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500 hidden secrets Lissabon

Wo Licht und Schatten aufeinanderprallen, bleibt so manches im Verborgenen. Die Hauptstadt Portugals ist in der vorteilhaften Lage dem Besucher das volle Programm bieten zu können: Meer und Berge, Sonne und Schatten, heiße Temperaturen, ein Kulturangebot, das auf Jahrhunderten fußt. Und trotzdem wird man es als Tourist niemals schaffen, alles – wirklich alles – bei einem Besuch sich anschauen zu können.

Ein Reiseband tut Not. Und wenn er so kompakt in der Hand liegt wie dieser, ist er ein willkommener Stichwortgeber in der Stadt am Tejo. Moderne Architektur wie der Pavilhão de Portugal trifft auf Baukunst des 16. Jahrhunderts wie den Torre de Belém. Lissabon lässt sich gern zu Fuß erkunden – das Tarifsystem des öffentlichen Nahverkehrs ist sowieso eher was für Nerds.

Und während man so vor sich hinschlendert, ist man in einer Zwickmühle. Zum Einen muss man die Augen offenhalten. Es gibt so viel zu sehen. Der Titel des Buches verrät es schon: Hier sind fünfhundert Geheimnisse versteckt. Das heißt, dass man sie suchen muss. Zumindest aber die Augen nicht schließen darf. Zum Anderen will man aber auch nichts verpassen. Innehalten, ein wenig im Buch blättern und weiter geht’s.

Pastéis de Nata, diese leckeren Teilchen, die einen jedwedes Heimweh runterschlucken lassen, gibt es hier und da im Stadtgebiet. Die leckersten fünf Anlaufstellen findet man in diesem Buch. Wem immer dann immer noch der Sinn nach lukullischen Einkaufserlebnissen steht, muss ein paar Seiten weiterblättern. Mercados soweit das Auge reicht. Auch hier wieder: Die Top Five der Märkte.

Einhundert Kapitel á fünf Tipps zum Einkaufen, sich typisch portugiesisch verköstigen lassen, Tipps zum Sporttreiben, Dingen, die man mit Kindern unternehmen kann und vieles andere mehr, geben einen Überblick über eine Stadt, die eben mehr ist als „nur die Hauptstadt Portugals“. Ob man sie nun als Hotspot oder Place to be bezeichnen will, die Tipps sind kleine Appetithappen, die man ohne Reue genießen kann. Kurz und knackig, ohne viel Schnickschnack wird man verführt Lissabon auf eigene Faust zu erkunden. Das richtige Faustpfand hält man bereits in den Händen.

Lissabon und Costa de Lisboa

Lissabon ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Aussteigermetropole am südwestlichen Rand Europas. Auch diese Zeiten sind vorbei. Doch Lissabon hat sich den Charme des Andersseins bewahrt. Ein kleiner Likör um die Ecke ist immer noch drin. Eine Fahrstuhlfahrt von Unterstadt zur Oberstadt ebenso. Macht man automatisch, wenn man in Lissabon ein, zwei Tage oder länger verbringt.

Apropos ein bisschen länger in Lissabon verweilen. Im Gegensatz zu den wuchtigen Hauptstädten Europas wie Paris, London oder Rom ist Portugal Capitole doch recht übersichtlich. Oberflächlich betrachtet tut man sich schwer mehr als eine Woche in der Stadt am Tejo zu verplanen. Wie gesagt, oberflächlich betrachtet. Doch Johannes Beck nimmt sich über fünfhundert Seiten Zeit diese These informativ und detailgenau zu widerlegen. Denn Lissabon ist nicht nur Lissabon, sondern auch der genüssliche Speckgürtel bestehend aus Cascais, Estoril, Sintra, Ericeira, Sesimbra und Setúbal. Noch nie gehört? Dann wird es Zeit diese Orte zu bereisen, zumindest aber in diesem Buch zu blättern, zu planen und vorab schon mal ein wenig zu träumen.

