Das Zimmermädchen

Lynn ist ein kleiner Putzteufel! In dem Hotel, in dem sie arbeitet, sind sogar die nicht benutzten Zimmer nicht vor ihr sicher. Sie kann sich hier so richtig austoben. Allein sein, nichts tun – das ist für sie der Horror. Sie fürchtet sich auch nur eine Minute nichts tun zu müssen. Denn dann … dann würde was Schreckliches passieren. Sie würde in alte Muster zurückfallen. Und das wäre nicht gut. Das weiß sie auch. Und das nicht nur, weil ihr Therapeut das sagte.

Und so ist sie glücklich endlich im Hotel eine Anstellung gefunden zu haben. Doch Glück, was ist das? Sie kann es nicht fühlen. Nicht einfangen. Nicht bewahren.

Die Tage und Wochen plätschern so dahin. Spiegel putzen, Staub wischen, selbst unter den Betten die Lattenroste vom Staub befreien. Zwanghaft? Sicherlich, doch stellt es keine Belastung für die junge Frau dar. Sie ist allein. Geht in ihrer Abreit auf. Alles geregelt. Jeder Tag hat eine Farbe, ein festes Ritual. Die Schemata zu durchbrechen, kommt ihr nicht in den Sinn.

Doch aus dem Zwang wird Neugier. Immer öfter steigt in ihr die Neugier auf. Sie will, sie muss wissen, wer sich da im Hotel eingenistet hat. Sie schnuppert an den Sachen der Gäste, stellt sich vor, wer in sie hineinschlüpft. Bis … eines Tages, das Pyjama-Oberteil des Gastes noch über der Uniform tragend, der Zimmerschlüssel im Schloss rumgedreht wird. Der Gast kommt unverhofft in sein Zimmer. Doch er wird Lynn nicht entdecken. Gedankenschnell gleitet sie unters Bett. Was ein Kick!

Allmählich wird Lynns Routine immer häufiger unterbrochen. Die Auszeit unter den Betten wird zur liebgewordenen Angewohnheit. Lynn wird zum Familienmitglied der Hotelgäste. Bis eines Tages Chiara in ihr Leben tritt. Ein Gast hat Chiara zu sich gerufen. Chiara ist charmant, aufmerksam, folgsam, herrisch, devot – ganz wie der Gast es von ihr verlangt.

Lynn, ganz im Wahn ihres neuen Lebens, notiert sich Chiaras Nummer von der Karte, die Chiara für den Gast hinterließ. Das ist die Chance auf ein neues Leben. Fernab von wöchentlichen Anrufen bei der Mutter, Therapiegesprächen, freien Tagen. Sie ruft Chiara an, bucht sie. Will sie in ihrer Nähe haben.

Markus Orths gibt Lynn die Freiheit sich ihrer Fesseln zu entledigen. Doch diese Fesseln sind das einzige, was Lynn noch antreibt. Die Zeit unter den Hotelbetten, das Hineinkriechen in das Leben fremder Personen, die Zweisamkeit mit dem Callgirl Chiara sind nichts anderes als weitere Fesseln, die Lynn verharren lassen. Der Name des Hotels, Eden, klingt wie ein Hohn. Lynn ist vom Paradies weit entfernt. Wer auf ein happy end hofft, muss seine Phantasie anstrengen. Auf den ersten Blick ist Lynn eine Gefangene, aber eine Gefangene, die sich selbst die Fesseln anlegt, sie aber lockern kann, wann immer sie will.