Archiv der Kategorie: Leben im Fluss

Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein

Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein

Hätte man vor ein paar Jahrzehnten jemandem gesagt, er solle im Rhein schwimmen, wäre ein entsetzter Gesichtsausdruck die passende Antwort gewesen. Im Seerhein zu baden, ist hingegen eine reine Wohltat. Der Seerhein ist ein kleiner Fluss, der den Unter- und Obersee des Bodensees miteinander verbindet. Springt man in Konstanz gen Westen von der Alten Rheinbrücke ist man mittendrin.

So wie Niks, eigentlich Nikola, aber Niks ist ihr lieber. Sie genießt es – bei jedem Wetter – im Seerhein ihre Seele baumeln zu lassen. Das hält jung, hält frisch. Niks ist, wie man so schön sagt, im besten Alter. Verpflichtungen empfindet sie nur gegenüber sich selbst. Ein grandioses Leben, das sie da führt. Eines Tages tritt ihre Freundin Karen mit einer außergewöhnlichen Bitte an sie heran. Hektor, der 21jährige Spross Karens soll eine Zeit bei Niks wohnen. Er macht ein Praktikum beim Radio und benötigt dringend eine bezahlbare Bleibe. Wie damals. Niks war Nachrichtensprecherin und Karen Praktikantin. Niks besorgte ihr und später ihr und ihrer Freundin eine Wohnung. Für ein paar Wochen bildeten Niks und Karen eine WG.

Niks und Karens Leben verliefen unterschiedlich. Auf der einen Seite die Frau, die ihren Job macht, ansonsten aber familiären Verpflichtungen die kalte Schulter zeigt: Niks. Auf der anderen Seite die kaputte Karriere beim Ballett und die scheinbare Erfüllung in der Familie: Karen. Doch beide Leben verliefen eigentlich nicht froh und glücklich. Niks hat sich in ihren vier Wänden eingeigelt. Vor nicht mal einem Jahr ist sie vom Radio weggegangen und erfreut sich nun dem Rentnerdasein. Ganz ohne Verpflichtungen, wie immer in den vergangenen Jahrzehnten. Und nun hat sie ein Kind, einen Jungen. Einen, auf den sie aufpassen soll. Wie sei beim Radio. Die ersten Gehversuche meistert er ganz ordentlich. Niks’ distanzierte Art lässt kaum Platz für Lob. Hektor irritiert das ein bisschen. Doch Niks ist unfähig ihre eingeschlagenen Pfade zu verlassen.

Doch sie muss sie verlassen. Denn Hektor ist mit einem Mal mehr als nur der abgeladene Sohn einer Freundin und Ex-Kollegin…

Chris Inken Soppa lässt ihre Heldin Niks gegen alles kämpfen, wogegen sie noch nie kämpfen musste. Der jugendliche Trojaner in Niks‘ Hort der Unbeschwertheit wird zum tapferen Recken, der Niks‘ Panzer zu zerschmettern droht. „Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein“ ist eine gefühlvolle, wortstarke Geschichte über die Anziehungskraft der Menschen über alle Barrieren hinweg. Ein echtes Urlaubslesevergnügen, das vielleicht Erinnerungen weckt und garantiert zum Nachdenken anregt.

Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Benjamin ist der vierte Sohn einer Familie aus Akure im Westen Nigerias. Der Vater wird in den Norden des Landes geschickt, womit das geordnete Leben der Familie ein plötzliches Ende findet. Denn der Vater war die Richtschnur des Idylls. Sein Wort war Gesetz. Die Kinder müssen nun sehen wie das Geld in die Kasse kommt. Sie werden Fischer. Dabei sollten sie nach den Vorstellungen des Vaters Anwälte, Doktoren, Ingenieure werden.

