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Schaurig-schönes Europa

Wenn der Urlaub etwas ganz Besonderes werden soll, dann sind außergewöhnliche Orte das Salz in der Traumsuppe dieser Erinnerungen. Die Bilder, die man sich selbst in diese Erinnerungen pflanzt, müssen einem ganz bestimmten emotionalen Bild entsprechen. Auch wenn sie nur für den Bruchteil einer Sekunde vor dem Auge erscheinen oder für die Dauer eines Spazierganges existieren. Mit allen Sinnen wird dieser Moment für Ewigkeit festgehalten.

So wird man beispielsweise in Craco in der Basilikata im Süden Italiens, nahe der Felsenstadt Matera, auf einen Ort treffen, aus dem das Leben schon vor einem halben Jahrhundert geflohen ist. Oder besser gesagt, es wurde aufgegeben als Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nach einem Erdrutsch es als zu gefährlich angesehen wurde hier weiterhin zu leben. Zuvor lebten hier mehr als tausend Jahre Menschen. Heute erinnern nicht einmal mehr Glasscheiben an eine Zivilisation. Dass hier ein Leben möglich war, ist dennoch nicht wegzudiskutieren. Straßen und Gassen existieren noch. Auch die Raumaufteilung der Häuser ist noch klar erkennbar. Umgestürzte Möbel verweisen auf ihre ehemaligen Bewohner. Und dennoch herrscht hier eine gespenstische Ruhe. Ein verlassener Ort, der einem den Schauer über den Rücken jagen kann.

Brodelnd und voller Leben – dennoch nicht minder lost place – ist der Rio Tinto in Andalusien. So ein Rot in einem Fluss hat man noch nie gesehen. Baden ist nicht ratsam. Der Sauerstoffgehalt ist zu gering, der Säuregehalt hingegen um ein Vielfaches zu hoch. Optisch ist der Fluss ein Augenschmaus und trägt sicher dazu bei sich auch noch Jahre später genau an das meiste zu erinnern.

Über glasklares Wasser schwebt man förmlich im Höhlensee von Tapolca, nördlich des Balatons. Auch hier fühlt man sich wie in einer fremden Welt. Prächtige Farbenspiele, gespenstische Ruhe und alles unter der Erde. Das Höhlensystem ist vulkanischen Ursprungs und kann heute recht gemütlich bereist werden.

„Schaurig-schönes Europa“ ist ein Reiseband, der bei jedem Umblättern das Reisefieber steigen lässt. Stimmungsvoll in Szene gesetzt und mit verheißungsvollen Texten gespickt, macht dieses Buch Appetit auf echte Abenteuer.

Händler der Geheimnisse

Geister kann man nicht mit einem einfachen Steinwurf vertreiben. Auch wenn man ohne Schuld ist. Die Künstlerin Eva sitzt mit ihrer Kollegin Sam über den Werken von Shakespeare und grübelt wie sie die Werke, insbesondere die so geschickt verpackten Geheimnisse in den Stücken, in einem neuen Werk zusammenfassen kann. Kein leichtes Unterfangen, das der Autor es exzellent verstand diese Geheimnisse auch als solche zu verstecken.

In die Ruhe der Berge platzt die Nachricht vom Krankenhausaufenthalt ihres Vaters. Der lebt seit Jahren wieder in New York, zusammen mit seiner zweiten Frau. Kontakt unerwünscht, ja sogar verboten. Als der Vater stirbt, sind die Neugier und die Zweifel am natürlichen Tod des Vaters so stark, dass sie sich mit ihrem Bruder Max auf Spurensuche begibt. So nah war sie Shakespeare wohl noch nie!

