Archiv der Kategorie: Leben im Fluss

Flussperlmuschel

Flussperlmuschel

Die Flussperlmuschel ist selten, sehr selten. In Rehau in Oberfranken ist eines der letzten Reviere, in dem sie sich wohlfühlt und wachsen kann. Genauer in der Schwesnitz. Die Schwesnitz durchzieht die Stadt. Und in ihrem Wasser liegt eine Leiche. Kommissar Wunderlichs Nase trügt nicht: Da kommt noch was nach!

Die Leiche wird in dem Moment identifiziert, in dem Wunderlich ein Alibi überprüfen will. Und siehe da: Der Verdächtige hatte mit der Frau des Getöteten eine Affäre. Und der Tatort ist das Grundstück des Verdächtigen Uli Wolk, seines Zeichens Stadtrat. Pikant, pikant. Denn Kommissar Wunderlich hat einen „Partner“: Bürgermeister Angermann. Die beiden kennen sich seit Schulzeiten, und Angermann ist ein kleiner Hobbydetektiv.

Wunderlich kennt Uli Wolk – so wie man sich in einer Kleinstadt halt kennt. Es ist ihm unangenehm ihn zu vernehmen, zumal Wolk beim ersten Zusammentreffen der beiden – erfolglos – geflüchtet war. Wolk dachte, dass der Kommissar ihn wegen seiner – unter Bayerns Politikern fast schon als traditionell zu bezeichnenden – Alkoholfahrt befragen wollte.

In der Naturschutzbehörde herrscht derweil helle Aufregung. Gerade eben hatte man stolz der Presse verkündet, dass sich der Bestand der äußerst seltenen Flussperlmuschel allmählich erholt hat und die Bestände steigen. Ein sehr engagierter Mitarbeiter nimmt sich die Zahlen noch einmal vor und macht eine ungeheuerliche Entdeckung: Die Kommas sind verrutscht. Der Bestand hat sich nicht nur ein wenig gebessert, er hat sich verzwölffacht. Und das kontinuierlich. In wenigen Jahren ist von der Schwesnitz nichts mehr übrig. Doch die Freude währt nur kurz. Denn die Bestände wurden im wahrsten Sinne des Wortes künstlich herbeigeführt.

Torsten von Wurlitz macht noch eine weitere Krimi-Baustelle auf. Ein ortsansässiger Windparkunternehmer und publicity-trächtiger Sponsor des örtlichen Fußballvereins präsentiert mit Hilfe eines arabischen Investors den neuen Spielerstar der Bayernliga, einen Nationalspieler Italiens. Kurz danach detoniert eine Bombe.

Torsten von Wurlitz heißt eigentlich Torsten Küneth, bei den Olympischen Spielen 2012 in London war er der erste Rehauer bei Olympia, als Tischtennis-Schiedsrichter. Der Untertitel „Kommissar Wunderlichs erster Fall“ lässt auf alle Fälle auf mehr Rätselraten in Rehau hoffen. Anfangs fühlt man sich als Leser wegen der vielen verschiedenen Ereignisse ein wenig überfordert. Doch nach und nach fügt ein Puzzleteil ins andere. Geschickt verwebt der Autor Verbindlichkeiten und Befindlichkeiten der handelnden Akteure. Ein gelungenes Stück Kriminologie im idyllischen Franken.

Burgen im Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal

Burgen im Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal

Das ist Urlaub für echte Jungens! Von Burg zu Burg, über Stock und über Stein. Unten im Tal fließt herrschaftlich der große Fluss, Gevatter Rhein. Romantisch verklärt und immer wieder dem Ansturm der Besucher ausgesetzt, das ist das Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen.

Thomas Biller und Achim Wendt erläutern in ihrem außergewöhnlichen Wanderbuch nicht nur die einzelnen Wanderpfade. Ihr Hauptanliegen ist Aufklärung warum was wie und wo steht. Zur Einführung gibt es erst einmal eine geballte Ladung Kunst- und Architekturunterricht. Wer kann sich schon an einem Donjon erfreuen? Oder einer Tourelle?

Von der Festung Ehrenbreitstein über Lahneck und Liebenstein geht es bis zur Heimburg, dem Mäuseturm und Brömserburg. Die allesamt idyllisch gelegenen Burgen werden in kurzen, prägnanten Texten vorgestellt. Skizzen und Bilder vervollkommnen den Blick auf die Burgen.