Schnell die Fakten: Zwölf Touren, vierzehn Wanderungen, sechzig Karten und Pläne. Und schon kann man eintauchen in die Welt von Lissabon und der sie umgebenden Costa de Lisboa. Am besten beginnt man am Ende des Buches. Ein kleiner Einführungskurs ins Portugiesische. Denn die Sprache erstmal gewöhnungsbedürftig. Wer ein paar kleine Grundlagen beherrscht, liest das Buch mit ganz anderen Augen. Der Klang der Vokale und Konsonanten wirkt Wunder bei Unentschlossenen.

Ein Vierteljahrhundert Erfahrung und Zuneigung fasst Johannes Beck in diesem Reiseband zusammen. Die achte Auflage wirkt wie eine Frischzellenkur. Jedes Kapitel wurde noch einmal überarbeitet und um nützliche Tipps ergänzt, bzw. wurden diese aktualisiert. Jede Tour wird mit einem Appetizer angekündigt, der das Verlangen nach den folgenden Seiten steigert. So weiß man gleich, was einen erwartet. Die kurzen Abschnitte erlauben dem Leser sich einen Überblick zu verschaffen und mindern nicht im Geringsten die Lust das Gelesene selbst zu erforschen. Auch wenn es mal komplizierter werden sollte. Wer die Halbinsel Setúbal im Süden besuchen will, muss sich erstmal durch den Tarifdschungel der öffentlichen Verkehrsmittel kämpfen. Johannes Beck schlägt schon mal die ersten Schneisen ins Dickicht der weißen und grünen Karten, mal wiederaufladbar, mehrmals aktivierbar oder nicht. Solche Tipps sind die wahren Fundgruben eines Reisebandes wie diesem. Denn dann kann man sich auf das konzentrieren, was wirklich sehenswert ist. Alcochete, ein Paradies, um Vögel zu beobachten. Oder Almada mit der weithin sichtbaren Christusstaute. Oder einem erholsamen Strandtag an der Costa da Caparica, wo ca. dreißig saubere Sandstrände auf Erholungssuchende warten. Oder im Westen Lissabons das kleine Örtchen Caxais (wie das ausgesprochen wird, weiß man ja schon, wenn man das Buch am Ende begonnen hat), das mit zahlreichen hübschen Gärten verzaubern wird.

Man kann das Buch drehen und wenden wie man will, es wird immer ein brauchbarer Tipp herauspurzeln. Kleine Anekdoten oder fundiertes Hintergrundwissen auf gelbem Grund weist den Besucher der Region um Lissabon bald schon als Kenner aus. Die beiliegende Karte der Region inkl. Stadtplan Lissabons sind dann noch die einzigen Erkennungsmerkmale, die den Leser als Besucher kenntlich machen.

Strand der Ertrunkenen

Fortsetzungen bergen immer die Gefahr in sich, dass sie an den Vorgänger nicht herankommen. Wenn zu dem auch noch der Vorgänger (in Domingo Villars Fall, sogar der Erstling) preisgekrönt wurde, lastet ein enormer Druck auf dem Autor, und die Erwartungen des Lesers sind sehr hoch angesetzt. Um es vorwegzunehmen: Pessimisten können beruhigt zum zweiten Fall von Leo Caldas aus Vigo im nordspanischen Galicien greifen!

Der Roman beginnt traurig mit einem Besuch im Krankenhaus. Vater und Sohn Caldas, beide aus unterschiedlichen Gründen alleinstehend, besuchen Alberto, den Bruder von Inspektor Caldas‘ Vater. Sieht nicht gut aus. Grund und Zeit genug für Domingo Villar dem Leser ein wenig aus dem Leben des Inspektors zu erzählen.

Ein bisschen Zeit miteinander verbringen, für einander da sein. Das geht nur so lange gut bis sich Caldas Assistent Rafael Estévez meldet. Die Arbeit ruft im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Leiche wurde angespült. Die Hände mit Kabelbindern verschnürt. Ertrunken. Sieht nach Selbstmord aus – viel Fischer bringen sich in dieser Ecke Spaniens auf diese Weise ums Leben. Doch die aufgeplatzten Adern im Gesicht des Toten lassen Leo Caldas an der Selbstmordtheorie zweifeln.

