Der schöne Sommer

Jede Metropole der Welt hat einen Roman oder eine Romanreihe, die das Lebensgefühl ihrer Einwohner so vortrefflich wiedergibt, dass man beim Lesen meint die Stadt in- und auswendig zu kennen und sich sicher in ihr bewegen zu können. Berlin hat seinen „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin, Dublin sein „Ulysses“, und was wäre Venedig der Gegenwart ohne Commissario Brunetti? Cesare Pavese hat seine Romane „Ein schöner Sommer“, „Der Teufel auf den Hügeln“ und „Die einsamen Frauen“ als zusammenhängendes Werk verstanden, obwohl alle drei Romane eigenständige Werke sind, deren Protagonisten unabhängig voneinander agieren. Dennoch gehören sie zu Turin wie die alte Dame Juventus und Fiat.

Der schöne Sommer

Ginia ist sechzehn Jahre alt. Sie ist Schneiderin, lebt mit ihrem Bruder zusammen. Die Eltern spielen in ihrem aufblühenden Leben keine Rolle. Mit ihren Freundinnen genießt sie die Launen des Sommers. Eines Tages lernt sie die ein paar Jahre ältere Amelia kennen. Amelia steht öfter Modell. Das imponiert Ginia. Auch sie will … Modell stehen, ihr eigenes sorgenfreies Leben leben, ungezwungen wachsen können. Sie und Amelia tauchen in eine Welt, die nichts mit dem harten Alltag und den Entbehrungen zu tun zu haben scheint. Erst zu Hause in ihrer Wohnung ist wieder alles „normal“. Der kleine Gaskocher, der Rhythmus aus Arbeit und Hausarbeit und Sockenstopfen, Kaminholz erdet die junge Dame unterbewusst. Mit Guido ist es anders. Sie steht Modell. Sie lächelt, gibt sich ihm hin. Doch dieses Leben ist schnell vorüber. Kein Fortschritt, kein Entrinnen. Denn Guido ist Künstler durch und durch. Und Amelia? Sie hat Ginia in die Kreise des lockeren Lebens eingeführt, zeigt ihr, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht. Nach und nach wird Ginia klar, was sie wirklich sucht. Die Antwort gefällt ihr nicht auf Anhieb, denn Träume sind nur so lange süß wie sie Träume sind.

Der Teufel auf den Hügeln

Das Leben in der Stadt Turin ist für Studenten ein fest. Die Studenten in „Der Teufel auf den Hügeln“ studieren Medizin und Jura. Das harte leben der Arbeiter kennen sie nur vom Zusehen, während sie die Sonne, den Fluss und das Leben genießen. Sie sind immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Die Straßen der Stadt sind ihr Revier. Tagsüber, am Morgen in den Cafés, am Abend in den Osterien, vor allem aber nachts. Wenn die Fensterläden geschlossen werden, das Dunkel über sie hereinbricht, kommen sie in Fahrt. Sie träumen, diskutieren, feiern. Aller Sorgen entledigt, ist ihnen nichts entfernter als der Schlaf. In die Berge zieht es sie. Der namenlose Erzähler – es muss Cesare Pavese sein, denn nur wer das alles erlebt, kann so ambitioniert, so einfühlsam, so echt darüber schreiben – will auf die Jagd. Sie quartieren sich bei jemandem ein, der sie erst kürzlich trafen. Er scheint das zu haben, was sie noch suchen: Die Freiheit tun und lassen zu können, was man will. Doch der Schein trügt. Die Welt in den Bergen, fernab und doch so nah der urbanen Vielfalt, ist nicht so sorgenfrei wie sie es sich in so manch schlafloser Nacht erträumten. Nicht die Unruhe, die Rastlosigkeit treibt sie an. Sie sind Abenteurer einer neuen Generation Glücksritter. Es liegt einzig allein an ihnen, ob dieser Ritt bergauf oder bergab führt…

Die einsamen Frauen

Clelia kehrt zurück in ihre Stadt. Turin. Hier wurde sie zu dem Menschen, der sie nun ist. Eine erfolgreiche Modedesignerin. Niemand weiß, dass sie wieder in der Stadt ist. Sie verließ Turin nach dem Tod des Vaters. Ein Abschied ohne lieben Gruß. Nun will sie hier einmal mehr Wurzeln schlagen. Noch weiß niemand von ihr. Im Hotel ist sie sicher. Meint sie.

Als sie die Tür ihres Zimmers einen Spalt öffnet – die Ruhe, die sie sucht, die sie braucht, wird durch Stimmen empfindlich gestört – sieht sie wie eine Frau auf einer Trage hinausgebracht wird. Das gibt es nur in Turin. So wie das aufdringliche, naive Zimmermädchen. So was gibt es nur hier. Clelia war lange weg, doch nicht lang genug, um zu vergessen.

Im Laufe der Zeit schart sie eine Gruppe Frauen um sich. Oder wird sie in ihren Kreis aufgenommen? Es ist eine verstörende Gruppe. Darunter ist auch die Frau auf der Trage. Clelia kann sie nicht einordnen. Einerseits der Selbstmordversuch, andererseits die reiche Familie im Hintergrund. Was war geschehen? Man könnte das Leben in vollen Zügen genießen. Der Krieg ist vorbei. Die Stadt erwacht jeden Tag ein Stück mehr und der Himmel klart sich auf. Wortwörtlich und sinnbildlich. Doch der Drang sich selbst zu exponieren, fast schon zu zerstören, schwingt durch so manchen geöffneten Spalt.

Drei Romane, eine Stadt. Eine junge Frau, die ihren Träumen nachhängt. Eine Gruppe Studenten, die sich ihre Träume mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllen kann. Und eine Frau, die schon ein bisschen ihren Traum lebt. Dennoch sind alle vom Wunsch besessen die Grenzen ihres Lebens auszuweiten. Unzufriedenheit in Zeiten der Dankbarkeit und des Aufbruchs sind ihnen nicht genug. Die Geschichten sind über siebzig Jahre alt. Sie sind allemal auch heute noch so vorzufinden, und verlieren wohl niemals ihre Aktualität.