Cinema speculation

Listen – die Ausflüchte des kleinen Mannes (oder der kleinen Frau) in die Phantasie. Jeder hat mindestens eine Liste, zumindest im Kopf, andere vielleicht sogar ausgedruckt und in Folie verschweißt stets bei sich tragend. Die Rede ist nicht von Einkaufslisten. Sondern Listen wie „Der beste Film aller Zeiten“ oder das „beste Musikalbum ever“. Alles bullshit … wenn man nicht ein „für mich“ vor den Superlativ setzt. Filmakademien bringen sich ins kollektive Gedächtnis mit Listen der besten Filme. Und jeder kennt die Filme, mindestens beim Namen. An „Der Pate“, „Citizen Kane“ oder „Der dritte Mann“ kommt man da nur schwerlich vorbei. Und während man die Liste erstellt, kommen immer mehr Titel und Namen von Regisseuren und Schauspielern einen in die Quere, um die Liste komplett zu machen.

Es hielt sich jahrelang das Gerücht, dass Quentin Tarantino – als er in einer Videothek jobbte – sich unentwegt Film reinzog. Und daraus entstand der Drang selbst Filme zu machen. Kritiker bemängelt seine fehlende Kreativität und unterstellten ihm bloßes Kopieren eben dieser Filme, die der junge Quentin sich da einverleibte. Uma Thurman in gelbem Dress von unten gefilmt – das hat er doch von Hitch (The lodger) geklaut. Ist nun jeder Film schlecht, der eine Szene hat, die von unten gefilmt wird? Wohl kaum. Bei „True Romance“ ist das musikalische Leitmotiv aus „Badlands“, ein hierzulande eher unbekannter Film mit dem jungen Martin Sheen entlehnt. Klingt für die meisten nachhallender als das Original.

Quentin Tarantino hat auch eine Liste mit Filmen, die für ihn – jeder auf eine andere Weise – bedeutsam sind. Ohne Nummerierung. Zum Glück. „Bullitt“ – damit fängt der Reigen des Staunens und Ah-Rufens an. Klar, Steve McQueen gehört einfach in einer Aufreihung bedeutender Filme. Keiner war so cool wie er, gepaart mit Talent und ausgestattet mit dem Ehrgeiz einer Kobra, die das nächste Opfer im Visier hat. Da klar ist, dass man „Bullitt“ niemandem mehr erklären muss, verzichtet Tarantino darauf den Film noch einmal bis ins Kleinste zu erzählen. Er kommt der Faszination des Films und seines Stars auf die Spur, in dem er sich mit Neile Adams, McQueens Ehefrau unterhält. Sie war es schließlich, die die Rollen für ihren Gatten aussuchte.

Auch der zweite Film im Buch passt ins Klischee von erratbaren Filmen, die Tarantino prägten (nach Bambi und einigen ausgewählten Blaxploitation-Movies): Dirty Harry“. Wieder ein knallharter Kerl – Clint Eastwood, wieder Rasanz so dass das Blut brodelt. Ein bisschen hinter den Vorhang schauen, ein bisschen Fantum, und jede Menge Hintergrundwissen und cineastische Betrachtung. Tarantino schaut nicht einfach nur Filme. Er atmet sie ein und spuckt im Gegenzug eine gewaltige Version dessen wieder heraus.

Ab hier kommt der Autor Tarantino so richtig in Fahrt. Er zieht Vergleiche mit Filmen, die man nicht zwingend gesehen haben muss, um zu verstehen wie sie den Regisseur Tarantino beeindruckten. Doch ein gewisses Maß an Filmverständnis und einem breiten Spektrum an Interesse sollte man als Leser mitbringen. Ansonsten erliegt man der Versuchung die genannten Titel einfach zu überlesen. Dann fehlt einem doch ein gehöriges Stück vom Kino-Wissens-Kuchen, den QT einem da serviert. „The Getaway“ – wieder Steve McQueen, dieses Mal mit Ali MacGraw, geohrfeigt vor laufender Kamera, dass es jedem Zuschauer den Atem verschlägt – da tat vor und hinter der Kamera weh, ist nur der Anfang für QT, um den für Hollywood wichtigen Jahrzehnt der 70er nahezukommen. Hier ist Tarantino zuhause.

Was nun folgt ist eine wilder Ritt durch die Filmlandschaft Amerikas. Ohne dabei cineastischen Highway zu verlassen, prügelt QT den Leser durch Filmplots, trifft Stars und ihre Hinterleute, lässt andere daran teilhaben Geheimnissen der Leinwand auf die Schliche zu kommen. Ein Festessen für Filmliebhaber, die James Monaco in- und auswendig kennen, die Truffauts Analysen nicht minder aussagekräftig finden. Wohlgemerkt, es sind fast ausschließlich amerikanische Produktionen, die Tarantino erwähnt.

Wer Kino mag, liebt Tarantino nicht zwangsläufig. Wer ihn liebt, wird mit diesem Buch unterm Kopfkissen zahllose unruhige Nächte voller Ungeduld verbringen. Oft ertappt man sich dabei, dass man den einen oder andere Film bzw. Sequenzen schon ad acta gelegt hat. Hier liegt die Stärke des Buches: Das Vergessene immer ans Licht zu holen und zu honorieren.