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Die Gärten von Bomarzo

Schon nach ca. zweieinhalb Seiten ist man selbst dem Drang verfallen diese Gärten einmal zu besuchen. Die Gärten von Bomarzo – nie gehört? Is nicht schlimm! Wenn man neugierig und offen bleibt, erschließen sich Faszination und Rätselraten rund um dieses Phänomen von ganz allein. Sucht man bei Google diese Gärten, findet man die Gärten der Ungeheuer. Nördlich von Rom, eine reichliche Stunde von der Ewigen Stadt entfernt. Steinskulpturen, die jeden noch so gut durchdachten Halloweenstreich wie ein leichtes Kitzeln von hinten erscheinen lassen. Man kann in Schlunde hineingehen, gigantischen Monstern die Stirn bieten, ihnen direkt ins Auge schauen. Schaurig? Un’po, ein bisschen. Beeindruckend? Si! Certo!

Also, wie begegnet man den Gärten, und wie begegnet man diesem Buch? Ins Regal greifen. Zur Kasse gehen. Und schon bei Rausgehen darin blättern. Stolpern, weil man sofort ins Buch vertieft ist, ist erlaubt, wenn nicht sogar notwendig. Und dann taucht man ein in eine Welt, die sich bis heute niemandem vollständig erschlossen hat.

Gärten sind einfach da. Schon seit … ja, seit wann eigentlich? Und warum? Was soll das alles? Allesamt Fragen, die in den Hintergrund treten, folgt man Hella S. Haasse, der „Grote Dame“ der niederländischen Literatur. In ihrem Schaffen drang Italien zur Zeit der Renaissance in ihr Berufsleben. Sie hörte von den geheimnisvollen Gärten. Wollte mehr wissen. Doch es gab kaum Bücher und Schriften dazu. Als Berufsneugierige machte sie sich selbst auf Spurensuche. Fand und las alles dazu. Und machte sich ihren eigenen Reim auf das, was im Wege steht, ihre Wege kreuzt und nur darauf zu warten schien endlich einen Wegbereiter gefunden zu haben.

Die geheimnisvollen Skulpturen wirken in erster Linie einschüchternd. Doch ihre Starre nimmt ihnen den Schreckensreiz. Hella S. Haasse kann sich einfach nicht satt sehen. Und sie wird auch nicht müde jede noch so kleine historische Begebenheit in ihr Nachforschen einfließen zu lassen. Da kommen mehr oder weniger berühmte Familien wie die Orsini ins Spiel, die sich ihr Refugium errichteten. Schlussendlich kann auch die Autorin nicht jedes Mysterium, das diesen eindrucksvollen Platz umgibt, lösen. Darin liegt sicher auch die Stärke ihrer Ausführungen. Jetzt ist man selbst gefordert. Im dichten Wald einmal selbst dem Schrecken ins Gesicht schauen. Mit dem Hintergrundwissen aus diesem Buch – mehr als nur eine Zusammenfassung von dem, was es schon einmal gab – wird jeder vorsichtige Schritt zwischen Höllenhunden und Höllenschlunden zu einem Abenteuer, bei dem sogar Indiana Jones resigniert das Handtuch werfen würde.

Es gibt Reisebücher zu Ländern, zu Regionen, zu Städten und Landstrichen. Aber ein Kulturreiseband über einen Park in dieser Stärke – buchstäblich wie im übertragenen Sinne – sucht man vergebens. Hella S. Haasse stößt nicht nur eine Nische auf, sie füllt sie bis zum letzten Buchstaben.

Vor aller Augen

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man vor einem Bild steht und nicht mehr nur daran denkt wie hübsch dieses Bild überm Sofa aussehen würde. Das Bild gefällt, aber … warum eigentlich. Fast schon ein bisschen neidisch schielt man dann zu offensichtlichen Kunsthistorikern hinüber lauscht staunend den Ausführungen über Pinselführungen, Strichlänge, dem Besonderen des Bildes. Und das alles sehen die auf den ersten Blick?! Zweifel macht sich breit. Erzählen kann man ja viel.

