Mr. Goebbels Jazzband

Ein so kraftvolles Wort wie Propaganda braucht starke Mitstreiter. Und Propaganda treibt zeitlebens gar seltsame Blüten. Wie diese: Mr. Goebbels – das „Doktor“ lassen wir an dieser Stelle getrost außen vor (Politiker und ihr „Titeldrang“ …) – will in Kriegszeiten die Bevölkerung der Gegner mit modernen Melodien und gezielten Texten in seinen Bann ziehen. Was braucht man dafür? Musik – Jazz, das ist modern, das reißt mit. Musiker – die hat er schon gefunden. Unter ihnen Leute, die es ohne die Jazz-Band ein jähes Ende beschert gewesen wäre. Ihre Herkunft oder ganz einfach ihre Liebe zum Jazz gaben ausreichend Grund zu ihrer Vernichtung.

Und was braucht man noch? Ein Sprachrohr, das die Massen einschwört. Denn Propaganda ohne Empfänger ist wie ein Betrunkener, der vor sich hinbrabbelt. Und so wird ein Schriftsteller beauftragt die Band zu begleiten, ihre Erfolge bekannt zu machen, ihr Biograph zu sein. Und jetzt kommt’s … das ist tatsächlich alles so passiert!

Tatsächlich bezahlte das deutsche Propaganda-Ministerium eine deutsche Jazzband, um in England mit entsprechenden Texten Wohlwollen für das widerliche Treiben in Kontinentaleuropa zu gewinnen. Dass diese Geschichte in Vergessenheit geraten ist, spricht für die Perfektion der Handelnden. Dass sie nicht in der Vergessenheit versunken ist, dafür muss man Demian Lienhard danken.

In seinem Roman – historische Romane bieten sich exzellent an, um historische Fakten nahbar zu machen, und in diesem Fall gelingt es vom ersten bis zum letzten Wort – beschreibt er eine Zeit, deren Geschichten doch noch nicht komplett erzählt wurden. Das muss man sich mal vorstellen. In einem Land, in dem das Stigma Jude unweigerlich zum Tod führt (womit nicht gesagt ist, dass Jude zu sein ein Stigma ist, leider aber in dieser Zeit), spielen Menschen zusammen entartete Musik, um dem Feind des Auftraggebers zu schaden, und dem eigenen Feind zu entkommen. Perfider geht es nicht!

Als Sprachrohr fungiert Lord Haw-Haw, ein berüchtigtes Schandmaul, ein englischer Nazi, der keine Gelegenheit ausließ dem Führer und seinen Machenschaften zu huldigen. Sein Ende war nicht weniger kurios als sein unglaubliches Treiben. Er wurde unter falschem Namen angeschossen und gefangen genommen. Und zwar von einem, der auch unter falschem Namen hinter den feindlichen Linien agierte. Lord Haw-Haws Ende war weniger glamourös. Strick um den Hals, Falltür auf, das war’s!

Hat man das Staunen über diese Geschichte einmal im Griff, lässt man sich gern von Demian Lienhard durch selbige treiben. Stellenweise schmunzelt man verlegen, muss sich jedoch beherrschen, weil die Geschichte im Ganzen betrachtet überhaupt nicht lustig ist. Ein menschenverachtendes System ist eben doch nicht komplett in sich geschlossen. Das ist der Lichtblick!