Archiv der Kategorie: aus-erlesen USA

Tod in Connecticut

Nolya Noyes sitzt auf einer Bank und schaut dem Schneetreiben zu. Doch es ist nicht still um sie herum. Sie steht im Mittelpunkt. Das gefiel ihr bisher immer ganz gut. Doch dieses Mal ist alles anders. Denn die Bank, auf der sie sitzt, ist eine Anklagebank. Sie wird verdächtigt einen Mord begangen zu haben. Robert Brandon wurde ermordet. Oder hat er sich doch selbst gerichtet?

Nolya ist mit ihren 25 Jahren das enfant terrible der New Yorker High Society. Konventionen sind für die anderen da. Sie ist unglücklich verliebt. In Arthur Raymond. Der auch in sie. Die Sache hat nur einen Haken. Arthur ist immer noch mit Betty verheiratet. Und Arthurs Vater Melville, ein schlitzohriger Anwalt sieht die Liaison zwischen seinem Sohn und der lotterhaften Nolya überhaupt nicht gern. Ja, er verabscheut die reiche Göre, die noch nie in ihrem jungen Leben einen Finger krümmen musste.

Robert Brandon, Sohn eines engen Freundes von Melville Raymond ist bis über beide Ohren verknallt in Nolya. Er unterliegt ihrer rebellischen Art und fühlt sich derart stark zu ihr hingezogen, dass er pausenlos versucht sie zu beeindrucken. Doch mit seinen kindischen Aktionen erntet er mehr müdes Lächeln als Bewunderung.

Am Silvesterabend will Nolya die Gelegenheit nutzen, um mit Arthur reinen Tisch zu machen. Sie ist es sich und vor allem ihm schuldig. Ein harter Schnitt mit leichten Blessuren ist ihr allemal lieber als eine ewig klaffende Wunde. Doch der Versuch scheitert kläglich. Im Zimmer befinden sich Arthur, Nolya und der ungestüme Bobby Brandon. Bobby beleidigt Arthur aufs Heftigste. Dann fällt ein Schuss und Bobby liegt in seinem Blut. Was ist passiert? Wer hat geschossen? Wieso hält der Linkshänder Bobby die Tatwaffe in seiner rechten Hand? Nolya nimmt die Schuld auf sich. Für sie ist es der Ausweg aus einer ausweglosen Situation. Doch der Weg in die innere Befreiung ist ihr versperrt worden. Zu viele Ohren, zu viel Zeugen. Einzig das Tribunal kann, so grotesk es erscheinen mag, ihr diesen Weg ebnen.

Wilson Collison portraitiert einmal mehr –wie schon in „Die Nacht mit Nancy“ eine Frau, die die Gesellschaft liebt, die von der Gesellschaft geliebt wird, ihre Regeln jedoch mit ihren zarten Füßchen in den glitzernden Pumps tritt. Sie weiß nicht wie man sich einfügt, ist jedoch elementarer Bestandteil dessen, was sie im Tiefsten ihres Herzen verabscheut. Ein Ende mit Schrecken ist in ihren Augen der beste Ausweg als der sprichwörtliche Schrecken ohne Ende. Sie versucht – schließlich ist sie eine Rebellin, das wird ihr immer wieder gesagt, bis sie es selbst glaubt – sich selbst ihrer Rebellion in den Weg zu stellen, in dem sie anfängt die Regeln der Gesellschaft zu beachten. Sie will einen vernünftigen Weg wählen, um der Misere ihrer chancenlosen Liebe zu entkommen. Doch auch dieser Weg ist steinig und führt mitten in die Katastrophe. Aber wer weiß, vielleicht hält das Schicksal doch ein happy end für die rastlose Nolya parat?

Desperation road

Drogen und Prostitution – zwei Dinge, die sich bedingen, um das Dritte im Bunde – das Leben ertragen zu können. Diese hohle, und zudem absolut falsche Phrase, würde Maben nicht einmal mehr ein müdes Lächeln abgewinnen. Sie und ihre Tochter Annalee sind in Mississippi auf dem Weg in ein neues Leben. Die Habseligkeiten in einem Müllsack hecheln sie einer Stadt entgegen, in der ein Frauenhaus und ein Job nicht gerade auf sie warten, aber Linderung des Schicksals verspricht.

