Christabel

Es ist schon seltsam, vielleicht sogar ein bisschen schaurig. Christabel, die schöne Tochter vom Schloss so weit weg von der väterlichen Heimat. Mitten im Wald. Es ist dunkel. Und wir alle wissen aus Märchen, dass das nicht gut ist. So ein zartes Geschöpf, im tiefschwarzen Wald, mutterseelenallein. Denn im Wald, da sind die Räuber! Genug der Klischees.

Samuel Taylor Coleridge gilt zusammen mit William Wordsworth (da war der Name mehr als Programm) als Begründer der englischen Romantik. Und schon sind wir wieder bei einem gerüttelt Maß an Schaurigkeit, Mystik, Geheimnissen. Denn die schöne Christabel trifft die erschöpfte, aber nicht minder Fremde Geraldine. Mit schwachen Lauten berichtet sie von einer Entführung. Da haben wir’s: Im Wald, da sind die Räuber! Es ist kalt und die beiden Grazien nicht wettergerecht gekleidet. Christabel beschließt die verkühlte Geraldine mit zu sich aufs Schloss zu nehmen. Der Schlossherr, Sir Leoline, wird schon nichts dagegen haben.

Unterwegs allerdings mahnen schon die Schatten der Vergangenheit vor einer unheilvollen Zukunft. Doch in so einer Situation ist Christabel dem gegenüber zwar aufgeschlossen, erkennt jedoch nicht die Gefahr. Vor dem Zubettgehen jedoch wird auch der geschmeidigen Christabel etwas anders. Da, an Geraldines Körper, was ist das? Christabel schauert vor der Nacht, die die beiden gemeinsam in ihrem Bett verbringen werden. Wenn es doch nur die Nacht wäre, die die großen Veränderungen in sich trägt.

Dieses Gedicht ist ein Gedicht! Die ungewohnte Art der Präsentation – zusätzlich auch noch im englischen Original – versetzt den Leser prompt in die richtige Stimmung. Die Geschichte, wurde in zwei Etappen geschrieben. Der erste Teil wurde 1797 beendet. Nach einem Aufenthalt in Weimar, schloss Coleridge sein Gedicht der schönen Christabel 1800 ab.

Ein für die meisten vergessener Text, der nachfolgende Schriftsteller (-generationen) stark beeinflusst hat. „Christabel“ umweht auf jeder Zeile ein geheimnisvoller Schleier, den der Leser lüften darf. Doch die Braut dahinter hat ein schweres Schicksal zu ertragen. Kein vor Glückstränen erhelltes Gesicht, vielmehr Gram und Angst, vielleicht sogar ein bisschen Scham verbirgt dieser Schleier. Samuel Taylor Coleridge schleift so lange an seinen Worten bis kein Zweifel mehr besteht, dass jeder Buchstabe am richtigen Ort sitzt.