weiß, wo man sich befindet, ist es ein schwieriges Unterfangen den rechten (richtigen) Pfad zu wählen.

Mit unbändiger Neugier erobert der Autor das unbekannte England. Geschichten von unterwegs bereichern die Wanderwege einige Male. Kein Wanderführer – vielmehr ein Wanderappetitanreger mit Substanz.

Fußball Fanfare

Fußball Fanfare

Törrröööö. Es ist wieder Fußball-WM. Arbeitszeiten werden nach den Spielplänen ausgerichtet. Ganze Landstriche hüllen sich in den Nationalfarben des jeweiligen Teams. Freude und Gezeter, Torschreie und Frustration. Und zwischendrin: Törrröööö. Die kleine unscheinbare Tröte macht ordentlich Alarm. Was auf den ersten Blick wie eine Sambatrommel wirkt – logisch: Schließlich versuchen 32 Mannschaften am Zuckerhut die Trophäe an sich zu reißen – entpuppt sich schnell als lautstarkes Feierinstrument. An der Seite ist ein kleines Loch, in das man kräftig pusten muss. Achtung, Physik. Die ausgeatmete Luft versetzt die Membran in Schwingung, durch den hohlen Resonanzkörper entsteht ein infernalischer Krach. Liebe Eltern, jetzt wegschauen – liebe Kinder, jetzt weiterlesen! Auch nach der WM könnt Ihr mit dieser Fanfare Eurer Freude vollen Lauf lassen. Aber sagt es Euren Eltern nicht. So liebe Eltern, jetzt dürft Ihr weiterlesen. Ob die Fanfare auch nach der WM  noch in Betrieb bleibt, ist fraglich. Aber vielleicht in vier Jahren wieder. Dann, wenn sich wieder 32 Mannschaften zum wochenlangen Wettstreit um die begehrteste Trophäe der Welt treffen. Dann in Russland. Vielleicht wird dann auf Matrjoschkas gepfiffen….

Lesereise Amalfi / Cilento

Lesereise Amalfi Cilento

Das nostalgische Italienbild in unseren Köpfen haben wir einem einzigen Küstenstreifen zu verdanken: Der Amalfi-Küste. Die tosende See, die Gicht, die gegen die schroffen Felsen klatscht, die märchenhaften Villen mit Meerzugang. Cilento hingegen – nur wenige Kilometer südlich – ist weitgehend unbekannt. Hier sind Naturliebhaber an der richtigen Stelle. Die „Lesereise Amalfi / Cilento“ nimmt den Leser mit auf eine Reise zwischen Postkartenidylle und unbezahlbarer „silenzio assoluto“.

Im Cinquecento durch die Gassen, ein gelato schlecken – hier lässt es sich leben. Hier ist man dem Himmel so nah wie nirgends sonst. Das weiß auch einer der Wegbegleiter der Autorin.

Gennaro Pisacane, der Präsident der Hotelvereinigung lernt sie die praktische Engstirnigkeit kennen. An der Amalfiküste könnte schon längst ein schicker Yachthafen stehen. Aber die Investoren kamen aus Neapel. Das bedeutet meist Mafia bzw. Camorra. Und die würde sich dann krakenmäßig ausbreiten. Da bleibt man liebr unter sich. Wird ein Hotel verkauft, dann nur an Leute aus der Umgebung. Das hält zum einen die Preise stabil (und die sind teilweise so gesalzen, dass so manche Sardelle wie eine fade Nudel daherkommt) und bewahrt den Charme der Region. Zum Beispiel werden die hier angebauten Zitronen heute für 50 Cent an di Händler verkauft, vor dreißig Jahren waren es 500 Lire. Was in etwas auf dasselbe hinausläuft. Tradition wird großgeschrieben.

In Lauro findet man eine Gelateria namens „Norge“ und eine Pizzeria, die auf den klangvollen Namen „Nobile“ hört. Beides Überbleibsel bzw. Ehrerbietungen an Umberto Nobile, der 1926 als erster Mensch den Nordpol sah, leider nicht erreichte. Er hat auch hier seine Spuren hinterlassen.

Geschichte, Tradition, umwerfende Naturschauspiele (sommerliche Sonnenuntergänge auf den Hügeln des Cilento lassen einen an den lieben Gott glauben) und eine gesunde, regionale – und dazu noch leckere – Küche verwandeln den Cilento und die Amalfiküste 365 Tage im Jahre in einen Garten Eden. Italien wie es in der Vorstellung erscheint, nimmt hier Form und Gestalt an.

Dieses Buch kann man – auch wenn es nur 132 Seiten stark ist – nicht in einem Rutsch lesen. Immer wieder muss man es absetzen und tief durchatmen. Mit völliger Hingabe verbreitet Barbara Schaefer ein Gusto von Entspannung, manchmal kommt sogar ein wenig Neid auf. Hier irgendwo müssen die Wurzeln des Paradieses liegen.

INFO: Mehr zum Cilento finden Sie unter www.cilentomania.it.