Prager Zeitung – 350 Jahre Medien- und Kulturgeschichte

Es gibt eine lange reihe von Zeitungen und Wochenblättern, die man sofort einem Ort zuordnen kann. New Times aus New York, Paris Match aus Paris, auf Englisch und auf Französisch erschienen. Die Liste ließe sich sicherlich noch weiter fortführen. Prager Zeitung … aus Prag – richtig, auf Deutsch … Moment! Prag, Deutsch – da passt doch was nicht! Oh doch, und wie das passt! Und das nun schon seit – mit Unterbrechungen – über 350 Jahre! Ende des 17 Jahrhunderts wurde auch Deutsch in Prag gesprochen.

Die Zeitung (das Prager Tageblatt – mit Autoren wie Egon Erwin Kisch – war der Vorläufer) erlebte Aufs und Abs wie kaum ein anderes Medium. Anfang der Neunziger des vergangenen Jahrhunderts kam der Neustart. Viel beachtet, viel zitiert – der Blick auf das eigene Land von Außen immer ein anderer. Und in den aufregenden Zeiten nach der Wende waren die Experten jenseits des Eisernen Vorhangs gern gesehene und viel be- und gefragte Partner. Doch auch hier gab der Rotstift irgendwann die Linie vor. Die Prager Zeitung drohte fast in der Versenkung zu verschwinden bis … ja bis das Internet eine neuerliche Renaissance einläutete. Heute ist die Prager Zeitung eine feste Größe unter den Onlinepublikationen. Eine deutschsprachige Stimme inmitten der tschechischen Hauptstadt. So viel in kurzen Worten zur Geschichte der Prager Zeitung.

Klaus Hanisch war von Anfang an dabei – also seit dem Neustart 1991. In der ersten Ausgabe, die die Nummer Null trug prangten zwei Staatsoberhäupter, deren eigene bzw. familiäre Geschichte ihr politisches Auftreten und Handeln stark prägten: Vaclav Havel und Richard von Weizsäcker. Widerständler aus Überzeugung. Klaus Hanisch erzählt in diesem Buch von den schwierigen Anfängen in aufregenden Zeiten als im Osten alles bisher dagewesene der neuen Zeit weichen musste. Als der neugierige Westen merkte, dass er schlussendlich ohne Wissen des Ostens nicht umfassend berichten kann. Die Kollegen der Prager Zeitung waren mehr als nur Stichwortgeber. Sie erklärten die alte Welt, formulierten erforderliche Ziele und wiesen revanchistische Tendenzen in die Schranken. Denn ein deutsches Blatt inmitten tschechischer Heimat hat immer mit sensiblen Themen zu kämpfen. Das ist Fakt und nicht wegzudiskutieren.

Selbst wer nicht aus der Branche kommt, wird in diesem ausführlichen Rückblick auf dreißig Jahre Exklusivjournalismus eine bodenlose Fundgrube vorfinden, die die harten Fakten geschickt mit den so genannten soft news verbindet. Wer Tschechien verstehen und dabei auf die teils kruden Übersetzungen aus dem Netz verzichten will, hat in der Prager Zeitung das gefunden, worum sich andere Städte in der Welt reißen. Oftmals findet man zwar noch Rubriken im Netz, die wie schon vor Jahrzehnten mit Artikeln (Helen Hessels „Ich schreibe aus Paris“ ist da besonders herauszuheben) die Fremde in die heimischen Stuben brachten. Doch eine ganze Zeitung – wenn auch online – die regelmäßig in heimischer Sprache über ein Nachbarland neutral, hingebungsvoll und umfassend berichtet, findet man nicht überall. Der Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre ist mehr als nur eine Selbstbestätigung das Richtige gemacht zu haben, es ist ein spannender Abriss europäischer Geschichte mit Informationen aus allererster Hand.