Wer die Nachtigall stört – Graphic Novel

Es gibt (hoffentlich!) keinen besseren Zeitpunkt dieses Buch noch einmal zu veröffentlichen! In einer Zeit, in der Mächtige dem Kleingeist selbst in humanistischen Gesellschaften Brot wie süßen Kuchen vorwerfen, und in denen die Kleingeister ihre Angst legitimiert mit Hass freien Lauf lassen. „Wer die Nachtigall stört…“ als Graphic novel – ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass man nur mit Bildern kleingeistigem Hassgeschwafel entgegentreten kann. Nein, diese graphic novel ist ein weiterer Baustein im Gebilde der antirassistischen Literatur.

Scout und ihr Bruder Jem verbringen zusammen mit Dill, der den Sommer über bei seiner Tante verbringt (unverkennbar der blässliche Truman Capote), einen unbeschwerten Sommer. Bis Atticus Finch, der Vater von Scout und Jem einen Schwarzen vor Gericht verteidigt, der ein (weißes!) Mädchen vergewaltigt haben soll. Die Stimmung hier im Süden der USA ist eindeutig: Der Nigger war’s! Das Schimpfwort wird von Harper Lee bewusst verwendet, da es elementar die Stimmung der Zeit und des Ortes wiedergibt. So sehr sich der Gerechtigkeitsfanatiker Atticus auch bemüht, die Stimmung will und will nicht kippen.

Atticus‘ neugierige Kinder, Scout ganz besonders, werden auf unliebsame Weise in den Prozess hineingezogen. Die Unbeschwertheit eines Sommers wird ihr ganzes Leben verändern. So wie dieses Buch Generationen von Lesern beeinflusst hat und es in Zukunft hoffentlich noch tun wird.

Der Roman erschien vor über fünfzig Jahren zum ersten Mal, kurze Zeit später auch schon auf Deutsch. 2018 ist das Jahr, in dem der Geschichte eine weitere hinzugefügt werden kann.

Diesen unbestrittenen Klassiker als graphic novel zu veröffentlichen, birgt die Gefahr der Vereinfachung und der Seichtheit in sich. Denn dem Leser könnte die Phantasie verengt werden. Fred Fordham gelingt es meisterhaft dieser Verschlichtung mit jedem Strich entgegenzuwirken. Die stimmungsvolle Unschuld kindlichen Daseins in kräftigen Farben, die schreckliche Vorverurteilung aufgrund der Hautfarbe in düsteren Farben vermitteln von Anfang an die Stimmung, die Harper Lee in ihrem preisgekrönten Werk (Pulitzerpreis 1961) vermitteln wollte. Wer meint, dass er das Werk verinnerlicht hat, weil der die Verfilmung (u.a. Oscar für Gregory Peck als Atticus Finch) als ultimative Inszenierung ansieht, kommt beim Lesen dieser Ausgabe ins Grübeln. Der eigenen Phantasie, die beim Lesen einsetzt, wird hier lediglich ein wenig auf die Sprünge geholfen. Keine Spur von Verfremdung oder gar Verfälschung. „Wer die Nachtigall stört…“ bekommt Familienzuwachs auf höchstem künstlerischem Niveau.