Ihr Vater war nach dem Krieg in Deutschland stationiert. Die Entnazifizierung Deutschlands wollte er mit aller Macht vorantreiben. Ein schier unmögliches Unterfangen, denn was in den Köpfen vor sich geht, kann man nicht mit Verordnungen und Gesetzen in die richtige Bahn lenken. Ein Problem, das bis heute nachwirkt…

Und siehe da. Die ersten Ungereimtheiten im Leben des amerikanischen Vaters lassen nicht lange auf sich warten. Er hatte eine Deutsche geheiratet, Evas Mutter, die wieder ins Land ihrer Familie – aber auch das Land der Täter – zurückkehrte. Eine alte Photographie lässt alte Zeiten und wie auch immer geartete Erinnerungen aufkommen. Ein Portraitmaler ist darauf zu sehen. Mit der Familie von Eva. Dieser Maler war mehr als nur ein Günstling der Hölle. Hitler persönlich mochte seinen Malstil, ließ sich gern von ihm malen. Das schmeichelte dem Maler. Doch da muss noch mehr sein! Eva und Max sind auf einer Reise, die ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird, ihre Wurzeln den Halt verlieren lässt und die letztendlich Geheimnisse ans Tageslicht bringt, die sie frösteln lassen.

Elisabeth Bronfen siedelt ihren Roman auf sehr hohem sprachlichen Niveau an. So schließt sie von vornherein platte Phrasen wie „Das ist doch alles längst vorbei“ oder „Irgendwann ist auch mal gut“ kategorisch aus. Ein Segen bei einem solch sensiblen Thema.

Der Berg der Träume

Was wissen wir – Leser – schon von der Qual und Pein einen Roman zu schreiben?! Und schon gar nichts davon wie es ist einen wirklich guten, allen Ansprüchen genügenden – vor allem denen des Autors – aufs Papier zu bringen. Wir können ihm allerdings beim Schaffensprozess tief ins Herz blicken. Zumindest, wenn wir Arthurs Machens „Der Berg der Träume“ tief und innig in uns aufsaugen.

Es ist sicherlich kein Leichtes dem Autor, der in diesem Fall der Protagonist des Buches ist, vollends folgen zu können. Wie gesagt: Wenn man selbst nicht Schreibender ist, kann man nur staunend folgen. Die Berge sollen Inspirationsquelle sein. Die Ruhe, die von diesen Erhebungen ausgeht, soll Quell unendlicher Erlösung sein. Das Mysterium der Ruhe, in dem die Sinne so geschärft sind, wie es sonst nirgendwo auf der Welt sein kann.

Als Gegenpol dient das monströse London. Ruhe hier zu finden ist zwecklos. Das will der Autor auch gar nicht. Er weiß, dass Gegensätze immer ein guter Ansatz für Großes sein können. Auch Verzweiflung und Verdammnis sind gute Ratgeber. Mit ihnen gehen zwangsläufig Schmerzen und Qualen einher. Es ist ein Kreuz mit der Kunst, wenn einem nicht alles in den Schoß fällt. Wenn es doch einmal passiert, dann ist es keine richtige Kunst…

Die Werksausgabe mit den wichtigsten Texten von Arthur Machen – dieser Roman stammt aus dem Jahr 1906 – beschließt eine Reihe von Werken, die so teils noch nie ins Deutsche übersetzte bzw. auf Deutsch veröffentlicht wurden. Arthur Machen zerreißt sich einmal mehr für den Leser und sein hehres Ziel mit Literatur nachhaltig zu wirken. Leider geriet er über die Jahre fast in Vergessenheit. Seine Werke waren nur einem exklusiven Zirkel bekannt. Diese sechsteilige Ausgabe setzt dem einen endgültigen Schlussstrich! Vergleiche mit Edgar Allan Poe beispielsweise, der dem gleichen Publikum zu Diensten ist, sind zulässig. Treffen aber bei Weitem nicht den Kern. Machen war ein Autor, der sich seiner selbst bewusst war. Pures Entertainment ist nicht sein Ziel. Poes sicher auch nicht. Aber die Marketingmaschinerie hinter Poe, die bis heute unaufhörlich läuft, ist Machen verwehrt geblieben.

Arthur Machen ist das Juwel der romantisch-schaurigen Geschichten. Bei ihm ist das Weiterlesen, das Zwischen-Den-Zeilen-Lesen unabdingbar. Hat man einmal den Dreh raus, taucht man in eine vollkommene unvollkommene Welt ein.