Martina Clavadetscher gibt den Damen auf berühmten Bildern eine Stimme. Die Damen sind meist unbekannt, ihre Erschaffer dafür umso mehr. Wer kennt schon Cecilia Gallerani? Das ist die, die von Leonardo da Vinci ein ungewöhnliches Haustier auf den Arm gelegt bekam. Und er malte sie. Zu sehen heutzutage in Krakow, auf den Wawel-Burg. Extra Eintritt, nur für Signora Gallerani. Es ist nicht mehr und nicht weniger „Die Dame mit dem Hermelin“. Und die erzählt frei von der Leber weg wie es sich anfühlte vom großen Meister portraitiert zu werden.

Ebenso wie Margherita Luti – noch so eine Dame, deren Namen man nicht kennt. Und dabei lehnt sie lasziv, entspannt, die Brust entblößt an der Wand. Gemalt von Raffael. Er das Malergenie, das schon im Teenageralter als Meister galt – sie wäre in der heutigen Zeit eine Bäckereifachverkäuferin. Sie ist nicht auf den Mund gefallen als sie den spannenden Raffaello entdeckt, während sie im Gras entspannt. Er ist mit einer Anderen liiert, was sie – Margherita – verärgert und zu Spottgesängen anheben lässt. Noch heute munkelt man, dass sie und er mehr als nur Meister und Modell waren. Das alles geschah vor mehr als fünfhundert Jahren. Und noch immer fasziniert das Gemälde und seit Neuestem auch die Geschichte darum, dank dieses Buches.

Und so liest man sich Seite für Seite durch die Kunstgeschichte, lernt Damen und ihre Meister kennen. Mit unbeirrter Leichtigkeit ergreifen Damen das Wort, die teils seit Jahrhunderten stumm von den Wänden der größten Museen der Welt dem Betrachter in ihren Bann ziehen. Lichtwechsel, Schattenspiele, Liebreiz, Zartheit – unerreichbar für jedermann. Manche sogar hinter Glas oder so weit entfernt, dass es nicht einmal ansatzweise so was wie Nähe geben kann. Sie alle sind empfindsam, stolz, schüchtern, verängstigt. Und sie haben eine Geschichte. Nicht immer so skandalös wie die von Olympia als sie Èdouard Manet ganz und gar nicht keusch auf der Ottomane malte. Dennoch erzählenswert.

Es ist nicht die Frage wird hier wen verführt. Nicht jeder ist verführbar. Erstmals werden in diesem Umfang Damen von Damals nicht vorgeführt, sondern in die Gesellschaft der Besucher eingeführt. Sie stehen neben einem und erzählen, was bisher niemand wusste. Und das vor aller Augen…

Ein Leben in Geschichten

Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt eine Biographie zu schreiben? Manch einer schreibt sein Leben lang daran. Die Tagebücher werden dann posthum als Sensation angepriesen – Nachfragen sind in diesem Fall nicht mehr möglich. Donna Leons Leserschaft, die seit Jahrzehnten davon träumt beim romantischen Spaziergang durch das romantische Venedig einmal doch Commissario Guido Brunetti zu treffen, stellt sich sicherlich schon länger die eine oder andere Frage. Und sicherlich nicht die, warum der Commissario in den Büchern Dauergast in den Straßen und Gassen der Lagunenstadt ist und im „wahren Leben“ ihn niemand zu Gesicht bekommt. Nein, Donna Leon ist vielen ein willkommenes Familienmitglied, dessen Besuch (Veröffentlichungstermin des neuen Romans) immer entgegengefiebert wird. Und über die Familie weiß man alles. Und wenn nicht fragt man einfach nach. Doch wie fragt man eine Schriftstellerin, die zwar nicht zurückgezogen, dennoch nicht permanent öffentlich lebt?

Es ist so einfach! Man blättert in „Ein Leben in Geschichten“ – ein Titel, der so unscheinbar und unnahbar daherkommt, dass man bei genauerer Betrachtung darin die Autorin wiedererkennt.  Die Idee einmal von Brunetti abzulassen und sich selbst in den Fokus zu stellen, ohne dabei Schatten auf die Umstehenden zu werfen, kam ihr bei einem Treffen mit einem langjährigen Freund, den sie auch ihrer Zeit im Iran kannte. Alte Zeiten aufleben lassen, Freundschaften in Erinnerung rufen, herumalbern – und als Resultat daraus ein Buch. Typisch Donna Leon? Typisch Donna Leon!

