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Principessa Mafalda – Biografie eines Transatlantikdampfers

Es waren einmal zwei Schwestern. Hübsch anzusehen, präsentabel herausgeputzt und elegant – so wie es sich für Königskinder gehört. Als die erste ihre ersten Schritte ins Leben wagte, kam sie ins Wanken, kippte links zur Seite und versank im Meer. Die zweite folgte ihr Monate später. Ihr glückte, was ihrer älteren Schwester nicht gelang. Unter dem Jubel der Zuschauer glitt sie ins Leben…

Ja, wenn die Geschichte der Schifffahrt ein Märchen wäre, so hätte sie an dieser Stelle ein Happy end. Der Stapellauf der Principessa Mafalda, benannt nach der Tochter des italienischen Königs lief im Oktober 1908 in Genua vom Stapel. Ein Jahr zuvor sank ihr Schwesterschiff Jolanda – auch nach einer Tochter von Vittorio Emmanuele III. benannt – gleich beim Eintauchen ins Mittelmeer. Mit der Principessa Mafalda sollte es möglich sein in reichlich zwei Wochen von Genua nach Buenos Aires fahren zu können. Das wollte sich kaum jemand entgehen lassen.

Während in der ersten Klasse die Überfahrt zu einer Dauerparty verkam, darbten die Massen auf den unteren Decks. Mitgebrachtes Essen wurde sparsam rationiert, während oben an Deck die Prosecco-Korken knallten. Die enorme Recherchearbeit von Stefan Ineichen führt dazu, dass man im Nu sich an Bord dieses Dampfers versetzt fühlt. Die zahlreichen Abbildungen untermalen das von ihm Geschilderte, und machen jede Seite zu einem Reiseerlebnis, das ebenso luxuriös ist wie es damals – vor hundert Jahren – gewesen sein muss.

Eine Reise über den Atlantik endet nicht mit der Ankunft im Zielhafen. Auch hier hält Stefan Ineichen so manche Anekdote parat. Wenn beispielsweise der sizilianische Autor Luigi Pirandello auf den damals unumstrittenen Star des Tangos Carlos Gardel trifft, dann vibriert die Luft im Künstlercafé der argentinischen Metropole.

Oft bleibt von den großen Schiffen der Vergangenheit nur der bittere Nachgeschmack der Katastrophe im Gedächtnis. So ist es leider auch in diesem Fall. Die Mafalda glitt nur zwei Jahrzehnte über die Wellen der Meere. Die letzte Fahrt endete abrupt vor der Küste Brasiliens. Eine Welle hatte sich selbständig gemacht und den Rumpf des Stolzes der italienischen Dampfschifffahrt beschädigt. Nur wenige Stunden nachdem der Schaden bemerkt wurde, sank das Schiff am Abend des 25. Oktober 1927 und riss mehr als tausend Passagiere und Crew in die Tiefen.

Die „Principessa Mafalda“ war als große Hoffnung für alle Beteiligten ins Leben gestartet. Für die meisten versprach das Ziel ihrer Reise ein besseres Leben. Für die Betreiber war es ein Vorzeigeobjekt. Dass dieser Ruhm nur eine kurze Zeit halten würde, war nicht beabsichtigt, vielmehr war der Fortschritt Antriebsmotor für weitere Dampfschiffe. Die Mafalda war kurze Zeit nach ihrem Stapellauf nur eines von mehreren Schiffen, die der Mafalda in Sachen Eleganz und Ruhm allerdings nicht das Wasser reichen konnten. Ob die Mafalda ohne ihr ungeheuerliches Ende noch heute so dermaßen die Gemüter bewegen würde, kann man nicht sagen. Was aber auf alle Fälle stimmt, ist die Tatsache, dass durch Bücher wie dieses die Legende niemals untergehen wird.

Das Land am anderen Ende des Meeres

Oft hört man Schauergeschichten wie in vergangenen Zeiten Männern eines über den Schädel gezogen wurde, und sie sich dann später mit Schmerzen im Oberstübchen auf hoher See wiederfanden. Sie waren Matrosen wider Willen. Hans, ein Junge Papenburg soll auch mal zur See fahren. So will es die Mutter. Er soll mal Kapitän werden. Nicht Fabrikarbeiter wie der Vater. Alt genug ist er nun – ein Teenager, aber zu Beginn des vorigen Jahrhunderts durchaus üblich. Doch der Lütte ist zu klein. Ein paar Zentimeterchen fehlen. Trotzdem muss der Junge was zum Unterhalt beisteuern – darin sind sich Vater und Mutter einig.

