Frey

Der Tag hätte auch anders verlaufen können. Nach dem Termin beim Therapeuten wäre Daniel Frey nach Hause gekommen. Ausnahmsweise hätte seine bessere Hälfte Sarah die Glotze mal ausgeschaltet gelassen. Man wäre vielleicht was essen gegangen. Und nicht allein durch Wien geschlichen. Dann würde er jetzt auch nicht in einem Flieger nach Tokio sitzen und sich mit Daniel Bernhaugen unterhalten. Und schon gar nicht würde das Reiseziel in Nagasaki umgewandelt werden, wo Bernhaugen und seine Frau Naoko eine Buchhandlung betreiben. Ach ja, und von dem Flugzeugabsturz hätte er nur in den Nachrichten gehört.

So beginnt „Frey“ von Roland Freisitzer. Kurios-famos. Aber der Autor hat noch mehr auf Lager. Denn Frey ist tot. Und Bernhaugen lebt. Kann sich aber partout an nichts erinnern. Dr. Miyamoto beantwortet ruhig und gelassen die Fragen des Patienten, der sich überhaupt nichts mehr sicher sein kann. Ja, er ist Daniel Bernhaugen. Seine Frau Naoko kommt auch gleich. Er ist nur einer von sieben Überlebenden eines Flugzeugabsturzes. Und er ist in Nagasaki. Auch Naoko bestätigt Daniel, dass er Daniel sei. Daniel Bernhaugen. Er selbst erkennt sie nicht. Aber er kann sich an Dinge erinnern, die er mit ihr unternommen hat. Schemenhaft, dennoch vernehmbar.

Auf eigene Faust recherchiert Daniel im Internet. Er sucht seinen Namen. Es dreht sich alles um den Flugzeugabsturz – klar, so berühmt ist der Buchhändler aus Nagasaki nicht als dass ihm tausende Seiten zu seinem Namen zufliegen würden. Und als er sich fast schon am Ende seiner Recherchen sieht, fällt ihm ein Artikel auf. Einer der Toten soll Daniel Frey sein. Österreicher wie er. Vermeintlich auf der flucht, weil er seine Frau ermordet haben soll! Na, das ist doch mal eine Sensation!

Das doppelte Lottchen in einer Neufassung. Könnte man meinen. Auch kann man nachvollziehen, wenn man nach dem Aufstehen feststellen muss, dass man sich unbewusst in der Nacht die Haut aufgekratzt hat. Aber aufzuwachen und nur noch durch Worte von scheinbar Fremden die eigene Identität zu vernehmen mag, dann ist man in einer echten Zwickmühle. Aber vielleicht ist genau das der Ausweg, den man eine sehr lange zeit suchte…