Abwechslung bringt nur die Radiosendung, die Leo Caldas zu einem Lokalstar werden lässt. Wo immer er auftaucht – privat oder in beruflicher Mission – wird er erkannt. Die Leute mögen ihn, ein unschätzbarer Vorteil gegenüber seinem Assistenten, der aus der Hauptstadt in die Provinz versetzt wurde. Leo Caldas vertrauen die Leute.

Der Tod des Fischers, Justo Castilo, genannt der Blonde gibt Leo Caldas immer noch Rätsel auf. Doch es gibt eine heiße Spur. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1996 heuerte der Fischer zusammen mit zwei engen Kollegen auf einem Kutter an. Das Schiff sank und begrub mit sich auch den Kapitän. Der wiederum soll wiederauferstanden sein. Caldas ist jedoch zu sehr Realist, um an Wiederauferstehung und Ähnliches zu glauben. Zumal es keinen Beweis – vielleicht ein paar Zweifel – gibt, dass der Kapitän noch am Leben sein könnte…

Das Leben am Meer, die Eigenheiten der Menschen und eine gehörige Portion Lokalkolorit sind die Zutaten für einen echten Regionalkrimi. Jetzt kommt es auf den koch an. Domingo Villar gehört zu den Sterneköchen. Mit viel Gefühl zaubert ein Menü auf den Lesetisch, das jedem mundet. Kein Nachsalzen (mit Meersalz, naturalmente) oder nach Pfeffer fragen. „Der Strand der Ertrunkenen“ ist ein meisterhaftes Menü mit historischem Entree, sättigendem Hauptgang und einem Dessert, das einem den Lesegenuss niemals vergessen lässt.

Wasserblaue Augen

Die nordspanische Region Galicien ist vor allem durch seine Pilger nach Santiago de Compostela bekannt. An der Grenze zu Portugal liegt Vigo, eine Stadt mit knapp 300.000 Einwohnern und zwei Helden, die hier jeder kennt. Domingo Villar wurde hier geboren – ich echt, und er gebar hier Leo Caldas – gedruckt. Leo Caldas ist Polizist und hat eine Radiosendung, in der jeder seinen Frust und seine Sorgen loswerden kann. Leo Caldas wird bei seiner Arbeit von Rafael Estévez unterstützt. Aufbrausend und ungeduldig, das ist Estévez. Ruhig und gewitzt – das ist Caldas. So was funktioniert nur in Romanen. So wie in „Wasserblaue Augen“, dem Erstling von Domingo Villar, für den er aus dem Stand mehrere Preise einheimste.

Gerade als Leo Caldas mit seiner Radiosendung fertig ist, klingelt das Telefon des Inspektors. Eine Leiche wurde gefunden. Mit einem Schlag wird Caldas aus dem sicheren Studio auf die rauen Straßen der Realität geholt. Doch es soll noch schlimmer kommen. Wasserblaue Augen hatte der Tote – Ironie des Schicksals ist, dass Wassermangel genau seinen Tod verursacht hat. Aber nicht wie man allgemein annimmt durch „normales“ Verdursten. Nein, dem Toten wurde Formaldehyd an eine sehr delikate Stelle gespritzt. Der komplette Unterleib ist ausgetrocknet. Da war Wut im Spiel! Leidenschaft!

Was zuerst sich verwirrend liest, führt schlussendlich zum Ziel. In Ermangelung eindeutiger Hinweise gehen die beiden Ermittler der Spur des Formaldehyds nach. Denn das bekommt man nicht an jeder Straßenecke. Hat man allerdings Zugang, ist es ein leichtes, etwas davon abzuzapfen.

