Ein Bauch spaziert durch Paris

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Sternekoch, Musiker, Autor … und nun auch noch Reiseleiter in Sachen Kulinarik. Vincent Klink nur als Fernsehkoch zu sehen, wäre schändlich. Denn viele seiner Kollegen haben nicht mal ein Restaurant (was zumeist auf der ersten Silbe betont wird, klingt wahrscheinlich fachmännischer). Schändlich wäre es auch in Paris sich nicht den lukullischen Genüssen hinzugeben. Und so trägt Vincent Klink seinen Bauch vor sich her – der Titel verrät es bereits – und die magenlärmende Sehnsucht im Herzen. Alle Sinne sind geschärft.

Ihm geht es nicht anders wie den meisten von uns. Vor Aufregung kann er die Nacht vor der Abfahrt kaum schlafen, ist überpünktlich am Bahnhof. Mit dem TGV dauert die Fahrt nur rund dreieinhalb Stunden. Dreieinhalb Stunden bis man an der Gare de l’Est endlich Pariser Luft schnuppern kann. Und dann raus in die Stadt der Liebe, in die Stadt des Genusses, auf nach Paris. Würde er in der Gare de Lyon ankommen, würde die Flucht in die Stadt etwas länger dauern. Denn hier gibt’s das eindrucksvollste Restaurant der Pariser Bahnhöfe, das Le Train bleu.

Vincent Klink ist angekommen in Paris. Ein kühles Bier wäre ihm jetzt am liebsten, doch der heißeste Tag des Jahres verbietet dieser Leidenschaft nach zugehen. Ein kühles Blondes und die geballte Wucht der Sonnenstrahlen hätten nur eines zur Folge: Er würde noch mehr schwitzen. So macht er sich auf seinen ersten Erkundungsgang bevor es ins Hotel geht. Und das Rezept für die Jüdische Hühnersuppe liefert der Küchenmeister gleich mit.

„Ein Bauch spaziert durch Paris“ ist mehr als nur eine Reiseschilderung eines neugierigen und hungrigen Chefkochs. Es ist ein Kulturführer der besonderen Art für alle, die die Attraktionen der Stadt an der Seine bereits kennen. Es ist kein reiner Restaurantführer. Wie zufällig nimmt Vincent Klink Platz, studiert die Karte und beobachtet die anderen Gäste. Er formt sich ein Bild von Paris, das jeder nachvollziehen kann, der sich wie der Autor die Zeit nimmt Paris einzuatmen, es zu riechen, zu fühlen und zu schmecken. Immer wieder streut er Rezepte ein, man kann es zu Hause nachkochen oder man fährt selbst nach Paris. Denn auch Restauranttipps gibt der Koch aus Leidenschaft zuhauf.

So hat man Paris noch nie erlesen! Als belesener kulturinteressierter Mensch – seine Geschichten reichen von den Templern und Napoleon III. über Heine und Wagner bis zu den Impressionisten und den französischen Präsidenten – ist Vincent Klink der ideale Reiseleiter. Auch hat er sich seine neugierige Ader bewahrt. Nichts liegt ihm fern als den Leser zu bevormunden. Er gibt Hinweise und Tipps, wo man einkehren kann, und liefert dazu das passende Rahmenprogramm. Zahlreiche Anekdoten sind die Würze während der gastronomischen Ausflüge. Wenn Vincent Klink nicht schon einen Stern hätte, müsste man ihm einen für dieses exzellente Werk einen verleihen.

Dieses Buch genießt man wie ein Sterne-Menü. Jeder Gang, jedes Kapitel ein Genuss für sich. Wer die Zutaten, die Seiten hinunterschlingt, ist zwar satt, aber der Schmerz der Fülle fällt dem Vergessen anheim. Was ein Frevel!

Es ist erstaunlich, dass es immer wieder neue Bücher über Paris gibt. Die Seine-Metropole ist noch nicht satt an guter und bildgewaltiger Literatur. Die einschlägigen Hotspot-Aufzähler weit hinter sich lassend, sind es Bücher wie dieses oder die City impressions Paris, die es dem Leser schwer machen sich von Paris fernzuhalten. Ob nun mit dem geschulten Auge eines Fotografen oder der lukullischen Schnitzeljagd (nur im übertragenen Sinn) eines Sternekochs: Paris erobern ohne diese Bücher vorher gelesen zu haben, wäre wie Paris ohne die Seine. Möglich, aber nur die Hälfte wert.