Und im Nu reihte sich Geschichte an Geschichte. Von der beim Bridge schummelnden Tante Gert über die geheimnisvolle Herkunft ihres Großvaters bis hin zu dem Tag als Venedig nicht mehr nur eine Stadt mit Existenzproblemen war, sondern der Ort, der ihr ganzes Leben verändern würde. Mit derselben Hingabe wie zu ihrem Commissario und seiner Stadt gibt Donna Leon Auskunft über ihr Leben. Auch ohne groß zwischen den Zeilen lesen zu müssen, offenbart sie „so ganz nebenbei“ wie sie wurde, wer sie ist. Auch wenn viele Ereignisse schon lange zurückliegen – wer erinnert sich mit Achtzig schon noch so detailliert an den ersten Schultag? – sind sie immer noch so präsent, dass man den Dung auf den Feldern, die Angst vor Entdeckung und die Leidenschaft fürs Lesen (und Schreiben) greifen kann.

Persönlicher geht nicht! Donna Leon teilt das Kostbarste, was sie besitzt: Ihre Erinnerungen. Kurzweilig, humorvoll, ehrlich. Und immer mit dem besonderen Kick, der Donna Leon so erfolgreich werden ließ.

Sempre italia

Ach, würde der Urlaub doch ewig dauern! Würde für immer die Sonne scheinen. Würde für immer der Wein wie beim ersten Mal schmecken. Das ließe sich beliebig fortsetzen, denkt man an Italien. Einmal von hoch oben auf einen Lago schauen, leckere Pasta mit richtig viel parmigiano dort genießen, wo er produziert wird oder unter sengender Sonne sich Pizza in den Mund stopfen – dazu ein vino … und das Paradies kann einem gestohlen bleiben.

Jede Liebeserklärung an den Stiefel ist eine emotionale Reise, reich gespickt mit Erinnerungen und Ideen fürs nächste Mal. Denn ein nächstes Mal gibt es immer! Frances Mayes und Ondine Cohane sind verliebt. Verliebt in Italien – das allein reicht aber noch nicht. Sie halten ihre Liebe zu Land und Leuten in diesem Buch fest. Vierhundert Seiten amore – das kann „im normalen Leben“ die Eine/den Einen schon mal überfordern. Den Leser, den Liebeshungrigen, den Italienliebhaber überfordert es nicht. Denn vieles kennt man vielleicht schon. Manches wollte man schon immer mal besuchen. Und einiges gehört beim nächsten Mal in italia auf alle Fälle zum Reiseprogramm.

Kreuz und quer durch das Land, das immer noch und immer wieder überraschen kann. Immer mit der Kamera im Anschlag und mit dem gezückten Stift in der Hand tauchen die beiden ab in eine Kultur, die mit Sehnsucht nur annähernd beschrieben werden kann.

Jede Region wird so lange bereist bis die Autorinnen das Besondere gefunden haben, das ihre Liebe am besten beschreibt. Die seitenfüllenden Abbildungen locken den Leser in die Geschichten hinein, die so wortgewandt jeder Kritik widerstehen. Für ganz Eilige gibt’s am Kapitelende eine kleine Zusammenfassung und Tipps, was man nicht verpassen darf. Für eifrige Leser sind diese Zeilen Erinnerungslückenfüller. Denn jede Region steckt voller Abenteuer, die man erleben muss.

Und für jeden ist etwas dabei: Radfahren, Weindegustationen, Wandern, Erkundungstouren, Schlemmen …

Im Meer der Italienbücher geht man schnell unter, wenn man nur nach dem Einband seine Wahl trifft. Zu groß die Menge an Reisebüchern, Bildbänden, Ratgebern. „Sempre italia“ ist ein leidenschaftliches Kraftpaket, das man immer wieder hervorholt und sich inspirieren, Träume fliegen lässt und in eine Welt eintaucht, die gar nicht soweit entfernt von der eigenen Haustür das dolce vita mit einem einzigen Umblättern real werden lässt.

