Mann im Zoo

Ein Besuch im Zoo bewegt, regt an, macht etwas mit einem. Das ist unbestritten, vor allem für diejenigen, deren Kinder sich von nun an Tiere im Haushalt wünschen. Kinder sind so leicht zu beeinflussen, sind so schnell vereinnehmbar für neue Ideen. Kinder? Nur Kinder?

John Cromartie ist mit seiner Liebsten Josephine Lackett auch zu Besuch im Zoo. Die Stimmung ist etwas gedrückt, weil er ihr etwas zu altmodisch, zu fordernd, so besitzergreifend ist. Er kann das natürlich überhaupt nicht verstehen. Schließlich ist er der Herr. Und während sie so an Affen, Wölfen, Dingos und allerlei anderem Getier vorbeischlendern, ziehen dunkle Wolken am Firmament der Zweisamkeit auf. In Josephines Augen wird John immer animalischer, nicht im guten Sinn.

Alles ganz normal bis hierhin. Ein Paar im Zoo im gesunden Streitgespräch. Doch John Cromartie treibt es – aus Boshaftigkeit, aus falsch verstandenem Ehrgefühl, aus überzogenem Rollenverständnis? – auf die Spitze. Er will, wo er doch schon mal hier ist, Teil der Exponate sein. Die Zoologische Gesellschaft, die den Zoo ihr Eigen nennt, findet er großartig. Wo findet man auf so kompaktem Raum diese geballte Vielfalt der Fauna? Nur ein Exemplar vermisst der junge Mann, den homo sapiens. Er selbst, 27 Jahre, einsachtzig hoch, und knapp anderthalb Zentner schwer, schottischer Abstammung, würde sich gern zur Verfügung stellen. Ja, John Cromartie will als Mann im Zoo …

Der erste Big-Brother-Roman der Welt. Ein Mann geht in den Zoo, wird angegafft, nur mit dem Unterschied, dass der Zuschauer dem Objekt der Begierde gegenübersteht. So wie Josephine ihrem John. Doch der muss sich erst einmal in der neuen Rolle zurechtfinden, es sich überhaupt erstmal eingestehen, dass er sich in einer völlig neuen, unbekannten Situation befindet. Schadet es der Liebe der beiden oder macht die Verrücktheit Johns beide stärker?

„Mann im Zoo“ ist es ein (sa)tierisches Lesevergnügen. Immer wieder blättert man einige Seiten zurück, um sich noch einmal vom Ideenreichtum des Autors berieseln zu lassen. David Garnett ist der Meister des human-animalischen Genres. Gern schubst er seine Helden in die Tierwelt. Und der Zuschauer bzw. Leser erlebt hautnah (fellnah?) wie man sich als Mensch in der Fauna fühlt. Trennung als Chance für Gemeinsamkeit? John und Josephine lieben sich – das versichern sie sich, vielleicht zu oft, verbal. Was passiert, wenn man sich nicht mehr necken kann? Physische Barrieren die Verbindung stören? John und Josephine wagen das Experiment. Der Zoo hat eine Attraktion mehr. Wer wird wohl gewinnen? Wird und muss es überhaupt einen Gewinner geben?