Russell Gaines ist auch auf dem Weg. Dem Weg nach Hause. Endlich. Wieder. Endlich wieder nach Hause. Elf Jahre konnte er diesen Weg nicht antreten. Die Gefängnismauern hielten ihn im Würgegriff. Zuhause warten sein Vater und eine Hausangestellte nicht auf ihn. Aber sie sind da. Genauso wie die Feinde von einst in Gestalt der beiden übersichtlich intellektuellen Brüderpaares Walt und Larry. Russell soll gleich spüren, dass er hier nicht willkommen ist.

Zwei Menschen auf dem Weg aus dem seelischen Nichts hinein ins Licht, das sie doch noch zu sehr blendet als dass sie seine Schönheit wahrnehmen können.

Mabens Martyrium begann vor Jahren als sie mit ansehen musste wie ihr Freund bei einem Autounfall ums Leben kam. Von da an ging alles bergab. Im Frauenhaus kann sie endlich durchatmen. Annalee wird liebevoll betreut während sie in einem Diner für Ordnung und Sauberkeit sorgt. Doch leider finden die Angestellten des Frauenhauses eine Pistole in Mabens Klamottensack. Die bekommt zufällig mit, dass die Polizei gerufen und wird gerät in Panik. Sie stiehlt die Waffe, hält sie einem Autofahrer an die Wange und flüchtet. Raus hier, irgendwo hin! Sie Pistole hat sie einem Polizisten abgenommen, der seiner Macht freien Lauf ließ und Maben vergewaltigte. Aus Notwehr erschoss sie ihn.

In derselben Nacht wird Russell angehalten. Zum Glück für ihn erkennt ihn der Deputy sofort. Denn Russell hat eine geladene Waffe bei sich, leere Bierfalsche im Fond, und sein Führerschein ist seit Jahren abgelaufen. Drei Dinge, die ein gerade aus dem Strafvollzug Entlassener nicht vorweisen sollte. Gnade vor Recht. Russell kommt noch einmal davon. Jetzt hält ihm eine aufgebrachte Frau einen Revolver an die Wange.

Michael Farris Smith lässt hier drei Lebenswege kreuzen bzw. aufeinander knallen, die erst am Ende des Buches klar werden. Maben ist eigentlich am Ende ihres Weges. Nur Annalee lässt sie den steinigen Pfad weiter beschreiten. Larry und Walt kennen nur Hass auf den Kerl, der ihrem Sohn und Neffen die Zukunft nahm. Und Russell will nur eines: Leben. Er hat gebüßt. Doch der Strudel der Ereignisse lässt ihn nicht los. Immer tiefer zieht es ihn in einen Abgrund, den er nicht kommen sehen konnte. Die in jeder Silbe aufbrechende Sympathie für Maben und Russell lässt den Leser als Gefangenen der Worte nicht mehr los. Die Wucht der Worte hinterlässt tiefe Striemen im Herzen des Lesers, der sich diese Wunden immer wieder genüsslich leckt.

Wer die Nachtigall stört – Graphic Novel

Es gibt (hoffentlich!) keinen besseren Zeitpunkt dieses Buch noch einmal zu veröffentlichen! In einer Zeit, in der Mächtige dem Kleingeist selbst in humanistischen Gesellschaften Brot wie süßen Kuchen vorwerfen, und in denen die Kleingeister ihre Angst legitimiert mit Hass freien Lauf lassen. „Wer die Nachtigall stört…“ als Graphic novel – ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass man nur mit Bildern kleingeistigem Hassgeschwafel entgegentreten kann. Nein, diese graphic novel ist ein weiterer Baustein im Gebilde der antirassistischen Literatur.

Scout und ihr Bruder Jem verbringen zusammen mit Dill, der den Sommer über bei seiner Tante verbringt (unverkennbar der blässliche Truman Capote), einen unbeschwerten Sommer. Bis Atticus Finch, der Vater von Scout und Jem einen Schwarzen vor Gericht verteidigt, der ein (weißes!) Mädchen vergewaltigt haben soll. Die Stimmung hier im Süden der USA ist eindeutig: Der Nigger war’s! Das Schimpfwort wird von Harper Lee bewusst verwendet, da es elementar die Stimmung der Zeit und des Ortes wiedergibt. So sehr sich der Gerechtigkeitsfanatiker Atticus auch bemüht, die Stimmung will und will nicht kippen.