Kurze Zeit später ist es dann soweit. Die weite Welt wartet auf Hans. Er wird auf große fahrt gehen, wird Länder sehen, die seine Eltern, seine Nachbarschaft, der Großteil der Menschheit niemals im Leben sehen wird. Doch was heißt hier Leben?

Als seine Eltern beschlossen, dass der Bengel arbeiten muss (bis ihn die Seefahrt für sich entdeckt), schuftet er auf der Werft. Nieten fangen. Glühend heiße Eisenteile. Dass einem derart unerfahrenen Menschen dabei Fehler passieren, ist vorhersehbar. Doch es härtet ihn ab. Auch wenn er das erst viel später merken wird.

Nun ist er von Gischt umgeben, schindet sich, wird geschunden. Von der Schönheit der Welt kann er kaum etwas wahrnehmen. Und Hans wird viel sehen. Die Kontinente, die Länder, die Häfen werden zu seinem Zuhause. Nicht immer die wohnlichste Stube, niemals das bequemste Bett und schon gar nicht das Glück der Familie. Bis zu dem Tag als er Alicia trifft.

Zum ersten Mal in seinem Leben hat er einen Hafen angelaufen, der wirklich Heimat bedeuten könnte. Doch wie heißt es so schön: „Deine Heimat sind die Meere“. Eine Liebe, die zum Scheitern verurteilt ist?

Jürgen Rath hatte vor Jahren einen alten Seebären interviewt. Nicht lange, nicht ausgiebig. Dennoch genug Stoff für den Historiker mit Kapitänspatent, um nun endlich diesen Roman mit biographischem Hintergrund fertig zu stellen.

Von Anfang an faszinieren die detailreichen Darstellungen, die gar keinen anderen Schluss zulassen, dass hier ein echter Kenner der Materie seine Finger im Spiel hat. Und man merkt sofort, dass Kapitän i.R. Rath wohl keiner der Menschenschinder war, denen so manches Abenteuer zugrunde liegt. Ein echter Seefahrerroman mit einem ganz dicken Anstrich Menschlichkeit. Und wem das Fernweh nicht ganz fremd ist, wird sich von Seite zu Seite durch dieses Leben fressen als wenn es kein Morgen gibt!

Hemingway im Schwarzwald

Hemingway – ein Name wie Donnerhall. Als der kleine Ernie 1899 zur Welt kam, war das sicher nur ein kindliches Schreien. Ein paar Jahrzehnte später jedoch war der als Stilikone nicht mehr vom Thron zu stürzen. Muss ein gutes Jahr gewesen sein, dieses 1899: Ein anderer Künstler, der eine ganze Branche prägte, wurde ebenfalls im Sommer 1899 geboren. Alfred Hitchcock. Der bezog seine Genialität aus den Erfahrungen seiner Kindheit.

Hemingway ebenso.

Ernie, wie er oft genannt wurde, zog es früh an den Schreibtisch. Und das ist in seinem Fall wortwörtlich gemeint. Als Journalist für den Toronto Star schickte man dem Teenageralter Entwachsenen nach Paris. Das muss man sich mal vorstellen. Gerade mal alt genug, um in einer Bar Alkohol zu bekommen und dann ins Paris, das vor Verlockungen nur so strotzte. Zu einer Zeit, in der Europa einen gewaltigen Umbruch erlebte, und noch erleben sollte. Der Krieg – die Ordnungszahl ließ man glückverheißend oder unglückunwissend beiseite – war nur auf dem Reißbrett und dem Diktatspapier vorbei. Doch die neu gezogenen Grenzen noch lange nicht akzeptiert.

Nun ist der aufstrebende, vor Tatendrang strotzende junge Autor in der Stadt, die für Künstler das Paradies ist (noch nicht finanziell), in einem Land, das einen verheerenden Krieg verkraften muss und auf einem Kontinent, der brachliegt. Doch irgendwann kommt auch für ihn die Zeit sich einmal Ruhe zu gönnen.