Azzurro

Azzurro oder Azurro oder Azzuro? Schon beim Schreiben qualmt die Rübe ordentlich. Und erst bei der Italienhymne. Zuerst einmal: Doppel-Z UND Doppel-R. Der Rest … da man sich das Lied immer wieder anhören kann, und mit ein bisschen Sprachgefühl (gelato hilft da immer) – kommt man vielleicht nicht auf den genauen Wortlaut, trifft aber gefühlt den Ausdruck. Hat man dieses Gefühl erst einmal intus, kann man sich an die Bedeutung wagen. Die zahlreichen Übersetzungen im Netz sind da nur bedingt eine Hilfe. Wie so oft im Leben, hilft da nur ein Buch! Dieses Buch.

Denn das Wichtigste an diesem Lied ist und bleibt: Adriano Celentano! Es ist sein Lied. Es ist das Lied Italiens. Ein Traum vom Sommer und der Sehnsucht diesen nicht allein zu verbringen. Und das alles mit dem einzig passenden Charakter, um der Stimmung ein einzigartiges Gefühl zu verpassen.

Das ist aber nur eines der einhundert vorgestellten Lieder und der Geschichte(n) drumherum und dahinter. Auch ohne große Anstrengung können mindestens drei Generationen hierzulande mindestens ein Dutzend Sänger aufzählen, inkl. mindestens eines Hits. Eighties-Kids durchzuckt es bei Gianna Nanninis „Bello e impossibile“, ein Jahrzehnt später schwört man auf Jovanotti (warum man von ihm hierzulande spürbar weniger wahrnimmt, ergibt sich ziemlich schnell, liest man schnell aus dem Text über den Italo-Rapper heraus).

Patty Pravo ist seit Jahrzehnten von der Bildfläche verschwunden. Dennoch klettern ihre Alben in den Charts nach Oben wie ein Gibbon in die Bäume. Ihr provokanter Kleidungsstil erleichterte und erschwerte ihren Aufstieg vor einem halben Jahrhundert. Eine Frau in Hosen, und das im ach so eleganten Italien?! No, no, no. Dennoch hält sie sich. An ihr kommt man in Italiens Musikhistorie nicht vorbei.

Ob sanftes Pop-Geplänkel a la Al Bano & Romina Power, deren Rosenkrieg länger dauerte als ihr Tanz auf dem Pop-Olymp, oder echte Ohrwürmer wie „lasciate mi cantare“ von Toto Contugno – auch hier wieder: Wer es mitsingen will, sollte die Worte kennen, ansonsten wird’s hochgradig peinlich – oder doch die große Bühne einer Milva: Italiens Sehnsuchtsmelodien treffen seit Generationen ins Herz. Bunte Vögel wie Vasco Rossi, Statthalter wie Celentano und Mina und Eintagsfliegen wie Baltimora und Scotch stehen gemeinsam auf dieser Bühne mit Sängerinnen, Bands und Sängern, die man nicht sofort auf dem Schirm, wohl aber im Ohr hat.

Nun, wie liest man dieses Buch? Brav, leicht neugierig von Seite Eins bis zum Schluss. Nervös durchblätternd, bis man einen Interpreten, ein Lied entdeckt über das man schon immer was erfahren wollte. Akademisch, Video suchen, Kapitel lesen, aha rufen. Es ist vollkommen egal. Nur lesen sollte man es – das Mitsingen (und schlussendlich ist es doch einerlei, ob man die richtigen Töne und Worte trifft: Die Stimmung muss stimmen!) garantiert dolce vita allerorten. Dieses Buch Fälle muss man für die nächsten Jahre ins Reisegepäck legen. Wann immer ein canzone erklingt, kommt man Italien ein Stückchen näher.

