Archiv für den Monat: April 2016

Partisanen

Partisanen

Partisanen allein bringen keine Ordnung zu Fall. Sie sticheln, tun ihr weh, knabbern an den Werten, doch endgültig fällen, dafür sind sie zu schwach. Doch ohne die Querdenker wäre die Ordnung arbeitslos, könnte schalten und walten wie sie will. Langeweile und Diktatur wären die Folgen.

„pARTisan“ heißt eine Zeitschrift, eine Bewegung in Belarus. Herausgeber ist Artur Klinaŭ. Und in diesem Buch sind kurze Texte zum Thema Partisanen und ihrem Kampf nun veröffentlicht worden. Verschiedene Autoren berichten aus der Welt, aus ihrer Welt vom Kampf der Künstler im Partisanengewand gegen die Obrichkeiten.

Im Jahr 2016 lesen sich manche Geschichten wie ein Witz. So was gibt’s noch, fragt man sich kopfschüttelnd. Weißrussland, einst eine blühende Sowjetrepublik, die die besten Chancen hatte, aus der Aufspaltung der UdSSR als großer Gewinner hervorzugehen, ist heute das Land in Europa mit der geringsten Freiheit. Unabhängige Medien sind dazu verdammt im Untergrund zu agieren. Rede- und Meinungsfreiheit werden im Keim erstickt. Wirtschaftlich wird es von einer dem Diktator Lukaschenka hörigen Clique halbwegs am Leben erhalten, die sich selbst die Taschen vollstopfen.

Die Texte beweisen eindrücklich, dass Kampf nicht immer als Blutvergießen im wortwörtlichen Sinne zu verstehen ist. Die Feder ist oft schärfer als das Schwert. Jede Zeile strotzt vor Kampfeswille und ist erfüllt von Siegermentalität. Keine hohlen Phrasen, irrationalen Durchhalteparolen, sondern Augen öffnende Argumentationen, denen sich nur die verschließen, die (noch) das Sagen haben.

„Partisanen“ gibt einen Einblick in das Leben von unterdrückten Künstlern, die sich ihrer Stimme bewusst sind und sie auch einzusetzen wissen. Für den Leser ist dieses Buch eine völlig neue, fremde Welt. Nur ab und zu gelingt es Journalisten aus dem verschlossenen Belarus / Weißrussland zu berichten. Immer mit der Angst im Nacken entdeckt zu werden oder hören zu müssen, dass eine oder mehrere Quellen inhaftiert wurden. Die Nadelstiche, die die Künstler setzen, stammen von ihrer spitzen Federn und die Narben werden noch lange nicht verheilen.

 

Schalom

Schalom

Schalom – Friede, Schalom – Kriegerhelm, Schalom – hallo! Immer dasselbe Wort, drei verschiedene Bedeutungen. Im belarussischen ist es die Pickelhaube. Und die hat André auf dem Kopf. André ist Künstler und darf das. Und er ist Weißrusse, Belarusse. Gerade eben hat er noch an Vernissagen in Bonn teilgenommen, jetzt geht es wieder heim. Heim nach Belarus, nach Mogiljow. Ihn schaudert’s bei dem Gedanken daran. Zurück zu Frau und Kind und Schwiegermama, der er unbedingt Stiefeln mitbringen soll.

Ein letzter Tag in Bonn, Einkaufen heißt es nun. Wie jeder gute Tourist will er denen, die ihn sehnsüchtig erwarten auch was mitbringen. Doch André ist eben nicht nur Künstler, sondern auch begnadeter Trinker. Der letzte Tag beginnt mit Katzenjammer. Beim Bummel über den Flohmarkt erregt etwas seine Aufmerksamkeit. Erst flüchtig, doch dann immer heftiger. Eine Pickelhaube. Schalom Schalom! Hallo Mützchen! Der Schwiegermutterwunsch rückt in immer weitere Ferne. Ein schnelles Wortgefecht mit dem Verkäufer und schon hat André eine Kopfbedeckung und jede Menge Redestoff für den Trip nach Hause…

