Polly Polydeukes

Da sind sie, die Brandlers. Mama, Papa, Sohn und Tochter. In trauter Einigkeit. Tochter Polly ist ein aufgewecktes Mädchen, das boxt und auch sonst nicht auf die Nase gefallen ist. Und wenn es doch mal blutet, dann rappelt sie sich auf, schüttelt sich und … weiter geht’s.

Weiter geht’s ist gar nicht so verkehrt. Für sie geht der Weg weiter, immer weiter, niemals aufgeben. Besonders, wenn man den eigenen Vater sucht. Nicht Herrn Brandler. Ihren Erzeuger sucht sie. Schon ihr ganzes Leben lang. Jetzt bricht sie endlich auf, ihn nicht nur im Herzen, in ihren Gedanken, sondern ganz real, geographisch zu suchen.

Paraguay ist für viele ein Land, das ganz weit weg liegt, von dem na nichts weiß. Armenhaus Südamerikas. Aber auch ein Land, in dem schon früher einmal Deutsche Zuflucht fanden. Und zwar die, die besser keine Zuflucht im Paradies hätte finden würfen. Nazis. Kriegsverbrecher. Menschenschänder. Abschaum. Doch soll Pollys Vater auch einer von ihnen gewesen sein? Immer wieder trifft sie auf Spuren dieser Deutschen, die ihr mit Freude – wegen der gemeinsamen Sprache und Wurzeln – begegnen. Ihr aber auch Misstrauen entgegenbringen, weil sie mehrere Generationen später weit weg von zu Hause rumzuschnüffeln beginnt. Ihr Bruder ist ihr dabei die einzige Stütze.

Auch als sie mit wahren Wohltätern, Jesuiten, in Berührung kommt. Ihre Missionierung vor mehr als einhundert Jahren war nicht minder blutiger als die Gräueltaten der anderen Deutschen, die nun hier unten im Paradies ihre neue Heimat gefunden haben, und die alte Heimat immer noch triefend im Herzen vor sich hinbluten lassen.

Walter Hönigsberger ist nicht dafür bekannt, schnöde Geschichten voller rührseliger Gefühle aufs Papier zu bringen. Er geht in die Tiefe, wie schon in „Clos Gethseman“, in dem er dem Ursprung der ersten Weinbauern auf den Grund geht. Und so auch in „Polly Polydeukes“. Sie muss sich durchkämpfen – durchboxen – bis sie für sich eine Antwort erhält, die ihr genug ist. Hat sie bisher im Boxstall ihrer Gegner zermürbt und mit dem Gong ihren Kampf beendet, muss sie nun in einen Ring steigen, der keine Seile hat, die nachgeben und sie mit neuem Schwung in die Arena zurückkatapultieren. Jeder Niederschlag tut weh. Und ein Ende dieses Kampfes ist noch lange nicht abzusehen.