Luis Reigosa war Saxophonist und Musiklehrer. Und schwul. Das wusste aber jeder, der in näher kannte. Dimas Zuriaga hingegen ist mit der bezaubernden Mercedes verheiratet. Doch die Ehe der beiden ist maximal noch das Papier wert, auf dem sie steht. Zuriaga, der reiche Mäzen und Reigosa, der für seinen Traum hart arbeitende Musiker kannten sich. Zuriaga streitet das ab. Ein Motiv für einen Mord?

Domingo Villar nennt Manuel Vázquez Montalbán und Andrea Camilleri seine Vorbilder. Keine schlechte Wahl. Und er nimmt sich die beiden wirklich zu Herzen. Ab der ersten Seite ist man in der Geschichte, im Landstrich und in den Seelen der Protagonisten. Das gibt es kein Vertun: Wer Domingo Villar im Urlaubsgepäck hat, wird keine langweilige Minute erleben. Erst wenn das Buch ausgelesen ist, kehrt Ernüchterung ein. Aber dann kann man es ja noch einmal lesen. Und noch einmal, und …

Der Neger

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Mann bringt eine Prostituierte um, wird aber nicht bestraft. Punkt. Aus. Ende. Das ist dann aber kein Stoff für eine Geschichte. Auch wenn der Titel noch so sehr für Aufregung sorgen sollte.

Der namenlose Ich-Erzähler dieser Geschichte trifft eines Tages Edgar Manning. Er ist der Neger. Ein großer, grober Kerl, der das Leben genießt. Laut und kräftig, rauchend und trinkend. Es war Schicksal ihn zu treffen. Ein Freund, ein Reverend, hat ihn kurz vor seiner Abreise vor diesem Edgar Manning gewarnt. Er, Edgar, hat die Angewohnheit Menschen in seinen Bann und mit in den Abgrund zu ziehen.

Doch es kommt anders. Da steht er: Breitbeinig, breitschultrig, bereit das Leben mit seinen Pranken zu verschlingen. Die Frauen liegen ihm zu Füßen. Edgar ist Drummer in einer Jazzband. Das sagt er, wenn man ihn nach seinem Beruf fragt. Doch sein Geld verdient er mit Drogen und Mädchen. Beides verkauft und benutzt er.

Edgar, der Neger, der Afrika nur symbolisiert und mit Nichtem im Herzen trägt trifft Europa. Sie ist Prostituierte und ihm anfangs willig, später ist sie tot.

Alles geht rasend schnell in diesem Kurzroman. Philippe Soupault hetzt in seinem Erstling den Erzähler von ein Ah zum nächsten Oho. London, Paris, Barcelona, Lissabon – egal, wohin der Erzähler auch geht, Edgar Manning ist schon da. Mal Musiker, mal schwer schuftender Malocher. Und immer mit einem Geheimnis gesegnet. Und immer mit offenen Armen für den Freund. Oder doch Fremden? Edgar ist ein Außenseiter, ein Exot, Outlaw, immer jemand, der die Gesetzmäßigkeiten missachtet und eigene Regeln aufstellt. Freunde hat er nicht. Dem Erzähler begegnet er mal distanziert, ein anderes Mal überhäuft er ihn überschwänglich mit Umarmungen. Dem Erzähler schwinden die Kräfte Edgar Manning einordnen zu können. Und so schaut er ihm mit großen Augen beim Leben zu.

Philippe Soupault ist der vergessene Mitbegründer der Surrealisten um André Breton und Louis Aragon. Guillaume Appolinaire gehörte zu seinem Freundeskreis, ihm verdankte er seinen Durchbruch als Literat. „Der Neger“ ist ein Gleichnis. Nicht umsonst heißt die Ermordete Europa und der Mörder ist der Neger. Heinrich Mann lobt im Vorwort die Tiefe dieses Romans im Speziellen und die des Werkes im Allgemeinen. Philippe Soupault zu lesen, bedeutet vor allem eines: Eine Nähe zum Autor und seinen Protagonisten aufzubauen ohne zu viel Vertrautheit aufkommen zu lassen. Der Widerspruch zwischen Nähe und Distanz wird bei Soupault wie durch Zauberkraft aufgehoben. Edgar Manning ist keiner, mit dem man am Tisch sitzen möchte. Aber es bereitet eine diebische Freude ihm zuzusehen. Sympathie? Nicht unbedingt. Neugier? Auf alle Fälle.