Der Malteser Falke

Es wäre ein Frevel all die wunderbaren Worte, die jemals zu diesem Klassiker geschrieben wurden, noch einen Satz (zum Inhalt) hinzuzufügen. „Der Malteser Falke“ ist nun mal das Nonplusultra der Kriminalliteratur. Sam Spade ist das, was man bis in die heutige Zeit (der Roman wurde 1930 geschrieben, feiert also bald sein Centennial) als Urtyp des Schnüfflers bezeichnet. Wenn er Nerven zeigt, dann niemals nach außen hin. Und wenn er es doch einmal tut, dann immer (!) aus Berechnung. Er lässt sich täuschen, Frauen lassen ihm manchmal keine andere Wahl, doch wenn er sie durchschaut, dann hat das Schätzchen ein für allemal ihre Trümpfe ausgespielt.

Lockt man ihn auf eine falsche Fährte, streift er den Schlamm der falschen Spur großzügig und rotznäsig am feinsten Teppich des Täuschers ab. Großmaul und coole Socke mit blitzgescheitem Verstand. So wollen alle sein, so ist es aber nur einer. Und gerade der ist nicht einmal echt. Sein geistiger Vater Dashiell Hammett war selbst Detektiv, Privatermittler, Schnüffler bei Pinkerton. Acht Jahre lang. Die Lehrjahre waren so fruchtbar, dass seine zweite Karriere als Schriftsteller seinen Namen bis heute erschallen lässt. Leider war sein politisches Engagement und die damit verbundene Hetze und Zensur der McCarthy-Ära auch sein Todesurteil.

„Der Malteser Falke“ – eine Skulptur, die mehr verbirgt als sie preisgibt, eine Fälschung, Lug und Trug, Lügen über Lügen, Mord und Verrat – ist das prallste Krimipaket, das man erwerben kann. So echt kann das wahre Leben gar nicht sein. Hat man erst einmal kapiert, das eine Wendung im Roman lediglich eine Wendung ist, kommt man so richtig in Fahrt beim Lesen. Das Blondchen und der gerissene Hehler, der Auftraggeber und die ahnungslosen Cops spielen mit Spade Tennis, dass ihm die Schädeldecke platzt. Doch es ist der Ball, der die Punkte liefert! Sam Spade ist, nachdem sein Compagnon das Zeitliche segnen musste, zum Einzelkämpfer geworden. Das war er vielleicht schon immer. Doch die aktuelle Situation fordert den ganzen Spade. Gesetzestreue – pah! Sch… drauf! Die eigene Haut muss gerettet, um nicht zu Grabe getragen zu werden. Wer „Der Malteser Falke“ nur mit Humphrey Bogart in Verbindung bringt, dem sei geraten mehr als nur ein paar Seiten in diesem Buch umzublättern. Denn hier ist der wahre Sam Spade zu Hause, auch wenn Bogey der einzige wahre Schauspieler war, der ihn verkörpern konnte. Womit wir auch schon beim baldigen Jubiläum wären. Nur noch ein paar Jahre bis dieser Klassiker die Hunderter-Marke überspringt. Und garantiert lagert in irgendeiner Schublade schon die nächste „revolutionäre“ (gegenderte, political correcte) Neufassung. No, Neuübersetzung – wie in diesem Fall – gern und immer wieder, bitte. Aber um Hammets Willen bitte keine Neuverfilmung!

Die leuchtende Pyramide

Wie erzeugt man wahren Schauer? Für Arthur Machen ist die Frage scheinbar mit einem Handstreich zu beantworten: Zwei Männer treffen sich im düsteren London. Sie sind alte Freunde, die sich gern der Literatur widmen. Ihr Gespräch kommt auf den Aberglauben der englischen Landbevölkerung, dem Glauben der Waliser an Elfen und ein verschwundenes Mädchen. Machen gibt noch ein Prise Diebesserie hinzu und lässt die beiden Männer sind in den endlosen, dunklen Wäldern außerhalb Londons herumtreiben. Sie sind wahrhaft phantasiereiche Männer, lassen sich gern in ihren Gedanken treiben. Die Großstadt ist ihnen im Innersten zuwider. Zu viel von allem. Vor allem aber zu viele Reize – in jeder Hinsicht und in einer ganz besonders. Einen Ausweg .. einen Ausweg kennen sie nicht.

