Die Annonce

Was erfordert mehr Mut? Eine Kontaktanzeige aufzugeben oder sie zu beantworten? Für Paul ist es das Erste, für Annette das Zweite. Er, der Bauer aus den einsamen Höhen der Auvergne. Sie, ein paar Jahre jünger, Aushilfskassiererin aus dem äußersten Norden. Man trifft sich. Zuerst abwartend, anständig Abstand haltend auf halber Strecke. Es passt, es könnte passen.

Beide haben ihren Rucksack zu tragen. Annettes ist voller Erinnerungen, die sie abladen will. Abladen muss. Denn da ist noch Èric, ihr Sohn. Den Vater kann man getrost vergessen. Das Blut, das in beider Adern fließt, ist bei Didier, dem Erzeuger, mit allerhand Alkohol verflüssigt.

Paul hingegen hat seinen emotionalen Rucksack immer vor Augen. Zum Einen seine Schwester, die den Hof in Schuss hält. Zum Anderen sind da noch die beiden Onkel. Die grauen Eminenzen des Anwesens, die sich in ihrer brüderlichen Einsamkeit eingerichtet haben. Das ist nichts für Paul. Einmal in der Woche mit dem Auto fahren, und das als das höchste der Gefühle – neben dem Fernsehprogramm – zu erachten … non! Paul will mehr. Er will eine Frau. Das mit den Kindern bekommen, naja, das wird wohl nichts mehr.

Annette wird Teil der Viererbande auf dem Hof. Willkommenskultur – Fehlanzeige. Jede Veränderung wird erstmal misstrauisch, ja fast schon missmutig begutachtet. Annette und Pauls Schwester und deren Onkel – das ist eine Gleichung, die nie aufgehen wird. Nur Paul ist als Korrektiv, als fester Punkt das Einzige, das Annette hier bleiben lässt. Und außerdem: Was soll sie denn oben im Norden? Da ist nichts, was sie hält. Eher vieles mehr, das sie forttreibt. Und für Èric ist diese verlassene Gegend allemal besser als das gewohnte rohe Umfeld.

Marie-Hélène Lafon lässt mit einem umfangreichen Wortschatz eine zarte Beziehung erblühen, die auf den ersten Blick jedem Gärtner die Tränen in die Augen treibt. Zärtlichkeiten und Liebkosungen weichen gehorsam der Rationalität der ewigen Ruhe in diesem kleinen Ort im Süden Frankreichs. Wer von „Hier ist die Welt noch in Ordnung“ spricht, kennt den Hof von Paul, seiner Schwester und seinen Onkeln noch nicht. Man arrangiert sich, mit sich und mit dem Leben. Doch idyllisch ist die Gegend nur für Besucher. Es ist harte Arbeit den Hof am Laufen zu halten. Zwist, gar Niedertracht, verdunkeln nur allzu oft die Fröhlichkeit, die dieser Landstrich so gern kundtut. Die Beziehung zwischen Paul und Annette ist kein romantisch verklärtes Happyend-Stück, das die Herzen erwärmt. Ihre Beziehung bewegt durch die Sprachgewalt ihrer geistigen Mutter. Mit Distanz mit gleichzeitigem Tiefschürfen strahlt man über das ganze Gesicht, wenn Paul und Annette sich hier ein neues Leben aufbauen wollen.