City Lights

Die Tage werden kürzer, das Grau des Alltags spiegelt sich nun auch am Himmel wieder. Da holt man gern noch einmal die Fotos vom erst kürzlich vergangenen Urlaub heraus, obwohl der auch schon wieder Monate her ist. Man erinnert sich, ist stolz auf die Schnappschüsse, erfreut sich an einzigartigen Perspektiven, bei denen sogar der schiefe Turm von Pisa kerzengerade in den wolkenfreien Himmel wächst. Noch einmal durchschnaufen – bald ist Weihnachten. Und dann gilt es einmal mehr der Kreativität freien Lauf zu lassen, um zu beeindrucken. Dieses Jahr wird es ein Leichtes sein dem Beschenkten ein „Ah“ und ein „Oh“, vor allem aber ein „Bist Du verrückt?!“ zu entlocken.

Vincent Laforet machte am 29. September 2001 ein Foto von einem afghanischen Flüchtlingskind, das vielleicht nicht um die Welt ging, dafür aber die Jury der Pulitzer Prize beeindruckte. Zusammen mit dem Team der New York Times gewann er den begehrten Preis für die beste Fotoreportage (Best Feature Photography). Schon kurze Zeit später galt er als einer der einflussreichsten Fotografen. Mit „City Lights“ zeigt er sein ganzes Können bei der Darstellung von Städten bei Nacht. Klingt erst einmal nach „Ja, das kann ich auch“, ist aber gar nicht so einfach, um es kurz und verständlich auszudrücken.

Und dann schlägt man dieses Buch, nein … diesen Prachtband auf! Eine Offenbarung! Noch nie waren nächstens erleuchtete Städte so blau. Noch nie so verwundbar. Noch nie so offensichtlich anonym. Sydney ist für sich genommen schon eine Augenweide. Auch und gerade bei Nacht. Aber: Bei Nacht, von Oben fotografiert … das Leuchten der Lebensadern … Details zu funkelnden Pixeln degradiert, um in der Gänze eine nie zu erwartende Wirkung zu erzielen, ohne Blitzlicht – da lassen die Synapsen kräftig die Sektkorken knallen!

Barcelona als buntes Potpourri, London als Regenbogen in Hochglanz, Chicago Reißbrettentwurf in Sonnenblumengelb oder Las Vegas in gar nicht mehr so bunt wie es die Prospekte einem vorgaukeln wollen – City Lights haben ihre eigene Magie. Sie einzufangen, ist Aufgabe von Dokumenteuren wie Vincent Laforet. Und wenn das Auge des Fotografen einmal Blut geleckt hat, dann kann sich der Betrachter auf eine riesige Portion Emotionen gefasst machen. Als Leser ist man von Natur aus in der richtigen Position auf dieses Buch und auf die Städte herabzublicken. Von oben auf Gebäude, Stadtteile, ganze Städte zu schauen, hat etwas Erhabenes. Mit dem kiloschweren Buch auf dem Schoß nehmen die Aufnahmen die Angst vor der großen unbekannten Stadt undverwandeln sie in ein Objekt der Begierde. Einmal nicht mit dem Finger auf ein Gebäude zeigen, sondern es einmal „in Echt“ zu bestaunen und vielleicht zu berühren, wenn das das Ziel des Buches war, dann ist die Aufgabe auf jeder Seite übererfüllt worden.

Barcelona

Und weiter geht die wilde Hatz! Sagrada familia, schnell ein paar Tapas, playa, ramblas – puh das stresst. Aber man hat in wenigen Stunden alles gesehen, was es Sehenswertes in Barcelona gibt. Könnte man meinen. Doch dann fällt einem der Reiseband „Barcelona“ von Baedeker in die Hände. Dreihundert Seiten stark – da muss es also noch mehr geben als die extravagante Architektur von Antoni Gaudí und Fressmeilen. Aber wer reist schon so. Und Barcelona im Speziellen hat durchaus mehr zu bieten. Da tut es Not sich zumindest ein wenig im Vorfeld zu informieren, was es alles zu erobern gibt. Und dieser Baedeker ist ein auskunftsfreudiger Reisebegleiter!