Atticus‘ neugierige Kinder, Scout ganz besonders, werden auf unliebsame Weise in den Prozess hineingezogen. Die Unbeschwertheit eines Sommers wird ihr ganzes Leben verändern. So wie dieses Buch Generationen von Lesern beeinflusst hat und es in Zukunft hoffentlich noch tun wird.

Der Roman erschien vor über fünfzig Jahren zum ersten Mal, kurze Zeit später auch schon auf Deutsch. 2018 ist das Jahr, in dem der Geschichte eine weitere hinzugefügt werden kann.

Diesen unbestrittenen Klassiker als graphic novel zu veröffentlichen, birgt die Gefahr der Vereinfachung und der Seichtheit in sich. Denn dem Leser könnte die Phantasie verengt werden. Fred Fordham gelingt es meisterhaft dieser Verschlichtung mit jedem Strich entgegenzuwirken. Die stimmungsvolle Unschuld kindlichen Daseins in kräftigen Farben, die schreckliche Vorverurteilung aufgrund der Hautfarbe in düsteren Farben vermitteln von Anfang an die Stimmung, die Harper Lee in ihrem preisgekrönten Werk (Pulitzerpreis 1961) vermitteln wollte. Wer meint, dass er das Werk verinnerlicht hat, weil der die Verfilmung (u.a. Oscar für Gregory Peck als Atticus Finch) als ultimative Inszenierung ansieht, kommt beim Lesen dieser Ausgabe ins Grübeln. Der eigenen Phantasie, die beim Lesen einsetzt, wird hier lediglich ein wenig auf die Sprünge geholfen. Keine Spur von Verfremdung oder gar Verfälschung. „Wer die Nachtigall stört…“ bekommt Familienzuwachs auf höchstem künstlerischem Niveau.

Mutter und Tochter

Da staunt Homer Wycherly nicht schlecht. Der Ölmagnat hat sich gerade eine zweiwöchige Kreuzfahrt durch die Südsee gegönnt. Mal abschalten. Von alle dem Stress, von der Arbeit. Und vor allem von seiner Ex-Frau Catherine. Die hat ihm noch bei seiner Abreise eine furiose Szene gemacht und den Reisenden ein ordentliches Spektakel geboten. Und nun, endlich wieder daheim, da, wo er sich am wohlsten und sichersten fühlt, fehlt von seinem Schatz, seiner Tochter Phoebe jede Spur.

Phoebe ist so ein liebes Ding. Immer höflich, tut, was man ihr sagt. Der Abgang vom College in Stanford war zwar ein herber Rückschlag für den stolzen Vater, doch das College in Boulder Beach ist auch nicht zu verachten. Doch Phoebe ist weg. Ihre Mitbewohnerin Dolly Lang (toller Name, der passt auch so herrlich zu der leicht als einfältig zu beschreibenden Zimmergenossin) weiß, dass Phoebe zurückkommen wird. Schließlich hat sie ihr das ja gesagt. Kein Grund zum Zweifeln. Phoebes Freund Bobby hat dagegen eine harte Zeit hinter sich. Er vermisst Phoebe schmerzhaft. Eine Erklärung kann er Lew Archer auch nicht geben.

Lew Archer wurde von Homer Wycherly damit beauftragt das flügge gewordene Früchtchen aufzuspüren. Archer würde gern mit der Mutter, der so verhassten Catherine sprechen. Doch Homer Wycherly hält das für keine gute Idee. Vielmehr verbietet er es sogar der Spürnase. Der gute Ruf der Familie stünde auf dem Spiel. Wie soll man da ermitteln, wenn die wohl wichtigste Person – nach der Vermissten, natürlich – nicht involviert werden soll?

Klinken putzen heißt es für den feinsinnigen Schnüffler. Je mehr er fragt, desto verworrener wird der ganze Fall. Ein zwielichtiger Immobilienhai hat offenbar seine gierigen Finger im Spiel. Und so unschuldig wie Phoebe dem Vater vorkommt, ist die Kleine gar nicht. Ein bisschen zu sehr zugeknöpft, dann wieder überbordend tatkräftig. Depressionen? Mmmh, vielleicht. Beim Psychodoc war sie jedenfalls. Aber nur ein paar Mal. So viel weiß Dolly Lang. Doch Lew Archer weiß immer noch nicht mehr. Geschweige denn, wo er den nächsten Hebel ansetzen soll.

