Sanfte Debakel

Sanfte Debakel – so poetisch, so grausam. Port-au-Prince, die Hauptstadt Haïtis trägt diesen Beinamen nicht zu unrecht. Das weiß jeder (!), der hier lebt. Korruption und Gewalt, aber auch Lebensfreude und der Drang sich diese zu bewahren.

Wer sich der Wirklichkeit nicht verschließt, die Gegebenheiten nicht einfach so hinnimmt, macht sich verdächtig und Feinde. So wie Raymond Berthier, ein Richter. Nun ist er tot. Seine Frau hat den Tod noch nicht verwunden. Sie versucht sich an dem zu erfreuen, was Schönes um sie herum ist. Und sie will ihre Tochter Brune vor schlechten Erinnerungen bewahren. Brune flüchtet sich in die Musik. Doch das reicht nicht. Eine zeitlang war sie mit Cyprien zusammen. Der junge Anwalt war gefesselt von der Schönheit der betörenden jungen Frau. Sie schaffte es durch ihre pure Anwesenheit alles vergessne zu machen. Doch nun ist ihr Vater tot, die Täter noch auf freiem Fuß. Raymond Berthier war einem Täter auf der Spur, der Fahrerflucht begangen hat. Im Juristenjargon klingt das so nüchtern. Doch es gibt mehr als nur ein Opfer zu beklagen. Die Angehörigen müssen mit der Erkenntnis leben, dass Justitia nicht nur blind ist, sondern ihr auch noch die Hände gebunden sind.

Der Bruder des Ermordeten, Pierre lässt seine Verbindungen spielen, um Einsicht in die Ermittlungsakten zu bekommen. In Auszügen liest er, was vorgefallen ist, welche Erkenntnisse es bereits gibt. Und er weiß, dass das, was er in den Händen hält nicht ausreicht, um Raymonds Mörder ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und außerdem braucht es noch einen Mann, einen Richter, der den Mut hat bis zur Urteilsverkündung mitzuziehen.

Yanick Lahens zeichnet ein buntes Bild einer bunten Gesellschaft, die in ihrer eigenen – selbst geschaffenen – Blase lebt. Die Straßen sind in einem katastrophalen Zustand. Der Tod ist ständiger Begleiter. Einschüchterungen jedweder Art zwingen die Aufrichtigen nicht selten zur Aufgabe. Den Mutigen gehört dennoch die Zukunft. Zwischen Gewaltverzicht, schlitzohriger Raffinesse und Ohnmacht blitzt immer wieder ein Funken auf. Der Funke der Hoffnung. Für Raymond Berthier wird dieser Funke niemals ein Feuer entfachen können.