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Ellis

Wie soll man in der Fremde Halt finden, wenn der Boden aus einem Gemisch auf Ablehnung gebaut ist? Ellis kennt die Antwort auf diese Frage nicht. Sie ist mit ihrer Mutter aus Italien nach Deutschland gekommen. Alles um sie herum ist fremd. Die Menschen, die Sprache, die Kultur. Vor allem aber diejenigen, die jede Minute um sie herum sind.

Das ändert sich als Grace in ihr Leben tritt. Auf Anhieb sind sich beide so nah wie es sonst nur Schwestern sein können. Von nun an gibt es sie nur noch im Doppelpack. Selbst Ellis’ Mutter bekommt die Tochter nur noch selten zu sehen. Niemals würden sie getrennt sein. Ellis weiß das und klammert sich daran fest wie ein Koala an einem Eukalyptusbaum.

Doch Grace verändert sich. Und wechselt – wie Ellis es sieht – die Seiten.

Jahre später kommen sich beide – nun schon – Frauen wieder näher. Sie verbringen eine Zeit in Italien. Bei Ellis’ Familie. Bei der Nonna. Vorsichtig rücken Ellis und Grace näher aneinander. Gehen gemeinsam die Umgebung erkunden, die für beide fremd ist. Ellis hat ihre Heimat nun in Deutschland. Und Grace kennt in dieser Gegend nichts und niemanden. Außer Ellis. Dennoch schaffen es beide nicht das, was damals geschah aufzuarbeiten. Warum wechselte Grace die Seiten? Die Frage wird in den Raum gestellt. Dort bleibt sie allerdings auch. Oder sind es gar die Worte, die nicht ausgesprochen werden, die die Verständigung so einfach machen?

Selene Mariani ist in Verona und Dresden aufgewachsen. Ihr Romandebüt weißt Spuren dieses Weges auf. Wohlwollend gibt sie beiden Frauen den Raum, den sie benötigen, um sich frei entfalten zu können. Dass das nicht immer schmerzfrei über die Bühne gehen kann, wird ihnen erst im Laufe der Zeit klar.

Mit behutsamen Worten, im rasanten Wechsel der Zeitebenen und unverwüstlichem Glauben daran, dass die beiden wieder zueinander finden werden, berauscht man sich am Festival der Gedanken zweier Frauen, die sich nur eines wünschen: Endlich wieder beisammen zu sein und die Geister der Vergangenheit in den azurblauen Himmel aufsteigen zu sehen.

Europa erlesen – Leipzig

„Mein Leipzig lob’ ich mir, es ist mein klein Paris“ – ach, immer nur Paris, Paris, Paris, wenn es um Europa geht. Schon olle Goethe wusste die Metropole im Herzen Deutschlands zu schätzen. Wobei viele der Meinung sind, dass er dabei vor allem die lukullischen Spezialitäten im Allgemeinen, und die alkoholischen im Speziellen meinte. Dennoch ist es so, dass wer Leipzig nur einmal besucht, schon vor der Abreise den nächsten Aufenthalt im Kopf hat.

Das ist keine Erfindung der Moderne. Vielmehr ist es so, dass schon vor Jahrhunderten die Stadt von den modernsten Köpfen in den allerhöchsten Tönen gepriesen wurde. Nachzulesen in diesem Büchlein. Das hellblaue Exemplar der „Europa-erlesen-Reihe“ prahlt mit der bekannten Namensliste der Autoren, die sich im Laufe ihres Lebens mit Leipzig auseinandergesetzt haben. Und das beginnt nicht nur bei Goethe, und hört ebenso noch lange nicht bei ihm auf.

