Das Lied von Jaburek

Das Lied von Jaburek

 

Egon Erwin Kisch – ein Name wie Donnerhall, wenn es darum geht Metropolen der Welt mit den Augen von einst zu sehen. Seine Reportagen zeugen auch heute noch – fast siebzig Jahre nach seinem Tod – von der Pracht der Bauten, vom Leben der Menschen zwischen Hungersnot, eleganten Hotels und ausladenden Avenuen.

Kisch hat dort recherchiert, wo keiner freiwillig hingeht. Aus dem Obdachlosenasyl berichtet er von den Menschen, die bar jeder Hoffnung in den Tag hineinleben müssen. Amüsant hingegen ist sein Bericht darüber, wie man die Brückenmaut umgeht – kaum ein Thema ist derzeit aktueller. Damals – also vor rund einhundert Jahren – waren einige Brücken, bis auf die Karlsbrücke, mautpflichtig. Zwei Heller musste man berappen. Diese wurde von einem dienstbeflissenen Zöllner gefordert und kassiert. Kisch kam mit einer Gruppe von acht Leuten an der Brücke an. Der Erste zahlte mit einer 20-Kronen-Note, und er bekam 19 Kronen 98 Heller zurück. Beim Zweiten das gleiche Spiel, der Zöllner begann zu schnaufen. Ab dem Dritten war die Brücke frei. Heute sind in Prag alle Brücken kostenfrei. Und an den Mautstationen stehen Automaten, die immer genug Wechselgeld haben. Schade eigentlich! Wie der rasende Reporter wohl heute darüber berichten würde?

Tagelöhner, Tagediebe, leichte Mädchen auf der einen Seite, Polizisten, Wirtsleute, Soldaten auf der anderen Seite. Kisch kennt sie alle, die Sieger und Verlierer des Tages und der Zeit. Ihnen gehört seine Aufmerksamkeit – sie verewigt er in seinen Kolumnen. Egal, ob sie namenlos auf der Suche nach Arbeit oder einer Unterkunft sind, oder in Liedern als Helden besungen werden. So wie der Jaburek, der immer weiter lädt und lädt. Was seine singenden Kameraden zum Trinken animiert… Manchmal sind es aber auch unbesungene Helden. Modratschek ist so einer. Eine Zeitlang hat er einem Mayer immer die Post nachgeschickt, Freund von ihm bei sich aufgenommen. Dann wird er eines Tages von Lenin gegrüßt. Nicht persönlich, Lenin lässt ihm Grüße ausrichten. Lenin, entgegnet der Verdutzte, kenne er zwar, sei ihm aber nie begegnet. Oh doch! Nur nannte er sich damals eben Mayer.

Egon Erwin Kisch war ein Reporter der alten Schule. Prag war seine Stadt, hier war er der ungekrönte König der Straße und des Klatsch. Er kannte alle, alle kannten ihn. Wenn er seinen Stift zückte, konnte man sicher sein, dass etwas Spannendes dabei rauskam. Noch heute lassen seine Geschichten den Leser schmunzeln, staunen, die Stirn runzeln. Die in diesem eleganten Büchlein zusammengefassten Reportagen sind ein Querschnitt seiner Arbeiten, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts erschienen.