Deutschland soll es sein. Freiburg, nicht weit von der Grenze entfernt. Der Schwarzwald erinnert ihn an seine Heimat. Dort, wo er das Fischen erlernt und lieben gelernt hat. Doch viele sind misstrauisch, besonders die Wirtsleute. Zum Glück ist der Wechselkurs im August 1922 sehr günstig. Für einen Dollar gibt’s mehr als sechshundert Mark – als er Deutschland ein paar Wochen später wieder verlässt, ist es mehr als das Doppelte. Ein Jahr später hätte er das Billionenfache bekommen… Da jetzt einen Zusammenhang herzustellen, wäre eine Milchmädchenrechnung. Fakt jedoch ist: Hemingway kehrt zurück nach Paris, seine Ehe geht ihrem Ende entgegen und sein Schreibdrang, das Verlangen nach literarischer Betätigung steigt und steigt. Schon bald erscheint seine erste Erzählung. Später wird sein Aufenthalt im Schwarzwald in „Schnee am Kilimandscharo“ den Raum einnehmen, den man so nicht vermuten konnte.

Thomas Fuchs folgt den Spuren des Literaturnobelpreisträgers durch den Schwarzwald. Mit viel Anlauf – ohne die zeit zuvor zu kennen, fehlen dem Leser die Verknüpfungen zur Besonderheit dieses Urlaubs im Schwarzwald – sammelt er immer mehr Spuren und nimmt Fährten auf, die schlussendlich in einer Geschichte zusammenfinden, die dem Meister alle Ehre machen würden. Es ist nur eine Anekdote im ereignisreichen (selbst veröffentlichten) Leben Hemingways. Aber eine, die großen Einfluss auf den viel zu kurzen Rest des selbigen hatte. Für Fans ein Muss, für Neugierige ein gefundenes Fressen.

Emmy Noether. Ihr steiniger Weg an die Weltspitze der Mathematik

Die Mathematik – unendliche Weiten. Unendliches Leid für viele. Doch stimmt das überhaupt? Ist wirklich alles unendlich? Und wenn ja … beweis es doch! Wer nach dem Vorwort und dem einführenden Kapitel – unerlässlich, um zumindest ansatzweise verstehen zu können wer Emmy Noether war, was sie bewirkte – immer weiter liest, taucht in eine Welt ein, die er unter „normalen“ Umständen niemals betreten hätte.

Wer also in der Schule in der Mathematik in Nöten war, wird diese Biographie über Emmy Noether als wahre Befreiung empfinden und nicht als grammatikalische Steigerung seiner Not. Emmy Noether war achtzehn Jahre alt als das neue Jahrhundert, das zwanzigste, begann. Eine mathematische Begabung war da schon zu erkennen bzw. eine überaus stark ausgeprägte Neigung zur Lösung komplexer Vorgänge. Es gab nur eine Problem: Emmy Noether war eine Frau! Frauen in der Wissenschaft gab es schon – allein diese Formulierung zeigt, dass das Selbstverständnis darüber noch nicht einmal vorhanden war. Marie Curie wurde wegen ihrer Entdeckungen gelobt, gerühmt, geehrt.

In Göttingen forschte sie auf dem Gebiet der Mathematik. Selbst David Hilbert – eine, vielleicht die Koryphäe der Mathematik – vermochte es nicht seine Schülerin als Lehrkraft einstellen zu können. Doch auch ohne – nicht einmal gerechte – Entlohnung forschte Emmy Noether weiter. Während allerdings Hilbert mit Einstein Formel für Formel durchrechnete, blieb Emmy Noethers Wirken fast unbemerkt.

Als die Nazis an die Macht kamen, musste auch Emmy Noether ihre Hüte nehmen. Wie Hilbert zog es sie gen Westen, in die immer noch Neue Welt. Hier wurde sie erstmals oder wenigstens für ihre Arbeit bezahlt. Doch die Freude war nur kurz. Eine Krebsoperation erbringt nicht das gewünschte Ergebnis. Zwei Jahre nach ihrer Flucht stirbt Emmy Noether.