Wer die Inschrift des Leipziger Gewandhauses liest, die übersetzt „Reine Freude ist eine ernste Sache“ (Seneca, 5 v. Chr – 65 n. Chr.) kommt dem Kulturverständnis der Stadt schneller auf die Spur als er einatmen kann. Ja, das Masurleum, wie der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, gebürtiger Ostsachse und leidenschaftlicher Leebz’scher, das berühmteste Wahrzeichen der Stadt nennt, ist der Stolz der meisten der über sechshunderttausend Einwohner. Auch nach vierzig Jahren nach dem Neubau – viele Beiträge im Buch erzählen von den Hindernissen des fast unmöglichen Vorhabens – ist es immer noch ein Synonym für Moderne. Und so geben sich hier in diesem Buch namhafte Größen die Klinke in die Hand. Brecht forderte in einem Brief an Therese Giehse einen Generalintendanten für die Stadt – die Giehse könne das doch machen?!. Lotte Lenya berichtet von Tumulten während und nach einer Aufführung („Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“). Uwe Johnson staunt über den gewaltigen Bahnhof, der ja eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Bahnhöfen besteht. Erich Kästner bezeichnet Leipzig als Märchenhauptstadt, und das als gebürtiger Dresdner (die Rivalität zwischen den Städten ist nicht so ausgeprägt wie beim Fußballduell zwischen Dortmund und Schalke, dennoch vorhanden).

Man blättert und blättert und kommt nicht umhin zu sagen, dass, wenn es so viele Leute so gut mit der Stadt meinen, dass da irgendwas dran sein muss an dieser Stadt. Also nichts wie hin … aber Vorsicht: Nicht vergessen dieses kleine Büchlein ins Handgepäck zu nehmen.

Leipzig außergewöhnlich – Impressionen

Da machen selbst gebürtige Leipziger – Leebzscher – große Augen! So schön ist die Stadt. Klar. Lokalpatriotismus ist die ehrlichste Form des Stolzes. Aber, dass es doch tatsächlich Ecken gibt, die man selbst noch nicht kennt … so muss es doch sein. Denn nur die Veränderung bringt Erstaunen hervor.

Wer Leipzig noch nicht so gut kennt, der wird in diesem Buch eine Offenbarung erleben. Abwechslungsreich ist es hier an der Pleiße. Der viel bemühte Vergleich, dass Tradition und Moderne Hand in Hand gehen, trifft hier wirklich zu.

Da blättert man sich durch Stadtansichten, bei denen man sich als Eingeborener den Kopf zerbricht, wo sich denn nun der Fotograf postiert hatte, um im richtigen Moment (mindestens genauso wichtig wie die Position) den Auslöser zu drücken.

Der bildstarke Band nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch die eindrucksvollen Stadtteile der Metropole, die sich allzu gern als heimliche Hauptstadt Sachsens sieht. Goethe und Mendelssohn-Bartholdy wirkten hier wie Wagner und Schiller. Schwerindustrie und Kultur schlossen sich hier niemals von vornherein aus. Und so verwundert es nicht, dass auf idyllische Parklandschaften im Winterschneepuderweiß nur wenige Seiten später sachliche Industrieeindrücke aus Werkhallen schlussendlich ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Das für einen derartigen Prachtband handliche Format eignet sich nicht nur zum wiederholten Blättern, sondern ist genau deswegen das ideale Geschenk für alle, die einmal die Messestadt besuchten und sie im Handumdrehen ins Herz schlossen. Und sei es „nur“, um die nächste Reise nach Leipzig zu planen. Jede Abbildung ist es wert, dass man sie vor Ort persönlich besucht.

Tag und Nacht, Sommer wie Winter, morgens und abends – hier sind Eindrücke für die Ewigkeit festgehalten. Wenn die Blaue Stunde am idyllischen Karl-Heine-Kanal ehemalige Fabrikgebäude, die heute exquisite Wohngegenden prägen, in satte Farben taucht, kann sich des Eindrucke nicht erwehren, dass diese Stadt ein Juwel ist, das viel schon entdeckt haben, jedoch noch nicht alles entdeckt wurde.

