Archiv für den Monat: Dezember 2015

Der Fengshui-Detektiv im Auftrag ihrer Majestät

05 - Der Fengshui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät

Mister Wong, der Fengshui-Detektiv ist genervt. Sein Meditationsraum ist bis unter die Decke vollgestellt mit Toilettenpapier, und die Geschäfte liefen auch schon mal besser. Einzig allein die Tatsache, dass seine ihn nervende Assistentin Joyce (die ihm nebenbei gesagt – wenn er ehrlich ist – immer eine große Stütze war) nicht permanent um ihn herumschwirrt und ihn mit ihrer Jugendsprache an den Rand der Verzweiflung bringt, lässt ihn den Tag überstehen.

Doch da kommt sie schon! Überbordend vor guter Laune. Und schon gehen die Geschäfte auch wieder besser. Dieses Mal ist es ein besonderer Auftrag: Kein Haus, kein Appartement, kein Büro. Nein, ein Flugzeug! Doch nicht irgendeines. Ein Riesenvogel. Eine fliegende Bürooase oder ein fliegender Konferenzraum mit allen Schikanen. Leicht verdientes Geld – so mag es der geschäftstüchtige Geomant am liebsten. Eine Röhre mit Flügeln. Wenig Platz für schlechte Energie! Wenig Platz für schlechte Energie?

Hauptsache der Auftrag ist in Sack und Tüten. Doch es läuft nicht so wie es laufen soll. Ein Mord! Und ausgerechnet ein Schulfreund von Joyce soll der Mörder sein! Keine guten Voraussetzungen für einen Folgeauftrag bei der Queen. Der steht nämlich auch schon im Raum.

Nury Vittachi zieht alle Register seines Könnens. Sein Wortwitz zaubert auch den härtesten Krimi- und Spionagefan ein Lächeln ins Gesicht. Besonders, wenn Mister Wong zu verstehen versucht wie die Namensgebung der Royals funktioniert. Ein Fest für alle Liebhaber des britischen Humors!

Im fünften Roman über den geschäftstüchtigen Fengshui-Detektivs und seiner flippigen Assistentin scheint C. F. Wong am Ziel seiner Träume angekommen zu sein. Er kann das Vielfache seines Honorars verlangen, steigt in einen elitären Kreis auf, der ihm Ruhm und Ehre einbringt, und er kann seine ganzes Wissen – weltlich wie spirituell – gekonnt einsetzen, um einen mörderischen fall zu lösen.

Die Kayankaya-Romane

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Das Entsetzen war groß als das Jahr 2013 mit dem Tod von Jakob Arjouni begann. Keine fünfzig Jahre war er alt. Doch schon lange eine feste Größe im deutschsprachigen Literaturmarkt. Seine Romane über den Ermittler Kayankaya in Frankfurt erlaubten ihm weitere Romanfiguren wie den „Heiligen Eddy“ reifen zu lassen.

Sein Hausverlag Diogenes gedenkt und dankt dem Ausnahmeautor mit einer ganz besonderen Ausgabe seiner Kayankaya-Romane. Fünfmal Hessenmetropole, fünfmal ungewöhnliche Ermittlungsmethoden, fünfmal Eloquenz vom Feinsten. Fünfmal Kayankaya, fünfmal Jakob Arjouni.

In dem edlen Schmuckschuber passen die Romane „Happy birthday, Türke!“, „Mehr Bier“, „Ein Mann, ein Mord“, „Kismet“ und „Bruder Kemal“.

Die Kayankaya-Romane haben Frankfurt in den Fokus der Leserschaft gerückt. War die Stadt jahrelang als Drogenhort und die Stadt mit der höchsten Kriminalität in Deutschland verschrien, erhebt Jakob Arjouni sie in den Stand einer Metropole mit charakterfesten Menschen. Der Privatermittler ist nicht perfekt. Seine Schlagfertigkeit lassen historische Helden wie einen Sam Spade oder einen Philip Marlowe in Erscheinung treten. Kayankaya ist keiner der beiden. Er orientiert sich an ihnen, doch er geht seinen eigenen Weg. Frauen ist er ebenso wenig abgeneigt wie dem Alkohol.