Die Sommerhäuser der Dichter

Was braucht ein Dichter, um sich frei entfalten zu können? Die Ruhe der Abgeschiedenheit oder den Trubel der weiten Welt? So unterschiedlich die Dichter, so unterschiedlich sind auch ihre Sommerhäuser. Bertolt Brecht zog sich mit Helene Weigel nach Buckow bei Berlin zurück. Idyllisch am See gelegen, bürgerliches Ambiente. Soviel Kapitalismus muss ein Kommunist aushalten … in Brechts Fall war es sogar gewünscht. Um sich in der DDR niederzulassen, erfüllte die Staatsführung ihm fast jeden Wunsch. Dem des abgelegenen Sommerhauses auf alle Fälle.

Weitaus feudaler residierte da schon Jean Cocteau vor den Toren von Paris. Bis heute ist der Garten unverändert, in seinen Mauern sind Gemälde von Weltrang zu besichtigen. Cocteau lebte in Milly-la-Forêt siebzehn Jahre. Den Trubel der Metropole holte er sich gelegentlich ins Haus.

Trubel konnte Heinrich Böll in seinem Versteck in der Eifel nicht gebrauchen. Schon gar nicht als 1974 Alexander Solschenizyn hier Asyl fand. Bis heute ist dieses Haus eine Zufluchtsstätte für verfolgte Dichter.

Versteckt, bis heute nicht ohne eine Portion Forscherdrang zu entdecken, liegen die Rückzugsorte von Virginia Woolf und ihrem Mann Leonard sowie von George Bernard Shaw. Ausflüge ins Ländliche waren für Woolf Alltag. Shaw hingegen ließ sich einen drehbaren Arbeitsplatz einrichten, um stets der Sonne folgen zu können. Noch einsamer mochte es Hermann Hesse, der gleich am Eingang mit einem Schild auf seine unbedingte Bitte Abstand zu halten hinwies.

Die meisten Häuser, die einmal das Zuhause eines berühmten Kopfes waren, sind heute als Museen zu besichtigen. Dank der unermüdlichen Arbeit von Stiftungen und/oder Nachfahren sind ihre Refugien zu einem Hotspot der Wissbegierigen geworden. Im Fall von Arthur Rimbaud liegt der Fall etwas anders. Auch hier wieder Idylle soweit das Auge reicht. Doch der streitbare Dichter fühlte sich hier in keiner Weise wohl. Das Licht, die Piefigkeit trieben ihn wieder gen Paris. Über hundert Jahre später wurde es verkauft, der Preis dafür: So um die 50.000 Euro. Munkelt man. Die neue Besitzerin verehrt Rimbaud. Parallelen zwischen ihrem und seinem Leben sind vage vorhanden. Er war und ist für sie purer Rock ’n Roll. Ihr Name: Patti Smith.

Von Tanger über Weimar bis Nidda, von Thomas und Klaus Mann über Günter Grass und Anton Tschechov bis William Burroughs – dieses Buch befeuert die Neugier des Lesers. Die Texte laden ein dem Forscherdrang nachzugeben und dem Einen oder Anderen über die Schulter zu schauen und das zu sehen, was die Dichter einst aufsaugten. Die Resultate dieses Aufsaugens sind weltbekannt. Ein Besuch bei Dichters hilft deren Schriften zu verstehen. Hier hält man einen der originellsten Reiseappetitmacher überhaupt in den Händen!

Sizilien

Wenn etwas groß, richtig groß, ist, dann sollte man sich etwas mehr Zeit nehmen, um genau hinschauen zu können. Und das immer wieder. Dann wird man auch immer wieder was Neues entdecken.

So verhält es sich auch mit Sizilien. Es ist die größte Insel des Mittelmeeres. Hinschauen lohnt sich. Nicht nur, wenn der Ätna des Nachts ein Rot in den tiefschwarzen Himmel speit – was ohnehin wohl zu den größten Naturschauspielen weltweit gehört – sondern auch wenn die sengende Sonne das Land zu lähmen scheint. Auf einer Terrasse in Noto die rosa Stadt auf sich wirken lassen oder zwischen Überresten und Hinterlassenschaften von dutzenden Jahrhunderten spazieren im Valle die Templi bei Agrigent. Literaturaffine Besucher werden hier auch die Handlungsorte der Bücher von Andrea Camilleri suchen und zahlreich finden. Oder man schlendert über den Markt von Palermo, den Mercato Ballaro. Wenn man sich damit abgefunden, dass das, was da so verführerisch die Nase umweht, in unseren Breiten ohne nachzudenken in der Tonne landet, weil man es verlernt hat es zu genießen, wird dieser kulinarische Trip zu einem Ereignis, das man wirklich niemals vergessen wird.