Alle zwei Wochen kommt der Vater aus dem Norden zu seiner Familie. Die Firma hat ihn dahin versetzt – er fügte sich seinem Schicksal. Zuhause fordert er von seiner Frau zu berichten wie sich die Dinge entwickeln. Seine Frau kommt seiner Bitte oft und gern ach. Als der Vater erfährt welcher Tätigkeit seine Zöglinge nachgehen, ist er erbost. Statt ihre Nasen in die Bücher zu stecken und eine angesehene Karriere machen zu können, gehen sie einem Vergnügen nach. Und dann auch noch am Omi-Ala, dem dunklen Fluss. Dort ist es verboten zu fischen.

Dieser Fluss, Omi-Ala, ist auch der Ort, an dem die Brüder einen selbsternannten Propheten treffen. Ein übler Geselle. Er mordet. Er verkündet Unheil. Ein Unheil, das die Blutsbande der Brüder entzweien soll. Was auch gelingt…

Chiogozie Obioma zeichnet mit seinem ersten Roman ein düsteres Bild Nigerias in den 90er Jahren. Sani Abacha war noch an der Macht. Ein Diktator, dessen Erlässe bis heute nachwirken. Unter anderem war er für den international viel beachteten Mord an dem Journalisten und Umweltaktivisten Ken-Saro Wiwa verantwortlich. Diese Zeit hat der Autor (geboren 1986)  als Kind miterleben müssen.

Mythos und Zukunftsängste sind die beherrschenden Themen in dem beeindruckenden Erstling von Chiogozie Obioma. Nigeria als zerrissener Staat, der in Teilen von ungeheurem Terror heimgesucht wird, als Land, in dem Korruption allgegenwärtig ist, als Heimstätte so vieler reichhaltiger Kulturen – hier erfährt der Leser mehr als die düsteren Nachrichten. „Der dunkle Fluss“ führt in seinen Wassern die DNS der Gewalt. Was auch die einst fröhlichen Kinder hart am eigenen Leib erfahren müssen. Zwischen  Kopfschütteln und faszinierender Folklore ist der Leser hin- und hergerissen.

Über tausend Hügel wandere ich mit Dir

Über tausend Hügel wandere ich mit dir

Der April 1994 war ein finsterer Monat in Ruanda. Denn damals gingen die Hutu und die Tutsi auf einander los. Sie schlugen sich die Köpfe ab, verstümmelten, massakrierten, vergewaltigten und mordeten. Erstaunlich wie viele Worte man für diese Scheußlichkeiten aufzählen kann. Eine Million Opfer in einhundert Tagen – so unvorstellbar, dass sich das Grauen nur mathematisch darstellen lässt, ohne dass es einem den Magen umdreht.

In diesem Frühjahr 1994 ist Jeanne – zu welcher Volksgruppe sie gehört ist unerheblich, da das Morden auf beiden Seiten stattgefunden hat – fast acht Jahre alt. Mit ihren Geschwistern liebt sie es Am Tage im wahrsten Sinne des Wortes Staub aufzuwirbeln. Am Abend hingegen mag sie es gar nicht, wenn er wieder abgewaschen werden soll. Wiederum liebt sie es der Großmutter Nyogokurus Geschichten zu lauschen. Die alte Frau versteht es mit Pausen die Spannung zu erhöhen. Jeannes Welt ist in Ordnung.

Dann beginnt der rücksichtslose Genozid. Jeanne kann fliehen. Ohne Mama. Ohne Papa. Ohne die Geschwister, Tanten, Onkel. Ohne Nyogokuru. Was so stimmungsvoll, so authentisch begann, findet nun eine Fortsetzung in der Beschreibung eines steinigen, entbehrungsreichen Weges ins Glück. In eine Zukunft, die … nein, in eine Zukunft. Das ist das Wichtigste für Jeanne: Eine Zukunft zu haben.