Und so reist er von Motel zu Hotel, quer durch Kalifornien, nur um schlussendlich festzustellen, dass es nur einen Ort gibt, an dem die Lösung sich zeigen wird. Doch ihr Aussehen ist erschreckend. Die Lügen sind bis ins Innerste der Familie Wycherly vorgedrungen und haben ihre Unheil bringenden Wurzeln tief ins Fleisch von Homer, Catherine, Phoebe sowie auch Trevor und Helen, Homers Schwager und Schwester, geschlagen.

Jede Aktion zieht eine entsprechende Reaktion nach sich. Das hat bereits vor mehreren Hundert Jahren Isaac Newton formuliert. Doch das, was Ross Macdonald seinen Helden angedeihen lässt, ist finsterste Bigotterie und ein feistes Lügengebilde. Zum Glück alles nur Fiktion. Mit geschmeidiger Sprache und zielstrebiger Eloquenz stolpert Lew Archer nicht einen Moment. Jeder Ansatz von Hindernissen wird als Sprungbrett für weitere Erkenntnisse geschickt ausgenutzt. Die Vergangenheit wird niemals ruhen so lange Männer wie Lew Archer ihre Aufträge ernst nehmen.

Bauhaus – Ein fotografische Weltreise

Wenn große Jubiläen anstehen, Jahrestage spricht man oft davon, dass diese ihre Schatten vorauswerfen. 2019 wird 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Weimar, Dessau, Berlin – überall wird man dieses nur auf den ersten Blick schlichten und funktionalen Stils gedenken. Doch von Schatten ist da nichts zu sehen. Vielmehr erhellen die Strahlen der Vergangenheit das Jetzt und Morgen. Und so präsentier sich auch dieses Buch. Schon das Titelbild lässt eine Bauhaus-Schöpfung (Casablanca) im strahlenden Sonnenlicht des Maghreb den Leser und Betrachter erahnen, was auf den folgenden 240 Seiten auf ihn zukommt.

Und das ist eine ganze Menge! Bauhaus wird allgemeinhin als originär deutscher Baustil angesehen. Außerhalb Deutschlands war dieser Stil aber mindestens genauso anerkannt und vor allem beliebt. Was daran lag, dass viele Protagonisten ab einer bestimmten Zeit in Deutschland nicht mehr arbeiten konnten, die meisten nicht mehr durften.

Diese fotografische Weltreise führt den Interessierten an Orte, die er vielleicht schon mal besucht hat. Und dann ist im Rausch der Gefühle und Eindrücke so mancher Bauhaus-Edelstein untergegangen. Von Indien über Libanon, von Afghanistan (leider schwer beschädigt) bis Burundi – Bauhaus ist überall. Und damit ist nicht die Baumarktkette gemeint, die sind in weniger Ländern vertreten. Kambodscha, Kuba, Indonesien, Guatemala – Fotograf Jean Molitor ist ganz schön rumgekommen, um diesem Bildband den Stempel Weltkunst aufzudrücken. Die erklärenden Texte von Kaija Voss ordnen jedes noch so kleine Detail, jedes Element, das Bauhaus so unverkennbar macht, wird beschrieben.

Wer also demnächst durch Rostock oder Phnom Penh, Hamburg oder Chavigny, durch Weißensee oder Bukavu spaziert, wird garantiert seine Augen offenhalten, um bloß nicht wieder Erinnerungen an die Heimat zu verpassen. Oder man beschreitet den umgekehrten Weg. Alang, Udaipur, Quetzaltenango besuchen, um das Bauhaus im besonderen Licht der Ferne auf sich wirken zu lassen.

Endlich mal eine Prachtband, der einem nicht das Blut in den Oberschenkeln abschnürt. Die Motivauswahl ist exzellent, die Stimmung der Szene wird so eingefangen wie sie wirklich ist. Bauhaus wird hundert – jeder, der jetzt anfängt ein weiteres Buch über dieses außergewöhnliche Jubiläum zu schreiben, muss mit dem Scheitern seines Projektes rechnen. Es geht kaum besser!