Zuerst zum Standard. Jeder Reiseband ist mit einer Karte, in diesem Fall mit einem aussagekräftigen Stadtplan versehen. Ebenso zum guten Ton gehört eine informative Einführung in die Stadt mit einem kurzen Abriss zur Geschichte – so manches Aha-Erlebnis wird erst so zu Selbigem. Zum Beispiel, wenn man am 15. oder 30. August, 24. September, am ersten Sonntag im Oktober oder den Sonntag nach dem 22. Oktober oder am 1. November oder am dritten Sonntag im November in der Stadt ist. Dann werden die Castells, die berühmten menschlichen Kathedralen allerorten zu sehen sein. Ein Erlebnis, das im Fernsehen schon beeindruckend ist – live fiebert man mit jeder neuen Etage mit den Casteller mit. Schon auf der Umschlagseite wird auf diese Tradition hingewiesen.

Architektonisch ist Barcelona eine Sensation. Nicht nur die Sagrada familia, das unvollendete Bauwerk Gaudís, sondern ganze Straßenzüge, die im katalonischen Jugendstil, der Modernisme genannt wird, erhellen die Herzen der Besucher. Muss man gesehen haben. Das nötige Hintergrundwissen gibt’s im Buch.

Ein Städtetrip nach Barcelona ohne vernünftigen Reiseband wäre wie Strandurlaub im Hotelbett, wie ein McDonalds-Besuch in Lyon oder Wassertreten in der Sahara – unnötig und sinnlos. Ausflüge ins nur wenige Kilometer entfernte Montserrat mit seinem Kloster, oder in die traditionsreiche Fußballgeschichte der Stadt oder eine (Rad-)Tour zum Museu Marítim oder oder oder – die Stadt bietet so viele Möglichkeiten sich für immer an sie zu erinnern, dass es schon an ein Wunder grenzt, dass so viele in diesem Buch vereinigt werden konnten.

Wer den Reiseband verschenken will, dem sei noch empfohlen, dass zum „Rundum-Sorglos-Paket“ ein Prachtband und ein wenig Belletristik gehören. Der ewige Dank des Beschenkten ist einem hundertprozentig sicher. Und ein Souvenir als Dankeschön aus der Hafenstadt am Mittelmeer kann schon mal eingeplant werden…

City impressions Barcelona

Für alle diejenigen, die die City-Impressions-Reihe noch nicht kennen, sei es noch einmal gesagt: Man erkennt sie an der Silhouette der Stadt auf dem Buchcover und der Dicke des Buches. Äußerlich. Die inneren Werte, der Name nimmt es vorweg, lauert im Inneren. Lauern ist auch nicht das richtige Wort: Sie springen einem Seite für Seite mitten ins Gesicht! Schon nach wenigen Seiten präsentiert sich die lebhafte Metropole als Panorama. Es wird nicht das erste Mal sein, dass man beim rhythmischen Durchblättern ins Stocken gerät. Als „Schon-Mal-Da-Gewesener“ sucht man auf dem Panorama die Plätze, wo man schon war. Als „Hoffentlich-Bald-Mal-Dort-Gewesener“ fiebert man der Zeit entgegen diese Plätze endlich mal besuchen zu können.

Autor, Photograph und Herausgeber Bernd Rücker zeigt dem Leser, der sich wie in einem lebendigen Museum vorkommt, erst einmal einen Rundumschlag seiner Stadt. Wer jetzt noch nicht auf den Geschmack gekommen ist, hat noch viele, viel Seiten Zeit, sich Appetit zu holen. Für alle, die eh nicht mehr für Barcelona begeistert werden müssen, kommt nun eine kleine optische Abkühlung. Denn immer wieder wird dem Auge eine Auszeit gegönnt – kurze, romantische, auf alle Fälle barceloneske Geschichten lockern den Bildband auf. So wie unter anderem auch – unbedingt als Pflichtlektüre für kommende Barcelona-Trips zu empfehlen – die Kurzgeschichte „Gute Nachrichten auf Papierfliegern“.

