Mobbing Dick

Dick Turpin war im 18. Jahrhundert ein gefürchteter Straßenräuber, der sich mit Degen und Pistole gegen den Adel auflehnte. Dickie Greenleaf lehnt sich gegen  das Establishment (besonders das in Person seiner Eltern) auf, um schlussendlich von Tom Ripley ins Jenseits befördert zu werden. Und Dick Meier? Um die Zwanzig, lebt in Witikon, Zürich, bei seinen Eltern, Reihenhaus. Wenn das Leben eine Linie mit Ausschlägen nach Oben und Unten, für Freude und Leid, ist, dann verläuft sein Leben geradlinig, monoton. Von den Eltern kann er diese Eigenschaft nicht haben. Die sind selber so monoton, einschläfernd, rechtschaffen, langweilig, borniert, enervierend. Es ist zum Haareraufen! Dick bricht das Studium ab, heuert bei der Schweizerischen Bankanstalt an, sucht sich eine Wohnung. Sagt den Eltern nichts. Warum auch. Für ihn hat sich ja nichts verändert. Er hat zwar einen Job, doch Lebensfreude will einfach nicht bei ihm aufkommen. Er ist schnippig, aufmüpfig, spielt Streiche – nix! Dick droht in der scheinbaren Routine seiner Arbeit, zwischen Mutters permanenter Sorgenmacherei und seinem misanthropischen Vater zu ersticken. Die Gefängnismauern um ihn herum rücken immer näher und rauben ihm die letzten Lebensgeister.

Der erste Schritt ins die sauerstoffreiche Zukunft lauert in einer heruntergekommenen Gegend mit horrenden Mieten. Aber das ist der Preis, den Dick zahlen muss, um endlich so etwas wie Freiheit auf der Haut spüren zu können. Die jahrelange Gängelei hat tief in ihm einen Hass aufkeimen lassen. Und der muss nun raus! Potentielle Anwärter, die nur darauf warten Dicks Lebensgeister um sich herum schwirren zu sehen, gibt es ja zum Glück haufenweise.

Vielleicht wendet sich doch alles zum Guten. Amy, seine Schwester zieht wieder zurück ins elterliche Haus. Dass sie von Dick dafür bezahlt wird, steht auf einem anderen Blatt.

Doch Dick entscheidet sich für einen anderen Weg. Jeden Tag, wenn er im Büro in Besprechungen sitzt, mit Kollegen redet, wird ihm die Verkommenheit des Bankenwesens im Speziellen, der Welt im Allgemeinen vor Augen geführt bzw. ins Ohr geschrien. Gutes Benehmen, Scham, Ehrlichkeit – pah, wenn überhaupt, dann war das einmal! Hier wird hinter den Rücken der Leute das Fallbeil gewetzt und der Auslöser fortwährend auf Funktionstüchtigkeit überprüft. Dick lässt sich davon anstecken. Das Telefon ist sein roter Knopf in die Freiheit. Ein kleiner Anruf hier, ein Anklingeln da. Ein blöder Spruch, der dem Angerufenen den Schweiß auf die Stirn treibt. Ein gewisses Gefühl von Freiheit stellt sich bei Dick ein. Befriedigung selbst etwas geschaffen zu haben. Ohne das Zutun anderer. Und ohne, dass andere ihren Vorteil daraus ziehen können. Waren es bisher Mutter, Vater und Chefs, die ihn antrieben, so treibt er nun die Herde der ihn zerpflückenden Meute vor sich her. Doch kennt er wirklich seine Grenzen und die dieses perfiden Spiels? Kann er diese Grenzen erkennen und sie auch einhalten?

Tom Zürcher schreibt genüsslich über einen jungen Mann, dessen Welt bisher auf engen Pfaden verlief. Einmal abgebogen, findet er schwer den Weg zurück. Geheimnisumwitterte Konten, ein knausriger Vater, der plötzlich in einem ganz andere Licht erscheint, eine Mutter, die endlich aufwacht, Kollegen, deren Moral so weit im Keller ist, dass wohl niemals ein Lichtstrahl diesen erhellen könnte – und aus Dick Meier wird Mobbing Dick. Der Lesegenuss des Jahres!