Welcome to borderland

Über dreitausend Kilometer soll er lang sein, zehn Meter hoch – der Grenzbefestigungswall zwischen den USA und Mexiko. Die Mauer! Das hat der neue Präsident der USA versprochen. Und viele jubelten ihm zu … undwählten ihn. Bis jetzt hat er sein Versprechen nicht eingehalten. Und dennoch gibt es sie, die Mauer. Die Mauer, die das arme Mexiko vom den reichen USA trennt. Nur partiell, dennoch ist sie da.

Jeannette Erazo Heufelder hat 2017 eine lange Reise unternommen. Eine über dreitausend Kilometer lange Reise entlang des Rio Grande, der in Mexiko Rio Bravo heißt – so wie der amerikanische (!) Western. Es ist jedoch nicht nur eine Reise von A nach B gewesen, es ist eine Reise in die Vergangenheit, mitten durch die Gegenwart, die Zukunft ist ungewiss.

Die Autorin schlägt einen weiten Bogen. Von damals als Texas noch zu Mexiko gehörte, Kalifornien Arizona und einige andere Bundesstaaten und Gebiete ebenso. Sie berichtet von Kriegen, von vorsichtshalber angesiedelten Menschen, um sich vor den spanischen Kolonialisten zu schützen, von Alamo, Indianern und dem Freiheitskampf eines Emiliano Zapata und vom Drogenkrieg.

In der Grenzregion zu wohnen ist ein gefährliches Unterfangen. Nur diejenigen, die (oft mehrmalige) tägliche Kontrollen gutheißen, fühlen sich hier sicher. Auf mexikanischer Seite befindet sich die Stadt Mexicali, auf amerikanischer Seite Calexico. Die Nähe zueinander ist nicht zufällig und spiegelt sich nicht nur in der Namensähnlichkeit wider. Vieles, was hier nördlich und südlich der Grenze, die einmal nur durch einen Fußstrich im Sand besiegelt wurde, geschieht, beruht auf historischen Missverständnissen und Kriegen. Der erste Schuss im amerikanisch-mexikanischen Krieg fiel bei den Mexikanern. Dass die Amerikaner bei ihrer Reaktion schon auf mexikanischem Boden standen, wies der Präsident als „fake news“ zurück, wenn er den Begriff zur Hand gehabt hätte.

„Welcome to Borderland“ lässt uns eine Blick hinter über den Zaun und hinter die Mauer werfen. Trostlos und hoffnungsvoll zugleich ist das Leben beiderseits von Borderland. Trostlos, weil es kaum jemals eine Chance geben wird, dass sich an diesem Ort etwas zum Besseren wenden wird. Hoffnungsvoll, weil es trotz all der Repressalien einen nicht enden wollenden Strom von Menschen gibt, die die Grenze tagein, tagaus überqueren. Die Grenzregion auf amerikanischer Seite in und um San Diego erwirtschaftet einen Milliardenumsatz, der sich auch im Staatshaushalt niederschlägt. Würde die Grenze dichtgemacht werden, wäre dieses Loch nur schwer zu stopfen. Und damit wäre wohl auch die Frage geklärt, warum die Mauer immer noch nicht steht…

Der blühende Brunnenrand – In 18 historischen Märchen um die Welt

Da kann man sagen, was man will: Märchen sind immer noch die Nummer Eins bei Groß und Klein! Selbst, wenn man sonst seine Lider mit einem fesselnden Krimi zum Schließen bringt, ist es ein Märchen, das einem süße Träume bringt. Prinzessinnen und ratgebende Alte, Feen und spöttelndes Fußvolk verhelfen in diesen Märchen den Helden zum ersehnten Ruhm. Und dabei ist es ganz egal, wo auf der Welt ihr verwunschener Wald, ihr ritterliches Schloss stehen oder ihre Heldentaten begangen werden.

Josefine Rosalski ist keine Märchentante mit Dutt und verrutschter Brille, die in ihrem Sessel sitzt und Kinderaugen mit Erzählungen zum Leuchten bringt. Sie ist diejenige, die Märchentanten wahr werden lässt. Denn wer dieses Buch an der richtigen Stelle, vor dem richtigen Publikum auf dem Schoß liegen hat, hat alles richtig gemacht!