Thomas Schröder zieht schon zum elften Mal den Leser in den Bann der abwechslungsreichen Insel in der Mitte des Mittelmeeres, vom Mittelmaß so weit entfernt wie es nur vorstellbar sein kann. Hier liegt ein Reiseband vor, den man wie einen Roman liest. Das vielbeschworene Gesetz des Schweigens ist außer Kraft gesetzt. Denn der Faszination Siziliens kann man sich einfach nicht entziehen. Auch in Corleone nicht. Dem Ort, mit dem Film- und Buchfreunde das typischste aller Sizilien-Klischees in Verbindung bringt. Hier wurde der Pate geboren, die Hauptfigur aus dem Mafiaroman von Mario Puzo. Der Ort selbst hadert nicht mehr mit seiner Vergangenheit. Das Thema wurde nicht zum Alleinstellungsmerkmal erkoren, es ist ein Teil der Stadt. Mehr aber auch nicht. Denn als der letzte Pate des Corleone-Clans, Bernardo Provenzano verhaftet wurde, ging ein weltweit spürbares Aufatmen durch die Bevölkerung. Das Vorurteil der ehrenwerten Herren geriet zum Mythos, den die, die ihn erlebten mussten, schon viel früher ins Reich der Mythen gewünscht hätten.

Sizilien ist keine Insel, die man bei einem Besuch komplett erfassen kann. Man muss schon öfter vorbeischauen und tiefere Einblicke zu erhalten. Die einzige Konstante dieser Reisen wird dieses Reisebuch sein. Kleine Anekdoten in farbigen Kästen, zahlreiche Abbildungen, detaillierte Kartenausschnitte, unzählige Tipps für alle, alle!, Sinne, und die anschaulichen, leicht nachvollziehbaren Routenvorschläge lassen die Vorfreude ins Unermessliche steigen, vor Ort ein Dauergrinsen im Gesicht der Besucher manifestieren und im Nachgang eine unvergessliche Zeit wiederauferstehen. Und nicht zu vergessen: Ohne dieses Buch wird die Planung für den garantierten nächsten Besuch fast schon unmöglich.

Simplissime Sizilien

Es gibt zwei Arten von Reisebüchern, die man im Urlaub dabei haben muss. Die Einen sind die extra starken, bei denen man das Gefühl hat, dass der Autor jeden Stein extra umgedreht hat und jeder Grashalm die Richtung zum nächsten Hotspot weist. Die Anderen sind die kleinen Reisebände. Kurz und knackig geben sei dem Unwissenden vor Ort die nötige Hilfestellung, um bloß nichts zu verpassen. Und trotzdem muss man ständig Hin- und Herblättern, um nicht in der Fülle der Informationen unterzugehen. Dann wird aus der schönsten Zeit des Jahres die schlimmste Zeit fernab der Heimat. Wer will das schon?!

Hier haben sich die Macher größte Mühe gegeben jeden größeren sehenswerten Ort auf der größten Insel des Mittelmeeres so informativ wie möglich auf einer Doppelseite dem Besucher näherzubringen. Und es klappt! Zwei Touren durch das zauberhafte Sizilien warten nur darauf, dass dem Reisenden das Wasser nicht nur aus den Poren rinnt, sondern im Munde zusammenläuft. Einmal der Osten samt Ätna, und zum Anderen der Westen mit Palermo als Ausgangspunkt. Knappe anderthalb Wochen sollte man pro Reise einplanen. Wer also in dieser Zeit so viel wie möglich sehen und erleben will, Sizilien als Eroberungssehnsuchtsort erkoren hat, sich die Hosentaschen aber nicht mit dicken Reisetipps voll stopfen möchte, braucht einen praktischen Reiseführer. Am besten den Besten der Welt. Nur unwesentlich dicker als ein Stück Butter, und auch geringfügig leichter als eben dieses. Die besten Grundvoraussetzungen für Tage und Wochen voller Ereignisse, gepaart mit dem guten Gefühl nichts verpasst zu haben.