Die Mathematik-Professorin konnte ihren Ruhm nur kurze Zeit genießen. Um den ging es ihr aber zeitlebens niemals. Schnell geriet ihr Name in Vergessenheit. Ihre Entdeckungen jedoch veränderten das Gesicht der Mathematik. Komplexe physikalische Berechungen wären ohne ihr Zutun nicht denkbar bzw. erst später möglich gewesen. Es dauerte ein halbes Jahrhundert bis ihre Entdeckungen anerkannt wurden.

Die Biographie von Lars Jaeger verleiht einem einflussreichen Leben den späten Ruhm. Geradlinig war das Leben Emmy Noethers niemals. Viele Schnittpunkte verbanden sie mit den Größen der Wissenschaft. Ihre Reputation ging lang, zu lange gegen Null. Ihre Rationalität war reell. Noch mehr Mathematik gefällig? In diesem Buch verschmelzen Neugier auf einen außergewöhnlichen Menschen und wissenschaftliche Erklärungen auf wunderbare Weise.

Die Verfolgten

Es ist zynisch zu behaupten, dass heutzutage eine Flucht viel einfacher ist als noch vor einem halben Jahrhundert. Warum soll das so sein? Weil es mehr Boote und Fahrzeuge gibt? Wie hätte Giordano Bruno an heutige n Maßstäben gemessen fliehen sollen? Sich auf den Rücken eines Pferdes schwingen und innerhalb von einer Woche über die Alpen verschwinden? Und dann? Vom Regen in die Traufe – mehr hätte es nicht bewirkt. Nein, er blieb, er kämpfte, er verlor. Aber er kämpfte.

Albert Einstein, Emmy Noether – brillante Naturwissenschaftler. Doch der braunen Elite und ihrer Speichellecker ein Dorn im Auge. Übrigens aus verschiedenen Gründen (auch Neid spielt bei Diffamierungen immer eine Rolle…). Amerika war ihr großes Ziel. Sehnsucht kann man das nicht nennen. Überlebenstrieb trifft es besser. Dass Einstein auch hier überwacht wurde, traf ihn sehr.

Brillante Wissenschaftler auf der Flucht – bis heute ein Problem. Denn bis heute sind wissenschaftliche Denkweisen bestimmten Machtausübenden ein Dorn im Auge. Denn sie könnten die faden Argumente – sofern vorhanden – mit einem Handstreich ad absurdum führen.

Giordano Bruno starb auf dem Scheiterhaufen, weil er der Welt sagte, dass wir nicht allein im Universum sind. Albert Einstein umschiffte die Klippen der Strafe durch seinen bekanntheitsgrad. Alan Turing traf seine eigene Wahl.

Turing kann getrost als Vater der Künstlichen Intelligenz bezeichnet werden. Im Krieg gegen die Nazis kann sein Anteil beim Dechiffrieren feindlicher Nachrichten nicht hoch genug eingeschätzt werden. Was ihn sogar einen OBE (Orden of the British Empire, ein Adelstitel) einbrachte. Nach dem Krieg gab es für ihn, seine Person, kaum noch Verwendung. Fachlich hätte man ihn unbedingt gebraucht. Aber. Alan Turing war … schwul. Und gab sich auch nicht sonderlich Mühe dies zu verbergen. Als er einen Einbruch bei der Polizei zu Protokoll gab, kam alles heraus. Schlussendlich wurde er einen „medizinischen Kur“ unterzogen, die das Anderssein heilen sollte. Von wegen „andere Zeiten, andere Sitten“ – es war menschenverachtend. Und es wurde erst vor paar Jahren durch Queen Elisabeth II. verurteilt und revidiert. Das Spießrutenlaufen beendete der Querkopf selbst. Mit Mandeln und einem Apfel. Zurückblieb das Erinnern an einen sensiblen, manchmal normbefreiten genialen Kopf. Hier und da erinnern Gedenktafeln, Straßennamen und mittlerweile eine Pfundnote an Alan Turing.

Thomas Bührke nimmt die Fährten vergessener Lebensphasen großer Denker wieder auf. Sie alle wurden verfolgt, aus unterschiedlichen Gründen. Nachvollziehbar sind diese allesamt nicht, nach heutigen aufgeklärten Maßstäben. Waren sie damals eigentlich auch nicht. Aber so ist das eben mit dem Einschub „eigentlich“. Eines sollte man nicht machen: Eich eigentlich für diese Personen interessieren, und dieses Buch nicht lesen.