Seit Jahrhunderten bilden die Burgen am Rhein ein unvergessliches Ensemble, das den Besucher kaum vom Haken lässt. Ob vom Fluss aus auf dem Schiff oder per pedes oder Rad: Mit diesem Wanderbuch in der Hand läuft niemand Gefahr diese steingewordenen Zeugnisse der Geschichte nur als ehemalige Behausungen zu sehen. Geschichtsunterricht auf anschauliche Art und Weise. Der Lerneffekt stellt sich sofort ein. Die vierzig vorgestellten Burgen gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO und sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Über die Jahrhunderte hinweg trotzten sie kriegerischen Angriffen und Wetterkapriolen. Teilweise wiedererrichtet, laden sie zum Verweilen ein. Oftmals weiß der Besucher aber kaum etwas von ihrer abwechslungsreichen Geschichte.

Die Autoren schaffen da Abhilfe, wo es nötig ist. Lassen aber genug Spielraum für absolute Entspannung. Der Leser wird nicht überfachtet mit Wissen. Der ideale Reisebegleiter am Mittelrhein.

Ein Galgen für meinen Vater

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Wow, was ein Titel! Liebe Väter der Welt, keine Angst! Hier will niemand jemand anderen umbringen. Tief im Inneren wohl manchmal schon, aber irgendwie auch wieder nicht.

Tom ist in einer verzwickten Lage. Es kommt der Moment, der jedes Kind einmal irgendwann ereilt. Ein Elternteil liegt im Sterben. Doch so recht will sich Gevatter Tod den Auserwählten nicht holen. Toms Vater ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Einst bestiegen die beiden die höchsten Berge. Ein eingespieltes Team. Und jeder schaute sich vom Anderen etwas ab. Erst der Kleine vom Vater, später dann auch der Alte vom Sohnemann. Beide hatten ein erfülltes Leben. Der 84jährige war (und ist) Ingenieur, der Sohn Bergführer. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Beim Vater war das anders. Er war im Krieg, Ostfront. Gefangenschaft und Flucht aus dem sowjetischen Lager. Ganz unten hat er angefangen, als Zeichner.

Als die Kinder klein waren, wurde ein Haus gebaut. Später kam noch der Balkon hinzu. Es ging immer aufwärts. Bis Toms Vater von Jetzt auf Gleich seine Beine nicht mehr spürte. Toms Mutter ist schon länger körperlich beeinträchtigt. Und jetzt auch noch der Vater. Toms Bruder ist immer nur sporadisch da. Er verbringt viel Zeit in Neuseeland.

Tom muss mit ansehen wie sein Vater langsam die Lebensgeister entwischen. Ist er zuerst nur körperlich nicht mehr voll einsetzbar, kommen immer öfter auch geistige Aussetzer hinzu.

Tom stellt eine Pflegekraft ein, ein Nachbar aus dem Ort hat gute Erfahrungen mit der Litauerin Nijole gemacht. Sie kümmerte sich rührend bis zum des Vaters. Doch gleich von Anfang an, gibt es Probleme. Die Stütze entpuppt sich bald als Belastung.

Martin Bettinger beschreibt die Geschichte der beiden Männer als Reise hinaus aus der Welt. Auch Toms Welt gerät ins Wanken. Auf einmal muss er den Vater pflegen, vierundzwanzig Stunden erreichbar sein. Und immer darauf achten, dass der Vater nicht wieder querschießt. Denn der verlässt öfter das Bett, schleift sich selbst über den Boden. Reißt sich die Füße auf, Blutspuren führen schlussendlich immer wieder zu ihm. Toms Eltern sind mit der Situation maßlos überfordert. Nun muss Tom der starke Mann sein, der Entscheider. Konnte er sich bisher immer auf seine Eltern verlassen, wird ihm diese Sicherheit mit einem Mal entrissen.

Ein Happyend kann und darf es nicht geben. Wie auch? Es ist eine Erlösung für alle Beteiligten, dass der Vater endlich sterben darf. Die Ärzte konnten auch nichts mehr tun. Was für die eine Diagnose gut ist, wäre für andere Diagnosen tödlich gewesen. Wenn alles zusammenkommt, hilft nur noch klarer Menschenverstand. Rationalität muss Gefühlen weichen. Und was den Galgen betrifft – der ist für das Bett des Vaters bestimmt.