Ihre Flucht durch ihre so geliebte Heimat wird zum Spießrutenlaufen. Kaum die eine Straßensperre mit mehr oder weniger Hürden gemeistert, lauert nur wenige Minuten weiter die nächste Sperre. Und mit ihr eine neue Gefahr. Denn wer Feind, und wer Freund ist, lässt sich nur schwerlich im Vorfeld sagen. Sie bekommt unverhofft etwas zu essen geschenkt, von Einem, der ihr früher Angst einjagte. Hutu und Tutsi – zwei Völker in einem Land. Für ein Kind von acht Jahren ist das nicht von Belang. Für Erwachsene – und Jeanne muss schnell lernen, was das bedeutet – spielt es in Ruanda des Jahres 1994 eine lebenswichtige Rolle.

Ebenso von Bedeutung sind die Wiedersehen mit verlorengegangenen Freunden. Die Freude über das erneute Aufeinandertreffen mildert die Flucht aus der heimatlichen Geborgenheit.

Hanna Jansen schreibt mit Würde und Bedacht über ein Schicksal, das ihr vertrauter ist als vielen anderen. Als Bindeglied zwischen den einzelnen Kapiteln / Schickalsschlägen dienen kurze Anekdoten aus der Gegenwart Jeannes. Die findet in Deutschland statt. Bei ihrer Adoptivfamilie. Hanna Jansen hat selbst eine Großfamilie. Ein Großteil davon adoptierte Kinder aus Kriegsgebieten … Ja, Jeanne gibt es wirklich. Sie lebt in Deutschland. Bei Hanna Jansen. Und ihr hat sie ihre Geschichte erzählt. Beeindruckend und so lebensbejahend!

Himmelrot

Himmelrot

Das Jahr 2006 war für viele das Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Wochenlang jubelte und trubelte das Land im Taumel der Euphorie. Für Klaus Wiesenbach war es das Jahr des Umbruchs.

Klaus ist Lehrer am Gymnasium. Privat läuft es eher suboptimal. Sinnkrise beschreibt seine derzeitige Situation wohl am besten. Da erreicht ihn eine Mail von Rüdiger. Damals, in Hamburg, als Studenten waren sie unzertrennlich. Politische Diskurse und Aktionen, ein lockeres Leben und die Clique schweißten sie zusammen. Nach dem Abschluss ging jeder seiner Wege. Rüdiger geht es nicht gut. Der Anwalt hat Krebs. Im Endstadium. Er lebt in einem Hospiz.

Per Mail treten sie in einen regen Gedankenaustausch. Bis Rüdiger endlich mit der Sprache rausrückt. Er will die alten Freunde von einst noch einmal sehen. Und Klaus soll die Clique wieder zusammenführen. Ist es das, was Klaus suchte, ohne zu wissen, dass er es suchte? Ohne viel Federlesen begibt sich der Fünfzigjährige auf einen Roadtrip, dessen Weg und Ziel er nicht recht einordnen kann.

Und so reist er – mal allein, mal in Begleitung – von Ost nach West, von Nord nach Süd – immer auf der Suche nach ehemaligen Weggefährten und ich selbst. Die Rückblenden , die Klaus auf seiner Reise immer wieder in den Sinn kommen, werfen ein Licht auf seine Herkunft. Denn er war nicht immer der brave Lehrer, der er zu sein scheint. Ob er die „wilden Zeiten“ vermisst, ist ihm selbst nicht klar. Doch er sieht, dass auch die heutige Generation wild ist. Anders wild. Das gibt ihm Mut und lässt ihn zugleich verzweifeln. Mut, weil er sieht, dass die nachrückende Generation immer noch willens ist zur Veränderung. Verzweifelnd, weil er ihre Art zu rebellieren nicht versteht.

Autor Heiner Meemken ist im gleichen Alter wie Klaus Wiesenbach. Er wohnt in der gleichen Ecke wie sein Protagonist. Sind Heiner und Klaus ein und dieselbe Person? Diese Frage stellt sich dem Leser erst zum Schluss, wenn der Roman gelesen und die Kurzbiografie noch zu lesen ist. Die Reise Klaus‘ wirft viele Fragen auf. Somit ist der Roman nicht nach 336 Seiten vorüber, sondern beginnt erst noch.

