Chirú

Eine Frau und ein Mann. Treffen sich. Eine Beziehung entwickelt sich. Eine Beziehung, die nicht sein darf. Denn sie ist mehr als doppelt so alt wie er. Netter Plot, aber nicht besonders originell. Wie wär’s damit?! Michela Murgia schreibt die Geschichte der achtunddreißigjährigen Eleonora, die auf Empfehlung den achtzehnjährigen Chirú unter ihre Fittiche nehmen soll.

Sie zweifelt. Was kann sie ihm beibringen? Ihm, dem jungen Schlacks mit den zu langen Armen, mit dem kindlichen Habitus, der ihr anfangs immer wieder das Gefühl vermittelt eine Art Trophäe zu sein. Klingt doch schon viel besser! Ist es auch!

Chirú steht also vor ihr, den Geigenkasten unterm Arm, ungelenk und schüchtern. Aber mutig genug der ersten Ablehnung nicht gleich resignierend nachzugeben. Hopfen und Malz scheinen doch noch nicht endgültig verloren zu sein. Und da ihr die Argumente fehlen ihm komplett die Zuneigung zu versagen, gibt sie sich einen Ruck und macht ihn zu ihrem Adlatus. Im gleichen Atemzug stellt sie sich jedoch weiterhin die Frage, was sie ihm eigentlich beibringen soll. Soll er sie begleiten auf der Bühne? Das Gesamtbild würde nicht mehr passen. Ach, was soll sie nur machen. Einen Versuch ist es aber wenigstens wert.

Chirú ist im siebten Himmel. Doch sein Wesen steht ihm im Weg dieser Freude den nötigen Ausdruck zu verleihen. Warum wurde er von der erfahrenen Lehrerin angenommen? Ist alles nur ein Zufall, ist es Schicksal, steckt mehr dahinter? Einen Versuch ist es wenigstens wert!

Und schließlich verstehen sich Eleanora und Chirú auf Anhieb. Kein Grund zum Zweifeln. Sie lehrt, er lernt. Nicht ganz: Dieses Verhältnis bleibt ungeklärt, für den Leser, für die beiden und vielleicht auch für die Autorin. Immer mehr entfernt sich Michela von der Vorstellung als Fachangestellte dem jungen Mitarbeiter Wissen einzupflanzen. Sie sieht sich als Wegbereiterin und Wegbegleiterin des jungen Chirú, der dann auch schon zögerlich ihre Hand ergreifen und sie in der Öffentlichkeit umarmen darf. Verwirrung? Ja, aber nur kurz. Denn mittlerweile sind die beiden unzertrennlich. Nicht wie ein Liebespaar im herkömmlichen Sinne, sondern wie zwei Vertraute, die zusammen einander guttun.

Mit scheinbarer Leichtigkeit zerreißt Michela Murgia die Klischees von Jung und Alt, die in den Köpfen der Starrsinnigen verankert sind. Wer erteilt wem eine Lektion steht hier keineswegs zur Debatte. Auch nicht, ob es dem jungen Mann gelingen wird die Dame seines Herzens „zu knacken“. In Murgias Geschichte geht es um mehr als Machtspielchen gegenüber dem Anderen. Sie sieht im Mit- und Nebeneinander der beiden die wahre Bedeutung der Liebe. Der unbewussten wie der bewussten, mit all ihren Aufs und Abs, die weder Sieger noch Besiegte kennt.