Im Schatten des Banyanbaums

Im Schatten des Banyanbaums

Kambodscha Mitte der 70er Jahre. Raami ist ein kleines neugieriges Mädchen, das es kaum erwarten kann die Welt da draußen zu erkunden. Die Welt da draußen, das ist Südostasien außerhalb des großzügigen Anwesens, dass ihrer Familie gehört. Sie ist es direkte Nachfahrin der königlichen Familie. Herumtollen, die Erwachsenen mit Fragen löchern, Traditionen pflegen – so sieht ihr Alltag aus. Immer umsorgt von Milchmutter, Mama und der Königin Großmutter. Über allem thront ihr Vater, Philosoph und Geschichtenerzähler in einem. Für Raami der perfekte Platz, um aufzuwachsen.

Am Neujahrstag des Jahres 1975 endet dieses phantasievolle, behütete, grenzenlos freiheitliche Leben abrupt. Die Roten Khmer übersäen Kambodscha mit Hass, Misstrauen und irrationalem Handeln. Schon allein wer eine Brille trägt, ist verdächtig. Und wer verdächtig ist, gehört ausgemerzt. Wie soll es da erst dem einstigen Adel ergehen?

Von Heute auf Morgen wird Raamis bunte Welt in ein tristes Schwarz getaucht. Denn die Revolutionsbrigaden der Roten Khmer erlauben keine Freude, auch keine Farbenfreude. Auch übernimmt die „Organisation“ – hinter diesem Vehikel verstecken sich die meist ungebildeten, nicht einmal Lesen könnenden „neuen Herrscher“ – das Denken, bestimmt, was richtig und was falsch ist.

Schlimmer kann es nicht kommen? Oh doch! Die Familie wird auseinander gerissen. Waren sie erst in einer Tempelschule untergebracht, geht es nun aufs Land. Ohne den geliebten Vater. Der opfert sich, um seiner Familie so manche Pein zu ersparen. Für Raami, die sich schon immer mehr zu ihrem Vater als zu ihrer Mutter hingezogen fühlte, die schmerzlichste Erfahrung in ihrem noch jungen Leben.

Die harte Arbeit steckt das tapfere Mädchen weg. Immer wieder erinnert sie sich an die Geschichten ihres Vaters, diese erfüllen sie mit Hoffnung, und stärken sie für den nächsten Tag. Denn eines können die Roten Khmer nicht: Ihren Willen brechen.

Mit Phantasie und außergewöhnlicher Sensibilität fasst Vaddey Ratner ihr eigenes Schicksal in die Geschichte von Raami. Sie selbst wurde als Mitglied der Königsfamilie verschleppt, enteignet, gedemütigt. Auch ihr gelang die Flucht. Welch ein Glück, so können wir dieses Buch nun genießen. Vaddey Ratner schildert mit sanften Worten wie sie in ein neues hartes Leben gestoßen wurde. Die Wärme der Familie, der Kühle spendende Banyanbaum, die Herzlichkeit als Schutzschilde gegen die Rohheit der Zeit. Die Poesie der Worte mildert die Gräueltaten der Roten Khmer.

Sei frech, wild und wunderbar

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Männer, seid so frech und stibitzt dieses Buch aus den Regalen, stöbert wild darin herum – Ihr werdet wunderbar bedient. Ja, auch Männer dürfen, eigentlich müssen, aber wer lässt sich schon gern was vorschreiben, also dürfen, dieses Buch lesen. Es geht nicht darum zu erfahren wie Frauen ticken, warum sie anders sind als Männer, und schon gar nicht, ob dieses Anderssein gut oder schlecht ist.

Petra Wüst leitet seit zehn Jahren ein Beratungszentrum in Basel und ist Expertin für Self Branding, Kommunikation und Leadership. Das klingt auf den ersten Blick etwas neumodisch und weit weg von einem selbst. Doch wer in sich ruht, kann auch andere für sich gewinnen. „Kommt für mich nicht in Frage! Das brauch ich nicht.“ Doch jeder braucht’s. Denn jeder ist darauf angewiesen, akzeptiert zu werden, sich nicht in seinen selbstgewebten Kokon zurückzuziehen.

