Mitleid mit den Ratten

Amila - Mitleid mit den Ratten

Bienvenue – Willkommen bei den Lenfants. Vater Julien arbeitet bei Simca, einer Autofirma. Mutter Yvonne ist Hausfrau und Solange, das  Nesthäkchen besucht das Gymnasium. Eine ganz normale Familie. Merde! Nein, es sind Gauner, Diebe, die Fremden in die Wohnungen steigen und ihnen ihr Hab und Gut wegnehmen. Zugegeben, sie sind geschickt. Julien ist ein exzellenter Kletterer.

Und bei einer dieser Klettertouren passiert, was einmal passieren musste: Gerade als er ein Seil mit einem Teil der Beute herablassen will, trifft ihn ein Lichtstrahl. Und da! Ein Schuss! Julien wird knapp über dem Ohr getroffen.

Jean Amila wäre nicht Jean Amila, wenn er diese Begebenheit als Auftakt zu einer beispiellosen Kriminalgeschichte nehmen würde. Der Leser wird im Dunkeln gelassen. Julien wird verarztet – von seinem Bruder André, der die „Expeditionen“, wie er es nennt, überhaupt nicht gutheißen kann. Nicht zuletzt wegen der 17jährigen Solange. Inständig bittet er Yvonne auf die Nebeneinkünfte zu verzichten, oder zumindest das Geschäftsgebaren zu überdenken.

Das scheinbar sorgenfreie Leben mit den gelegentlichen, doch gut geplanten, Ausflügen in die weitere Umgebung wird durch Michel und später auch seine Kumpane empfindlich gestört. Michel ist auf der Flucht vor der Polizei. Und Duval, sein Freund, macht daraus keinen Hehl. Auch nicht aus der Tatsache, dass er die Kleinganoven Lenfant nicht leiden kann. Deren Geschäfte sind für ihn irrelevant. Der Kampf, den Michel, Duval und die anderen führen, ist viel bedeutender. Denn sie gehören zu einer Organisation, die Frankreich ins Wanken bringen will. Sie benötigen das Haus der Lenfants als Waffenkammer. Dass Michel nicht nur der Tochter, sondern auch Yvonne den Hof macht, verbessert nicht gerade das Verhältnis der Kleinganoven zu den politischen Terroristen.

„Mitleid mit den Ratten“ bringt das Blut des Lesers ab der ersten Seite immer wieder in Wallung. Jean Amila lässt die Familie Lenfant immer wieder durch ein verzwicktes Gefühlschaos waten. Der geheimnisvolle Fremde, der zuerst dem Mann aus einer schier ausweglosen Situation hilft, und ihm so das Leben rettet. Dann gräbt er ungeniert die Frau des Hauses an. Verführt sie zu weiteren Straftaten. Die Lenfants sind Diebe. Sie stehlen materielle Werte. Moralisch verwerflich ist die Tatsache, dass sie ihre Tochter Solange in ihre „Geschäfte“ einbeziehen. Ansonsten haben sie strikte Regeln, an die sie sich halten. Mord gehört nicht zu ihrem Repertoire. Ihre Dankbarkeit zu dem Lebensretter wird mit Füßen getreten, in dem sie ihre Festung für politische Querköpfe löchrig gestalten. Mitleid mit den Ratten?