Artur Klinaŭ ist selbst Künstler, gibt die Zeitschrift „pARTisan“ in Weißrussland heraus. In seinem ersten auf Deutsch veröffentlichten Roman „Schalom“ nimmt er die weißrussische Seele aufs Korn. André hält sich nicht an Konventionen. Sein Weg zurück in die Heimat ist ein Roadtrip, ein homecoming-Dilemma im Prozentbereich. Mit Promille geben sich weder Autor noch Protagonist zufrieden. Es gibt immer einen Grund zum Trinken. Und zum Menschen kennenlernen. Die Pickelhaube, Schalom, ist der (Bier-) Büchsenöffner für die Völkerverständigung vom Rhein an den Dnepr.

André bedauert zutiefst hier verankert zu sein. Nicht in Minsk. Dort, wo Chaim Soutine und Marc Chagall wirkten. In Mogiljow ist niemand zuhause, den man kennt. Auch ihn kennt man nicht.

Die Pickelhaube verleiht dem nimmermüden Künstler und Geschichtenerzähler André das Gefühl von Erhabenheit. Er ist der General der Landstraße. Und je weiter er gen Osten reist, desto inniger wird die Beziehung zu seinem Alter ego, seiner Kopfbedeckung. Die Assoziationen, die sie und die er hervorrufen werden immer kruder. Doch Hauptsache ist doch, dass die Kehle geschmiert werden kann.

„Schalom“ liest sich wie aus einem Guss. Kein Schenkelklopferroman. Vielmehr ein hintersinniges Schriftstück, das den Leser immer weiterlesen lässt und die Spannung bis zum Schluss aufrecht hält. Der vermaledeite Helm ist Türöffner und Stolperstein zugleich. André ist es recht. Er fordert es regelrecht heraus mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und mit ihm zu trinken. Der Leser sitzt immer mit am Tisch, als stummer Beobachter.

Die Jagd nach dem verschollenen Schatz

Die Jagd nach dem verschollenen Schatz

Hier ist der ganze Pirat gefragt! Ein Spiel zum Selberbasteln. Der Spielplan wird mit den mitgelieferten Stempeln als Schatzkarte gestaltet. Der Würfel hat keine sechs, sonder zwölf Seiten und muss noch beklebt werden. Sechs Seiten mit dem Säbel-Symbol, je drei Seiten mit einer Schatztruhe oder dem Jolly Roger, der gefürchteten Piratenflagge. Würfel in den Becher legen. Würfeln und ihn zugedeckt über die selbstgestempelte Schatzkarte führen. Erst jetzt den Becher heben. Und welches Symbol liegt oben? Ein Säbel? Der Schatz wechselt den Besitzer. Kommt der Jolly Roger war ein anderer Pirat schneller. Und wer am Ende die meisten Schätze erobert hat, ist der Gewinner.

Eine neue Art Brettspiel zu spielen, ist „Die Jagd nach dem verschollenen Schatz“. Ab dem ersten Öffnen wird die Phantasie angeregt, bei allen Mitspielern, egal welchen Alters. Die Spielfiguren sind kleine Stempel, so dass man über all seine Spuren hinterlassen kann. Selbst so berühmte und längst verstorbene Piraten wie Sir Francis Drake oder Blackbeard sind ja auch bis heute in aller Munde. Das Spiel eignet sich für Kinder ab sechs Jahren.

Die Ararat-Legende

Die Ararat-Legende

Da steht ein Pferd vor dem Haus! Ahmet staunt nicht schlecht als er am Morgen erwacht. Ein prächtiger Grauschimmel. Mit reich verziertem Sattelzeug. Ein Geschenk des Himmels. Oder der Götter.