In ihrem neuen Buch „Sei frech, wild und wunderbar“ – übrigens ein Zitat der Godmother of „Mädchen an die Macht“ und „Frech kommt weiter“, Astrid Lindgren – gibt sie ein Dutzend Schritte vor, für Frauen, die mehr wollen. Ohne dabei sich in wissenschaftlichen Theorien zu vergehen, packt Petra Wüst ihre Ratschläge in die Geschichten von vier Frauen. Die kennen sich seit Kindertagen, wohnten in derselben Straße, waren einst untrennbar. Bis das Leben begann. Die Vier sahen sich noch, hielt Kontakt, aber so richtig dicke Freundinnen waren die Vier nicht mehr. Bis eines Tages Michelle die verbleibenden Drei zur Scheidungsparty einlädt. Ja, sie feiert die neugewonnen Freiheit sich selbst noch einmal neu definieren zu können. Ihr geht es nicht darum dem Ex den Stinkefinger zu zeigen. Ihr Neuanfang ist das, was er ist: Ein Neuanfang.

Ohne wirklich von der Geschichte abzuschweifen, erklärt Petra Wüst anhand ihrer Heldinnen die Ursachen und die Folgen des Handelns der Frauen. Oft untergebuttert, in vorgegebenen Bahnen das Leben hingenommen, ohne die eigene Wünsche und Bedürfnisse ausleben zu können. Nur, um es noch einmal klarzustellen: Den Frauen ging es körperlich gut. Sie wurden nicht geschlagen oder erniedrigt. Ihnen wurde (durch wen auch immer, manchmal durch die selbst) nicht so recht klar, dass etwas fehlt bzw. alles noch schöner, noch besser oder einfach nur anders sein könnte.

Frech sein, bedeutet nicht zwangsläufig anderen Schaden zuzufügen. Das machen nur schwache Menschen, die andere mit Lügen überziehen und sich diebisch freuen, wenn die erwartete Reaktion eintritt. Wer so einen Chef zum Beispiel hat, wird mit diesem Buch seien Rachegelüste dämpfen. Sich selbst in den Fokus des eigenen Handelns stellen, ohne dabei zum gewissenlosen Egoisten zu werden, das erforscht dieses Buch. Wer mit sich selbst zufrieden ist, dem kann auch kein Anderer etwas anhaben. Egal, ob Mann oder Frau.

Die Entstehung der Gürteltiere

Die Entstehung der Gürteltiere

„Die Entstehung der Gürteltiere“ ist kein Buch über das man spricht. Es ist ein Buch, das man lesen muss. Oder vorliest. Oder sich vorlesen lässt. Denn Rudyard Kipling erzählt in seiner Geschichte für die Kleinen eine Fabel, die – und das ist nunmal das Wesen der Fabel – eine pädagogische Komponente hat, wenn auch ohne Moral. Doch schon diese Untersuchung lässt den Charme der Geschichte leiden. Also: Lesen! Nur so viel. Ein Igel und eine Schildkröte haben einen Heidenspaß den Jaguar zu foppen. Der lässt sich vom Wortspiel der beiden unterlegenen Tiere in die Irre führen. So, jetzt reicht’s mehr wird nicht verraten!

Ulrike Möltgen schmückt die facettenreiche Geschichte mit allerlei Farben und Techniken aus. Ihre Bilder regen die Phantasie an, die der Kleinen wie die der Großen. Fette Pinselstriche, grobe Schnitte, knallige Farben über verschiedene Ebenen verteilt, lassen den Dschungel in den Augen und Herzen der Leser erwachen. Die Anmut des Schwanzwedelns, der verdutzte Blick des Jaguarjungen, das herzhafte Lachen der Schildkröte, das diebische Feixen des Igels – wer genau hinschaut fühlt sich augenblicklich wie im Kino. Fast kann man vor lauter Freude das Buch kaum mehr in den Händen halten.

Und wieder einmal beweist ein Buch, dass die alten Geschichten noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Die Sprachgewalt von Rudyard Kipling strahlt bis heute, nicht umsonst hat er am Beginn des vorigen Jahrhunderts den Literatur-Nobelpreis erhalten. Als Siebter Mensch überhaupt.