Frankfurt, auch mit seinen rot erleuchteten Fenstern in Bahnhofsnähe, ist Kemal Kayankayas Betätigungsfeld. Hier sind seine Klienten zuhause. Hier wird gedemütigt, geliebt, gehasst, gemordet. Kayankaya ist dort zuhause, wo andere Auswandererpläne schmieden.

Einundzwanzig war Jakob Arjouni als er Kemal Kayankaya, dem Türken, der in einer deutschen Familie aufwuchs Leben einhauchte. Es wurde ein erfolgreiches Leben. Leider war es nach fünf Romanen schon wieder zu Ende. Am 8. Oktober 2014 wäre Jakob Arjouni 50 Jahre alt geworden.

Auf Godot wartet keiner

Amila - Auf Godot wartet keiner

Kommt der Graf ein zweites Mal zurück? Fortsetzungen waren nie das Ding von Jean Amila. Doch das Schicksal des Grafen aus „Die Abreibung“ gierte sichtlich nach mehr. In „Auf Godot wartet keiner“ tauchen einige Charaktere wieder auf, die dem Leser bekannt vorkommen.

Riton Godot hat nicht nur das Geschäft des – schlussendlich doch – „verstorbenen“ Grafen geerbt. Auch Angèle Maine ist nun seine Frau. Aber auch nur auf dem Papier. Er kümmert sich ums Geschäft, sie darum ihm das Privatleben so schwer wie möglich zu machen. Als ihre Tochter mit dem Zug in Paris ankommen soll, wird sie von Leuten aus Paconis Bande (dem großen Gegenspieler Godots) angegriffen und fast entführt. Nur das entschlossene Eingreifen eines Passanten verhindert Schlimmeres. Doch auch der Passant ist kein Unbekannter: Es ist Felix. Der Vater von Colette.

Es ist kein Zufall, dass Felix auch in der Stadt ist. Colette wuchs in seiner Obhut und der seiner Frau Janine auf. Bis Janine vor einigen Jahren bei einem Kaufhausbrand ums Leben kam. Felix bezweifelt die Theorie eines Unfalls. Jetzt hat er Beweise und will die Verantwortlichen zur Verantwortung ziehen. In Riton Godot scheint er einen willigen Gefährten gefunden zu haben. Doch scheint auch er seine eigenen Interessen zu verfolgen. Es geht um Millionen. Felix hat gute Vorarbeit geleistet – die Schuldigen an den Pranger zu stellen, wird ein Leichtes.

Eine vom eigenen Gatten und vielleicht sogar vom eigenen Leben angewiderte Femme fatale. Ein rachsüchtiger Mann, der die Hintermänner seines Witwertums zur Strecke bringen will. Ein Gangsterboss im Kampf um Machterhalt. Ein junges Ding, dessen Knospen zur zerbersten angespannt sind. Na wenn das kein Plot für einen spannungsgeladenen Thriller ist?! Und dann noch aus der Feder eines der Meister der Série noire…

Jean Amila spinnt ein verzwicktes Geflecht aus Eigennutz und Rachsucht. Der Leser wird immer tiefer in die Geschichte hineingezogen – es gibt keinen Ausweg. Keiner entkommt der Phantasie des genialen Autors der schwarzen Serie. Verschreckt Blicke nach links und rechts. Nichts zu sehen. Doch hinter einem lauert die Gefahr. Spannungsgeladen von der ersten bis zur letzten Seite. „Auf Godot wartet keiner“ ist die gelungene Fortsetzung von „Die Abreibung“. Ein gelungenes Beispiel dafür, dass Fortsetzungen doch spannend sein können.

Bis nichts mehr geht

Amila - Bis nichts mehr geht

Voller Tatendrang reist Marie-Anne nach Nomville. Sie wird dort ihre erste Stelle als Lehrerin antreten. Doch wie ernüchternd ist dieser trostlose Ort mitten in der Normandie. Ernüchternd trifft es vielleicht nicht ganz: Nomville ist die Hochburg der Schwarzbrenner. Calvados ist das Gold der Normandie. Die gesamte Einwohnerschaft scheint in dieser Apfelschnapswolke dahinzudämmern. Selbst die Kinder.