Regensburg

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Sollte man eine Aufstellung von deutschen Städten machen, die in der Gunst der Touristen ganz oben liegen, wären Städte wie Berlin, München, Nürnberg und Dresden ganz vorn. Wer Zeit hat, nimmt sich dann die Zeit für Ausflüge in die Umgebung, um Leipzig, Bamberg und Regensburg zu besuchen. Apropos Regensburg. Diese Stadt hat es verdient, dass man sie besucht. Denn hier weht der Hauch von zwei Jahrtausenden durch die alten, engen, hübsch herausgeputzten Gassen. Das weiß man entweder weil man schon mal da war oder man dieses Buch gelesen und vor allem mit den Augen verschlungen hat.

Thomas Ferber hat mit seiner Linse die Schönheiten ins rechte Licht gerückt und Peter Morsbach hat den visuellen Preziosen den textlichen Rahmen verpasst. Entstanden ist so eine gedruckte Hommage an eine der eindrucksvollsten Städte Deutschlands, und ganz nebenbei an den Verlagssitz des Herausgebers.

Die Römer erkoren den Platz an der Donau zu einer ihrer Niederlassungen auf dem Weg gen Norden. Hier kreuzten sich schon vor hunderten von Jahren die Handelswege in alle Herren Länder. Die steinerne Brücke über die Donau gehört nicht nur zu den beeindruckendsten Bauwerken in optischer Hinsicht, sie ist ein technisches Meisterwerk. Schließlich führt sie nicht über ein kleines Rinnsal, sondern über einen Fluss, der Jahr für Jahr noch heute die Menschen vor besondere Herausforderungen stellt diesen in Krisensituationen zu bändigen.

Kriege konnten der Reichstagsstätte kaum etwas anhaben. Die Fliegerbomben der Alliierten machten einen großen Bogen um die Donaumetropole, so dass der Besucher heute durch eine Stadt gehen kann, die stetig verändert wurde, jedoch ihren Charakter nur schrittweise veränderte.

Das Buch ist gerade in einer –  wie der Verlag sagt – „aufgefrischten“ Neuauflage erschienen. Neben der Ausgabe in deutscher, englischer und italienischer Sprache, gibt es jetzt auch eine Ausgabe in Französisch, Spanisch und Russisch. Das deutet darauf hin, dass die Tourismusmanager der Stadt sich nicht nur auf die veränderten Reisegewohnheiten der Welt einstellen, sondern, dass die Welt sich auf Regensburg eingestellt hat. Und dieses Buch ist es wert, dass es auch in weiteren Sprachen erscheint…

Black Vodka

Black Vodka

Gefangen im Nirgendwo? Das sind die Protagonisten der zehn Geschichten sind nicht zu Hause. Eine Engländerin in Prag zusammen mit Serben. Doch eigentlich sind Her- und Ankunft egal. Alle sind irgendwie irgendwo gestrandet.

Nicht immer freiwillig. Alle haben ihr Scherflein zu tragen. Und sie meistern ihre Situation. Großstadtromantik und Großstadtalltag treffen hier auf die kongruente Literaturgattung der Kurzgeschichte. Zackig und präzise hält Deborah Levy die Fäden ihrer Figuren in den Händen. Sie taumeln, sie stöhnen, sie lachen, sie tanzen … sie sind am Leben.

Das ist es was zählt lebendig sein. Urbanität und Kreativität findet nicht nur in Büros statt. Draußen auf der Straße wird der Mythos creative urbanity geboren. Oder ist es doch die urban creativity?

Die Schicksale scheinen auf den ersten Zeilen banal. Essen in der Mikrowelle aufwärmen, ist nicht gerade ein Ausbund an Kreativität. Doch Deborah Levy nimmt dies zum Anlass ungewöhnliche Geschichten zu kreieren. Im Reisegepäck hat jeder sein Paket mit Erinnerungen und Erfahrungen. Diese sind Mittel zum Zweck. Aus Erfahrungen heraus werden Probleme gelöst. Oder man erlaubt es aus Problemen neue Erfahrungen zu machen.