Und ganz gleich, wo auf der Welt die Märchen zum ersten Mal erzählt wurden, sie haben immer ein Happy end. Ist das nicht toll?! Sie ähneln sich manchmal sogar. Denn nur wer geduldig ist, bekommt den Hauptpreis. Der kommt in Gestalt einer Prinzessin daher. Und wer gütig ist, wer die Natur respektiert, wer lieber nachgibt als nach vorn zu preschen, wird reich belohnt. Wie leicht es doch ist, die Welt anzunehmen, statt sie beherrschen zu wollen.

Jedes einzelne Märchen, von Hawaii bis Dänemark, von Spanien bis Alaska, von Estland bis Indonesien zieht den Leser in seinen Bann.

Viele Geschichten kommen dem Leser seltsam bekannt vor. Es sind überall auf der Welt die gleichen Sehnsüchte, die die Märchenerzähler seit Jahrhunderten zu ihren Phantasien treiben. Arm gegen Reich, Gut gegen Böse, Verzweiflung gegen Übermut. Vielleicht sollten solche Märchenbücher – auf einer der ersten Seiten schöpft man noch einmal Hoffnung, wenn man das Buch allzu schnell ausgelesen hat, denn dort steht: „edition karo, Märchen 01“, was auf eine Fortsetzung hoffen lässt – auf Politikertreffen ausgegeben werden. Es ist so einfach die gute Fee zu spielen…

„Der blühende Brunnenrand“ ist ein Sammelband für Leser jeden Alters und Zuhörer, die es schaffen mindestens zehn Minuten ruhig sitzenzubleiben. Was bei dem Füllhorn an erstklassigen Geschichten allerdings kein großes Problem darstellen sollte. Weit weg von „Es war einmal…“ und „… sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ schweift man mit diesem Buch in andere Welten. Zum Einen geographisch. Zum Anderen, und das ist das Wichtigere, reist man im Kopf durch die magische Welt der Märchen. Ein Glücksgriff, jedes Mal, wenn man ins Regal greift.

Das dunkle Herz der Stadt

Washington D.C., selbst ernannte Welthauptstadt mit dem Anspruch die Welt vor dem Bösen zu bewahren. Und wie sieht’s vor der eigenen Haustür aus? Bronzeplatz bei den Tötungsdelikten. Nur in Baltimore und Detroit werden statistisch mehr Menschen ermordet.

Und in dieser gefährlichen Stadt ist Nick Stefanos Barkeeper – und sein bester Kunde. Außerdem ist er Privatdetektiv, hier ist er allerdings nicht Kunde, sondern Dienstleister. Letzte Runde, letzter Kunde, Glas raus und schon rinnt der Bourbon entspannend die Kehle runter. Tür auf, raus in die Nacht, ein Nickerchen, Krawall. Ein dicker Schädel und keinerlei Erinnerung.

Calvin Jeter würde diese niemals vergessen, wäre er nicht er schossen worden. Ganz leise hat man ihm das Licht ausgeschossen. Schalldämpfer, doch war laut man laut genug, um einen besoffenen Penner kurzzeitig aus dem Schlaf zu holen. Doch der war so sehr im Rausch, dass er nichts mehr mitbekam. Nick Stefanos war der, der im Rausch war.

Nun könnte man vermuten, dass Nick Stefanos so ein hartgesottener Bursche ist, der dem Leben vor die Füße kotzt. Dem Menschen egal sind, weil sie eh alle verkommen sind und lügen. Doch Nick hat auch eine sanfte Seite. Ist er erst einmal nüchtern, kann er ein echter Kuschelbär sein. Als er – aus eigenem Antrieb heraus – Ermittlungen zum Tod des jugendlichen Calvin anstellt, ist er lammfromm als er Calvins Mutter besucht. Sie ist diejenige, der das Leben immer wieder Zitronen schenkt und die sie mit verzogenem Gesicht ausschlürft. Ein echtes Herzchen eben, und Nick auch. Nur anders. Das ist wohl der Einfluss von Freundin Lyla, die ihn immer wieder aufbaut, wenn er abgestürzt ist.