Im Dorfteich ist Francoise ertrunken. Welch ein Unglück! Denn ausgerechnet heute sollte doch gebrannt werden. Da sollte sie helfen. Und die Polizei wird auch erst geholt, wenn die Duftwolke sich verzogen hat. Und in so einem Ort, einem Ort, indem sogar der Pfarrer im Delirium predigt, soll Marie-Anne den Jüngsten etwas beibringen? Na Prost Mahlzeit!

Immer tiefer in den Strudel des Schwarzbrennens und des Alkoholschmuggels gerät sie als ihr Pierrot den Hof macht. Er verfolgt zwei Ziele. Zum Einen will er Marie-Anne beeindrucken. Zum Anderen will er ein erfolgreicher Geschäftsmann werden. Wie? Das ist klar – mit dem Gold der Normandie. Was er nicht weiß: Marie-Annes Cousin ist bei der Polizei.

Sie selbst ist eine Verfechterin des nüchternen Lebensstils. Als sie entdeckt, dass die Kinder, die sie unterrichtet, ungeniert Schnaps mit Kaffee im Unterricht zu sich nehmen, und sie anschließend auch keine Unterstützung der Direktorin erhält, weiß sie, dass das avisierte Jahr in Nomville kein Zuckerschlecken wird.

Einziger Ausblick: Pierrot. Doch der hat sein Leben auch dem Rauschgold verschrieben. Sein Karriereweg scheint steil nach oben zu zeigen.

Verfolgungsjagden, rigide Lehrmethoden, gewitzte Gauner und clevere Flics sowie ein krachender Showdown – Jean Amila liefert mit „Bis nichts mehr geht“ einen allumfassenden Krimis mit Witz und Charme ab. Knallhartes Kalkül und eine lockere Lebensauffassung der Einwohner von Nomville machen aus einem Krimi der Serie noir einen unterhaltsamen Thriller mit geradlinigen Charakteren, die das Gesetz gern nach ihrem Gutdünken auslegen. Man merkt in jeder Zeile den diebischen Spaß, den Amila beim Schreiben gehabt haben muss.

Die Abreibung

Amila - Die Abreibung

Der Graf ist zurück! Zurück in der Stadt! Zurück aus seinem (nicht ganz) freiwilligen Exil. Keiner seiner ehemaligen Kumpane weiß von seiner Rückkehr. Denn es sind noch ein paar Rechnungen offen. Bedächtig und entspannt lässt sich der Unterwelt Rene Lecomte, den alle nur Comte, den Grafen nennen, von Roger durch die Straßen chauffieren. Es ist abends, nach sieben. „Die Abreibung“ wird sich noch in dieser Nacht vollziehen. Am Morgen werden sich die Wogen wieder geglättet haben.

Der Graf will unvorsichtigerweise einige Schulden eintreiben. Allein. Roger soll im Studebaker ein paar Meter entfernt warten und die Füße still halten. Dann schallen Schüsse durch die wuchtige Stille der Nacht.

Im Krankenhaus gleich nebenan machen sich die Schwesterschülerinnen Thérèse, Aline und Sylvie für ihren Nachtdienst fertig. Säuglingsstation und Bettpfannen wechseln werden die nächsten Stunden ihren Rhythmus bestimmen. Dazu kommen noch die unsäglichen Annäherungsversuche der Ärzte, deren sie sich erwehren müssen. Auch sie werden in den Strudel aus Gewalt und Intrigen hineingezogen.

Als Roger die Schüsse hört, ist er zwischen Neugier und Pflichtgefühl hin und her gerissen. Schließlich verlässt er doch den angewiesenen Warteplatz und macht sich auf die Suche nach seinem Chef. Da ist auch schon die erste Leiche. Es ist nicht Rene Lecomte. Der liegt ein paar Meter weiter. Stark blutend. Roger fackelt nicht lange. Er überlegt und fasst einen Entschluss. Da keiner weiß, dass der Graf zurück ist, sich also alle sicher fühlen, ist das die Gelegenheit das Geschäft im Namen des Grafen weiterzuführen. Der ist schließlich einiges wert. Man munkelt, dass der Graf sogar Milliardär ist.

