Rätsel

Oft spricht man bei einer Biographie über ein außergewöhnliches Leben. Feldherren, die mit List und Tücke Tausende in die Schlacht – und den sicheren Tod – schickten. Gewiefte Wissenschaftler, die mit Beharrlichkeit ihrer Idee folgten. Oder Schauspieler, die mit ihrem Wirken die Massen begeisterten. Und dann gibt es Biographien, die wirklich außergewöhnlich sind. Wie die von James Humphrey Morris. Er begleitete Sir Edmond Hilary auf den Mount Everest, zumindest einen großen Teil seines Weges. Doch das ist nicht das Außergewöhnliche. Nein, es ist die Wandlung, die dieser Mann durchmachte, der heute als Jan Morris mit ihrer Frau Elizabeth in Wales lebt. Ja, mit IHRER Frau. Denn aus James Humphrey wurde Jan. Aus dem Mann James Humphrey wurde die Frau Jan.

Es ist ihr bis heute ein Rätsel woher die Neigung kam. Ein Rätsel, das sie gern lösen möchte. Aber dessen Nichtlösung ihr um nichts in der Welt den Weg, den sie einschlug, verhageln könnte. Schon in frühester Kindheit, unter dem Klavier sitzend, wurde James klar, dass es ihm besser tun würde als Mädchen durch die Welt streifen zu können. Im Militärdienst strengte er sich wohl deshalb mehr an als andere, um seinem Geschlecht gerechter zu werden als man es verlangte. Kein übertriebender Ehrgeiz, aber immer eine Portion mehr Engagement in der Hand.

Als Journalist bei Guardian und später bei der Times konnte er sich frei entfalten, beruflich. Er sah die Welt, traf Menschen, nahm an ihren Schicksalen teil. Und er fand die Liebe seines Lebens: Elizabeth. Sie wusste von Anfang an, was in James vor ging. Ein Problem? Kaum, und wenn, nur anfangs.

Im seinen Vierzigern reifte der endgültige Entschluss, dass der Zwiespalt zwischen administrativen und gefühltem Geschlecht nicht mehr hinnehmbar sei. Die Geschlechtsangleichung musste vorgenommen werden, nicht als physischer Akt, sondern als Glücksbringer im weitesten Sinne. Doch dazu musste die Ehe geschieden werden. Schließlich war es in den 70ern in Großbritannien – wie überall auf der Welt – nicht möglich als Frau eine Frau oder als Mann einen Mann zu heiraten. Casablanca war der Ort, der alles verändern sollte. Hier wurde der chirurgische Eingriff vorgenommen. Auch beim Leser stellt sich nach vielen Seiten emotionaler, doch oft auch pragmatischer Gedankengänge, eine emotionale Erlösung ein. Der Schreibstil wird frischer, lebendiger – das Glück der Autorin ist greifbar wie zuvor der ständige Zweifel.

Jan Morris gebührt ein Riesendank dem Publikum eine ehrliche und wirkliche Biographie vorzusetzen. Man taucht ein in eine Welt, die man immer nur von außen betrachten kann, wenn man sich denn überhaupt darauf einlassen will. Einfühlsam, einprägsam, einzigartig.