Das riesige Format erlaubt es den Nachwuchs auf dem Schoß zu platzieren und dann mit ihm oder ihr dem Reiz der Bilder und der Geschichte vollends zu erliegen. Neben Evolutionstheorie und Theologie ist dies eine echte Alternative zur Entstehung der Gürteltiere…

Frau hinter Hecken

Frau hinter Hecken

Hinter Hecken, da lässt’s sich gut verstecken. Was wie ein Kinderreim anmutet, scheint Silvie Vaughan und Isolde Schwartz ein Refugium des eigenen Lebens zu sein. Beide sind erfolgreiche Wissenschaftlerinnen – Philosophinnen. Die eine schreibt Bücher in ihrem heckengeschützten Rückzugsort, die andere hat einen renommierten Lehrstuhl und reist für ihre hochgeschätzten Vorträge um die Welt.

Doch diese Welt ist nicht die ihre. Ihre Welt ist geprägt von Erwartungen und Enttäuschungen. Die beiden Frauen haben sich bei einem kennengelernt. Nun will die Eine – Isolde Schwartz – die Andere – Silvie Vaughan – besuchen. Nichts Besonderes! Nichts Besonderes? Oh doch. Silvie verehrt Isolde. Ihre Reputation ist einwandfrei und vorauseilend. Silvie muss jedoch feststellen, dass Isolde sich in ihrem Kokon der Ideen verfangen hat und auf dem besten Weg ist ihr Leben, ihr wahres, höchst persönliches Leben, zu vergessen. Es aufzugeben.

Jana Revedins Kurzroman „Frau hinter Hecken“ ist wahrlich keine leichte Kost, im Sinne von „heut mal eine Seite lesen und morgen ein paar mehr. Dieses Buch muss man mehrmals lesen. Beim ersten Versuch stören die kompakte Handlung und die freie Szenewahl den Lesefluss, auch wenn nur oberflächlich. Doch schon beim zweiten Lesen – das Buch ist gerade mal einhundert Seiten stark – offenbaren sich die Ab- und Tiefgründe der beiden verwandten Seelen.

Beide Frauen taumeln im Sog ihrer Erinnerungen. Während Silvie das Trauma ihrer Kindheit, den Selbstmord der Mutter, überwunden zu haben scheint, triftet Isolde an der Kante zum Absturz.

Das permanente Verweben von grausamen Erinnerungen und aktueller Hilfestellung packt den Leser bei den Hörnern. Man kann dieses Buch nicht einfach mal so weglegen. Eine eigenartige, eigensinnige Faszination geht von den Zeilen dieses Büchleins aus. Nebelschwaden des menschlichen Geistes wabern besitzergreifend im Hirn des Lesers herum. Immer wieder blättert man zurück, um sich zu vergewissern, dass man nicht doch etwas überlesen haben könnte.

Hab und Gier

Hab und Gier

Eine pensionierte Bibliothekarin wird von einem ehemaligen Kollegen zum Gabelfrühstück, neudeutsch Brunch, eingeladen. Und das soll der Beginn eines Krimis sein? Klingt nicht besonders spannend, es sei denn … ja es sei denn Ingrid Noll hat ihre Finger im Spiel.

Seit Jahren hat Karla nichts mehr von Wolfram gehört. Warum auch – er war immer ein Eigenbrödler, der vor sich hingearbeitet hat. So richtig Kontakt hatten die beiden nie. Und jetzt lädt er sie zum Essen ein. Seine Frau ist vor einigen Monaten gestorben. Auf ihrem Grabstein steht „Bleib, wo Du bist“. Was auf den ersten Blick wie ein witziger Spruch klingt, hat einen ernsten Hintergrund.

Wolfram ist schwerkrank, der Krebs hat von seinem noch nie sonderlich männlichem Körper Besitz ergriffen. Karla soll – gegen einen nicht ganz unbeträchtlichen Anteil vom Erbe – dafür sorgen, dass Wolfram neben seiner Gattin beerdigt wird. Und auf seinem Grabstein soll stehen: „Dein Feind ist nah“.