Am Fuße des Ararats ist das Leben karg, genauso wie die Landschaft. Die Menschen sind rechtschaffend und traditionsbewusst. Ahmet kann sich nicht lange über den Gaul freuen. Denn der rechtmäßige Besitzer, der Pascha, will ihn zurück. Er lädt Ahmet und die Weisen des Dorfes in den Palast ein, besser gesagt, er lässt sie vorladen. Die „Delegation“ gibt ihm erst einmal einen Einführungskurs in Tradition. Wenn einem hier in dieser Gegend, zu Füßen des Ararat etwas geschenkt wird, gehört es ihm. Zurückholen ist nicht drin. Der Pascha hört es sich an, sein Puls steigt, bis es zur Explosion kommt. Man wisse wohl nicht wer er sei. Ihm gehöre das prächtige Pferd. Und die Dorfbewohner hätten es ihm gestohlen. Augenblicklich sollen sie ihm sagen, wo das Tier sich befände. Seine Wutrede stößt auf taube Ohren. Ahmet wird eingekerkert. Schlimmeres wird ihm angedroht.

Der Pascha hat drei Töchter. Die beiden Ältesten sind wahre Prachtstücke, elegant, gebildet. Sie lieben es in ihrem goldenen Käfig, im Palast zu leben. Die Dritte schlägt ein bisschen aus der Art. Auch hübsch anzusehen, nicht ganz so feingliedrig wie ihre älteren Schwestern. Gülbahar ist eher bodenständig, hat einen Draht zu den Menschen draußen, vor dem Palast. Und auf einen hat sie besonders ein Auge geworfen…

Yaşar Kemal beweist mit der Ararat-Legende seine unglaubliche Fähigkeit mit sanften Worten einen harten Konflikt auszudrücken. Über allem thront der ehrwürdige Viertausender Ararat, ein wahrhaft heiliger Berg, der den Menschen im Tal immer mal wieder den Weg weisen muss. Er ist die Lebenskonstante der Bergbewohner, wer sich ihm in den Weg stellt, bekommt seinen Zorn zu spüren, doch wer sich liebt, wird ihn ihm Zuflucht finden. Und das ist bis heute so!

Reise nach Island – Kulturkompass fürs Handgepäck

Island fürs Handgepäck

Das Jahr 2016 könnte das Jahr Islands werden. Sie sind endlich mal bei der Fußball-EM dabei – und nicht länger immer mal wieder „nur“ ein Stolperstein für Qualifikanten – und die Panama-Papers rücken das Land wieder einmal negativ in den Fokus der Öffentlichkeit. Bisher galt es als Reiseziel für Individualisten. Unendliche Weiten, unberührte Natur. Ha, da haben wir’s! Unberührte Natur. Von wegen! Schon in den ersten Geschichten des Buches wird klar, dass auch in Island nicht alles Gold ist, was glänzt. Ein gigantisches Kraftwerkprojekt drohte hier in einer Katastrophe zu enden. Die Rahmenbedingungen stimmten nicht so ganz. Und die Isländer? Die warten erstmal ab. Hektik ist ihnen fremd. Macht sie irgendwie sympathisch.

Der „Kulturkompass fürs Handgepäck“ vereint Texte aus Zeitschriften und Extrakte aus Büchern von Isländern bzw. Islandfans. Sie sind das Salz in der Suppe der Fakten über den Inselstaat im Norden des Atlantiks.

Wenn man im Flieger nach Reykjavik sitzt – was so um die sechs, sieben Stunden dauert – hat man genug Zeit sich auf die Gepflogenheiten des Landes einzurichten. Hier haben Trolle noch ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Hier ist man stolz auf di eigene Identität. Hier kommen mehr Schriftsteller auf einen Einwohner als sonst wo in der Welt. Hier werden Speisen angerichtet, die es auch wirklich nur hier gibt…

Island ist so fremd und doch so nah, dass es notwendig ist sich mit dem Land auseinanderzusetzen. Ansonsten ist man aufgeschmissen! Dieses kleine Büchlein ist die Quintessenz dessen, was einem auf der Insel erwartet. Von Halldór Laxness, dem Nobelpreisträger über Jules Verne, der seine Figuren hier zum Mittelpunkt der Erde vorstoßen ließ, bis zu Gudmundur Andri Thorsson geben alle Autoren einen – dokumentarischen bis hin zu fiktionalen – Einblick in das Inselleben. Die volle Breitseite isländische Kultur!