Die titelgebende Geschichte „Die leuchtende Pyramide“ entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Arthur Machen war auf seinem schöpferischen Höhepunkt. Vaughan, einer der beiden Männer begegnet Augenpaaren, die sich sprunghaft in einer Mauer vermehren. Das kann einem schon den Tag versauern, wenn man zart besaitet ist. Und um sein Hab und Gut fürchtet. Und dann ist da noch diese Geschichte mit dem verschwundenen Mädchen – ach, es ist zum Haareraufen. So herrlich schaurig!

Fünf weitere Geschichten folgen, darunter auch „Die Kinder des Teichs“, zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht. Hier sind Andeutungen und Vermutungen, Stimmen die Triebfeder den Erzählungen von Meyrick – da ist er wieder, der Name ist Machen-Lesern wohl bekannt – weiter zu folgen. Raus aus der Stadt, rein in die weite Natur. Bis alte Freunde auftauchen und von ihren für alle unverständlichem Erscheinungen berichten.

Arthur Machen versteht es vorzüglich dem Leser das Blut in den Adern gefrieren zu lassen, bloß mit der Macht der Phantasie. Hier sind keine blutrünstigen Racheengel unterwegs, die ihre Hauer ins gepeinigte Fleisch des Schuldigen rammen. Hier wird sehr subtil ein perfides Spiel mit den Sinnen getrieben. Alles ist greifbar und dennoch bekommt man die Teufel nicht zu fassen. Es sind die Teufel, die im eigenen Körper, vor allem aber im Kopf ihr Unwesen treiben. Das schlechte Gewissen? Ha, da freut man sich doch, wenn man selbst davon verschont bleibt und sich am Leid der Anderen laben kann. Literarisch gesehen, natürlich!

Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt

Was ist das ideale Haustier, wenn man auf die Nebenkosten achten muss? Der Grönlandhai. Er isst nicht mehr als zwei Kekse pro Tag und das leidige Problem leidender Kinder, wenn das geliebte Haustier stirbt, ist von vornherein vom Tisch – der Hai kann hunderte Jahre alt werden. Und er entwischt auch nicht so schnell. Er ist ein Langsamschwimmer. Blöd nur, dass er ein riesiges Gehege, sprich Aquarium braucht. Und dass er unfassbar stinkt. Also doch nicht das ideale Haustier.

Wie wäre es mit einem Wombat? Schon Adorno wünschte sich für den Frankfurter Zoo einen. Doch der so unschuldig aussehende Meister Petz ist ein Meister der Täuschung. Trotz seines behäbigen Aussehens ist er verdammt schnell. Und mit seinem Hinterteil kann er sogar Knochen spalten. Auch nichts fürs Kinderzimmer.

Mit diesen zwei Gesellen eröffnet Katherine Rundell ihr fabelhaftes Buch über die faszinierende Welt der außergewöhnlichen Tiere. Die gaben schon Forschern und Märchenonkeln schon immer Rätsel auf. Dem Strauß wurde nachgesagt durch Anstarren des Geleges dieses auszubrüten. Und Giraffen waren in der Antike eine Mischung aus Kamel und Leopard…

Die Autorin wühlt sich durch die Missverständnisse der Geschichte und kramt so allerlei Kurioses wieder hervor. Ein Fest für alle Anekdotensammler, die sich bei gepflegter Konversation nicht zu schade sind endlose Bonmots zum Besten zu geben. So herrlich altmodisch, dass es schon wieder modern ist. Die Kapitel sind ausreichend lang, und dabei in ihrer Kürze so angenehm zu lesen, dass es sich lohnt immer mal wieder die Seiten durchzublättern. Wenn man früher auf dem Schulhof die Witze der Sketchsendung vom Vortag zu Besten gab, ist man nach dieser Lektüre in der Lage minutenlang im Kollegenkreis mit wahrhaftem Wissen die Anwesenden in seinen Bann zu ziehen.

Warum denn nun die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt, die Antwort auf diese Frage muss man sich selbst erlesen. Köstlicher Lesespaß ohne dabei an den Rand des Profanen zu kommen. Dieses Buch muss man lesen, und sollte man großzügig weiter verschenken.