Das Lächeln der Imperia

Wenn man heute im beschaulichen Konstanz entlang der Seepromenade flaniert, kommt einen der Ausspruch von Jan Hus Konstanz sei ein einziger Sündenpfuhl wie ein Hohn vor. Jetzt versetzen wir uns reichlich sechshundert Jahre in der Zeit zurück.

In Venedig wird eine gewisse Gabriella Cognati vors Inquisitionsgericht zitiert. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war das keine Sache von Gerechtigkeit, sondern der sichere Tod. Zumindest hätte die junge Dirne mit einer Strafe rechnen müssen, die ihr Leben entscheidend beeinflusst hätte. Und das nicht zum Gutem!

Zur gleichen Zeit tagte im fernen Konstanz das Konzil. Ein neuer Papst sollte gewählt werden. Und zwar nur einer, der dann auch als der eine Papst seine Schäfchen hüten sollte. In diesem Jahr regierten drei Päpste: Gregor XII. in Rom, Benedikt XIII. in Avignon und Johannes XXIII. Von Pisa aus. Letzter war der einzige Papst, der auch in Konstanz weilte. Die überschaubare Stadt am Bodensee platzte aus allen Nähten während des fast vierjährigen Konzils. In diesem Zeitraum besuchten fast zwölf Mal so viel Menschen die Stadt wie sei Einwohner hatte. Für gewiefte Geschäftemacher ein mehr als fruchtbarer Boden.

Mit List und Rafinesse trieb es auch Gabriella Cognati nach Konstanz. Die Angst vor der drohenden Verurteilung – sie ging frevelhafterweise an einem Sonntag ihrer Arbeit nach, weil der Magen knurrte – ließ ihr keine Wahl. Gabriella, die bald schon als Imperia in die Geschichte eingehen sollte – übrigens eine historisch verbürgte Person – errang schon bald einen gewissen Ruf. Unfassbar schön, betörend und … mächtig. Balzac gab ihr in seinen „tolldreisten Geschichten“ die Fähigkeit mit einem Augenaufschlag ganze Existenzen zu ruinieren.

König Sigismund von Luxemburg hatte das Konzil in Konstanz zusammengebracht. Und das Schicksal hatte ihn mit Imperia zusammengebracht. Sogar mit seiner Gattin, Königin Barbara von Cilli, traf Imperia zusammen. Die Einigung der katholischen Kirche fand nicht statt. Wohl aber die Vereinigung von Sigismund und Imperia. Doch der royale Kunde war nicht der Einzige, der seine Zeche bei der belesenen, intelligenten und kalkulierenden Hübschlerin entrichtete. Auch Oddo di Colonna verfiel ihrem Charme und Liebeskünsten.

Als Kardinal leitete er die Ermittlungen gegen Jan Hus. Gabriella entkam der Inquisition, Jan Hus nicht. Er brannte am 6. Juli 1415 lichterloh auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Als Imperia focht sie das nicht an, als Gabriella musste ihr Hus’ Schicksal nahe gehen. Als das Konzil vorbei ist, zieht Imperia weiter. Auch dieses Mal ist sie nicht allein. Waren es auf dem Weg nach Konstanz zwei Kolleginnen, so ist es dieses Mal das Kind unter ihrem Herzen. Doch wer ist der Vater? Der König aus dem fernen Luxemburg oder doch der brave heilige Mann, der nun als Martin V. die Geschicke der Christenheit zu lenken gedenkt?

Antje Windgassen fügt der Legende Imperia die spannende Geschichte ihres Lebens hinzu. Nicht jede Begebenheit ist urkundlich verbürgt. Klar, wenn Kirche und Adel ihre Finger im Spiel haben. Aber die konsequente Erzählweise lässt einfach keinen anderen Schluss zu als den Worten der Autoren Folge zu leisten. Lesenswert ist dieser historische Roman allemal. Vor allem und auch, weil ein Ereignis in den Fokus gerückt wird, dass im Laufe der Jahrhunderte von Experten in ein allzu sehr sachbezogenes Exil gezogen wurde: Das Konzil von Konstanz. Heute unvorstellbar – drei Päpste. Allesamt in beeindruckenden Städten zuhause. Historische Persönlichkeiten, die heute bei Instagram mehr Follower hätten als Cristiano Ronaldo. Und dazu eine Dame, deren Beruf (ebenso bis heute) eher mit verzerrten Mund in selbigen genommen wird.