Einen Verbündeten findet Roger in Riton Godot. Der ist erst skeptisch, doch die Aussicht auf einen riesigen Batzen Geld, lässt ihn in das Geschäft einschlagen. Doch zuerst muss die Leiche verschwinden. Am Tatort ist jedoch kein Graf – weder tot noch lebendig zu sehen. Der hat sich mit seinen letzten Kräften ins nahe gelegene Krankenhaus geschleppt. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt.

Jean Amila, der vor etwas mehr als einhundert Jahren als Jean Meckert das Licht der Welt in Paris erblickte gehört zu den berühmtesten Vertretern der Serie noire. Seine Romane zeichnen sich durch eine schonungslose Ausdrucksweise und exzellenten Geschichten aus der Unterwelt aus. Ab der ersten Zeile ist der Leser mittendrin im Geschehen. Platz für Sympathien gibt es nicht. Die Hauptakteure sind rigoros in ihrem Handeln. Seine Milieuschilderungen sind eindeutig. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwinden rasch. Die üblichen Liebchen, kaltes Eisen und geschickte Wendungen tragen dazu bei, dass man diese Krimis erst aus der Hand legt, wenn das letzte Wort gesprochen ist.

Mitleid mit den Ratten

Amila - Mitleid mit den Ratten

Bienvenue – Willkommen bei den Lenfants. Vater Julien arbeitet bei Simca, einer Autofirma. Mutter Yvonne ist Hausfrau und Solange, das  Nesthäkchen besucht das Gymnasium. Eine ganz normale Familie. Merde! Nein, es sind Gauner, Diebe, die Fremden in die Wohnungen steigen und ihnen ihr Hab und Gut wegnehmen. Zugegeben, sie sind geschickt. Julien ist ein exzellenter Kletterer.

Und bei einer dieser Klettertouren passiert, was einmal passieren musste: Gerade als er ein Seil mit einem Teil der Beute herablassen will, trifft ihn ein Lichtstrahl. Und da! Ein Schuss! Julien wird knapp über dem Ohr getroffen.

Jean Amila wäre nicht Jean Amila, wenn er diese Begebenheit als Auftakt zu einer beispiellosen Kriminalgeschichte nehmen würde. Der Leser wird im Dunkeln gelassen. Julien wird verarztet – von seinem Bruder André, der die „Expeditionen“, wie er es nennt, überhaupt nicht gutheißen kann. Nicht zuletzt wegen der 17jährigen Solange. Inständig bittet er Yvonne auf die Nebeneinkünfte zu verzichten, oder zumindest das Geschäftsgebaren zu überdenken.

Das scheinbar sorgenfreie Leben mit den gelegentlichen, doch gut geplanten, Ausflügen in die weitere Umgebung wird durch Michel und später auch seine Kumpane empfindlich gestört. Michel ist auf der Flucht vor der Polizei. Und Duval, sein Freund, macht daraus keinen Hehl. Auch nicht aus der Tatsache, dass er die Kleinganoven Lenfant nicht leiden kann. Deren Geschäfte sind für ihn irrelevant. Der Kampf, den Michel, Duval und die anderen führen, ist viel bedeutender. Denn sie gehören zu einer Organisation, die Frankreich ins Wanken bringen will. Sie benötigen das Haus der Lenfants als Waffenkammer. Dass Michel nicht nur der Tochter, sondern auch Yvonne den Hof macht, verbessert nicht gerade das Verhältnis der Kleinganoven zu den politischen Terroristen.