Jeder Ort, Palermo, Cefalu, Taormina, Agrigent, Ragusa, Noto, Catania wird auf mehreren Seiten grundsätzlich dargestellt. Pro Doppelseite gibt es das volle Infoprogramm, das keine Wünsche offen lässt. Mal eine kleine Bäckerei, mal eine ortsübliche Gepflogenheit, mal der Aussichtspunkt, den man sich (leider) mit vielen Anderen teilen muss, weil er einfach zu eindruckvoll ist. „Einfach los!“ heißt es im Untertitel des Bandes. Und genauso kann man es auch tun. Zahlreiche Abbildung und kurze Infotexte liest man sich im Flieger gen Süden durch, macht sich Notizen – auch dafür ist im Buch ausreichend Platz – und schon kurz nach dem Auschecken kann das Abenteuer Sizilien starten.

Es gibt kleinere und leichtere Reisebücher, die verschweigen aber schon am zweiten Tag wichtige Informationen. Das ist der Fluch der Kompaktheit. Die neue Reihe Simplissime schafft tatsächlich den Spagat zwischen umfassender Information und Reisetauglichkeit unter einen Hut zu bringen. Wer schnell viel erleben will, ohne ewig im Netz nach dem Weg zu surfen oder permanent in Büchern nach der nächstgelegenen Attraktion suchen will, tut sich selbst etwas Gutes, indem mit diesem Buch reist.

Gespräch in Sizilien

Lange ist es her, dass Silvestro, der nun bald nach Sizilien reisen wird, daheim war. Als Jugendlicher flüchtete er. Vor der Beengtheit der Heimat und der Familie, vor der Hoffnungslosigkeit der Zeit, vor allem, was ihm die Luft nahm. Eines Tages erreicht ihn ein Brief des Vaters. Der hat mittlerweile die Mutter, seine Frau verlassen. Auch ihm war es zu stickig geworden. Spät, sehr spät, aber nicht zu spät ist er sich dessen bewusst geworden. Er bittet nicht um Verzeihung, will einfach nur Abschied nehmen. Sein Sohn solle doch dieses Jahr auf die Karte zum Namenstag der Mutter verzichten und sie stattdessen höchstpersönlich in Sizilien besuchen. Die Zeiten sind hart. Italien ächzt unter den kruden Phantasien des Duce. Sizilien blutet aus. Wer flüchten kann, flüchtet. Wer es nicht kann, redet am besten hinter vorgehaltener Hand.

So muss man auch dieses Buch verstehen und lesen. Es erschien in einer Zeit, in der offene Kritik mit prompter Strafe eine unheilige Allianz einging. Umso verwunderlicher ist es, dass es in zwei Versionen fast zeitgleich erschien.

Silvestro reist dem Wunsch des Vaters entsprechend in die Heimat. Vorbei an den Orten, die er bei seiner Abreise in umgekehrter Reihenfolge durchfuhr. Je näher er der Mutter kommt, desto konkreter werden die Erinnerungen. Die Orte klingen wie ein zartes Lied aus Kindertagen. Dann ist es geschafft! Die Mutter wartet schon auf ihn. So scheint es. Das Essen steht auf dem Tisch. Als ob er nie wirklich weg war, entspinnt sich ein reges Gespräch zwischen Mutter und Sohn. Wer ein wenig zwischen den Zeilen liest, kommt im Handumdrehen der Schönheit dieses Buches auf die Spur.

Elio Vittorini beschreibt ein Sizilien, das so gar nichts von der Postkartenidylle der Touristenzentren in sich trägt. Selbst der ersehnte Regen hämmert gegen die Stirn und macht es fast unmöglich hier Schönes zu erkennen. Wenn es denn nicht die Heimat wäre. Hier ist er zuhause. Hier ist er sicher. Hier fühlt er sich geborgen. Auch wenn nicht alles eitel Sonnenschein ist.