Das kleine Buch der großen Parfums

Wenn man es nicht ganz so ernst nimmt, dann ist es doch so: Immer vor den Feiertagen werden wir überschüttet mit Werbung für den Duft, der uns in eine andere Welt katapultiert. Wir werden agiler, verführerischer, erfolgreicher, fühlen uns frei. Und so ein paar Tage vor dem Fest fällt uns ein, dass wir für den Einen oder Anderen noch ein Geschenk brauchen. Nur gut, dass es die Werbung gibt. Nix wie hin in die Parfümerie. Das erstbeste Angebot wird genommen, in eine hübsche Verpackung gepresst und schon sind die leuchtenden Augen garantiert. So funktioniert Parfümkauf!

Wer jedoch etwas auf sich hält und das auch gern anderen angedeihen lassen möchte, macht sich wirklich Gedanken. Wie ist der zu Beschenkende einzuschätzen? Ein Schätzchen, das für seichte Düfte zu haben ist oder doch der markante Typ, der nicht scheut mit fremden Düften Spuren zu hinterlassen? Wann soll das Parfum getragen werden, im Sommer oder im Winter und zu welchen Anlässen? Was ist eine Kopfnote? Welche Inhaltsstoffe hat der Duft? Und ganz wichtig: Kann er Allergien hervorrufen? Ist gar nicht so einfach.

Die AutorInnen dieses kleinen Büchleins … ach was! dieser Bibel … haben so vorurteilsfrei wie nur irgendmöglich sich die Mühe gemacht und fast zweitausend Düfte probiert – untersucht könnte man auch sagen, aber mal ehrlich: Es ist doch wahrlich mehr Vergnügen als Arbeit! Ihre Top 100 ist ein wahres olfaktorisches El Dorado in gedruckter Form, was die entscheidende Sinneswahrnehmung zum Selbstversuch werden lässt. Sie haben strenge Richtlinien für sich gesetzt. Und eingehalten. Denn so mancher Duft wurde im Laufe der Jahre verändert und ist mit dem Original kaum noch zu vergleichen. Trägt aber immer noch denselben Namen. Das hat unterschiedliche Gründe. Was letztendlich dazu führte, dass einzelne Düfte in ihrer Top 100 nicht mehr auftauchen. Auch ist es zwecklos das eigene Lieblingsparfüm im Buch zu suchen. Denn Geschmack ist die einzig wahre Diversität in unserer modernen Welt.

Hier bekommen Düfte von Popsternchen, die ihren Namen zur Marke aufplustern wollen ihr fett weg, genauso wie unangefochtene Klassiker sich einer ausgiebigen Analyse erfreuen dürfen.

Wenn also das nächste Fest ansteht, wird der Gang in die Parfümerie nicht zur lästigen Pflicht, sondern zu einer Exkursion zur wahren Freude!

Schwarzlicht

Das Leben von Künstlern ist oft bemerkenswerter als ihre Werke. Und dabei ist es einerlei, ob sie nun erfolgreich waren oder am sprichwörtlichen Hungertuch nagten. Vincent van Gogh verbindet man in erster Linie mit seinem Ohr, das er sich abgeschnitten hat. Dann kommen seine Werke … gefolgt von seinem kargen Leben. Das Interesse an Kunst und Künstlern zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.

María ist so eine, die sich für Kunst und ihre Erschaffer interessiert. Bei Enriqueta Macedo geht sie in die „Schule“ – sie ist die unumstrittene Kennerin der Szene. Sie weiß, was gut ist. Das betrifft die Kunst, aber auch sie selbst und die sie umgebenden Menschen. Schroff und direkt – das weiß sie, damit eckt sie an. Doch María ist das gerade recht. Sie lernt viel von Enriqueta. Auch wie man Kunst von Fälschung unterscheidet. Und dass auch Fälschungen Kunst sind. Oder es zumindest sein können.

Durch Enriqueta lernt sie eine illustre Runde kennen. Allesamt Fälscher, Gauner, Schieber, Künstler.

Als Enriqueta stirbt, ist es an María ihr Erbe fortzuführen. Doch es geht dabei nicht darum Künstler in den Himmel zu loben oder ihnen die Höllenfahrt vorzubereiten. Sie will in die Szene tiefer eintauchen als es jemals jemand zuvor tat. Sie weiß, dass Enriqueta jahrelang Fälschungen zu Originalen erklärt hat. Warum? Spaß an der Freude, Zurechtrücken der Verhältnisse, Geld? Letzteres wohl kaum, kommt María in den Sinn als sie die Wohnung ihrer ehemaligen Gönnerin sieht.