Ein Viertel des Vermögens soll sie erben, wenn Wolfram seine endliche Ruhestätte neben seiner herrischen Frau bekommt. Doch es kommt noch dicker für Rentnerin Karla. Sie erhält die Chance sogar die Hälfte des anscheinend großen Vermögens zu erhalten, wenn sie Wolfram bis zu seinem Tod pflegt. Und das ganze Vermögen, wenn … ja wenn sie ihn umbringt. Er bestimmt Ort sowie Art und Weise. Sie wäre eine vermögende Frau, die ihren verdienten Ruhestand gebührend verbringen könnte.

Karlas betuliches Leben ist mit einem Schlag vorbei. Auch Freundin Judith ist da erstmal keine große Hilfe. Sie sieht das Angebot eher nüchtern und rät Karla Wolframs sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Schließlich hat Wolfram nicht mehr viel vom Leben (zu erwarten). Wären da nicht die moralischen Zweifel. Rechtlich wäre sie auf der sicheren Seite – Beihilfe zum Selbstmord ist nicht strafbar. Je länger Karla über das unmoralische Angebot nachdenkt, umso mehr Für und Wider tauchen auf. Ist der Lohn wirklich gesichert? Welche Garantien hat sie außer dem Testament? Was als Tête à Tête begann, wird alsbald zur Ménage-à-trois und viel mehr.

Ingrid Noll trifft in „Hab und Gier“ den Nerv der aktuellen Sterbehilfediskussion. Wo verlaufen die Grenzen zwischen Recht und Unrecht und freier Entscheidung? Mit geschliffener Sprache und tiefgehendem Wortwitz schafft sie eine Atmosphäre der Leichtigkeit, mit der dieses Thema noch nie bedacht wurde.

Auch die Frage, ob man dieses Thema in einem bittersüßen Krimi behandeln darf, erübrigt sich. Wie würde der Leser sonst in den Genuss Ingrid Nolls mörderischer Gedanken zu kommen?

Marionette des Teufels

Marionette des Teufels

Schon der Titel lässt auf eine schaurige Geschichte schließen. Und dieser Schluss ist vollends gerechtfertigt. Ein Mord an einer Sopranistin und eine zweite Leiche, Intrigen, ein Kommissar, der bald das berufliche Zeitliche segnet und eine wissbegierige, aufstrebende, junge Kollegin – das sind die exquisiten Zutaten dieses Passau-Krimis. Und beide Taten hängen irgendwie zusammen. Nur wie?

Berthold Brauser ist ein alter Hase im Kriminalgeschäft. Doch lässt ihn der Anblick der attraktiven Toten, die vor ihm auf dem Bett liegt, nicht kalt. Fachmännisch seziert er die Tote Sophia. Und ihm entgeht wirklich kein Detail. Anders liegt der Fall bei Franziska Steinbacher. Sie ist die Neue im Team. Brauser hat die aufgeweckte Kommissarin ins Herz geschlossen. Sie ist „sein Mädchen“.

Die Tote hatte offensichtlich jemanden zu einem romantischen Tête-à-tête erwartet. Unter ihrem Bademantel war sie nackt. Jetzt ist sie tot – die Mordkommission steht vor einer vertrackten Situation. Brauser sieht sich in Gedanken schon im verdienten Ruhestand. Dennoch kann er nicht so recht loslassen. Den Fall der toten Sopranistin könnte er getrost seinem Team überlassen. Und er könnte sich in den verbleibenden sechs Wochen dem toten Mercedes-Fahrer widmen. Der starb an einer Luftembolie, wurde aber – aus Sicherheitsgründen? – zusätzlich mit zwei Einschüssen gesegnet. Drogen? Racheakt? Die Ermittlungen gehen nur schleppend voran.

Mit wem die Ermittler auch sprechen, jeder der Befragten zeichnet ein anderes Bild der Toten. Der ermordete Mercedesfahrer, der Mann einer Politikerin, und ein Affäre? Niemals! Die tote Sopranistin und Drogen? Ja! Und Nein! Brauser und seine Kollegen kommen zwar der Wahrheit immer ein Stückchen näher, doch nicht wirklich auf die Spur. Franziska Steinbacher, die junge Kommissarin sieht in Walter, dem Bühnenmaler einen ersten Verdächtigen. Der ist ein ausgemachter Frauenheld, der nichts anbrennen lässt. Er und die schöne Sängerin, ein Paar? Möglich. Ein Mord aus Leidenschaft? Möglich.