Vor aller Augen

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man vor einem Bild steht und nicht mehr nur daran denkt wie hübsch dieses Bild überm Sofa aussehen würde. Das Bild gefällt, aber … warum eigentlich. Fast schon ein bisschen neidisch schielt man dann zu offensichtlichen Kunsthistorikern hinüber lauscht staunend den Ausführungen über Pinselführungen, Strichlänge, dem Besonderen des Bildes. Und das alles sehen die auf den ersten Blick?! Zweifel macht sich breit. Erzählen kann man ja viel.

Martina Clavadetscher gibt den Damen auf berühmten Bildern eine Stimme. Die Damen sind meist unbekannt, ihre Erschaffer dafür umso mehr. Wer kennt schon Cecilia Gallerani? Das ist die, die von Leonardo da Vinci ein ungewöhnliches Haustier auf den Arm gelegt bekam. Und er malte sie. Zu sehen heutzutage in Krakow, auf den Wawel-Burg. Extra Eintritt, nur für Signora Gallerani. Es ist nicht mehr und nicht weniger „Die Dame mit dem Hermelin“. Und die erzählt frei von der Leber weg wie es sich anfühlte vom großen Meister portraitiert zu werden.

Ebenso wie Margherita Luti – noch so eine Dame, deren Namen man nicht kennt. Und dabei lehnt sie lasziv, entspannt, die Brust entblößt an der Wand. Gemalt von Raffael. Er das Malergenie, das schon im Teenageralter als Meister galt – sie wäre in der heutigen Zeit eine Bäckereifachverkäuferin. Sie ist nicht auf den Mund gefallen als sie den spannenden Raffaello entdeckt, während sie im Gras entspannt. Er ist mit einer Anderen liiert, was sie – Margherita – verärgert und zu Spottgesängen anheben lässt. Noch heute munkelt man, dass sie und er mehr als nur Meister und Modell waren. Das alles geschah vor mehr als fünfhundert Jahren. Und noch immer fasziniert das Gemälde und seit Neuestem auch die Geschichte darum, dank dieses Buches.

Und so liest man sich Seite für Seite durch die Kunstgeschichte, lernt Damen und ihre Meister kennen. Mit unbeirrter Leichtigkeit ergreifen Damen das Wort, die teils seit Jahrhunderten stumm von den Wänden der größten Museen der Welt dem Betrachter in ihren Bann ziehen. Lichtwechsel, Schattenspiele, Liebreiz, Zartheit – unerreichbar für jedermann. Manche sogar hinter Glas oder so weit entfernt, dass es nicht einmal ansatzweise so was wie Nähe geben kann. Sie alle sind empfindsam, stolz, schüchtern, verängstigt. Und sie haben eine Geschichte. Nicht immer so skandalös wie die von Olympia als sie Èdouard Manet ganz und gar nicht keusch auf der Ottomane malte. Dennoch erzählenswert.

Es ist nicht die Frage wird hier wen verführt. Nicht jeder ist verführbar. Erstmals werden in diesem Umfang Damen von Damals nicht vorgeführt, sondern in die Gesellschaft der Besucher eingeführt. Sie stehen neben einem und erzählen, was bisher niemand wusste. Und das vor aller Augen…

Ein Leben in Geschichten

Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt eine Biographie zu schreiben? Manch einer schreibt sein Leben lang daran. Die Tagebücher werden dann posthum als Sensation angepriesen – Nachfragen sind in diesem Fall nicht mehr möglich. Donna Leons Leserschaft, die seit Jahrzehnten davon träumt beim romantischen Spaziergang durch das romantische Venedig einmal doch Commissario Guido Brunetti zu treffen, stellt sich sicherlich schon länger die eine oder andere Frage. Und sicherlich nicht die, warum der Commissario in den Büchern Dauergast in den Straßen und Gassen der Lagunenstadt ist und im „wahren Leben“ ihn niemand zu Gesicht bekommt. Nein, Donna Leon ist vielen ein willkommenes Familienmitglied, dessen Besuch (Veröffentlichungstermin des neuen Romans) immer entgegengefiebert wird. Und über die Familie weiß man alles. Und wenn nicht fragt man einfach nach. Doch wie fragt man eine Schriftstellerin, die zwar nicht zurückgezogen, dennoch nicht permanent öffentlich lebt?