Calvin Jeter und sein Kumpel Roland Lewis sind laut Polizei Mitglieder einer Drogenbande. Also zwei Opfer, die an ihrem Schicksal selbst Schuld tragen. Nick Stefanos und sein eigenwilliges Team (Ex-Säufer, Ex-Bulle) aus Leuten, die jemanden kennen, der jemanden kennt … usw. gehen aber einer anderen Spur nach: Pornos, harte Pornos, für eine ausgewählte Käuferschaft. Herzlos und unnachgiebig ist man in diesem Geschäft. Calvin musste dies bei seiner Hinrichtung – und nichts anderes war es – am eigenen Leib erfahren.

George Pelecanos lässt Nick Stefanos leiden. Erst durch den Alkohol, dann durch die eingebildete Schuld am Tod der beiden jungen Männer und schließlich auch daran, dass die Beziehung zu Lyla in die Brüche geht. Dennoch ist der Fall für Nick auch eine Chance vom Alkohol wegzukommen. Auf geradem Weg ist den Mördern nicht beizukommen. Nick braucht also dringend seine grauen Zellen. Das Sündenbabel Washington wird fernab von White House, Capitol und Jefferson Memorial zum greifbaren Morast aus Peerversion und Perfidität. Da kommt einer wie Nick Stefanos gerade recht!

Die gelbe Tapete

Wie man es dreht und wendet: Sie hat den Blues. Den Baby-Blues. Kurz nach der Entbindung geht es einer jungen Frau nicht so wie man es allgemein erwartet. Sie fühlt sich schlapp. Selbst geringe Aufgaben zehren an ihren Kräften. Ihr Mann John ist Arzt und verordnet ihr, sich selbst und dem kleinen Wurm einen ausgedehnten Erholungsurlaub. Ein kleines Häuschen weit weg von allem, was an Alltag erinnern könnte, ist schnell gefunden.

Ein hübsches kleines Idyll in nicht minder idyllischer Umgebung. Doch es will sich keine Erholung einstellen. An Besucher ist gar nicht zu denken. Als dann doch eine Party steigt – irgendwann muss das Einsamkeitsidyll ja auch mal ein Ende haben – darf sich die junge Frau an keinerlei Vorbereitung beteiligen.

Denn das Idyll hat Risse. Und damit sind keineswegs selbige in der Wandverkleidung gemeint. Schön wär’s, wenn es doch so wäre. Die Tapete, die gelbe Tapete, macht der Rekonvaleszenten gehörig zu schaffen. Die Farbe allein reicht schon, um sich aufzuregen. Durch die Sonne teils verblasst. Angesiedelt irgendwo zwischen Durchfall und Auswurf. Das alles ist mit ein bisschen gutem Willen verschmerzbar. Doch das Muster! Oh je! Ein Muster zum Verrücktwerden. Immer mehr steigert sich die junge Mutter in wilde Geschichten, was das Muster ihr erzählen kann, erzählen will, hinein. Erholung ade! Drehbuchschreiber könnten aus ihren Psychosen mörderische Geschichten erfinden. Von Monstern, die des Nachts aus ihrer Zweidimensionalität kriechen und dreidimensional für Schrecken und Horror sorgen. John bemerkt die Veränderungen an seiner Frau nicht. Vielmehr sorgt er sich, dass seine Behandlungsmethoden nicht anschlagen. Erst kurz vor dem Ende des Erholungsurlaubes, der diese Bezeichnung noch nie verdient hatte, sind die Anzeichen für Schlimmeres nicht mehr von der Hand zu weisen…

Charlotte Perkins Gilman – drei Jahr vor ihrem Tod wurde ein anderer, durch seine Rolle in einem Psycho-Streifen weltbekannter Schauspieler geboren: Anthony Perkins, der Norman Bates aus Hitchcocks „Psycho“ – macht die Beklemmung einer jungen Frau greifbar, die gefangen ist zwischen Pflicht- und Traumerfüllung. Sie will eine gute Mutter sein, kann es aber nicht, weil ihr die Kraft fehlt. Ebenso wie das Eingeständnis, dass sie sehr wohl das Recht hat ihrem Mann alles zu gestehen. Der wird unfreiwillig zum Handlanger des Bösen. Er sieht nicht, vielleicht will er aus falsch verstandenem Standesbewusstsein es auch nicht sehen, wie sehr seine Frau sich ängstigt in dem Zimmer mit der gelben Tapete.

