Ein Galgen für meinen Vater

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Wow, was ein Titel! Liebe Väter der Welt, keine Angst! Hier will niemand jemand anderen umbringen. Tief im Inneren wohl manchmal schon, aber irgendwie auch wieder nicht.

Tom ist in einer verzwickten Lage. Es kommt der Moment, der jedes Kind einmal irgendwann ereilt. Ein Elternteil liegt im Sterben. Doch so recht will sich Gevatter Tod den Auserwählten nicht holen. Toms Vater ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Einst bestiegen die beiden die höchsten Berge. Ein eingespieltes Team. Und jeder schaute sich vom Anderen etwas ab. Erst der Kleine vom Vater, später dann auch der Alte vom Sohnemann. Beide hatten ein erfülltes Leben. Der 84jährige war (und ist) Ingenieur, der Sohn Bergführer. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Beim Vater war das anders. Er war im Krieg, Ostfront. Gefangenschaft und Flucht aus dem sowjetischen Lager. Ganz unten hat er angefangen, als Zeichner.

Als die Kinder klein waren, wurde ein Haus gebaut. Später kam noch der Balkon hinzu. Es ging immer aufwärts. Bis Toms Vater von Jetzt auf Gleich seine Beine nicht mehr spürte. Toms Mutter ist schon länger körperlich beeinträchtigt. Und jetzt auch noch der Vater. Toms Bruder ist immer nur sporadisch da. Er verbringt viel Zeit in Neuseeland.

Tom muss mit ansehen wie sein Vater langsam die Lebensgeister entwischen. Ist er zuerst nur körperlich nicht mehr voll einsetzbar, kommen immer öfter auch geistige Aussetzer hinzu.

Tom stellt eine Pflegekraft ein, ein Nachbar aus dem Ort hat gute Erfahrungen mit der Litauerin Nijole gemacht. Sie kümmerte sich rührend bis zum des Vaters. Doch gleich von Anfang an, gibt es Probleme. Die Stütze entpuppt sich bald als Belastung.

Martin Bettinger beschreibt die Geschichte der beiden Männer als Reise hinaus aus der Welt. Auch Toms Welt gerät ins Wanken. Auf einmal muss er den Vater pflegen, vierundzwanzig Stunden erreichbar sein. Und immer darauf achten, dass der Vater nicht wieder querschießt. Denn der verlässt öfter das Bett, schleift sich selbst über den Boden. Reißt sich die Füße auf, Blutspuren führen schlussendlich immer wieder zu ihm. Toms Eltern sind mit der Situation maßlos überfordert. Nun muss Tom der starke Mann sein, der Entscheider. Konnte er sich bisher immer auf seine Eltern verlassen, wird ihm diese Sicherheit mit einem Mal entrissen.

Ein Happyend kann und darf es nicht geben. Wie auch? Es ist eine Erlösung für alle Beteiligten, dass der Vater endlich sterben darf. Die Ärzte konnten auch nichts mehr tun. Was für die eine Diagnose gut ist, wäre für andere Diagnosen tödlich gewesen. Wenn alles zusammenkommt, hilft nur noch klarer Menschenverstand. Rationalität muss Gefühlen weichen. Und was den Galgen betrifft – der ist für das Bett des Vaters bestimmt.