Die zehn Geschichten sind schwer greifbar. Man muss alles um sich herum vergessen, ausblenden. Dann, und erst dann, taucht man wirklich in die Stories ein. Eine Weltreise rund um den Globus: Von Barcelona über Wien bis Prag. Eine globale Geschichtenzusammenstellung, die eines klarmacht: Globalisierung kann auch Spaß machen. Zumindest, wenn man die Geschichten von Deborah Levy liest.

Die Schmuggler

Die Schmuggler

Was für eine Überraschung! Da ist sie, die „Mestral“. Der Ich-Erzähler wird von einem Fischer herangepfiffen, weil sich die beiden kennen. Denn das Boot gehörte einst dem Erzähler, der Pfeifende heißt Baldiri Cremat und ist Fischer, mit Nebenerwerb. Eigentlich wollte der Erzähler arbeiten, eine Geschichte schreiben. Und eigentlich sollte der Fischer mach Fischen fischen. Eigentlich. Aus dem Zusammentreffen wird ein Trip, den alle Beteiligten nicht mehr vergessen, inklusive des Lesers.

Die Drei, Baldiri Cremat, Pau Saldet und der Erzähler machen sich also auf den Weg von der katalanischen Küste in Frankreich Olivenöl zu verkaufen. Das Beste, was es überhaupt gibt. Auf dem Rückweg wollen sie teure Ersatzteile für Fahrräder mitbringen. Alles in allem ein ganz normaler Arbeitstag. Doch dem Erzähler schwant nichts Gutes. Er weiß, dass Cremat und Saldet mit allen Wassern gewaschener Halunken sind. Doch die Aussicht mit dem einst eigenen Boot noch einmal aufs Meer hinauszufahren, den Wind um die Nase wehen zu lassen, und vielleicht auch die Schmeicheleien von Cremat lassen die Abenteuerlust über die Vorsicht siegen.

Dem Erzähler ist klar, dass es sich nicht um eine „normale Geschäftsreise“ handelt. So konzentriert er sich bei der Kurzreise ins benachbarte Frankreich auf die Schönheiten der Natur und der Eigenheiten der Ortschaften. Besonderen Wert legt er auf die lukullischen Genüsse an Land. Dem Leser läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn er von den Köstlichkeiten an Land erfährt.

Und so tritt die Tätigkeit des Titels – das Schmuggeln – immer weiter in den Hintergrund. Fast könnte man „Die Schmuggler“ als kulinarischen Reiseband für Leckermäuler verstehen. Als Reiseband taugt die Geschichte allemal. Entlang der katalanischen Küste von Spanien nach Frankreich ins Roussillon oder in umgekehrter Richtung, Josep Pla gibt die Richtung und Einkehrorte vor. Immer mit dabei: „Die Schmuggler“.

Die Satten

Die Satten

Wenn man sich anstrengt, kann man auch was erreichen. Sich eine Karriere aufbauen, schöne Urlaube verbringen, ein Haus oder eine Wohnung sein Eigen nennen, teure Autos fahren. Ja, manche können sich sogar ihre Träume verwirklichen. Doch was dann? Alles erreicht – was kommt nun? Für neue Träume ist man zu alt, zu fett, zu faul. Zu satt!

Sie und Er – Namen sind Schall und Rauch – haben es geschafft. Er arbeitet bei einer Versicherung, hat ein hart arbeitendes Team unter sich, regiert mit strenger Hand. Sie malt, frönt dem Müßiggang, nimmt sich dabei aber ernst. Nur leise klingen verzweifelte Sehnsüchte an. Ihrer beider Leben ist gekennzeichnet vom Alltag. Sie sind zufrieden mit dem, was sie haben: Eigentumswohnung, Urlaube, Autos. Sie schwelgen nicht im Luxus. Ja, sie könnten sogar die Nachbarn von nebenan sein. Unauffällig reich. Nicht übermäßig reich. Doch genug, um sich vermeintliche Träume zu erfüllen. Von unten nach oben gebuckelt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Feingefühl. Ohne Gewissen.