Letzter Kirtag

01 - Letzter Kirtag

Gasperlmaier! Als Chef würde man diesen Namen schreien. Vor Wut! Als Leser klopft man sich herzlich auf die Schenkel und schüttelt sich vor Lachen. „Ein selten dämliches Rindviech!“. Das ist Kirtag. Volksfest. Alle sind in prächtiger Stimmung und weit über dem gesunden Promillepegel. Auch der Gasperlmaier. Polizist seines Zeichens. Als er so leidlich nüchtern einem menschlichen Bedürfnis nachgehen muss, entdeckt er eine Leiche. Wenigstens durfte er nochmal seine Lederhose tragen, ist sein erster Gedanke. Der Zweite ist da schon fataler. Eine Leiche am Kirtag? Das geht nicht! Die versaut ja jedem die Stimmung. Also nix wie weg mit dem Herr Doktor Nagelreiter. Der Gasperlmaier kennt die Leiche. So wie man sich halt kennt hier am Altausseer See. Blöd nur, dass auch die Kollegen da sind. Und die kriegen ziemlich schnell spitz, dass der Leichnam bewegt wurde. Gasperlmaier schüttelt unschuldig den Kopf. Und reitet sich immer weiter in … naja Sie wissen schon. In den Schlamassel. Die Frau Doktor Kohlross ist da eine besondere Spezialistin. Die traut dem Gasperlmaier eh nichts viel zu. Wenn sie sich da mal nicht täuscht…

Bis hierhin hat man noch nicht einmal ein Viertel des Stoffes geschafft und schon hat man einen neuen Freund: Gasperlmaier. Hier verwachsen, ein bisschen unbeholfen, aber – oder besser gesagt – UND von Grund auf ehrlich. Das eine Mal Leiche beiseite zerren zählt nicht! Schon gar nicht hier auf dem Land!

Der Gasperlmaier ist keiner, den man gern mit dem Tod eines lieben Verwandten betraut sehen möchte. Auf den ersten Blick. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass unter der verweichlichten Schale ein knallharter, erdiger, im Land verwurzelter Held steht. Als stur könnte man ihn bezeichnen, als unnachgiebig und akribisch erst, wenn man ihn besser kennt. Herbert Dutzler hat einen sympathischen Ermittler geschaffen, der nur oberflächlich ein „bleeder Hund“ ist. Man hat ihn gern um sich, er gibt einem etwas Vertrautes. Er ist nicht zynisch, trinkt gern mal einen über den Durst (aber nur aus Genuss, nicht um zu vergessen oder aus einem anderen „zivilisatorischen Grund“) und lässt sich nicht ablenken. So einen braucht’s!

 

Graubünden

Graubünden

Na das ist ja ein Ding! Ein Reiseband, der mit einer Lüge beginnt. Grau ist hier in Graubünden nichts. Nicht einmal die Theorie. Alles farbenfroh! Buntbünden träfe es wohl besser! Über diesen Kanton kann man nichts Graues berichten. Friedrich Dürrenmatt durfte das, er ließ den Schrott, den Kindsmörder aus „Es geschah am hellichten Tag“ seine Opfer an einer Straße, die nach Graubünden führt sein Unwesen treiben. Aber das war‘s schon.

Bleiben wir noch ein wenig bei den Künstlern, also solchen wie Dürrenmatt. Alberto Giacometti, der Bildhauer, dessen Statuen zu den am höchsten gehandelt der Welt gehören, wurde im Stampa geboren. Und das liegt in Graubünden, dem Kanton im Südosten der Schweiz mit Grenzen zu Österreich, Liechtenstein und Italien. Leckermäuler lechzen förmlich nach dem Bündner Fleisch. Bei vielen hört hier das Wissen über Graubünden auf.