Valdarno, Casentino, Florenz

Da muss man schon mal kurz nachdenken … Valdarno, Casentino – wo liegt das denn? Die Lösung folgt prompt: Florenz. Dort in der Gegend muss es sein. Wer bei Valdarno schon das Smartphone gezückt hat, um zu schauen, wo es liegt, kann es gleich eingeschaltet lassen. Denn seit einiger Zeit ist es beim Michael-Müller-Verlag üblich zeitgleich zum Buch auch die passende App zu veröffentlichen. Das Buch im Smartphone, mit allen Tipps und Wegbeschreibungen für alle, denen der digitale Wanderweg näher liegt als die gedruckte Faktenvielfalt der besuchten Region.

Wenn man nun also herausgefunden hat, dass, wenn man Valdarno und Casentino zwei Regionen östlich von Florenz sind, kann die Reise voll durchstarten. Mit diesem Reisebuch beginnt das Abenteuer schon beim ersten Durchblättern. Egal, ob Buch oder App!

Und bei diesem ersten Durchblättern fällt dem geneigten Michael-Müller-Reisebuch-Benutzer auf: Irgendwas ist neu. Jeder Absatz wird durch blau abgesetzte Hinweisgeber wie „unbedingt…“, „… und außerdem“ oder „Was läuft“ unweigerlich in den Sog der Buches gezogen. Wenn man in einer Region ist, die man noch nie besucht hat, ertrinkt man nicht selten im Informationsüberfluss. Diese klare Gliederung vereinfacht das Erforschen der Orte, die man erkunden möchte. Nur ein scheinbar kleiner Fort-Schritt, der jedoch seine Wirkung nicht verfehlt.

Und so erblüht Casentino auf wundersame Weise. Der Arno schneidet die Region in Ost und West bei seinem Nord-Süd-Lauf. Rustikal, ursprünglich und erstaunlich ruhig ist es hier. Pralle Landschaften, die zum Schritt-Für-Schritt-Erkunden einladen. Unnötig zu erwähnen, dass die lukullischen Bedürfnisse hier vortrefflich befriedigt werden. Dass man auch ja nichts übersieht, dafür sorgt die Autorin Barbara de Mars. Kein Zweifel – sie war wirklich vor Ort und hat alle Sinne geschärft nicht nur so manchen Kochtopfdeckel gelüftet, sondern jeden ihrer Schritte dokumentiert.

Valdarno ist allein schon durch die geographische Nähe zum opulenten Florenz etwas geschäftiger. Nichts desto trotz jedoch immer noch beruhigter als die Renaissance-Metropole. In Bucine und dem Val d’Ambra muss man „unbedingt…“ die zauberhaften Reste des Castello di Cennina besuchen. Tausend Jahre alt, und nur noch in vereinzelten Überbleibseln zu besichtigen. Doch die haben es in sich. Wer sich vorher kundig macht, kann diesen zauberhaften Ort bei klassischer Musik erleben. Genau dann, wenn das Musikfestival stattfindet. „…und außerdem“ lohnt sich ein Besuch der schlichten Pfarrkirche Pieve di Petrolo“. Im Inneren zeigt sich ein Terrakotta-Schatz, der seit fünfhundert Jahren die Zier des Ortes ist. Wer auf seinem Weg das vermeintlich lapidare „was läuft“ entgegengeschleudert bekommt, kann ganz unprätentiös antworten: „das Froschfest“. Was das ist? Einfach unter im Absatz „was läuft“ nachschauen. Reisen und Infos sammeln kann manchmal ganz einfach sein. In diesem Buch ist es Standard.

Europa im Blick der Kartographen der Neuzeit

Wer schon als Kind mit dem Finger über die Landkarten in Atlanten gestrichen ist, kennt die Wirkung die Grenzen, Flüsse, Erhebungen auf die Reiselust haben. Wenn dann noch ein gehörige Portion Geschichtsinteresse hinzugefügt wird, sind Bücher wie „Europa im Blick der Kartographen der Neuzeit“ ein gefundener Augenschmaus.

Wie sah man die Welt vor beispielsweise rund vierhundert Jahren? Damals war bei Weitem noch lange nicht die ganze Welt erkundet. Geschweige denn kartographiert. Und die Urlaubsorte der Gegenwart existierten im besten Fall schon. Aber sie waren halt einfache Orte, in denen Menschen lebten und ihr Überleben mit Arbeit sicherten. Tourismus war ein Fremdwort. Und so manche Hinterlassenschaft war ein modernes Zeichen des Fortschritts der (damaligen) Gegenwart.