Silvestro ist Realist, die Mutter hat den entbehrungsreichen Leben nichts mehr entgegenzusetzen. Selbst die Freude über die Rückkehr des Sohnes weicht der Aktualität der Dinge. „Gespräch in Sizilien“ ist trotz alledem kein trauriges Buch. Weit entfernt von sonnenverbrannter Erde und fassungsloser Freude – was Touristen gern in der Insel sehen möchten – gelingt es ihm trotzdem ein flammendes Plädoyer für die Insel und seine Bewohner zu schreiben. Kein Reisebericht, der einem ruckzuck den Koffer packen lässt, dennoch ein Buch, das man gern noch einmal zwischen Messina, Catania und Siracusa lesen möchte. Und sei es nur, um festzustellen, dass es hier jetzt noch schöner ist.

Die Aspern-Schriften

Wenn kleine Kinder etwas unbedingt wollen, dann quengeln sie so lange bis sie es bekommen. Das klappt in den meisten Fällen ganz gut. Als Erwachsener wie ein Kleinkind mit dem Fuß aufzustampfen, trotzig zu schniefen und immer wieder seinen Unwillen über das verpasste Ziel Ausdruck zu verleihen, hat meist die die erhofften Auswirkungen. Da muss man sich schon etwas geschickter anstellen.

So wie der namenlose Dichter, der in Venedig seinem großen Ziel nachjagt, ein paar texte und Liebesbriefe seines Idols Jeffrey Aspern zu ergattern. Angetrieben von seinem Freund John und mit der Hilfe von Mrs. Prest, will er der einstigen Geliebten des Dichters die Papiere abluchsen. Juliana Bordereau lebt mit ihrer Nichte sehr zurückgezogen in einem ehrwürdigen Palazzo in Venedig. Auch wenn es ihr Name nicht vermuten lässt, ist sie Amerikanerin, wie ihre Nichte Tina und auch der junge Autor, der sie bald besuchen wird. Mrs. Prest hatte den glorreichen Einfall sich als Untermieter ins gemachte Nest zu setzen. Der ungestüme Autor will gleich noch eins draufsetzen und träumt von einer Liaison mit der Nichte.

Doch um Himmels Willen darf er seine wahren Absichten niemals laut äußern. Dann kann er sein Ziel gleich ad acta legen.

Hier ist er richtig. Die alte Mrs. Bordereau ist tatsächlich die ehemalige Geliebte von Jeffrey Aspern. Der lebte in Venedig im Exil. Seine Jünger verehren jedes Wort ihres göttlichen Autors. Juliana, in einem Werk Asperns spielt sie eine tragende Rolle, ist schon sehr betagt. Hätte das letzte Hemd doch Taschen, wäre deren Inhalt schon mehrmals aufgefrischt worden. Tina vermutet, dass ihre Tante sich bereit macht die letzte Veränderung ihres Lebens in Angriff zu nehmen. Der neue Untermieter – wider Erwarten wurde sein Ansinnen akzeptiert, allerdings zu einem Preis, der unter „normalen Umständen“ niemals von jemandem mit Verstand angenommen wird – darf sich nun als Teil der Hausgemeinschaft bezeichnen. Die Hausherrin stirbt alsbald. Die Nichte als Erbin ist jedoch nicht gewillt, dem jungen Heißsporn die erhofften Schriften zu übergeben, geschweige denn sie ihm überhaupt vor Augen zu führen…

Henry James ergießt seitenweise Andeutungen und wilde Spekulationen über die Herkunft der Papiere, die Zusammensetzung der auftretenden Personen – ja, man möchte fast meinen, dass hier reale Personen (Lord Byron, Shelley, die Parallelen treten hier da recht offen zutage) als Vorlage dienten. Der Erfolg der Geschichte hinkte hinter seinen sonstigen Erfolgen her. Zu Unrecht! Wie ein spannendes Psychospiel zieht er den Leser in eine „Schnipseljagd“, die anfangs nur der Befriedigung der Neugier des Jägers dient. Nach und nach findet sich der Literat aber im Strudel der vermeintlichen Opfer wieder, die ihr eigenes Spielchen spielen.