Einmal in Sizilien

Einhundert Jahre wäre Leonardo Sciascia 2021 geworden. Vor fünfundsechzig Jahren sind diese Geschichten erstmals erschienen. Grund genug Werk und Autor in diesem kleinen roten Büchlein gebührend zu feiern. In fünf Geschichten erzählt er vom harten Leben in den Schwefel- und Salzminen, von gewissenlosen Landbesitzern und dem Kampf gegen die Korruption und fängt dabei Siziliens Geschichte ein.

Siziliens Geschichte ist voller Trauer, Blut und Gewalt. Das wissen wir nicht erst seitdem Michael Corleone in „Der Pate“ seiner Kate seine Heimat (und so ganz nebenbei sein Leben) erklären will. Leonardo Sciascia gebührt der Ruhm diese Erkenntnis in die Welt hinaus getragen zu haben. So berichtet er vom grausamen Tod des Don Girolamo del Carretto. Der wurde im Mai 1622 von seinem Knecht gemeuchelt. Nicht ganz zu unrecht. Wenn man das Prinzip  „Auge um Auge“ zugrundelegt. Denn der Graf war ein raffgieriger Herrscher. Die Steuern wurden nach Belieben erhoben und mit Brutalität eingetrieben. Einen Vertrag mit den Bewohnern von Regalpetra – dem fiktiven Ort, in dem diese fünf Geschichten angesiedelt sind – beugte er auf schändliche Weise. Gegen eine Einmalzahlung sollten seine Untertanen für alle Zeit von allen finanziellen Belastungen befreit werden. Man zahlte, doch der Graf erhob fleißig weiter Steuern bzw. Abgaben. So ist das eben in Sizilien, wenn Verträge nicht eingehalten werden. Andernorts regt man sich nur darüber auf, resigniert und ergibt sich in fatalistischer Phrasendrescherei…

Jahrhunderte später kamen die Faschisten vielen Sizilianern, vorrangig den Einwohnern von Regalpetra wie Heilsbringer vor. Man arrangierte sich. Die Mahner wurden mundtot gemacht. Doch auch hier wurde man sich schnell bewusst, dass die endgültige Erlösung einem perfiden Blendwerk Platz machen musste.

Später als Lehrer .. man kann es sich denken. Wer sich geschickt durchs Leben mogelt, kommt auch ans Ziel. Nicht selten gewissenlos, aber zumindest mittelfristig einigermaßen glücklich. Was kann man tun? Nichts Offensichtliches. Die Hoffnung, dass der Missetäter einer höheren Macht Antwort geben muss, lindert den Schmerz.

Sciascia beschreibt nicht die glanzvollen Fassaden der Paläste, ihm ist das einfache Volk mit seinen Sorgen und Nöten näher. Der Poesie, die seinen Geschichten innewohnt, tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Die Hoffnungslosigkeit und die oft vergebene Mühe eine Wendung herbeizurufen, ist mindestens genauso spannend wie ein Spaziergang durch die aufgeräumten Gärten Siziliens.