Nun erwacht die künstlerische Ader des Photographen. Alle Fotos sind auf schwarzen Papierseiten gedruckt. Das wirkt nicht nur edel, sondern hat den Effekt, dass Fotos, die mit dem Spiel von Hell und Dunkel ihre Wirkung entfalten, so erst richtig zur Geltung kommen. Denn eine echte Begrenzung der Bilder ist nicht erkennbar. Lichtpunkte funken aus dem scheinbaren Nichts optische Reize an den Empfänger. Details, die man im Vorbeigehen garantiert übersehen würde, rücken in den Fokus des Betrachters. Die Stadt erwacht, menschenleere Plätze (soll’s tatsächlich geben, muss man aber suchen – oder man blättert ein wenig im Buch…), Schnappschüsse, Wolkenformationen, die schon kurz nach der Aufnahme nie mehr so zu sehen sein werden, erstaunen mit jeder neuen Seite.

Jedes einzelne Bild ist eine besondere Komposition mit sorgsam ausgewähltem Motiv, geschickt ausgesuchtem Ausschnitt und exquisit arrangierter Platzierung. Fast könnte man meinen, die Stadt nicht mehr besuchen zu müssen, weil man eh schon alles kennt. Ein weiterer Grund (und es gibt weitaus mehrere Gründe) sich dieses Buch zuzulegen, ist die Tatsache, dass man mit diesem Buch jemandem eine Riesenfreude macht. Als Appetizer für denjenigen oder diejenige, die Barcelona als Traumziel ansieht. Und nicht nur wegen der Maße und des Gewichtes (>2kg), auch und besonders wegen der unglaublichen Fülle an erstklassigen Aufnahmen. Als Zugabe (neben der eingangs erwähnten Kurzgeschichte) legt man einen Reiseband bei und vielleicht noch eine Anthologie. Als perfekter Appetitmacher für einen perfekten Urlaub.

Gute Nachrichten auf Papierfliegern

Fünfzehn, das Leben noch vor sich, Ferien … und Bruno soll der alten Irren von obendrüber ein wenig zur Hand gehen. So will es die Mama. Frau Pauli, so heißt die Dame lässt gern Papierflieger  durch die Lüfte segeln. Viele, sehr viele. Und die müssen eingesammelt werden bzw. Bruno soll Zeitungen als Nachschub besorgen. Feriengestaltung im Spanien der 80er/90er Jahre. Bruno könnte sich auch was anderes vorstellen…

Doch die alte Irre ist gar nicht so übel stellt Bruno schnell fest. Sie floh aus ihrer polnischen Heimat als die Faschisten begannen mit dem stumpfen Messer alles niederzumähen, was ihrer Meinung nach niedergemäht werden musste. In Spanien fand sie eine neue Heimat, war eine geachtete Varietétänzerin.

Brunos Zuhause ist auch nicht unbedingt das Paradies auf Barcelonas Boden. Die Eltern haben sich nichts mehr zu sagen, und er sitzt zwischen den Stühlen. Der Papagei und der Kanarienvogel und die alte Frau sollen ihm jedoch den Sommer seines Lebens bescheren.

