Mein Onkel, den der Wind mitnahm

Der Traum vom Fliegen. Schon seit Menschengedenken zieht es den Menschen nach Oben in die Lüfte. Man kann Gott näher sei, ihm ebenbürtig. Man kann dem Elend „da Unten“ entfliehen. Und: Man kann Fliegen! Wer kann das schon!

Djamshid Khan kann fliegen. Er weiß es aber erst seit dem Zeitpunkt als ihm die Gefängnismauern zu eng werden. Als Kommunist diffamiert, lernt er den kargen Alltag hinter dicken Mauern kennen. Und dann … fliegt er einfach davon.

Jahre später kehrt er zu seiner Familie zurück. Alle, die mit ihm eingesperrt waren, sind mittlerweile auch wieder daheim. Die Verwunderung ist groß, die Freude umso größer. Die Verblüffung, dass er immer noch fliegen kann, ist unendlich. Der Erzähler, sein Neffe, verfällt kurzum der naiven Idee mit dem Onkel an der Leine spazieren zu gehen.

Doch es kommt anders. Im Krieg zwischen Iran und Irak muss die Familie, die dank ihrer Herkunft einen gewissen Ruf und Anerkennung genießt, kämpfen. Auch der Onkel. Er kann schließlich fliegen, als Aufklärer aus der Luft ein entscheidender Vorteil.

Es vergehen die Jahre. Der Onkel ist immer mal wieder weg. Die Entwurzelung wegen seiner Fähigkeit zu fliegen, ist nur ein Grund. Erst am Ende des Buches darf er landen. Endlich sich niederlassen. Zur Ruhe kommen. Sich selbst erkennen. Sein Körpergewicht erlaubt es ihm nicht mehr zu fliegen… Natürlich eine Metapher.

Bachtyar Ali gelingt mit dieser leicht erzählten Geschichte das schwere Trauma seines Volkes, den Kurden, in unterhaltsame Wort zu kleiden. Wähnt man sich anfangs noch in einer phantastischen Erzählung, so kehrt sich die Sichtweise doch ziemlich schnell ins Grübeln. Ein Volk ohne Land, dessen Heimat sich über mehrere Landesgrenzen erstreckt, wird immer kämpfen müssen, um die eigene Identität am Leben zu halten. Der Onkel, der fliegen kann, poetisch „den der Wind mitnahm“, steht stellvertretend für ein ganzes Volk. Sie müssen kämpfen, immer wieder. Doch die, die sich da gegenüberstehen sind nicht Freund und Feind, sondern Feind und Feind. Das Schwarz-weiß, das man sich gern in einem Konflikt aneignet, um Stellung beziehen zu können, existiert nicht. Da bleibt einem nur die Phantasie und die Geradlinigkeit der Gedanken.