„Mitleid mit den Ratten“ bringt das Blut des Lesers ab der ersten Seite immer wieder in Wallung. Jean Amila lässt die Familie Lenfant immer wieder durch ein verzwicktes Gefühlschaos waten. Der geheimnisvolle Fremde, der zuerst dem Mann aus einer schier ausweglosen Situation hilft, und ihm so das Leben rettet. Dann gräbt er ungeniert die Frau des Hauses an. Verführt sie zu weiteren Straftaten. Die Lenfants sind Diebe. Sie stehlen materielle Werte. Moralisch verwerflich ist die Tatsache, dass sie ihre Tochter Solange in ihre „Geschäfte“ einbeziehen. Ansonsten haben sie strikte Regeln, an die sie sich halten. Mord gehört nicht zu ihrem Repertoire. Ihre Dankbarkeit zu dem Lebensretter wird mit Füßen getreten, in dem sie ihre Festung für politische Querköpfe löchrig gestalten. Mitleid mit den Ratten?

Mond über Omaha

Amila - Mond über Omaha

Zwei Jahrzehnte nach D-Day, dem Angriff der Alliierten in der Normandie, sind die Wunden der Erstürmung noch nicht geheilt. Immer noch kommen Soldaten, um sich ihrer Kameraden zu erinnern, Grabpflege zu betreiben. Manche hat es nach dem Krieg hierher verschlagen. Sie sind hier hängengeblieben, haben sich eine neue Existenz aufgebaut. Manch einer sogar mit neuem Namen…

Sergeant Reilly ist so einer, der hängengeblieben ist. Durch den Todesfall eines Freundes, Fernand Delouis, kommen alte Erinnerungen wieder hoch. Doch es bleibt nicht bei den bloßen Erinnerungen.

Denn in den Gräbern der Soldaten liegen nicht immer die, deren Namen auf den Grabmalen stehen. Da ist auch schon mal eine Kuh oder anders Getier „dazwischen gerutscht“. Was auf den ersten Blick nicht weiter dramatisch klingt, wirft auf bei genauerer Betrachtung die Frage auf, wo denn der eigentliche Besitzer des Grabes seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Oder finden wird?

Jean Amila – einer der vollkommensten Vertreter der Série Noire – zeichnet in „Mond über Omaha“ ein düsteres Bild der Erstürmung der Normandie. Heldentaten hin oder her – beim D-Day lief nicht alles so wie gewünscht. Menschliche Dramen nahmen hier ihren Anfang, zu viele fanden hier ihr Ende. Wenige entzogen sich dem Grauen des Krieges durch Desertation.

Die Strandabschnitte in der Normandie, die im Juni 1944 erstürmt wurden bekamen Decknamen amerikanischer Bundesstaaten wie Utah oder eben Omaha. So ist auch der Titel des Buches zu erklären.

Sergeant Reilly kommt während der Trauerfeier einem perfiden Geheimnis auf die Spur. Es geht um Millionen und eine neue Identität. Mit traumwandlerischer Sicherheit verknüpft Amila historische Fakten mit einer spannungsgeladenen Geschichte, die so passiert sein könnte. Die Schlussfolgerungen der Handelnden sind derart nachvollziehbar, dass so mancher historischer Fakt in einem neuen Licht erscheint. Verschwörungstheoretiker werden ihre wahre Freude daran haben. Wer mit wem? Wer gegen wen? Jean Amila vollführt ein Freudentänzchen auf den Gräbern der Krieger vergangener Tage. Dem Leser gefriert das Blut in den Adern. Kriegshistorie, geschickt verpackt im Gewande einer Mord(s)geschichte.

Motus!

Amila - Motus!

Es ist ein raues Leben, unten an der Schleuse. Dort, wo Dédé seinen Lebensunterhalt verdient. Reich geheiratet hat er, müsste also gar nicht mehr hier in der Gosse menschlicher Rohheit sich verdingen. Doch er sieht seine Arbeit als Berufung – er mag diesen besonderen Menschenschlag.

Seine Frau Jacqueline und seine beiden Kinder geben ihm das, wonach er immer suchte: Ruhe und Zufriedenheit.

Doch dann wird die alltägliche Idylle inmitten des Flusses erheblich getrübt: Der Kopf des Kapitäns der Hémitate schwimmt halterlos im Wasser, ein Arm hängt nur noch in Resten am Rumpf des leblosen Körpers. Düster liegt die Nacht über der Szene.

