Ehrenwerte Leute

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Wenn einer einem dumm kommt, dann setzt es was. Für viele ein willkommener Anlass sich wie die Axt im Walde zu benehmen. Elena ist da anders. Sie ist Lehrerin. Und sie hat eine Stelle in einem sizilianischen Bergdorf angenommen. Fans dieses Plots wissen jetzt worum es geht: Omerta, das Gesetz des Schweigens. Elena ist sieht sich auf raffinierte Weise diesem Gesetz ausgesetzt. Jeder, der ihr nicht wohlgesonnen ist, stirbt. Nicht eines natürlichen Todes! Sie ist verzweifelt. Niemand kann ihr helfen. Denn niemand traut sich etwas zu sagen. Zu groß die Angst der Nächste zu sein.

Im Strudel der Gefühle schwankt die junge Frau zwischen Abkehr und Aufgabe und Trotz und Widerstand. Montenero Valdemone – mit ein bisschen Italienischkenntnissen kommt man dem Geheimnis dieses Ortes auf die Schliche. Monte – Berg, nero – schwarz, Val – das Tal, demone – der Teufel. Alles hier ist anders. Die Kinder schmutzig und ungebildet. Die Männer, besonders einer, aufdringlich. Doch sie scheint willkommen. Ein eigentümlicher Anwalt, der älter aussieht als er anscheinend ist, bietet ihr eine sehr hübsche Bleibe an. Ein Kollege hilft ihr sich einzugewöhnen. Alles doch nicht so schlimm?

Der aufdringliche Typ, der keine Gelegenheit ausließ Elena bei ihrer Ankunft zu „umschmeicheln“, wird tags darauf erschossen mit einer Blume im Mund für alle sichtbar auf dem Marktplatz drapiert. Jeder weiß um die Symbolik der Blume. Doch damit nicht genug. Auf einmal ist Elena eine geachtete Frau. Sie wird gegrüßt, man wünscht ihr alles Gute für den Tag. Nur die Polizei ist misstrauisch. Die muss doch was mit den Toten zu tun haben!

Mario Puzo und sein Pate haben wenig zu tun mit den „ehrenwerten Leuten“ des Giuseppe Fava. Bei Puzo haben sie ein Gesicht, eine Geschichte. Favas Mafiosi sind unerkannt. Von Opfern und Jägern gleichermaßen. Die zelluliodselige Verfremdung, die zum Mythos Mafia mehr beigetragen hat, als Regisseur Francis Ford Coppola es wollte, ist eine perfide Gesellschaft, die bei Giuseppe Fava Konturen bekommt. Mehr leider nicht. Aber der Mythos bekommt Kratzer, wird entthront, wird fratzenartig verzerrt. Die Opfer sprechen und klagen ihr Leid. Wie soll man sich wehren, wenn es keiner hören will? Ein Opfer, dem kein Haar gekrümmt wird, ist das überhaupt ein Opfer? Misstrauen macht sich breit.

Der weitreichende Arm der Mafia (oder wie auch immer man die ehrenwerten Leute der Insel nennen will) erreichte auch den Autor Giuseppe Fava. In seinem Theater wurde gerade sein Stück „L’ultima violenza“ (wie vielsagend: „Das letzte Verbrechen“) aufgeführt, als sein – lange unbekannter – Mörder zuschlug.

Der Kampf gegen die Mafia ist auch für Leoluca Orlando zur ungeliebten, aber leidenschaftlichen Aufgabe geworden. Der Bürgermeister von Palermo (seit 2012 wieder) manifestiert in seinem Vorwort zu diesem Buch die Notwendigkeit der Mafia den Kampf anzusagen, ihr Paroli zu bieten wo und wann immer man kann. Der Kampf beginnt beim Vorwort und endet noch lange nicht auf der letzten Seite.