Wenn so jemand aus der Bahn geworfen wird, bzw. seine eingelaufenen Pfade verlassen muss, ist das eine mittlere Katastrophe. Wenn andere die Ärmel hochkrempeln, um aus dem Schlamassel herauszukommen, versagen die Satten. Sie sind es nicht gewöhnt zu kämpfen. Sie lassen kämpfen. Haben Ideen, die andere umsetzen müssen. Und wenn sie mal selbst Hand anlegen müssen, vergessen sie dabei das Wichtigste: Sie könnten beobachtet werden. Beurteilt.

Bei ihm läuft es zur Zeit nicht wie am Schnürchen. Ein anderer Platzhirsch drängt ins Revier. So war er auch mal. Die Degradierung – bei gleichem Gehalt – trifft ihn hart. Es ist doch nicht nur das Geld, was zählt. Macht ist das wahre Elixier. Der Neue muss weg. Eine Lösung scheint schnell gefunden. Und zwar in dem Typen mit dem rollenden R und dem ewig  hechelnden und knurrenden Vierbeiner. Ein paar Tausender kostet’s schon, aber das ist machbar. Problem gelöst? Problem gelöst! Wirklich? Ja. Aber auch dauerhaft? Ähm, naja. Es beginnt ein Spiel, das Sie und Er nicht kennen, sich aber darauf einlassen. Einlassen müssen. Denn wer A sagt, muss auch B sagen. Es beginnt eine Spirale des Todes, des Hasses und der verborgenen Gefühle. Ungeahntes Potential wird freigesetzt. Er entdeckt sein Gewissen, sie ihren Biss.

Susanne Preuskers Krimi strotzt nur so vor Andeutungen. Der Leser muss mitspielen. Eine exzellente Mischung aus Fakten und Vermutungen zieht den Leser in den Bann der Ereignisse. Macht man sich anfangs noch ein wenig lustig über die Ungelenkigkeit von Ihm und Ihr, so wandelt sich das Schmunzeln in Kopfschütteln. Bis am Ende … das muss der Leser schon selber beurteilen.

MM City Hamburg

MM-City Hamburg

Ein Mann sitzt im Bus von der schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Sein Weg führt ihn nicht nur in eine der schönsten Städte Deutschlands, seine Mission ist weitaus bedeutender: Er will den Geist der Stadt auf über 250 Seiten reisebeständigem Papier bannen. Hamburg heißt seine Sehnsucht! Matthias Kröner ist mehrere Dutzend Male in die Elbmetropole gereist, um ihr die geheimsten Geheimnisse zu entlocken. Tja, was soll man sagen? Es ist ihm gelungen! Wer Hamburg nur als Beigabe zur Reeperbahn, Sankt Pauli (ob nun den FC oder den Stadtteil ist erstmal egal) und den Hafen sah, wird baff sein, was Hamburg alles zu bieten hat. Im Nachgang der Unruhen (der Fans) zum Klassenverbleib des Bundesligadinos, wird es so manchen erst recht an Alster und Elbe ziehen. Hamburg ist voll mit Attraktionen. Doch welche soll man zuerst besuchen? Welche kann man im Vorbeigehen erhaschen? Was MUSS man gesehen haben? Keine leichte Aufgabe in einer Millionenstadt.

Zwei Jahre lang fuhr er immer wieder gen Elbe, um für seine Spaziergänge zu recherchieren. An altbewährtem wie dem Fischmarkt und der Reeperbahn vorbei durch die Neustadt und an der skandalumwitterten Elbphilharmonie bis zur Trostbrücke und einem Rundgang durch das abwechslungsreiche Ottensen. Überall gibt es Sehens- und Berichtenswertes. Nur eine Frage konnte auch Matthias Kröner nicht beantworten. Die nach dem Geburtstag der Stadt. Die namensgebende Hammaburg wurde irgendwann zwischen 810 und 822 errichtet. Von wem ist auch unklar. Feierwütige können so noch ein paar Jahre das 1200jährige Stadtjubiläum feiern.