Simeon Hüttel nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Die kann man so nur in diesem Bildband buchen. Die Zusatzleistungen beschränken sich auf beeindruckende Abbildungen, phantasieanregende Reisen mit dem Finger über die Karten und anregende Texte, die Lust machen eventuelle einmal Jahrhunderte nach Entstehen dieser Karten auf dem einen oder anderen gezeichneten Pfad auf Erkundungstour zu gehen.

Doch Vorsicht, so mancher Ortsname hat im Laufe der Jahre seinen Namen geändert. Und wer beispielsweise den Ort Cimbri sucht, wird schnell an seine Grenzen stoßen. Es handelt sich bei Cimbri nämlich um das Volk, nicht einen Ort Cimbri.

Immer wieder werden Details aus den Karten herausgezoomt und erzeugen einen tiefen Einblick in die feine Kunst der Kartenherstellung. Oft waren es Kupferstiche, ein enorm aufwendiges Verfahren, die bis heute den Betrachter verblüffen. Betrachtet man sich diese Details kann man kleinste Linien erkennen, die aus der Ferne erst ihre Wirkung entfalten.

Besonders gravierend sind die Unterschiede zur Gegenwart bei Karten von Ländern, die im Laufe der Jahrhunderte ihre Grenzen verschoben haben, deren Grenzen verschoben wurden. Wie am Beispiel Polens und Litauens. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die abgebildete Karte entstand, wurden beide Länder von einem gemeinsamen Königreich verwaltet. Dennoch sind Polen und Litauen unterschiedlich dargestellt. Während Polen in die einzelnen Landesteile farbig untergliedert ist, wird das fast gleichgroße Großfürstentum Litauen im einheitlichen Grün präsentiert. Propaganda oder künstlerische Freiheit? Die Kirche, die Christianisierung ist – wie zu oft in der Geschichte – der Schlüssel zur Antwort.

Dieses Buch, im eleganten Pappschuber, zeigt eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Ihre Wurzeln der heutigen Welt zu kennen, ist wichtiger denn je. So farbenfroh und nachvollziehbar wurde Geographie selten dargestellt.

Am Fenster klebt noch eine Feder

Jetzt schreibt sie auch noch … so ist es nun wirklich nicht. Maria Lassnig, gefeierte Künstlerin und Trägerin prestigeträchtiger Auszeichnungen, ist ein feste Größe, mancherorts der Standard im Kunstbetrieb. Ihr Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof zieht schon wegen der Optik zahlreiche Besucher an. Noch mehr jedoch sind ihre Bilder Pilgerstätten ihrer Jünger.

Und dann passierte das, was so manchem Künstler nachträglich noch einmal einen Schub verpasst. Ein Dachbodenfund – im übertragenen Sinne – brachte eine Seite der Künstlerin ans Tageslicht, die man vermuten konnte, aber nie zu hoffen wagte. Ihr Wegbegleiter Peter Handke, Literaturnobelpreisträger 2019, sah in den Texten, Wortfetzen, nicht wenigen Zeilen ein literarisches Juwel und zugleich das Potential Maria Lassnig noch umfassender zu würdigen.

Es sind meist kurze Texte in diesem Büchlein, die wie ein Gruß aus der Künstlerküche wirken – schmackhaft, verheißungsvoll, anregend, süchtig machend. Da kommt noch mehr. Denn Maria Lassnig, hat in ihrem Künstlerleben immer wieder ihre Gedanken und Eindrücke nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit der Feder festgehalten. Dass dieser Schatz erst jetzt gehoben wurde, verwundert. Denn ihr Netzwerk zu Lebzeiten war derart umfangreich, dass man eigentlich vermuten könnte, dass nach ihrem Tod 2014 ein gewaltiger Ausverkauf hätte stattfinden müssen. Hat er aber nicht! Was ein Glück!

