Lady Ducayne

Der Oktober ist so trist wie das Leben von Bella Rolleston und ihrer Mutter. Achtzehn Jahre ist das junge Ding und voller Tatendrang. Eine Anstellung als Gesellschafterin soll ihr und ihrer Mutter ein beruhigendes Leben bieten können. Doch die Agentur wiegelt ab, die Provision wird selbstverständlich einbehalten. Bella sei zu jung und zu unerfahren. So trist der Oktober, so erfreulich, dass nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen sich nun doch eine Möglichkeit findet Bella unterzubringen. So trist der Oktober, so verlebt das Antlitz dieses Funken Hoffnung in der Gestalt von Lady Ducayne. Italien soll es sein. Hier will die ausgemergelte Lady demnächst dem tristen Oktober die sonnige Schulter des Südens zeigen. Bella, ein Name wie gemacht für bella italia.

Bella blüht in Italien richtig auf. Voller Elan berichtet sie in Briefen von ihren Eindrücken, der Natur, die sie so noch nie gesehen hat. Und von Lotta, ihrer neugewonnen Freundin, die hier einige Zeit mit ihrem Bruder Herbert verbringt. Lady Ducayne ist die perfekte Arbeitgeberin. Sie fordert wenig und lässt Bella viel Freiraum. Doch mit der Zeit werden die Briefe trübseliger. Heimweh konstatiert die Mutter im trüben England, die nun schon mehrere Monate auf ihr geliebtes Kind verzichten muss. Herbert, der sich selbst einmal als Arzt niederlassen will, findet ziemlich rasch die Erklärung für Bellas plötzlich voranschreitende Lustlosigkeit. Der Arzt, der sonst Lady Ducayne behandelt, hat die naive junge Dame offenbar zu Ader gelassen. Lady Ducayne lässt die Prozedur über sich ergehen, weil sie länger (um nicht zu sagen ewig leben will). Doch, dass der Doc Hand an Bella legt, stört Herbert nicht nur aus berufsethischen Gründen…

Ein moderner Vampirroman, der Bram Stokers Klassiker voranging und bei genauerem Hinsehen ein paar Vorlagen liefert. Mary Elizabeth Braddon schrieb zu Lebzeiten (1837 bis 1915) eine Fülle an Bestsellern. Ihre Themen wurden vom prüden Sittenwächterbürgertum angeprangert, sie selbst verfemt. Es half alles nichts, heute steht sie vielleicht immer noch im Schatten von Mary Shelley und Bram Stoker, doch ihre Werke sind keineswegs in Vergessenheit geraten.

Im schummrigen Licht der Bettleuchte (auch Energiesparlampen können die Stimmung niemals zerstören) ein bisschen von der unheimlichen Verwandlung der lebensfrohen Bella zur ermatteten Gesellschafterin mit zu verfolgen, jagt einem heutzutage vielleicht keine Angst mehr ein. Aber das Wissen, dass im Schlafe jemand an einem herumdoktort …