Ich war schon immer ein Rebell

Es wird wohl die letzte Biographie eines Fußballprofis sein, der mit Kopf und Können ein ganzes Leben lang aneckte und immer wieder aufstand. Alles, was jetzt noch kommt, ist Werbung für Haarpflegemittel und das Gejammere wohl behüteter Fußballspieler, die den Hartplatz nur aus dem Internet kennen.

Als Ewald Lienen 2014 zum FC St. Pauli ging, rief die Fangemeinde „Endlich!“. Endlich ist er dort, wo ihn schon seit Jahrzehnten gesehen hat. Bei einem Verein, der sein Rebellen-Image so sehr pflegt wie so mancher aktuelle Profi sein Kopfhaar. Der Weg ans Millerntor war für Ewald Lienen der gewollte Trip durch die Steinwüste, nur ab und zu ein Wasserloch.

Hätte es in den 50er schon den gläsernen Menschen gegeben, wäre es ein Einfaches gewesen ihn als Talent mit dem Hang zum Einzelgänger zu identifizieren. Allerdings hätte dann irgendeine Stelle „regulierend“ eingegriffen. Ewald Lienen war – wie sein Vater – der Letzte in einer Geburtenreihe. Er wuchs in einem Generationenhaus auf, das die Großmutter beaufsichtigte, Tanten und Mutter in Schuss hielten, und von ihm und seinen Bruder als Heimat im besten Sinne des Wortes empfunden werden konnte. Sein Vetter Heinz war es wohl, der ihm die Leidenschaft zum runden Leder nahebrachte. Durchsetzen gegen den bedeutend älteren Cousin, darin ging Klein-Ewald auf. Den Eigensinn (eine Art Überlebensinstinkt hat er von der Mutter, die den Februar 45 in Dresden er- und überlebte) sollte schon bald sein Hauptcharakterzug werden. Wenn er mal nicht dem Ball nachjagte, waren Atlanten und Bücher sein Elixier. Die Gier nach Neuem, nach Wissen sollte ihm später ganz weit bringen. Fast wäre er sogar Politiker geworden. Die Friedensbewegung war für ihn mehr als nur Marschieren und Skandieren. Doch der Drang in einer Elf sich selbst zu verwirklichen, um dann mit den zehn Anderen selbiges zu zelebrieren und im besten Fall es auch zu feiern, war stärker.

Wenn Fußballer, ehemalige Fußballer eine Biographie schreiben, ist es eine Abrechnung, ein Hervorzeigen der besonderen Eigenschaften oder einfach nur das Gebrabbel eines Egomanen. Unerträglich langweilig, angereichert mit mehr oder weniger amüsanten Anekdoten, die zeigen sollen, wie außergewöhnlich man doch ist. Tief im Herzen sind die jedoch von unsäglicher Belanglosigkeit wie ein Null zu Null am letzten Spieltag zwischen zwei Mannschaften, die weder nach Oben streben noch nach Unten schauen müssen. „Ich war schon immer ein Rebell“ ist das, was man von einem Buch von Ewald Lienen erwarten darf: Klar in der Wortwahl und im Streben den eigenen Kopf durchzusetzen, ohne dabei ein Feld verletzter Weggefährten oder gar überholter Leichen zu hinterlassen. Dass so mancher Beteiligter mit seiner Beschreibung nicht ganz einverstanden sein wird, … naja, wer hat schon auf seinem Lebensweg nur Freunde gefunden. Über vierhundert Seiten Ewald Lienen, der Mann, der mit seiner Mähne und seinem Talent Arminia Bielefeld und Borussia Mönchengladbach prägte, der mit seinem Ehrgeiz als Trainer in Griechenland und Spanien die Fans verzauberte, der Trainerlegenden beeindruckte, jedoch nie zum übermenschlichen Star avancierte, der in Watte gepackt die Härten des (Fußballer-)Lebens bejammerte. Er wusste wie man aufstand, ob mit Riss im Oberschenkel, oder als ungeliebter Quertreiber, der „erstmal zeigen soll wie hart er wirklich ist“.

Diese Biographie ist wirklich lesenswert, nicht nur für Fans, sondern alle, die den Erfolg wünsche, dabei aber nicht ausschließlich die Ellenbogen ausfahren, um zum Ziel zu gelangen. Hier passt einfach alles: Der Mensch, sein Verein, sein Schreibstil, sein Leben.