Denn nur so werden die Texte in ein Licht gestellt, das noch lange strahlen wird. Voller Poesie, Zartheit, aber auch voller brachialer Kraft dringt die Biennale-Preisträgerin von Venedig (2013) noch immer in die Gedanken ihrer Fans ein. Und dank dieses Büchleins erschließt die Künstlerin neue Interessenten ihrer Kunst. Verleger Lojze Wieser spricht von einer Sensation. Kuratorin Barbara Maier liest voller Erfurcht und Ergriffenheit aus dem Buch. Und selbst Kulturzeit-Moderatoren-Urgestein Ernst Grandits (der auf der Leipziger Buchmesse 2023) die Premiere des Buches moderierte, finden nur Superlative für diesen „Dachbodenfund“.

Lassnigs Werk ohne dieses Buch zu genießen, ist das Eine. Es im Zusammenspiel mit den Texten noch einmal zu betrachten, eine Offenbarung.

Wallis

Im Reigen der Schweizer Kantone nimmt das Wallis durchaus eine Sonderstellung ein. Vielleicht nicht, weil jedermann auf Anhieb den Kanton verorten kann. Wohl aber, wenn die bekanntesten Orte aufgezählt werden. Dann gibt’s ein großes Ah und ein noch größeres Oh. Dieses Ah und Oh eignet sich auch, um diesen Reiseband zu beschreiben.

Isa Ducke und Natascha Thoma sind begeisterte Wallis-Fans. Das spürt man schon, wenn man die einleitenden Worte zu Ihrem Reiseband liest. Und schon auf diesen ersten Seiten blubbert das erste Ah heraus. Ah, das Matterhorn. Klar, so einen ungewöhnlichen Berg erkennt man auf den ersten Blick. Diese Silhouette ist einzigartig.

Und so einzigartig geht es weiter. Im Rhonetal sind Wanderer im Paradies. So wie eigentlich im ganzen Wallis – aber hier im Besonderen. Da wandert man unter blauem Himmel, um sich die Berge, die nicht selten die 4000er-Marke mit einem Lächeln erreichen, quer über saftige Wiesen. Der Autolärm ist … verschwunden. Doch Vorsicht, wenn doch mal eines kommt, dann lieber zur Seite springen. Verkehrsregeln sind hier – Vorurteil der Schweizer über die Walliser – mehr Vorschläge als Regeln.

Auch der Genfer See und das noble Lausanne gehören zum Wallis. Und die gehobene Küche. Französisch und Deutsch gehören zur Sprache des Wallis wie erlesene Zutaten in die Walliser Kochtöpfe.

Immer wieder verblüffen die Autorinnen mit Wanderrouten und Haltepunkten, die den Wanderer zur Salzsäule erstarren lassen. Kurzum: Wer im Wallis unterwegs ist, hat zwei Möglichkeiten: Einfach drauf loslaufen. Irgendwas Schönes findet sich schon. Oder aber er blättert in diesem Buch, vertieft sich in die Buchseiten, Abschnitte, Bilder, Infokästen, Karten, ja sogar in einzelne Worte und findet garantiert das, was er nie zu finden gewagt hatte. Beispiel gefällig? Hier das Ergebnis einer willkürlichen Suche im Buch. Doppelseite 108/109: Mineraliensuche in der Grube Lengenbach. Anderthalb Kilometer lang und ein El Minerado für alle, die sich ihre kindliche Neugier bewahrt haben. Und dann der Ausblick (im Buch nur als Foto – in natura um Längen beeindruckender) die Wanderung zum Mässersee. Still liegt der See, trotzig die Berge und darüber – da ist er wieder – der blaue Himmel.

Bei diesem Reiseband wird einem schnell klar, warum die Reisebücher aus dem Trescher-Verlag gelb sind. Denn alle, die sie nicht nutzen, werden gelb vor Neid, wenn sie die Geschichten von Besuchern hören, die mit den gelben Büchern eine Region im Allgemeinen oder das Wallis im Speziellen besucht haben.

