Soutines letzte Fahrt

Soutines letzte Fahrt

Chaim Soutine geht es schlecht. Sehr schlecht. Aus dem Lexikon wissen wird, dass er bald sterben wird. Der Maler, der mit Modigliani eng befreundet war, fährt an diesem Tag, dem 6. August 1943, zusammen mit seiner Ma-Be in einem Leichenwagen durch das besetzte Frankreich. Ihm geht es schlecht. Er muss ins Krankenhaus. Doch als weißrussischer Jude ist in dieser Zeit die Chance im Konzentrationslager zu enden um ein Vielfaches höher als Hilfe angeboten zu bekommen. Deswegen das Versteck …, nein –spiel wäre hier mehr als unangebracht.

Die Schmerzen des Magengeschwürs im Mix mit dem schmerzlindernden Morphium treiben Soutines Gedanken voran und zurück. Er blickt zurück auf ein Leben, das geprägt war von Entbehrungen und großen Glücks. Als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris, der Welthauptstadt der Malerei ankommt, ist er überglücklich. Doch das harte Brot des Geldverdienen-Müssens zieht ihn teils unter den Boden der Tatsachen hinunter.

Erst die Freundschaft zu Modigliani, der dem desillusionierten Maler seinen Kunsthändler vorstellt, bringt Licht ins Dunkel des Schaffens. Doch Leopold Zborowski ist anfangs so gar nicht begeistert von der Morbidität der Werke. Außerdem ist er mehr als nur der Kunsthändler Modiglianis. Amadeo Modigliani ist die fette Gans, die ihm das Leben ermöglicht – da duldet man selten weiteres Vieh, das eh nur Arbeit macht. Erst ein Milliardär – ein echter self-made-man aus den Staaten – bringt Schwung in Soutines Arbeitsroutine.

Chaim Soutines Werk ist geprägt von den Eindrücken, die der Maler in der Ausübung seines Berufes empfindet. Vor seinen Augen altern seine Modelle – und auch die Leinwand mit den Farbstrichen altert zusehends. Sie wirken auf den ersten Blick verstörend, verzerrend. Genauso so verzerrt ist Soutines Leben im Moment des Erinnerns.

Ralph Dutlis Roman ist eine Mischung aus wahrer Historie und eigener Phantasie. Chaim Soutine existierte wirklich, auch wenn ihn nur Wenig kennen. Ob die letzten Tage wirklich so vergingen, keiner weiß es. Das kann dem Roman in keinster Weise etwas anhaben. Die Geschicklichkeit, mit der Ralph Dutli die Worte wählt – gleich in Zeile neun packt er den Leser mit dem Vergleich eines Kindes, das mitten im August (1943) verschnupft ist, genauso wie das besetzte Land (Frankreich).

An Chaim Soutines Grab in Paris stehen im August 1943 nur fünf Menschen, unter ihnen Pablo Picasso und Jean Cocteau. Die Kunstwelt wird Schlange stehen, um ein Buch über einen fast schon vergessenen Künstler zu ergattern.

Schreibe einen Kommentar