Ein kleines Buch, das man gleich zweimal, oder sogar doppelt lesen kann. Denn zum Einen ist der englische Originaltext abgedruckt, zum Anderen die Neuübersetzung von Christian Detoux. Und zwar wortwörtlich Seite für Seite. Die Spannung des Originaltextes, der in seiner Intensität an Edgar Allan Poe erinnert, der Charlotte Perkins Gilman rund ein halbes Jahrhundert voraus war, verliert mit keiner Silbe durch die Übertragung ins Deutsche. Ideal für Parkspaziergänge, Erkundungen in unheimlichen Burgruinen oder als tiefgreifende Bettlektüre.

Krumme Type, krumme Type

Eine vom Staub geschwängerte Luft, das Auge kann gar nicht so weit schauen wie es die Landschaft hergibt, und eine unbarmherzige Hitze – das ist die Heimat von Larry Ott. Chabot, Mississippi. Sein Traktor schnurrt, die vom Vater geerbte Werkstatt siecht dahin und der Briefkasten birgt auch nur wenig Abwechslung – Larrys Leben ist trostlos. Seit damals, als Cindy Walker verschwand und er der einzige Verdächtige war. Und man ihm nichts nachweisen konnte. Seitdem, ja seitdem ist Larry Ott der einsamste Mensch auf Erden. Ab und zu kommt die Polizei in Person von French vorbei. In letzter Zeit wieder häufiger. Tina Ruhterford, neunzehn Jahre jung und die Tochter des Mannes, dem hier im Umkreis von endlosen Meilen jeder Grashalm, und sei er noch so verdorrt, gehört. Klar, dass Larry suspect #1 ist. Er versteht das, lässt French seine Arbeit tun.

Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass Cindy Walker verschwand. Larry und Cindy wollten ins Kino fahren. Larrys Vater, der bis dahin ihm entweder lediglich die Hand reichte oder die Faust ins Gesicht schlug, steuerte sogar Fahrzeug und ‘nen Zwanziger bei. Ihr Stiefvater nahm sich Larry gehörig zur Brust. Larry sei der einzige, mit dem er die „kleine Hure“ ausgehen ließ. Und wehe er stelle irgendwas mit ihr an. Dann … Kaum im Auto wird aus dem braven Mädchen von nebenan ein Wildfang. Doch die erhoffte wilde Knutscherei gerät zum Desaster. Sie wolle gar nicht ins Kino. Hatte sie nie vor. Vielmehr will sie zu ihrem Freund. Und der Abend mit Larry ist nur ein Vorwand. Sie ist nämlich schwanger und müsse nun einiges besprechen. Nach dem Kino könne Larry sie ja wieder abholen, so dass es für alle, die nichts von ihrem Schicksale wissen dürfen, es so aussähe als hätte sie einen vergnügten Abend mit dem Jungen von nebenan verbracht. Ein genialer Plan – wenn er denn funktioniert hätte. Denn Cindy ist auf einmal verschwunden.

Genauso wie der schwarze Junge, mit dem Larry sein ein paar Jahren befreundet ist. Silas. Im Staat Mississippi Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre immer noch ein Ereignis, über das man sich allenorts das Maul zerfetzt.

Tja, heute ist Silas Polizist und Larry hat das Damals verdrängt.

Tom Franklin kreiert ein Panoptikum der Archetypen. Väter, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Verschüchterte Kinder, die ihr Schicksal mit durchs Leben schleifen wie Schröder seine Schmusedecke und über allem der Schleier der Vergangenheit. So stickig die Luft in Chabot, Mississippi, so schäbig das, was dort hinter verschlossenen Türen geschah und immer noch geschieht. Die Geister der Vergangenheit kriechen aus ihrem Asyl hervor und verwandeln das sich dem Fortschritt verweigernde stille Örtchen in eine Kloake der Widerwärtigkeit. Ein frischer Wind würde hier wie da guttun.

Und dieser kommt getarnt als Zugluft im Sog einer Kugel geflogen, die Larry trifft. Eine zweite „Frischluft“-Kugel trifft Wallace Stringfellow, der sich auffallend aufdringlich zeigt und Larrys Freundschaft erzwingen will. Das dritte laue Lüftchen wird durch den Schwanz einer Schlange in einem Briefkasten durch den Ort gejagt. Doch das ist alles nichts gegen die Vergangenheit von Larry und Silas…