Montenegro

„Aus den schwarzen Bergen kommen wir. Unsre Gäste sind genauso begeistert wie wir“, okay, am Versmaß muss noch gefeilt werden. Aber inhaltlich stimmt dieser Reimversuch zu einhundert Prozent. Seit Jahren entwickelt sich das Land zu einem Hotspot für alle, die noch einmal im Leben unberührte Landschaften aufsaugen wollen. Doch die Zeit wird knapp. Immer schneller schreitet der so genannte Fortschritt voran und die bis vor Kurzem noch unentdeckten Schönheiten werden touristisch erschlossen. Einfach mal mutterseelenallein auf einem Berg stehen und in eine tiefe Schlucht – die Tara-Schlucht ist die tiefste Europas! – schauen, ähnelt jetzt schon einem Lotteriegewinn.

Aber keine Angst, Marko Plešnik, der Autor dieses Reisebandes, kennt noch so manches Plätzchen, das man fast für sich allein hat. Wenn man das Buch liest und seinen Ratschlägen folgt.

Immer wieder ist man fasziniert, dass ein so kleines Land (nur ein bisschen kleiner als Schleswig-Holstein) eine derart geballte Fülle an Attraktionen aufbieten kann. Fast schient es so als ob man von jedem Berg aus direkt in die Adria springen kann. Klare Seen, die in ihrer Reinheit verblüffen, wilde Wanderungen durch wilde Landschaften machen den Wanderer ganz wild vor Glück. Doch Vorsicht! Nicht immer sind alle Wege wie daheim ausgeschildert. Da empfiehlt es sich einem Experten anzuvertrauen. Wie dem Autor dieses Buches.

Akribisch beschränkt er sich nicht nur darauf eine Aufzählung alles Sehenswertem aufzulisten. Vielmehr sorgt er sich um das Wohl des Lesers, denn der wird unweigerlich zu Besucher werden. So viel sei an dieser Stelle schon verraten.

Die Bucht von Kotor zum Beispiel gehört zu den geheimen Orten, die schon längst nicht mehr geheim sind. Der Fjord, der durchaus immer noch dazu taugt, um in Quizshows eine größere Summe in Aussicht gestellt zu bekommen, ist ein Vorzeigeprojekt für Tourismusentwicklung. Schon in der Jungsteinzeit besiedelt, wippen heutzutage mancherorts Yachten in der Marina, die den Aufstieg wie selbstverständlich symbolisieren. Zahlreiche Ortschaften säumen die Wege auf die Hügel, von denen aus man die genussvollsten Aussichten genießen kann. Byzantiner und Nemanjiden herrschten hier, heute sind die Wasserballer die Helden der Zeit. Kirchen und Festungen sollten nicht nur als Wanderziele gesehen werden, sondern als Geschichtszeugnisse, die anderorts kaum noch so vorzufinden sind. Geschickt schafft es Autor Marko Plešnik die Balance zu halten zwischen dem, was offensichtlich ist (und somit massentauglich) und dem, was unerschrockenem Entdeckergeist die Freudentränen in die Augen schießen lässt.

Spreewald

Na klar kennt man den Spreewald. Dort, wo die Gurken herkommen und man mit dem Auto nicht weit kommt. Eine Naturlandschaft, die nur mit Booten befahren werden kann. Wo der Mensch an die Möglichkeiten seines Einflusses stößt. Und doch kennt man den Spreewald vielleicht doch nicht so gut.

Zumindest nicht so gut wie André Micklitza. Sein Reiseband ist eine Fundgrube für alle, die die sechs vorangegangenen Ausgaben des Buches verpasst haben. Und selbst, wer eine oder mehrere Ausgaben gelesen und auf Abenteuergehalt überprüft hat, wird hier noch mehr entdecken.