Es ist so einfach! Man blättert in „Ein Leben in Geschichten“ – ein Titel, der so unscheinbar und unnahbar daherkommt, dass man bei genauerer Betrachtung darin die Autorin wiedererkennt.  Die Idee einmal von Brunetti abzulassen und sich selbst in den Fokus zu stellen, ohne dabei Schatten auf die Umstehenden zu werfen, kam ihr bei einem Treffen mit einem langjährigen Freund, den sie auch ihrer Zeit im Iran kannte. Alte Zeiten aufleben lassen, Freundschaften in Erinnerung rufen, herumalbern – und als Resultat daraus ein Buch. Typisch Donna Leon? Typisch Donna Leon!

Und im Nu reihte sich Geschichte an Geschichte. Von der beim Bridge schummelnden Tante Gert über die geheimnisvolle Herkunft ihres Großvaters bis hin zu dem Tag als Venedig nicht mehr nur eine Stadt mit Existenzproblemen war, sondern der Ort, der ihr ganzes Leben verändern würde. Mit derselben Hingabe wie zu ihrem Commissario und seiner Stadt gibt Donna Leon Auskunft über ihr Leben. Auch ohne groß zwischen den Zeilen lesen zu müssen, offenbart sie „so ganz nebenbei“ wie sie wurde, wer sie ist. Auch wenn viele Ereignisse schon lange zurückliegen – wer erinnert sich mit Achtzig schon noch so detailliert an den ersten Schultag? – sind sie immer noch so präsent, dass man den Dung auf den Feldern, die Angst vor Entdeckung und die Leidenschaft fürs Lesen (und Schreiben) greifen kann.

Persönlicher geht nicht! Donna Leon teilt das Kostbarste, was sie besitzt: Ihre Erinnerungen. Kurzweilig, humorvoll, ehrlich. Und immer mit dem besonderen Kick, der Donna Leon so erfolgreich werden ließ.

Die Himmelskugel

Berühmte Wissenschaftler sind immer ein gern genommenes Thema für Autoren. Allein über Albert Einstein wurden so viele Bücher geschrieben, dass sie locker ein ganzes Fußballstadion füllen können. Und immer wieder tauchen neue Erkenntnisse über die Protagonisten auf, so dass es sich durchaus lohnt auch immer wieder ein neues Werk zu lesen. Den Fortschritt hält halt niemand auf. Sie ist die Treibfeder des Forscherdrangs.

So muss sich auch Angus fühlen. Der Junge lebt auf St. Helena, eine Insel, die erst über ein Jahrhundert später berühmt werden sollte. Als schlussendliches Exil von Kaiser Napoleon.

Dieser Angus ist ein aufgeweckter Junge. Er beobachtet Vögel: Und weil er zählen kann – keine Selbstverständlichkeit im 17. Jahrhundert – darf/muss er sie auch zählen. Für wissenschaftliche Zwecke. Das ist seine Arbeit bei Tag. Hoch oben in den Bäumen, festgezurrt. Des Nachts hingegen beobachtet er die Sterne. Nicht aus Zeitvertreib. Auch hier wieder: Er kann zählen, und diese Fähigkeit soll er einsetzen.

Von Edmond Halley hat er gehört. Ein großer Wissenschaftler im weit entfernten England. Heute bekannt und immer wieder aus der Mottenkiste gekramt, wenn der von ihm entdeckte und nach ihm benannte Komet in Sichtweite rauscht. Schon allein die Tatsache, dass der Junge Angus von der Insel St. Helena im weit entfernten England (und damals war das eine fast unüberwindbare Entfernung, wenn man kein Seemann war) anlandet, ist ein echtes Abenteuer. Heute würde man ihn als illegal eingereisten Immigranten brandmarken. Kurzum: Als blinder Passagier reist er nach England, zu Halley. Angus ist am Ziel seiner Träume. Er soll Edmond Halley um Hilfe bitten. Denn auf St. Helena stehen die Zeichen auf Sturm.