Der Kreis der Fälscher, die sich regelmäßig im Hotel Meláncolico – welch passender Name – trifft, fördert eine weitere Person hervor, die María unbedingt kennenlernen muss. La Negra. Eine Künstlerin/Fälscherin ohne Gesicht, ohne Vita, ohne Vermächtnis. Für María der Beginn einer Jagd, de im Dunklen beginnt, und mit deren Erhellung nichts als Nacht ans Tageslicht tritt…

María Gainza macht aus der Jagd nach der Unbekannten eine Reise in die Zwischenwelt. Hier existieren Schwarz und Weiß lediglich als Kontrast, deren Mischung ein waberndes Grau ergibt, das keinerlei Zugeständnisse macht. Als Leser taucht man in die Kunstwelt ein, wie wenn man an der Hand geführt zum ersten Mal ein Museum betritt. Alles neu, alles leuchtet, aber zugleich schaut man auch neugierig in die dunklen Ecken und sieht dort meist mehr als das, was einem so glanzvoll vorgesetzt wird.

Amerigone

Zimmer 1503 des Hilton in New York. Hier wartet der Manager Parker Saturn auf Iwan Rubleski vom Westküstenbüro seiner Firma. Er kennt ihn nicht, hat nie von ihm gehört. Was auch nicht verwunderlich ist. Namen kommen und gehen. Sie sind alle austauschbar. Die Maschinerie läuft auch ohne Namen. Dessen ist sich Parker Saturn – was eine Name! – bewusst. Erspielt das Spiel mit. Hat ein riesiges Haus, zwei entzückende Kinder – one of a kind – und eine umwerfende Ehefrau. Die perfekte Managervita. Und nun sitzt er in Zimmer 1503, das er für zwei Tage mieten musste, und wartet auf einen Mann, der in etwa dasselbe macht wie er. Nur halt am anderen Ende der Staaten. Parker Saturn ist bestens vorbereitet. Hoffentlich ist das Iwan Rubleski auch.

Es klopft. Rubleski ist endlich da. Groß wie Parker, aber bedeutend wuchtiger in den Ausmaßen zu den Seiten hin. Extrem blond, extrem blauäugig, was die Farbe der Augen betrifft. Und er legt gleich los. Wie toll doch alles sei. Der Markt ist willig, bereit, um abgeerntet zu werden. Wie wäre es, wenn Parker ihm nach dem Meeting die Stadt zeigt? Er kennt New York noch nicht. Erstmal Frühstück. Parker ist ob der Rasanz in Rubleskis Entscheidungen ganz baff. Das Frühstück kommt. Sieht gut und reichhaltig aus. Iwan Rubleski unterhält sich ein bisschen mit dem Jungen, der das Frühstück brachte, fragt ihn nach seinen Zielen, wo er herkommt etc. Smalltalk und ein bisschen oberlehrerhaft. Und Dominic, der Zimmerkellner, antwortet pflichtbewusst – es ist das letzte, was er sagen wird. Denn ohne Vorwarnung stürzt sich Rubleski auf den ahnungslosen Burschen und sticht ihn ab. Sein Puls bleibt dabei offensichtlich im grünen Bereich. Ganz im Gegenteil zum Puls von Parker Saturn! Der ist nun derjenige, dessen Körper komplett in Erregung und Starre zugleich verfällt.

Kurze Zeit später erklärt Iwan Rubleski ihm, warum … nein, nicht warum er den Kellner erstochen hat … sein Idee vom Raubtierkapitalismus. Wobei in seinen Augen das Raubtier den Ton angibt. Rubleski gefällt die Verkommenheit und Bigotterie der amerikanischen Gesellschaft. Und er genießt sie in vollen Zügen…

Dem Gesetz der Dramatik folgend müsste hier eigentlich Schluss sein. Das Drama hat seinen Höhepunkt erreicht. Der Tod als Höhepunkt einer sich langsam anbahnenden Katastrophe, der keiner entkommen kann. Bei Mark SaFranko ist es der Beginn einer Odyssee, die mit dem Mord an dem Zimmerkellner nur einen ersten Anstieg erfährt. Die Klimax ist noch mehrere hundert Seiten entfernt. Da kommt was auf den Leser zu! Die Selbstverständlichkeit mit der der irre Iwan seine Ideen umsetzt – ob nun lange im Voraus geplant oder spontan – erschrickt und fasziniert zu gleichen Teilen. Und nach jedem Umblättern fragt man sich unwillkürlich, was sich der Autor als nächstes einfallen lässt. Nur so viel sei verraten – langweilig wird’s nicht!