Und Marcus X. Schmid kommt hier erst so richtig in Fahrt. Ähnlich dem Bernina Express. Da hat man kaum das Buch aufgeschlagen, und schon wird man mit der harten, aussichtsreichen realität vertraut gemacht. Denn Graubünden leistet sich eine Privatbahn, die RhB, die Rhätische Bahn. Und zu der gehört der Bernina Express über den gleichnamigen Pass auf über zweitausend Metern Höhe. Wenn Berlin am Savigny-Platz am berlinischsten ist, wie einmal der Schauspieler Otto Sander sagte, so ist die Schweiz hier wohl am schweizerischsten. Über den Morteratschgletscher ins Puschlav. Keine Orte, die einem wie Schnitzel oder Kartoffelsalat über die Lippen gehen, doch eingehend besucht werden können und sollten. Der Morteratschgletscher ist der Größte in Graubünden. Acht Kilometer ist er (noch) lang und einen Kilometer (noch) breit. Er reicht nicht mehr bis an die Schienen des Bernina Express heran, jedoch sind Wege zu ihm vorhanden, ausgeschildert und leicht zu bezwingen. Also nicht nur für geübte Kletterer zu bewundern. Wie es genau hingeht, weiß der Autor und teilt dies freundlicherweise im Buch mit.

Was sich zuerst wie ein Balkan-Hauptgericht anhört, gerät schnell zum Erlebnis für alle Sinne: Puschlav oder auch Valposchiavo. Hier ist man schon fast in Italien. Hier wächst Wein. Für das Wort Regen scheint es auch keine Übersetzung zu geben. Auch hier hat der Autor wieder einen Tipp parat, den man sich zu Herzen nehmen sollte: Mit dem Zug fahren, Fensterplatz im Panoramazug reservieren und sich zurücklehnen. Außer die Augen offenhalten, hat man nichts weiter zu tun. Das Staunen, das freudige Stöhnen, das Verzücken – kommt alles von ganz allein! Der Autor setzt noch einen drauf. Gletschertöpfe soll es hier geben. Wer mit dem Begriff nichts anfangen kann, blättert um und staunt…

Schon das Titelbild verrät, dass Graubünden ein Zugfahrland ist. Meisterleistungen der Ingenieurskunst lassen schmucke Züge, die RhB fährt generell in (Schweizer?) Rot, riesige Talschluchten überwinden, die dem Passagier ein erhabenes Gefühl bereiten. Mitten in den Bergen, in etwa gleiche Entfernung zu den Gipfeln wie in die Täler lassen den Begriff Mitte, oder gar das Mittelmaß, zu etwas Großartigem reifen. Das einzige, was einem hier noch passieren kann, ist der Wetterumschwung. Von extrem schön zu sehr schön. Aber auch dagegen gibt es etwas: Die Lektüre dieses Buches! Mit reist man immer extrem gut informiert, extrem gut unterhalten und immer extrem erholt.

Das Haus im Dunkel

Das Haus im Dunkel

Es braucht seine Zeit bis man sich im Dunkeln zurechtfindet. Langsam tastet man sich voran. Vorbei an im Wind wehenden Vorhängen, die wie Buchseiten einem um die Nase wehen. Hindurch die zahllosen Zimmer, die wie Kapitel das Ganze ergeben. Mittendrin im Stoff, der sich nach und nach dem Leser entfaltet.

Ein Autor lebt in diesem großen, dunklen Haus. Mit Mutter und Sklavin. Die Beziehungen untereinander sind nüchtern. Miriam, die Sklavin spricht nicht. Sie ist treue Dienerin und Abbild der realen Phantasie. Die Mutter existiert nur noch als gebährende Hülle der Existenz des Erzählenden. Einzig allein die Katzen, die ihm überall hin folgen, die die Mutter als Schlafplatz nutzen, sind dem Leben zugetan. Sein Verleger ist nun auch tot. Nach jahrelanger Haft wegen Ablehnung eines jungen Autors. Das Haus – ist es real? Oder ist es das steingewordene Hirngespinst einer Phantasie?