Die alte Frau bastelt scheinbar als einzigen Lebensinhalt am Ende eines ereignisreichen Lebens Papierflieger aus Zeitungen. Doch nur die guten Nachrichten schaffen es in die kleine Welt ihres Viertels hinausgetragen zu werden. Sie bedecken den Boden der Straßen und Plätze. Und jeder, der sich die Mühe macht, diese Papierflieger aufzuheben und die Nachrichten zu lesen, wird vielleicht ein wenig optimistischer in die Zukunft schauen können. Gute Nachrichten sind nun einmal gute Nachrichten. Doch sie werden weniger …

Juan Marsé schafft es auf den wenigen Seiten dieses Romans ein ganzes, nein, zwei ganze Leben aufs Papier zu bannen. Sie herauszureißen und im Viertel herumfliegen zu lassen, wäre schändlich. Doch das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen und ein wenig darin zu blättern, gehört wohl zu den schönsten Zeitvertreiben, die Literatur bieten kann. Bruno, bislang schüchtern und in sich gekehrt, blüht inmitten der Fotowand in Frau Paulis Wohnung auf. Die Fotos sind anfangs für ihn nur Erinnerungen eines nicht immer einfachen Lebens. Doch sie geben dem Jungen nach und nach einen Einblick in ein Leben, das er sich so nicht vorstellen kann. Dafür ist er zu jung. Das Ende … ja, das Ende wird den Leser, der sich so nachhaltig ins Leben der beiden eingelesen hat, mit einem Paukenschlag aus der Leseschlummerei ins wahre Leben verschlagen!

Costa de la Luz

Denk ich an Spaniens Küsten in der Nacht, … komme ich völlig durcheinander. Wo liegen die denn überhaupt. Costa del Sol, Costa brava, Costa de la luz? Letztere, die Küste des Lichts, ist der Teil im Süden Spaniens, der sich von Portugal im Westen bis nach Gibraltar erstreckt. Sevilla, Cadiz und Huelva sind wohl die bekanntesten Orte der Region. Sevilla ist in diesem Buch mit erwähnt, obwohl es eigentlich nicht direkt zur Costa de la Luz gehört, wohl aber als Ausflugsziel oder Ausgangsort einfach mit dazu gehört.

Schon die kleine Karte auf der Buchrückseite zeigt die ganze Vielfalt der Küste des Lichts: Gebirgszüge, ein Nationalpark, viel Wasser und wie es der Name schon sagt, viel Licht, sprich Sonne. Ideal zum Wandern, planschen, shopping, genießen. Und Thomas Schröder hat schon zuvor mehrere Reisebände über verschiedene Regionen Spaniens geschrieben. Einen besseren Reiseguide kann man sich nicht wünschen. Nur bei einer Frage kann auch er sich nicht entscheiden: Was bestelle ich nur im Restaurant? Die Vielfalt ist umwerfend. Da muss man als Gast ganz allein durch.

Das ist aber das einzige Mal, dass auch der Autor keinen echten Rat weiß. Ansonsten setzt er der Routine des Reisebuchschreibens die Leidenschaft für die Region entgegen. Das merkt man besonders, wenn man sich die gelb unterlegten Kästen durchliest. Hintergründe und kleine Anekdoten wie zum Beispiel über das „Schlemmen am Ufer der Meeresfrüchte“ oder den Karneval von Cádiz oder die Schlacht um den Thun lassen schon vor der Reise Urlaubsstimmung aufkommen.

Ein Füllhorn an Ausflugstipps und genauen Wegbeschreibungen lassen keine Wünsche offen. Huelva zum Beispiel war bis vor wenigen Jahren eine wenig besuchte Stadt, die Region nur bei Spaniern bekannt. Dabei ist das Hinterland mehr als sehenswert. Mittelalterliche Städtchen geizen nicht mit ihren Reizen, hier wächst ein leckeres Weinchen, und in El Rocío kommt Westernstimmung auf. Drei Tipps auf ein paar wenigen Seiten, von denen man bisher selten bis gar nicht gehört hat. Also immer dem Licht entgegen!

Thomas Schröder schafft es ab der ersten Seite den Leser die Costa de la Luz so nahe zu bringen, dass man sich schon vor der Abreise als Experte bezeichnen möchte. Auf der Landkarte nimmt dieser Flecken Erde nicht viel Platz ein. Doch vor Ort öffnet sich ein riesiges Areal, das es gilt zu erkunden. Verlaufen unmöglich, denn Thomas Schröder ist ja da, um hilfreich zur Seite zu springen.