Überhaupt ist sehr viel möglich in diesem Krimi. Nur eines nicht: Dass es langweilig wird. Dagmar Isabell Schmidbauer hat nicht einfach mal so beschlossen Krimiautorin zu werden. Der Auftakt zur Passau-Krimireihe besticht durch eine exzellent ausgearbeitete Geschichte, die sie geschickt in Szene setzt. Sie konstruiert nicht wild an einem erdachten Kriminalfall herum, ihre Folgerungen sind schlüssig. Dem Leser werden hier und da ein paar Brocken hingeworfen. Das Hirn arbeitet über 500 Seiten auf Hochtouren. Doch die Denkarbeit wird belohnt. „Marionette des Teufels“ ist der Auftakt zu einer Passau-Krimireihe, die es auf Anhieb in den Olymp der Regionalkrimis schafft. Der zweite Teil „Der Tote vom Oberhaus“ knüpft nahtlos daran an, der dritte Teil erscheint im Herbst 2013.

Der Tote vom Oberhaus

Der Tote im Oberhaus

So haben Sie Passau noch nie gesehen! Die Stadt an Donau, Inn und Ilz führt ein ruhiges Leben. Die Donau fließt mächtig und gemächlich dahin, der Dom Sankt Stephan scheint durch nichts zu erschüttern zu sein. Nur auf der Veste Oberhaus wird ein Mann ermordet. Er liegt mit einer Partisane im Körper, einer kunstvoll gearbeiteten Stoßwaffe, auf dem Boden und blockiert den Zugang zum Tatort. Und noch jemand kann seinen Tag nicht so recht genießen: Kommissarin Franziska Steinbacher. Die hatte eigentlich ein Date. Eigentlich…

Denn eigentlich trifft sie sich mit Walter Froschhammer, einem Verdächtigen aus einem anderen, abgeschlossenen Fall. Er ist Bühnenbildner und will sie malen. Doch das Date läuft schleppend an. Und dann klingelt das Telefon. Ein Toter. Dem Toten schien es gut gegangen zu sein: Rolex, BMW-Autoschlüssel und 20.000 Euro in der Tasche. Raubmord scheidet schon mal aus. Gefunden hat ihn die Museumdirektorin Samantha Halmgaard. Die ersten Ermittlungen verlaufen sehr zum Leidwesen von Kommissarin Steinbacher in eine ungute Richtung. Denn Walter Froschhammer war Einer von Zweien, die einen Schlüssel zum Tatort hatten. Xaver Mautzenbacher, das Opfer war ein Aufschneider, ein Blender, der seiner Umgebung immer nur eine Fassade präsentierte. Absolut mittellos war er. Sogar an seinem Stromkasten installierte er eine Zeitschaltuhr, um Strom zu sparen. Erst später entdecken die Kommissare, dass Xaver Mautzenbacher mehr als nur ein Leben hatte. Nicht unbedingt ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, jedoch geschickt darin seinen zahlreichen Gegenüber ein plausible Geschichte auftischen zu können.

Und der neue Chef will auch noch lückenlos über den Fortschritt der Ermittlungen Bescheid wissen. Josef Schneidlinger wurde von der Isar an die Donau versetzt und gilt allgemein als „harter Hund“. Der Tag hätte eigentlich so schön sein können. So schön. Eigentlich.

So mancher Autor hat an dieser Stelle bereits sein Pulver verschossen und macht seinem Werk kurzen Prozess. Dagmar Isabell Schmidbauer ist hier gerade mal mitten im ersten Viertel ihres Passau-Krimis. „Der Tote vom Oberhaus“ ist der zweite Fall des Ermittlerduos Steinbacher/Hollermann. Der erste Teil „Marionette des Teufels“ war ein Riesenerfolg, und am Ende des Buches macht die Autorin schon mächtig Appetit auf den dritten Teil – sie verrät sogar schon etwas vom neuen Fall…

Und wird sicher wieder gespickt sein mit Hinweisen auf den Mörder, bewusst falsch gelegten Fährten und einer gehörigen Portion Lokalkolorit.