José Luís Peixoto lässt Leser und Hauptfigur im Titel des Buches sitzen. Was ist echt, was schwebt zwischen den Sphären? Erst ein längst verloren geglaubter Freund, Anker der eigenen Existenz bringt wieder Schwung in die weiten, leeren Flure des Hauses. Prinz Calilatri verabschiedete sich einst mit den Worten die Welt zu erobern. Nun ist er zurück vom Feldzug der Sehnsucht. Hat alles gesehen, alles erlebt, will nicht mehr in fremden Gefilden wandeln. Die Invasion beginnt. Wirft alles bisher Bewährte, lethargisch Erduldete über den Haufen der leeren Blätter und wohl geformten Worte.

Flucht oder Verharren? Was ist richtig, was ist falsch? Die eingefahren, ausgetretenen Pfade des Lebens wirbeln Staub auf. Ob sich hier neues Leben ansiedeln kann? Oder wird das Haus dem Erdboden gleichgemacht?

Schon während des Lesens häufen sich die Fragen über „Das Haus im Dunkel“.  Schnell huscht man über so manche Zeile hinweg, um dann doch noch einmal zurückzublättern, um ganz sicher zu gehen alles auch wirklich richtig eingeordnet zu haben. Dieses Buch liest man unfreiwillig mehrmals. Die Rituale des Stillstands sind die Säulen der Beständigkeit im gesicherten Mauern. Wer sich jedoch nicht bewegt, fällt automatisch dem Rückschritt anheim. Für einen Autor der sichere Tod. José Luís Peixotos Held muss sich – wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben – einer echten Herausforderung stellen. Ein literarischer Hochgenuss für alle Buchstabenfetischisten, die das Wort nur in bedeutungsvollen Sätzen akzeptieren. Wie ein Nachschlag beim Lieblingsessen serviert der Autor dem Leser ein trauriges Szenario, das nach und nach seinen Schrecken verliert.

Schnitzeltragödie

Schnitzeltragödie

Wohnungsauszug – Zeit des Neuanfang, aber auch der Rückbesinnung. So auch der namenlose Held dieses Buches. Alles muss besenrein übergeben werden. Abgeschlossen, im wahrsten Sinne des Wortes. Schlüssel rumdrehen, zum letzten Mal, und Auf Nimmerwiedersehen! Man sperrt zu und alles ist vergessen und vorbei. Nicht ganz, denn da sind noch die Erinnerungen. Die Gedanken an die Tragödien, die sich hier abspielten. Zumindest bei Harald Darer.

Der Mann, der hier sein Heim verlässt, tut dies aus gutem Grund. Ein Neuanfang mit Frau und Kind. Und er muss die Wohnung, das bisherige Leben, die Erinnerungen hinter sich lassen. Bitterböse G’schichten spielten sich hier ab. Allesamt Tragödien. Datteltragödien, Leberkästragödien … Schnitzeltragödien, Tragödien vom Erwachsenwerden, Tragödien des Alltags. Von wegen „Das ganze Leben ist ein Quiz“. Es ist eine Tragödie! Oder besser, gleich mehrere.

Harald Darer vermischt in seinen Erinnerungskurzgeschichten beißende Satire mit argwöhnisch beäugten Begebenheiten eines Mannes, der Gefallen daran findet sich und andere zu hinterfragen. Wenn er sich zurückerinnert wie er die Millionenfrage im Fernsehen beantwortet, der Kandidat – Hansi Hinterseer – sich immer mehr in seine Moonboots zurückzieht, im Schweiße seines Angesichts seiner eigenen Unwissenheit vor Scham im Stuhl versinkt (köstlich für jeden, der das System Hansi Hinterseer durchschaut hat!), ist man am Ende des Kapitels enttäuscht, dass die Geschichte schon vorbei sein soll. Man will mehr. Und man bekommt mehr!