Ein Verdächtiger ist schnell gefunden. Coutre. Dédés Chef und Schleusenwärter. Er hat sich kurz vorher mit dem Opfer in der Wolle gehabt. Er habe ihm seine Faust zwischen die Zähne geschoben, mehr nicht. Als er ihn von sich stieß, waren noch zehn Meter zwischen dem späteren, noch lebendigen, Opfer(!) und dem Wasser. Alle glauben ihm, alle. Außer der Gendarmerie. Pflichterfüllt wird Coutre in Gewahrsam genommen.

Die eingeschworene Gemeinschaft am Wasser ruft zum Streik auf. Währenddessen gerät Dédé in arge Bedrängnis. Zuerst wird er zusammengeschlagen. Sein Schwager ist auch keine Hilfe. Vielmehr schlagen sich die beiden fast die Köpfe ein. Die Folge: Aus der Pistole, die Dédé in seinen Händen hält, löst sich ein Schuss. Jacquelines Bruder ist tot! Lucien, ein Freund, und Dédé lassen die Leiche verschwinden. Kein guter Zeitpunkt. Denn noch immer gibt es keinen sicheren Täter für den Mord am Kapitän der Hémitate, die Gendarmen schnüffeln überall herum. Jetzt fehlt also auch noch einer aus der Gemeinschaft.

Doch dann taucht jemand auf, mit dem niemand gerechnet hat…

Jean Amilas Milieustudie an den Ufern des Flusses gehört zur ersten Liga der schwarzen Serie. Zeile für Zeile liest man sich durch das Dickicht der Verschwiegenheit. Motus! ruft man in Frankreich jemandem zu, der sein Maul zu weit aufreißt, gegenüber Leuten, die man nicht kennt, denen man nicht vertrauen kann. Das Gebot des Schweigens gilt auch hier. Auch 60 Jahre nach Erscheinen gibt es Parallelen zur Gegenwart. Wem kann man noch Vertrauen, wenn es um den eigenen Job geht? Die eigene Haut nach außen schützen. Familiensinn und Zusammengehörigkeit sind oft wichtiger als die Moral.

Inspector Ghote zerbricht ein Ei

01 - Inspector Ghote zerbricht ein Ei

Krimis, deren Handlung in Indien spielen, versprechen aufgrund des exotischen Handlungsortes eine besondere Spannung. H.R.F. Keating (das HRF steht für Henry Reymond Fitzwater – somit wäre das erste Rätsel des Buches gelöst) setzt dem Ganzen jedoch die Krone auf. Denn der Leser wird nicht nur mit einer köstlichen Geschichte für den Kauf des Buches belohnt, er wird sanft und unaufhaltsam in den indischen Kulturkreis eingeführt.

Inspector Ghote ist einer der besten Männer bei der Polizei in Bombay. Eines Tages soll er alles stehen und liegen lassen, um in der Provinz – undercover – einen 15 Jahre alten Mord an einer Frau noch einmal zu untersuchen. Problem (Nummer Eins): Ihr Gatte ist so was wie der uneingeschränkte Herrscher am Einsatzort. Alles tanzt nach seiner Pfeife.

Und ein weiteres Problem taucht auf (Problem Nummer Zwei! – und dabei haben die Untersuchungen noch nicht einmal begonnen): Seine Tarnung fliegt gleich beim Verlassen des Zuges auf. Ach was! Schon vorher. Aus der Zeitung muss Ghote erfahren, dass er mit neuerlichen Untersuchungen betraut wurde. Jetzt weiß jeder, dass der Schnüffler in der Stadt ist. Die Tarnung als Vertreter für Hühnerfutter kann er vergessen.

Sarojini Savarkar starb vor 15 Jahren. Ihr Mann Vinayak ist jetzt der gekrönte Herrscher über die Kleinstadt, in der der Inspector ermitteln soll. Das Leben fließt gleichmäßig hier. Es gibt wenige Leute, die das Sagen haben und jede Menge Einwohner, die ihren Worten folgen. Auch Taten folgen lassen.

Bei seinen Ermittlungen stößt der gehorsame Inspector auf taube Ohren und verschlossene Münder. Auf der Straße, in der Anonymität sieht es anders aus: Ein wütender Mob skandiert „Ghote go!“. Zum Glück erkennt niemand den Inspector.