Noch einmal zurück zum Traum von Matthias Kröner. Seine Reiseimpressionen sind nicht nur aus gedrucktem Papier zu erhalten. Seit einiger Zeit sind ALLE Inhalte der neu erschienen MM City Reisebücher auch als KOSTENLOSE App (mmv.me/buchundapp oder Code vom Cover scannen) erhältlich. Einfach aufs Smartphone laden und schon hat man die ganze Welt in der Tasche. Einerseits lesen, andererseits gucken. Wo geht’s lang? Was gibt’s dort zu sehen? Und wie sieht es aus, wie erkenne ich es? Für ausgefuchste Besucher empfiehlt sich das Doppelpaket: Für morgens die Tour mit dem Buch planen, mit dem Smartphone die Tour durchführen. Da sind echt gute Ideen dabei. Zum Beispiel kann man die Tour nach Dauer, Interessen (Hochkultur oder Schlemmen, ob mit oder ohne Kinder, mobil oder auf den öffentlich Nahverkehr angewiesen etc.) planen. Die App erledigt dann die restliche Planung. Man muss sich nur noch treiben lassen. Echt innovativ und sehr leicht zu bedienen.

Und dann wird aus Hamburg nicht das hanseatische Hamburch, sondern das dem Autor gelegene Hamburrrrrg.

Der Suppenfisch

Der Suppenfisch

Es gibt Titel, da weiß man sofort worum es geht. Dann gibt es Titel, da meint man zu wissen, wovon das Buch handelt. „Der Suppenfisch“ – klar, da geht es um einen Fisch, der gekocht werden soll. Als schmackhafte Suppe die hungrigen Mäuler stopfen. Doch da liegt man falsch.

Hätte man aber auch ahnen können, denn Georges Hausemer ist nicht dafür bekannt, dass er in seinen Geschichten das Offensichtliche in den Vordergrund stellt.

Ein Mann liegt – wie es Georges Hausemer so poetisch beschreibt – in den letzten Kurven seines Lebens. Er lässt sein Leben noch einmal Revue passieren. Denkt an den Krieg, an Reisen in ferne Länder, an Geschmäcker, die er vergessen zu haben schien. Sein Leben war und ist dreidimensional. Es geht Auf, und es geht ab. Mal ein Schwenker nach links, mal einer nach rechts. Und manchmal geht es schräg nach rechts hoch, um anschließend nach links unten seine Fortsetzung zu finden. Der Mann, der hier erzählt, weiß anfangs noch nicht, dass er sein Leben erzählt. Ein Abschlussbericht. Vielmehr hat er nun, da er seinen Alltag im liegen verbringt, viel Zeit, um zu erzählen.

Beim Lesen kommt man automatisch ins Grübeln, was ist echt, was erfunden. Spielt das Gehirn dem Erzähler einen Streich, wenn er von Fußballstadien, Flugzeugabstürzen und anderen Katastrophen erzählt? Oder erinnert er sich nur an die Busby Babes? 1958 kam bei einer Flugzeugkatastrophe die Mannschaft von Manchester United ums Leben. Georges Hausemer lässt vieles offen – gut für den Leser. Der kann so raten, mitfühlen, sich für das eigene Ende wappnen. Das Wort Tod zu vermeiden wird hier zur Kunstform erhoben. Dass es bald zu Ende belibt niemanden verborgen.

Und der Suppenfisch? Der schwimmt munter und froh zwischen den Zeilen herum. Immer wieder reißt er sich von der Leine der Erinnerung los, verschwindet im Dickicht der Phantasie. Dann taucht er keck wieder auf. Dreht dem Angler ‘ne Nase.