Jeder Nation wird eine gewisse Art von Humor nachgesagt. Auch den Österreichern. Derb und manchmal auch ein wenig hinterfotzig. Mit einer Prise Charme, bzw. Schmäh. So muss es auch sein! „Schnitzeltragödie“ ist eine Kurzgeschichtensammlung, die ein permanentes Lächeln auf die Lippen zaubert, Schenkelklopfen andeutet und dem Leser vergnügliche Stunden bereiten wird. Man liest die Kapitel nicht hintereinander, man liest sie dosiert. Pro Tag ein Kapitel und selbiger ist gerettet. Und wetten, dass man beim nächsten Metzgerbesuch, Markteinkauf, Kurzurlaub auf genauso jemanden trifft, der wie der Fleischklopfer aufs Schnitzel passt?! Das nennt man dann wohl nachhaltige Literatur.

Der Schüttler von Isfahan

Der Schüttler von Isfahan

Prozentrechnen für Weltreisende: Wie viele Menschen in Ihrer Umgebung kennen Sie, die schon mal in der Schweiz waren? Garantiert mehr als 90 %. Und in Thailand? 70%? Namibia, Niger, Kirgistan? Weniger als ein Viertel? Und jetzt alles zusammen, also von Armenien und Chile über Iran und Usbekistan bis nach Burkina Faso und Grenada. Es tendiert wohl gegen Null. Darf ich vorstellen: Georges Hausemer. Seines Zeichens Weltreisender und eloquenter Geschichtenerzähler. Und Mister Einhundert Prozent!

Heruntergekommene Hotelzimmer, euphorisch begrüßter Kaffeegenuss, enervierende (russische) Flugzeugpassagiere, die ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, unglaubliche Naturphänomene am Ende der Welt, der ganz „normale Wahnsinn“ in ehemaligen Sowjetrepubliken, missverständlicher Smalltalk im Taxi … die Liste der Geschichten ließe sich unendlich fortsetzen.

Die titelgebende und so viele Assoziationen hervorrufende Story ist derart überraschend, dass man selbst sofort die eigenen Urlaubserlebnisse niederschreiben möchte. Denn das, was Georges Hausemer in den vergangenen Jahren passiert ist, kann jedem passieren. Nur halt nicht so oft und schon gar nicht in so vielen Ländern. Und schon gar nicht kann jeder diese Erlebnisse so pointiert niederschreiben.

Reisen bildet – und es schafft Platz im Hirn für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Der Alltag als Besonderheit ist der Boden auf dem die Reisegeschichten des Autors wachsen. Man muss nur hinschauen. Wachen Auges schreitet Georges Hausemer durch die entlegensten Flecke der Erde. Fast scheint es so, als ob er der Typ ist, den man am Abend an der Bar, auf der Terrasse, im Restaurant irgendwo auf der Welt gesehen hat, wie er mit Stift und Papier bewaffnet seine Eindrücke festhielt. Nicht immer streng nach den Regeln wie er selbst in einer Geschichte einräumt. Denn das A und O der Aufzeichnungen sind Daten und Fakten. Manchmal ist das Erlebte so spannend, so neu, so faszinierend, dass man darüber hinaus diese vergisst. Den Ausführungen tut das keinen Abbruch. Die verlorenen Fakten machen die Texte mystischer und den Autor nahbarer.

Die mehrere Dutzend Geschichten vermitteln einen beeindruckenden Überblick über die Verschiedenheit der Lebensentwürfe der Welt. Geht in Deutschland ein Taxi kaputt, geht gleich die Welt unter. In Armenien oder Georgien nimmt man es hin. Man weiß, dass es etwas länger dauern kann. Die Definition von „etwas länger“ ist im Kaukasus auch eine gaaaaanz andere als bei uns. Aus dem kleinen Luxemburg in die Welt hinausgeschleudert, auf einem Blatt Papier um die Welt reisend, mit spitzer Feder vom Erdball die letzten Geheimnisse kratzend. Georges Hausemer ist der Reiseleiter, den sich jeder wünscht. Und sei es nur in Buchform.