Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist

Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist

Und da denkt man – immer wieder – dass man schon alles gelesen hat. Beziehungsweise zu jedem Thema ein Buch benennen kann. Weit gefehlt! Pierre Bayard hat eine echte Marktlücke entdeckt. Er schreibt über Menschen, die über Orte schreiben, an denen sie nie gewesen sind.

Ein Ratgeber für Angeber? Nein! Denn er zeigt lediglich auf, welch famose Blender die Weltliteratur bereichert haben. In unseren Breiten ist dafür Karl May wohl der Bekannteste.

„Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist“ bereichert trotz der Fake-Attitüden der besprochenen Autoren jeden Bücherschrank. Denn ihre Reiseerzählungen beflügelten und beflügeln – immer wieder – unsere Phantasie. Marco Polo ist nach Bayards Meinung nie über Venedig hinausgekommen. Vielleicht noch bis Konstantinopel. Aber da war dann auch Schluss mit der Reiserei. Und dennoch war Marco Polo bis vor einigen Jahrzehnten federführend, wenn es um kulturelle Erklärungen Chinas ging. Das konnte auch die Kulturrevolution eines Mao Tse-tung nicht verhindern.

Die elegante Aufmachung des Buches zielt in erster Linie auf Leser, die Ironie verstehen und die inneren Werte eines Buches zu schätzen wissen. Er deckt Wissenslücken und Fehler der Autoren auf, die dem flüchtigen Leser nie auffallen würden bzw. als künstlerische Freiheit abgetan werden könnten. Wer reist, will erzählen. Manche wollen aber nur erzählen, dass sie gereist sind. Sie benötigen Wissen in rauen Mengen. Dieses Wissen ist dank einer gigantischen Menge von Reiseberichten in einer schier unendlichen Vielzahl verfügbar. Klar, dass sich so mancher hier und da bedient – es muss ja nicht immer gleich eine Doktorarbeit sein… Dank Pierre Bayard werden wir Leser in Zukunft so manches Buches noch einmal aus dem Schrank holen und unter den neu gewonnenen Aspekten in einem völlig neuen Licht lesen. Aber – und das ist der eigentliche Nährwert des Buches – wir werden zum nochmaligen nachhaltigen Lesen angehalten.

Dieses kurzweilige Buch liest sich spannend wie ein Krimi, weil Bayard detektivisch die Ungereimtheiten aufdeckt. Dieses Buch liest sich flüssig, weil Bayard es versteht den Leser ab der ersten Seite zu packen, denn er vermeidet die Autoren bloßzustellen. Sie sind in seinen Augen keine vorsätzlichen Lügner. Sie schmücken ihre (literarisch / erreisten) Erfahrungen einfach nur ein bisschen aus. Aufhübschen ist das Zauberwort. Und dieses Buch ist ein wahres Kleinod im Wust der Reiseberichte. Denn Bayard vergisst keine Fußnote, keine Quellenangabe – alles ist nachvollziehbar: Egal ob er von einem unbekannten Ort, einem überflogenen Ort, einem erwähnten Ort oder einem vergessenen Ort spricht.

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