Der Inspector ist ein ausgeglichener Mann. Ihn auf die Palme zu bringen, bedarf schon Einiges an Aufwand. Doch auch dem so besonnenen Ermittler kann die sturste Wand aus Schweigen aus dem Konzept bringen. Keiner hier im Ort will etwas gegen die Oberen sagen. Eine höhere Macht scheint dahinter zu stehen. Diese „höhere macht“ ist ein heiliger Mann. Er ist der eigentliche Strippenzieher. Was er sagt, wird gemacht.

Die Tarnung als Hühnerfuttervertreter funktioniert nur draußen auf der Straße. Hinter den Mauern weiß (fast) jeder mit wem er es zu tun hat. Ein verzwickter Fall, der ungewöhnliche Methoden verlangt…

H.R.F. Keating führt seine Leser in eine unbekannte Welt. Altbewährte Traditionen, Riten und Wertevorstellungen treffen hier auf gewitzte Ermittlungsmethoden und klaren Menschenverstand. Wer Krimis liebt, wird Inspector Ghote vergöttern!

Inspector Ghote geht nach Bollywood

02 - Inspector Ghote geht nach Bollywood

Bollywood ist der Ort mit der höchsten produktionsrate im Filmgeschäft. Klar, dass hier Neid und Missgunst den Alltag bestimmen. Denn im Filmgeschäft des indischen Subkontinents herrscht ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Wer einmal oben ist, muss sich jeden Tag anstrengen, um nicht vom Thron gestoßen zu werden.

Ein Leinwandschurke par excellence ist, nein war Dhartiraj. Nun ist er tot. Nicht filmtot, sondern ganz real. Auch wenn die Umstände durchaus filmreif sind. Ein Scheinwerfer knipste ihm da Lebenslicht aus.

Relativ schnell sind auch zwei Verdächtige ausgemacht. Zum Einen, der Schauspieler, der vor Dhartiraj die Leinwände als Schurke füllte. Zum Zweiten sein designierter Nachfolger. Beide haben ein Motiv.

Das meint auch Miss Pilloo Officewalla (ein Oscar für den Autor für diesen Namen). Sie ist Klatschreporterin und kennt alle aus der Filmbranche. Eine von der Sorte, die, wenn sie auspackt eine ganze Industrie zu Fall bringen kann.

Die rührige Reporterin hüllt Inspector Ghote, der sofort nach Bekanntwerden des Mordes mit der Aufklärung betraut wurde, in eine Wolke aus Klatsch und Tratsch und nützlichen Fakten aus der Traumfabrik. Ghote ist kein großer Kinogänger, die Klatschspalten interessieren ihn nicht im Geringsten. Somit wird Miss Pilloo Officewalla zur ersten Vertrauten in diesem schwierigen Fall.

Schwierig, weil jeder eine Rolle spielt. Ghote ist nicht unbedingt mit dieser Art der Zurschaustellung vertraut. Er ist eine ehrliche Haut, Posieren ist ihm fremd. Wohl deswegen ist er dem Leser von Anfang an so sympathisch.

Die Suche nach dem Mörder gestaltet sich immer schwieriger. Vor allem, weil Inspector Ghote immer wieder neue Verdächtige vor die Linse laufen. Fast scheint es als ob er die Übersicht verliert, wer es denn nun gewesen sein könnte. Da fällt ihm ein, wer der Mörder ist. Ein weiterer Star der Bollywood-Szene. Der wurde sogar gesichtet als er über eine Mauer auf das Studiogelände schlich. Na, wenn das kein Beweis ist? Ghote soll sich ein weiteres Mal irren, bevor er dem wahren Täter und seinen Beweggründen auf die Spur kommt.

Bis dahin unterhält H.R.F. Keating den Leser aufs Beste mit seiner Geschichte. Sein Inspector Ghote ist kein Alphatier. Er tut brav, was man ihm sagt. Widerworte kennt er kaum. Und wenn, dann spricht er sie nicht offen aus. Doch er ist gewitzt. Hat er sich in einen Fall verbissen, gibt es für den Täter kein Entrinnen.