Nun beginnt für ihn die aufregendste Zeit seines Lebens.

Olli Jalonen schreibt keine umfassende Biographie über einen der berühmtesten Wissenschaftler. Er seziert einen Teil seines Lebens bis ins Kleinste. Europa ist immer noch im Umbruch. Was in der Renaissance begann, wirkt bis heute nach. Die Allmacht der Kirche ist gebrochen. Wissenschaftliche Denkweisen und technische Errungenschaften lassen jahrhunderte alte Denkstrukturen und Dogmen in sich zusammenbrechen. Ein kleiner Junge als Denkanstoß, ein heller Geist und der Drang nach Erkenntnis kollidieren auf engstem Raum. Wer bisher mit Edmond Halley bisher nicht allzu viel in Verbindung brachte, liest man sich schnell in einen Rausch. Ganz behutsam, kein Detail außer Acht lassend, kreiert Olli Jalonen ein Universum, das in sich geschlossen ist, dennoch unendliche Weiten in sich aufnehmen kann.

Kukum

Veränderungen sind immer mit Schwierigkeiten verbunden. Nun sind diese Schwierigkeiten nicht immer gleich als solche erkennbar. Oft siegen die Abenteuerlust und der Forscherdrang über die Unebenheiten der Situation. Almanda geht – ganz nüchtern betrachtet – ein Risiko ein als sie Thomas folgt. Nicht einfach so! Vielmehr ist es ein tiefe Liebe, die ihr das Vertrauen schenkt, das sie benötigt, um immer weiter zu gehen.

In einem Kanu zog er einmal an ihr vorbei. Immer öfter kreuzten sich ihre Blicke. Und ganz automatisch – manches kann, darf, man nicht erklären – sind Thomas und Almanda ein Paar. Sie spricht nur wenig die Sprache der Innu, zu denen Thomas gehört. Er spricht kaum französisch. Doch die Sprachbarriere ist nicht das, was sie zu sein scheint. Denn sie ist überwindbar.

Immer weiter taucht Almanda in eine ihr fremde Welt ein. Das Kanada, das sie bisher kannte, ist hier draußen ein anderes Land. Die Innu leben mit der Natur. Die Jahreszeiten sind die einzigen Gradmesser. Wenn man Hunger hat, geht man jagen. Aber nur so viel wie man gerade benötigt. Und wenn der Hunger wiederkommt, geht man wieder auf die Jagd. Mit Thomas’ Schwestern gärbt sie Karibufelle. Redet mit ihnen, saugt das Fremde in sich auf wie ein trockener Schwamm das Wasser der endlosen Seen, an deren Ufern die Innu leben.

Doch die Idylle bekommt Risse als der natürliche Lebensraum der Innu vom technischen Fortschritt, sprich Maschinen, Fabriken und dem dazugehörigen Lärm inklusive eines neuen Rhythmus empfindlich gestört wird. Die Siedlungen der Innu müssen diesem „Fortschritt“ weichen. Es beginnt eine neue Zeit. Wieder einmal. Doch dieses Mal müssen Almanda und Thomas das Neue gemeinsam bewältigen.

Lange bevor der Fortschritt den amerikanischen Kontinent eroberte, lebten hier Menschen. Unter anderem auch die Innu. Hier verwandelte sich die Asche ihrer Ahnen in nährstoffreichen Boden lange bevor auch nur ein einziger Fremdling jemals amerikanischen (kanadischen) Boden betrat. Michel Jean gibt den so genannten Ersten Völkern mit „Kukum“ eine Stimme, die weithin zu vernehmen ist. So bedächtig Thomas durch den Wald schreitet, so gefühlvoll beschreibt Michel Jean die Lebensgewohnheiten seines Volkes. Es ist die Geschichte seiner Urgroßmutter, die diesem Buch zugrunde liegt. Manchmal wie im Märchen, manchmal so echt die Schlange an der Supermarktkasse treibt die Geschichte den Leser an nicht stehen zu bleiben. Immer weiter zieht es ihn, um zu erfahren, ob es nicht ausreichend ist eine Veränderung im Leben zu erfahren.