Erste Anlaufstelle ist für die meisten Besucher Lübbenau. Vorsicht, es gibt auch Lübben! Das liegt aber ein paar Kilometer nördlich. Und Neu-Lübbenau liegt noch weiter im Norden des Spreewaldes. Gleich in der nähe von Schlepzig (hier greift die moderne Autokorrektur gern mal ein und macht daraus Leipzig. Vorsicht also bei der Benutzung moderner Hilfsmittel. Dieses Buch ist vollkommen ausreichend, um die ganze Pracht des Spreewaldes zu erkunden.

Bleiben wir doch gleich in Schlepzig. Mehr als tausend Jahre alt erfährt es immer noch und immer wieder Renaissancen. Hier wird Schnaps gebrannt und das Bier erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Hat man die hochprozentigen Prüfungen bestanden, sollte man mit klarem Kopf die Fachwerkkirche und das Bauernmuseum nicht außer Acht lassen.

Aber das Wichtigste im Spreewald bzw. das Highlight in dieser urigen Landschaft sind und bleiben die Kahnfahrten. Kamera gezückt, Ohren aufgesperrt und mit allen Sinnen links und rechts der Fahrt wahrhaft Einzigartiges einfangen.

Kaum zu glauben, dass der Mensch sich hier niederzulassen getraute. Ist ja alles Sumpf! Nur mit dem Boot zu erreichen. Hier lässt es sich gut leben. Und staunen. Wer nur ein wenig im Buch blättert, kommt dem Geheimnis des Spreewaldes schnell auf die Spur.

Die Touren mit samt dem detailreichen Kartenmaterial, die unzähligen Infos (einfach mal drauf loswandern ist hier nicht das Mittel der Wahl), und die eindrucksvollen Bilder lassen den Leser staunen. Es sind eben doch nicht nur Wasser und Boote und Gurken aus dem Fass, die den Spreewald so erlebnisreich machen.

Schorfheide

Wer sich auch nur ein wenig für Geschichte interessiert, dem kommen Szenen von aufgefächerten Jagdtrophäen vors geistige Auge, wenn die Rede von der Schorfheide ist. Nazis wie Kommunisten föhnten hier ihrer Leidenschaft Wild im Berliner Norden ins Visier zu nehmen. Wer hingegen Erholung als Elixier zwischen Dienst und Pflicht sieht, dem wird beim Gedanken an die Schorfheide warm ums Herz. Und wer Reisebände sammelt, weil er Reiseziele sammelt, der wird mit erstauntem Auge dieses Buch in die Hand nehmen. So ein relativ kleines Reiseziel – und ein eigenes Reisebuch?! Ja, warum nicht!

Im Dreieck Templin, Angermünde, Eberswalde liegt das Paradies. Anders kann das Fazit gar nicht lauten. Den Begriff Lärm findet man hier nur im Fremdwörterlexikon. Als absolutes Gegenstück zu Erholung. Langeweile ebenso – Abenteuerlust hingegen ist so angesagt wie einst das Jagen ordenbehangener Staatslenker.

Fast zwei Dutzend Touren haben die Autoren zusammengestellt. Jede einzelne eine Tour, die die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn in den Schatten stellen. Vorbei an entlegenen Seen – je nachdem, um welche Uhr- und Jahreszeit man wandert – durchs Dickicht, auf gut beschilderten Pfaden und natürlich an Gebäuden vorbei, die immer noch Geschichte atmen. Und an manchen Stellen kommt es einem so vor als ob die Zeit hier niemals vorangeschritten sei. Ein echter Urwald, wo der Mensch nur Zaungast ist.

Immer wieder stoppt der Lese-Wander-Drang, wenn beispielsweise die Geschichte von Carinhall erzählt wird, Görings Jagdhaus … und das im doppelten Wortsinn. Hier hielt er Hof, wenn das Hallali erklang. Hier verführte er so manche Dame.

Die zahlreichen Karten machen weitere Utensilien auf Wanderschaft unnötig. Wer es sich doch nicht verkneifen kann, der kann die Wanderungen sich aufs Smartphone laden und Buch und Wanderungen digital erleben. Dabei sollte man aber nicht vergessen den Kopf zu heben. Denn es gibt nur eine Sache, die besser ist als dieser Reiseband: Die Schorfheide in natura!