Baise moi – Fick mich

Zwei junge Frauen. Der Verzweiflung schon lange nicht mehr nah – dafür haben sie beide schon zu viel in ihrem jungen Leben erlebt. Sie wissen ganz genau, dass man nicht um Hilfe rufen braucht, wenn man selbige braucht. Es kommt eh keiner zu Hilfe. Alk und Dope sind ihre einzigen Freunde, die sie vergessen lassen, was ist. Ach ja, sie haben beide getötet. Unabhängig voneinander. Die Gründe sind unterschiedlich. Die Folgen sind die gleichen: Flucht. Das Schicksal, das verdammte Schicksal, hat sie zu Weggefährtinnen gemacht. Und nun? Wäre der Roman heute geschrieben worden, wäre ihre Allianz von gegenseitiger Heilung bestimmt. Doch „Baise moi“ – der Titel hat so gar nichts von sozialarbeiterischer Seelenversorgung an sich, übersetzt heißt es „Fick mich“ – ist ein knappes Vierteljahrhundert alt und noch immer jung und ergreifend wie Ende der 90er.

Nadine und Manu sind nun also Bonnie und Clyde, Thelma und Louise, ach all die ganzen verzweifelten Paare der Geschichte, die ihr Ende einte. Doch Nadine und Manu sind mit einer schonungslosen Chuzpe ausgestattet, die es eigentlich verbietet verfilmt, veröffentlicht zu werden. Klingt drastisch, aber man stelle sich vor, dass jemand vorhat dieses Buch heutzutage noch einmal originalgetreu zu verfilmen… unmöglich. Die moralisierte Moderne hinkt sich selbst um mehr als zwanzig Jahre hinterher. Der Film, von der Autorin selbst auf die Leinwand gebracht, durfte nur in Pornokinos gezeigt werden. Höchste Jugendschutzeinstufung!

Da sind sie nun – die Täterinnen. Abenteuergierig, lebenshungrig, perspektivlos. Sie haben nur eine Wahl: Rache nehmen. An all dem, was sie zu dem werden ließ, was sie sind. Für die einen Monster, marodierende Gören, die nicht arbeiten wollen, und nur Zerstörung im Kopf haben. Für die Anderen Opfer der Gesellschaft, denen man helfen muss, weil es noch nicht zu spät ist.

Über dieser Diskrepanz schwebt der Vorwurf des Tötungsdeliktes. Die Gründe, die Hintergründe gilt es an anderer Stelle aufzuklären. All das interessiert Nadine und Manu nicht im Geringsten. Sie sind bereit ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dass sie auf ihrem Weg Spuren hinterlassen, die Blinde nicht übersehen können, ist ihnen teils bewusst. Es interessiert sie aber nicht! Auch eine Form von Emanzipation!

„Baise Moi“ wird sicher niemals Schullektüre werden. Die expliziten Szenen von Gewalt (jeglicher Gewalt!) sind nichts für zarte Gemüter. Den Film haben sicher mehr Menschen gesehen als es eine Statistik vermag wiederzugeben. Das Buch sollten diejenigen, die den Film gesehen haben, auch unbedingt lesen. Denn es geht hier nicht um detaillierte Darstellung von Sexualität in ihrer ungeschminktesten Form (obwohl das garantiert dazu beitrug den Film so populär zu machen), es geht darum zu zeigen was Menschen in perfiden Situationen zu machen imstande sind. Die Schonungslose Sprache von Virginie Despentes ist anfangs erschreckend. Aber keines der „verbotenen“ Wörter ist eines zu viel. Nur so funktioniert dieses Buch!